Eines Morgens nach dem Frühstück
Sein Name flog bebend über ihre Lippen; bei dem ersten Laut dieser ihm unvergeßlichen Stimme fuhr er auf und blieb bei Klara’s Anblick wie versteinert stehen. Er ahnte nicht, daß er sie in Lindenthal finden werde und wurde so erschüttert, als er sie erkannte, daß Therese davor erbebte, da sie ihn in schnellem Wechsel erröthen und erblassen sah.
Gustav! rief Klara noch einmal und trat auf ihn zu, dem Freund ihrer Kindheit die schöne Hand zum Willkommen zu bieten, die er, keines Wortes mächtig, stumm an Herz und Lippe drückte.
In diesem Augenblick hörte man Frau von Walden’s Stimme, die, von der Ankunft ihres Sohnes benachrichtigt, herbeieilte, ihn zu bewillkommen. Ihr Eintritt lösete die peinlich süße Verlegenheit dieses unerwarteten Wiedersehens; sie führte Gustav in ihr Zimmer, Therese begleitete sie und Klara gewann Zeit, sich zu sammeln, da auch sie sich durch Gustav’s Anblick tief und wunderbar bewegt fühlte. Sie konnte den Gespielen, den Freund ihrer Kindheit nicht mehr unbefangen sehen, seitdem sie wußte, daß er sie liebte. Ihr Wissen um dies Geheimniß seines Herzens machte ihre Theilnahme an seinem Schicksal um vieles inniger und belebte die reine, zarte, geschwisterliche Neigung, mit der sie ihm seit dem ersten Erwachen ihrer Gefühle ergeben gewesen war, mit einem namenlosen Reiz.
Sie sahen sich erst im Eßsaal wieder. Auf dem Lande ist die Ankunft eines neuen Gastes stets eine alle Anwesende interessirende Begebenheit, und Gustav war nun vorzüglich für die Damen eine anziehende Erscheinung, da er, im unzersplitterten Besitz aller Kraft und Kühnheit der Jugend und der Fülle an Lebensfrische, sich auch durch Adel der Gestalt und durch die anmuthige, fein sittige Liebenswürdigkeit seines Betragens auszeichnete. Frau von Lewof vergaß es bei seinem Anblick ganz, daß sie willens gewesen war, die Rolle einer Tiefbetrübten zu spielen, da sie von ihrem Feodor die Nachricht erhalten hatte, daß er leicht und unbedeutend verwundet worden war. Ihre Kammerjungfer hatte diese Nachricht schon der Jungfer der Frau von Walden mitgetheilt; diese wieder mehreren Personen aus der Gesellschaft, die nun alle im Voraus beklagten, wie trostlos und wie betrübt die interessante Frau sein werde.
Doch zum allgemeinen Erstaunen trat Fau von Lewof mit ganz heiterer Miene in das Zimmer und war, ohne der erhaltenen Trauerbotschaft zu gedenken, bei Tische, wo sie neben Gustav saß, sehr liebenswürdig und unterhaltend. Sie lachte und scherzte sehr anmuthig und war die Erste, die am Abend den Wunsch äußerte, daß getanzt werden solle, weil sie erfahren hatte, Gustav tanze sehr gern, und überzeugt war, durch die Schönheit ihres Tanzes seine Bewunderung auf sich zu ziehen. Allein er war gegen ihr Bestreben, ihm gefallen zu wollen, so unerkenntlich, daß er es nicht einmal bemerkte, und obgleich ihm der Muth fehlte, sich in der Gesellschaft Klara zu nähern, da er fühlte, daß ein Blick, ein Wort hinreichen werde, sein Geheimniß zu verrathen, so war er doch nur mit ihr beschäftigt. Auch sie war zu ernst, zu wehmüthig gestimmt, um tanzen und scherzen zu mögen; unter dem Vorwand eines leichten Kopfschmerzes schlug sie die Auffoderung zum Tanz aus und eilte, als die Paare sich geordnet hatten, in den Garten hinab, um sich selbst in der Einsamkeit über ihre Gefühle zu befragen und sich zur Rechenschaft zu ziehen. Es war ein köstlicher Abend; ein warmer Regen hatte die ganze Natur erfrischt, Laub und Blumen dufteten; - sie trat in ein kleines Akaziengebüsch, das sie vorzüglich liebte, und das jetzt nur von einzelnen Mondenstrahlen durchleuchtet wurde. Die Wehmuth, die sich ihres Herzens seit Gustav’s Anblick bemächtigt hatte, durchdrang ihr ganzes Wesen, sie versank in stilles gedankenloses Träumen und wußte es selbst nicht, daß einzelne Thränen langsam über ihre Wangen rollten.
Es rauschte hinter ihr in dem Gebüsch, sie sah sich um und erblickte Gustav. Unwillkürlich stand sie auf. Klara, rief er, warum fliehen Sie Ihren unglücklichen Freund?
Der Mond trat in diesem Augenblick in vollem Glanze aus einer Wolke hervor; sie sah Gustav’s Auge voll Thränen, und dieser Anblick überwältigte sie so, daß sie sich wieder setzen mußte. Gustav nahm neben ihr Platz, und ihre Hand an sein Herz drückend, blickte er sie schweigend mit trauernder Zärtlichkeit an.
O Klara, sagte er endlich, warum mußte ich Sie gerade in dem Augenblicke verlieren, wo ich hoffen durfte, sie mein nennen zu können!
Er erlag vor diesem Gedanken und barg sein Gesicht auf ihre Schulter, um ihr die Gewalt des Schmerzes zu verbergen, von dem er sich überwältigt fühlte.
Mit der liebkosenden Herzlichkeit früherer Jahre nahm Klara ihr Tuch, um die Thränen des Freundes von seiner Wange zu trocknen. Unwillkürlich fortgerissen, drückte er sie an sein Herz und seine Lippen auf die ihrigen.
Gustav! rief sie, sich bebend aus seinen Armen loswindend - Sie vergessen, daß ich Nordeck’s Gattin bin!
Ein kalter Schauder ergoß sich durch Gustav’s Herz. Vergeben Sie, sagte er, indem er von ihrer Seite aufsprang, einem Unglücklichen, dem in Ihrer Nähe die reinste, heiligste Empfindung seines Herzens zu Gift wird.
Er verließ sie hier. Klara weinte noch lange sanft und still; ihr war, als umschwebe sie Nordeck’s Geist, und ihre Empfindungen und Gedanken wurden zu einem Gebet, das, ohne Worte von ihrem Schutzgeist vernommen, zu Gott emporstieg.
Am andern Morgen kam Therese früh zu ihr, und da durch Gustav’s Allen unerwartete Ankunft das Versprechen gelöst war, welches sie und Klara sich gegenseitig gegeben hatten, nicht von ihm reden zu wollen, trug sie auch kein Bedenken ihr folgendes Billet zu übergeben.
,,Ich darf es mir nicht vergönnen, Sie, theure Klara, wiederzusehen, und wenn Sie diese Zeilen lesen, habe ich Lindenthal schon verlassen. Die Worte, durch die Sie, reine Engelseele, mich gestern aus einem ebenso strafbaren als verführerischen Taumel weckten, haben sich meinem Herzen unvergänglich eingegraben; ich sehe Sie nicht wieder, als bis es mir möglich ist, in der Gemahlin eines edeln, allgemein verehrten Mannes nur meine Freundin zu begrüßen. Zur Vergeltung dieses schmerzlichen Opfers, das ich mir im schwersten Kampfe abringe, bitte ich Sie, meiner nicht zu vergessen. Bleiben Sie sich selbst treu; noch ahnen Sie die Gefahren nicht, von denen Sie bedroht sind; aber Sie sind zu schön, zu jung, zu gefeiert, um ganz unempfindlich gegen die Huldigungen bleiben zu können, die Ihnen nur zu häufig dargebracht werden. Versprechen Sie mir, den Ring, den ich diesen Zeilen beifüge, stets zu tragen; er bleibe Ihnen eine Erinnerung an mich, an mein Opfer und an den Segenswunsch, mit dem ich scheide: Bleiben Sie sich selbst treu!“
Klara’s Thränen flossen bei Lesung dieser Zeilen, sie hätte Gustav so gern noch einmal gesehen und ihm mündlich Lebewohl gesagt. Das Gefühl, daß ihre Gegenwart es war, die ihn aus dem Kreise seiner Familie, aus seinem eignen Hause verbannte, drückte sie wie ein Unrecht, und die Frauen glauben nur ein Mittel in ihrer Gewalt zu haben, gegen ihre Liebhaber und Freunde begangenes Unrecht wieder gut zu machen, nämlich das, ihnen mit erhöhter Zärtlichkeit zu begegnen. Doch gestand sie sich auch, daß er das Würdigste ergriffen habe, und in jedem Verhältniß findet ein reines weibliches Herz für empfundenes und ihm zugefügtes Weh Trost in dem Bewußtsein, den Freund, um den es trauert, in seiner Achtung und Verehrung erhöht zu fühlen. Unbegreiflich war es ihr aber, wie Gustav fürchten konnte, die Huldigungen anderer Männer könnten ihr je Gefahr bringen. War sie nicht Nordeck’s glückliche Gattin? war nicht Gustavs Andenken selbst für sie ein zweiter Schutzengel? Nicht als Warnungszeichen, nur zum Gedächtniß des Freundes, steckte sie den Ring - es war ein schöner rosenrother, brasilianischer Solitair - an ihren Finger und gelobte sich nie von ihm zu trennen.
Gustav’s schnelle Abreise befremdete die ganze Gesellschaft. Frau von Lewof allein schien seine Abwesenheit nicht zu bemerken; sie spielte heut die gestern schon angekündigte Rolle einer schmerzlich bekümmerten Gattin. Erst am Nachmittag wandte sie sich an Therese mit der Frage, wie es zugehe, daß Gustav nicht bei Tische erschienen sei, und als diese ihr antwortete, er sei schon früh am Morgen wieder abgereist, stellte sie sich überrascht und bat um Verzeihung, es nicht beachtet zu haben, daß dieser Abreise schon erwähnt worden sei. Ich bin heut, sagte sie klagend, durchaus nur eines Gedankens fähig; doch thut es mir leid, Ihren Bruder nicht mehr hier zu sehen. Er kennt meinen Feodor so gut, ich habe gestern soviel mit ihm von meinem Manne reden können und das macht mich immer so glücklich! Sie können es sich nicht denken, welche Wohlthat es für mich ist, mich einsam und ganz ungestört von außen in meine Träume zu versenken und nur in dem Andenken an ihn zu leben. Vorigen Sommer wurde es mir so wohl, einige Monate auf dem Lande in tiefer Einsamkeit zubringen zu können; todt für die ganze übrige Welt, waren seine Briefe meine einzige Freude, sein Gemälde mein einziger Trost. Drei Monate verschwanden mir in dieser Abgeschiedenheit wie Augenblicke; sie waren nur ein einziger langer Traum von ihm.
Einige Stunden später sprach man von einem sehr liebenswürdigen und gefeierten Mann, dessen Waffenthaten ihn damals zum Helden des Tages machten.
Ich kenne ihn, rief Frau von Lewof; als ich vorigen Sommer auf dem Lande lebte, sah ich ihn täglich. Er gab allerliebste Feste, fuhr sie mit einer Miene fort, in der man las, wem zu Ehren diese Feste gegeben worden waren; ich durfte bei keinem derselben fehlen. Sein Talent, die gesellschaftlichen Vergnügungen zu vervielfältigen und ihnen durch Abwechselung den Reiz der Neuheit und der Ueberraschung zu geben, ist einzig. Kein Tag glich dem andern, und trotz der Artigkeit, mit der er bei Anordnung jedes Festes meinen Geschmack und meine Neigung zu Rathe zog, war doch das ganze Verdienst davon sein.
Therese war so muthwillig, sie zu fragen, ob das in jener Zeit gewesen sei, wo sie sich, wie sie ihr erzählt habe, in der tiefsten Einsamkeit ihres Landgutes so glücklich gefühlt habe?
Fau von Lewof that, als höre sie diese Frage nicht, und gab dem Gespräch schnell eine andere Wendung, indem sie den Thee als ganz vorzüglich wohlschmeckend pries: eine Aeußerung, von der sie wußte, daß sie Frau von Walden stets zu einer Abhandlung über die beste Art und Weise seiner Bereitung verleitete.
Wenige Tage darauf kam Nordeck, seine Klara abzuholen. Die Trennung von Theresen wurde ihr dadurch erleichtert, daß sie mit Gewißheit darauf rechnen konnte, sie im Herbst wiederzusehen, und durch das gegenseitige Versprechen, sehr oft schreiben zu wollen.
Gustav! rief Klara noch einmal und trat auf ihn zu, dem Freund ihrer Kindheit die schöne Hand zum Willkommen zu bieten, die er, keines Wortes mächtig, stumm an Herz und Lippe drückte.
In diesem Augenblick hörte man Frau von Walden’s Stimme, die, von der Ankunft ihres Sohnes benachrichtigt, herbeieilte, ihn zu bewillkommen. Ihr Eintritt lösete die peinlich süße Verlegenheit dieses unerwarteten Wiedersehens; sie führte Gustav in ihr Zimmer, Therese begleitete sie und Klara gewann Zeit, sich zu sammeln, da auch sie sich durch Gustav’s Anblick tief und wunderbar bewegt fühlte. Sie konnte den Gespielen, den Freund ihrer Kindheit nicht mehr unbefangen sehen, seitdem sie wußte, daß er sie liebte. Ihr Wissen um dies Geheimniß seines Herzens machte ihre Theilnahme an seinem Schicksal um vieles inniger und belebte die reine, zarte, geschwisterliche Neigung, mit der sie ihm seit dem ersten Erwachen ihrer Gefühle ergeben gewesen war, mit einem namenlosen Reiz.
Sie sahen sich erst im Eßsaal wieder. Auf dem Lande ist die Ankunft eines neuen Gastes stets eine alle Anwesende interessirende Begebenheit, und Gustav war nun vorzüglich für die Damen eine anziehende Erscheinung, da er, im unzersplitterten Besitz aller Kraft und Kühnheit der Jugend und der Fülle an Lebensfrische, sich auch durch Adel der Gestalt und durch die anmuthige, fein sittige Liebenswürdigkeit seines Betragens auszeichnete. Frau von Lewof vergaß es bei seinem Anblick ganz, daß sie willens gewesen war, die Rolle einer Tiefbetrübten zu spielen, da sie von ihrem Feodor die Nachricht erhalten hatte, daß er leicht und unbedeutend verwundet worden war. Ihre Kammerjungfer hatte diese Nachricht schon der Jungfer der Frau von Walden mitgetheilt; diese wieder mehreren Personen aus der Gesellschaft, die nun alle im Voraus beklagten, wie trostlos und wie betrübt die interessante Frau sein werde.
Doch zum allgemeinen Erstaunen trat Fau von Lewof mit ganz heiterer Miene in das Zimmer und war, ohne der erhaltenen Trauerbotschaft zu gedenken, bei Tische, wo sie neben Gustav saß, sehr liebenswürdig und unterhaltend. Sie lachte und scherzte sehr anmuthig und war die Erste, die am Abend den Wunsch äußerte, daß getanzt werden solle, weil sie erfahren hatte, Gustav tanze sehr gern, und überzeugt war, durch die Schönheit ihres Tanzes seine Bewunderung auf sich zu ziehen. Allein er war gegen ihr Bestreben, ihm gefallen zu wollen, so unerkenntlich, daß er es nicht einmal bemerkte, und obgleich ihm der Muth fehlte, sich in der Gesellschaft Klara zu nähern, da er fühlte, daß ein Blick, ein Wort hinreichen werde, sein Geheimniß zu verrathen, so war er doch nur mit ihr beschäftigt. Auch sie war zu ernst, zu wehmüthig gestimmt, um tanzen und scherzen zu mögen; unter dem Vorwand eines leichten Kopfschmerzes schlug sie die Auffoderung zum Tanz aus und eilte, als die Paare sich geordnet hatten, in den Garten hinab, um sich selbst in der Einsamkeit über ihre Gefühle zu befragen und sich zur Rechenschaft zu ziehen. Es war ein köstlicher Abend; ein warmer Regen hatte die ganze Natur erfrischt, Laub und Blumen dufteten; - sie trat in ein kleines Akaziengebüsch, das sie vorzüglich liebte, und das jetzt nur von einzelnen Mondenstrahlen durchleuchtet wurde. Die Wehmuth, die sich ihres Herzens seit Gustav’s Anblick bemächtigt hatte, durchdrang ihr ganzes Wesen, sie versank in stilles gedankenloses Träumen und wußte es selbst nicht, daß einzelne Thränen langsam über ihre Wangen rollten.
Es rauschte hinter ihr in dem Gebüsch, sie sah sich um und erblickte Gustav. Unwillkürlich stand sie auf. Klara, rief er, warum fliehen Sie Ihren unglücklichen Freund?
Der Mond trat in diesem Augenblick in vollem Glanze aus einer Wolke hervor; sie sah Gustav’s Auge voll Thränen, und dieser Anblick überwältigte sie so, daß sie sich wieder setzen mußte. Gustav nahm neben ihr Platz, und ihre Hand an sein Herz drückend, blickte er sie schweigend mit trauernder Zärtlichkeit an.
O Klara, sagte er endlich, warum mußte ich Sie gerade in dem Augenblicke verlieren, wo ich hoffen durfte, sie mein nennen zu können!
Er erlag vor diesem Gedanken und barg sein Gesicht auf ihre Schulter, um ihr die Gewalt des Schmerzes zu verbergen, von dem er sich überwältigt fühlte.
Mit der liebkosenden Herzlichkeit früherer Jahre nahm Klara ihr Tuch, um die Thränen des Freundes von seiner Wange zu trocknen. Unwillkürlich fortgerissen, drückte er sie an sein Herz und seine Lippen auf die ihrigen.
Gustav! rief sie, sich bebend aus seinen Armen loswindend - Sie vergessen, daß ich Nordeck’s Gattin bin!
Ein kalter Schauder ergoß sich durch Gustav’s Herz. Vergeben Sie, sagte er, indem er von ihrer Seite aufsprang, einem Unglücklichen, dem in Ihrer Nähe die reinste, heiligste Empfindung seines Herzens zu Gift wird.
Er verließ sie hier. Klara weinte noch lange sanft und still; ihr war, als umschwebe sie Nordeck’s Geist, und ihre Empfindungen und Gedanken wurden zu einem Gebet, das, ohne Worte von ihrem Schutzgeist vernommen, zu Gott emporstieg.
Am andern Morgen kam Therese früh zu ihr, und da durch Gustav’s Allen unerwartete Ankunft das Versprechen gelöst war, welches sie und Klara sich gegenseitig gegeben hatten, nicht von ihm reden zu wollen, trug sie auch kein Bedenken ihr folgendes Billet zu übergeben.
,,Ich darf es mir nicht vergönnen, Sie, theure Klara, wiederzusehen, und wenn Sie diese Zeilen lesen, habe ich Lindenthal schon verlassen. Die Worte, durch die Sie, reine Engelseele, mich gestern aus einem ebenso strafbaren als verführerischen Taumel weckten, haben sich meinem Herzen unvergänglich eingegraben; ich sehe Sie nicht wieder, als bis es mir möglich ist, in der Gemahlin eines edeln, allgemein verehrten Mannes nur meine Freundin zu begrüßen. Zur Vergeltung dieses schmerzlichen Opfers, das ich mir im schwersten Kampfe abringe, bitte ich Sie, meiner nicht zu vergessen. Bleiben Sie sich selbst treu; noch ahnen Sie die Gefahren nicht, von denen Sie bedroht sind; aber Sie sind zu schön, zu jung, zu gefeiert, um ganz unempfindlich gegen die Huldigungen bleiben zu können, die Ihnen nur zu häufig dargebracht werden. Versprechen Sie mir, den Ring, den ich diesen Zeilen beifüge, stets zu tragen; er bleibe Ihnen eine Erinnerung an mich, an mein Opfer und an den Segenswunsch, mit dem ich scheide: Bleiben Sie sich selbst treu!“
Klara’s Thränen flossen bei Lesung dieser Zeilen, sie hätte Gustav so gern noch einmal gesehen und ihm mündlich Lebewohl gesagt. Das Gefühl, daß ihre Gegenwart es war, die ihn aus dem Kreise seiner Familie, aus seinem eignen Hause verbannte, drückte sie wie ein Unrecht, und die Frauen glauben nur ein Mittel in ihrer Gewalt zu haben, gegen ihre Liebhaber und Freunde begangenes Unrecht wieder gut zu machen, nämlich das, ihnen mit erhöhter Zärtlichkeit zu begegnen. Doch gestand sie sich auch, daß er das Würdigste ergriffen habe, und in jedem Verhältniß findet ein reines weibliches Herz für empfundenes und ihm zugefügtes Weh Trost in dem Bewußtsein, den Freund, um den es trauert, in seiner Achtung und Verehrung erhöht zu fühlen. Unbegreiflich war es ihr aber, wie Gustav fürchten konnte, die Huldigungen anderer Männer könnten ihr je Gefahr bringen. War sie nicht Nordeck’s glückliche Gattin? war nicht Gustavs Andenken selbst für sie ein zweiter Schutzengel? Nicht als Warnungszeichen, nur zum Gedächtniß des Freundes, steckte sie den Ring - es war ein schöner rosenrother, brasilianischer Solitair - an ihren Finger und gelobte sich nie von ihm zu trennen.
Gustav’s schnelle Abreise befremdete die ganze Gesellschaft. Frau von Lewof allein schien seine Abwesenheit nicht zu bemerken; sie spielte heut die gestern schon angekündigte Rolle einer schmerzlich bekümmerten Gattin. Erst am Nachmittag wandte sie sich an Therese mit der Frage, wie es zugehe, daß Gustav nicht bei Tische erschienen sei, und als diese ihr antwortete, er sei schon früh am Morgen wieder abgereist, stellte sie sich überrascht und bat um Verzeihung, es nicht beachtet zu haben, daß dieser Abreise schon erwähnt worden sei. Ich bin heut, sagte sie klagend, durchaus nur eines Gedankens fähig; doch thut es mir leid, Ihren Bruder nicht mehr hier zu sehen. Er kennt meinen Feodor so gut, ich habe gestern soviel mit ihm von meinem Manne reden können und das macht mich immer so glücklich! Sie können es sich nicht denken, welche Wohlthat es für mich ist, mich einsam und ganz ungestört von außen in meine Träume zu versenken und nur in dem Andenken an ihn zu leben. Vorigen Sommer wurde es mir so wohl, einige Monate auf dem Lande in tiefer Einsamkeit zubringen zu können; todt für die ganze übrige Welt, waren seine Briefe meine einzige Freude, sein Gemälde mein einziger Trost. Drei Monate verschwanden mir in dieser Abgeschiedenheit wie Augenblicke; sie waren nur ein einziger langer Traum von ihm.
Einige Stunden später sprach man von einem sehr liebenswürdigen und gefeierten Mann, dessen Waffenthaten ihn damals zum Helden des Tages machten.
Ich kenne ihn, rief Frau von Lewof; als ich vorigen Sommer auf dem Lande lebte, sah ich ihn täglich. Er gab allerliebste Feste, fuhr sie mit einer Miene fort, in der man las, wem zu Ehren diese Feste gegeben worden waren; ich durfte bei keinem derselben fehlen. Sein Talent, die gesellschaftlichen Vergnügungen zu vervielfältigen und ihnen durch Abwechselung den Reiz der Neuheit und der Ueberraschung zu geben, ist einzig. Kein Tag glich dem andern, und trotz der Artigkeit, mit der er bei Anordnung jedes Festes meinen Geschmack und meine Neigung zu Rathe zog, war doch das ganze Verdienst davon sein.
Therese war so muthwillig, sie zu fragen, ob das in jener Zeit gewesen sei, wo sie sich, wie sie ihr erzählt habe, in der tiefsten Einsamkeit ihres Landgutes so glücklich gefühlt habe?
Fau von Lewof that, als höre sie diese Frage nicht, und gab dem Gespräch schnell eine andere Wendung, indem sie den Thee als ganz vorzüglich wohlschmeckend pries: eine Aeußerung, von der sie wußte, daß sie Frau von Walden stets zu einer Abhandlung über die beste Art und Weise seiner Bereitung verleitete.
Wenige Tage darauf kam Nordeck, seine Klara abzuholen. Die Trennung von Theresen wurde ihr dadurch erleichtert, daß sie mit Gewißheit darauf rechnen konnte, sie im Herbst wiederzusehen, und durch das gegenseitige Versprechen, sehr oft schreiben zu wollen.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Zwei Jahre in Petersburg