Die sibirische Eisenbahn

Vortrag gehalten in der Gehe-Stiftung zu Dresden am 12. Oktober 1901
Autor: Ruge Sophus Dr. (1831-1903) deutscher Geograph, Professor in Dresden, Erscheinungsjahr: 1901

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Themenbereiche
Enthaltene Themen: Russland, Sibirien, Eisenbahn, Weltverkehr, Wladiwostok, China, Japan, Port Arthur, Ozean, Pachtgebiet, Landerwerbung, Landeroberung, Kolonisten, Auswanderer, Landwirtschaft, Hungersnot,
Eine der größten Unternehmungen, die dem Weltverkehr dienen sollen, geht ihrer Vollendung entgegen: Die sibirische Eisenbahn.

Diese Bahn wird, im Anschluss an die westeuropäischen Linien, zum ersten Male die alte Welt, nahezu in ihrer größten Breite, von Westen nach Osten, von Ozean zu Ozean durchschneiden. Zwar ist Nordamerika schon vor mehreren Dezennien mit einer solchen Bahn von Ozean zu Ozean vorangegangen; aber diese Linie war nicht so lang und die zu überwindenden Schwierigkeiten waren nicht so groß als im Russischen Reiche.

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Es muss, um überhaupt den Plan einer solchen Durchquerung ganzer Erdteile zu fassen und einheitlich durchzuführen, vielleicht auch den ursprünglichen Entwurf nötigenfalls mit raschem Entschlusse ändern zu können, — es muss das weite, in Frage kommende Gebiet einem Staate angehören, einem Herrscher Untertan sein.

So war es in den Vereinigten Staaten von Nordamerika, so ist es auch im Russischen Reiche. Und dieses Reich hat, abgesehen von dem über alle Erdteile verstreuten großen britischen Kolonialreich, die größte zusammenhängende Landfläche. Es ist doppelt so groß als das ganze chinesische Reich mit seinen Nebenländern in Hochasien, mehr als doppelt so groß als ganz Europa, oder die noch etwas kleineren Flächen der Vereinigten Staaten in Nordamerika oder Brasiliens in Südamerika, während z. B. das Deutsche Reich 40 Mal kleiner ist. Nach einem schon vor 30 Jahren gemachten Vergleich ist das Russische Reich so groß, wie die uns zugekehrte beleuchtete Seite des Vollmondes. Aber Russland ist in dem verflossenen Menschenalter durch Landerwerb noch größer geworden, also gewissermaßen aus dem Vergleich herausgewachsen.

Die Verhältnisse liegen jetzt so: Die Mondfläche beträgt rund 190.000 Quadratmyriameter und das Russische Reich 224.000.

Russland ist zwar im Grunde ein ganz moderner Staat, der seine völlige politische Unabhängigkeit von mongolischer Oberherrschaft erst vor 400 und einigen Jahren gewonnen hat; und doch kann man aus seiner Geschichte erkennen, dass sein Landgebiet, fast ausnahmslos, unter jedem Herrscher seit 400 Jahren gewachsen ist. Die letzten Erwerbungen in Europa fallen ins Jahr 1878, in Asien (Merw) 1884, und wenn wir das wichtige von den Chinesen erworbene sogen. Pachtgebiet von Port Arthur hinzunehmen, ins Jahr 1898. Dies Gebiet ist umso wertvoller, als hier der wichtigste Zweig der sibirischen Eisenbahn am großen Ozean endigen soll und nicht, wie ursprünglich geplant war, in Wladiwostok. Dieses Pachtgebiet wird doch sicher von Russland ebenso wenig wieder an China zurückgegeben, als Kiautschou*) deutscherseits.

Und ob die im vorjährigen chinesischen Kriege besetzte Mandschurei, durch die die Eisenbahn nach Port Arthur führen muss, je den Chinesen wieder ausgeliefert wird, muss auch bezweifelt werden. Und nehmen wir den Gewinn der Mandschurei hinzu, dann reichen die Landerwerbungen Russlands bis in die aller neuste Zeit.

*) Kiautschou war ein 1898 vom Kaiserreich China an das Deutsche Kaiserreich verpachtetes Gebiet im Süden der Shandong-Halbinsel an der chinesischen Ostküste. Hauptstadt war Tsingtau. Wikipedia

Die Mandschurei allein hat aber fast die doppelte Größe des Deutschen Reiches und ist noch keineswegs in allen ihren Teilen erforscht und bekannt. Aber während heutzutage die systematische Erforschung eines Landes mit ganz anderen Mitteln und viel rascher als in früherer Zeit durchgeführt werden kann, hat der russische Staat, im 17. Jahrhundert namentlich, seine Landeroberungen so rasch vollzogen und förmlich überstürzt, dass die Erforschung der weiten Räume nicht gleichen Schritt halten konnte, sondern um ein volles Jahrhundert nachhinkte.

Das Bedürfnis, die unermesslichen nordasiatischen Land strecken besser kennen zu lernen, empfand zuerst Peter der Große. Und die Erforschung Sibiriens, wie wir seine asiatischen Besitzungen kurzweg nennen wollen, wurde tatkräftig und erfolgreich von Peters Nachfolgern im Ganzen 18. Jahrhundert fortgesetzt.

So konnten denn vor etwas über 100 Jahren, 1798, die allgemeinen geographischen Ephemeriden, die damals erste und einflussreichste aller geographischen Zeitschriften (I, 157) schreiben:

„So wie Russland sich überhaupt als ein Phänomen zeigt, welches in Rücksicht seines schnellen Emporsteigens alle uns bekannten Staaten hinter sich zurücklässt; so übertrifft es gleich falls die meisten kultivierten Reiche in den Anstrengungen, sich selbst genauer kennen zu lernen und die Geographie seines ungeheuren Gebiets in ein helleres Licht zu setzen.“

Um nun die Bedeutung der großen sibirischen Bahn besser erkennen zu können, wird es zunächst sich empfehlen, einen raschen Überblick 1. über die territoriale Entwickelung des russischen Staates, namentlich nach Nordasien hinein zu gewinnen und daran 2. eine Schilderung, besonders derjenigen Landstriche zu knüpfen, die von der Eisenbahn berührt werden. Weiter werde ich 3. die Geschichte des Baues darlegen und die gegenwärtige Leistung der Eisenbahn schildern. Damit ist in wenig Worten der Gang meines Vortrags angedeutet.

012 Ein Opfer chinesicher Zerstörungswut

012 Ein Opfer chinesicher Zerstörungswut

012 Inneres eines Peitangforts

012 Inneres eines Peitangforts

012 Not-Bahnsteig bei Hangkou

012 Not-Bahnsteig bei Hangkou

013 Bahnhof Lutai

013 Bahnhof Lutai

024 Über das Eis des Talingho

024 Über das Eis des Talingho

026 Auf der Draisine

026 Auf der Draisine

026 Die zerstörte Bahnstrecke

026 Die zerstörte Bahnstrecke

026 Station Kobantse an der Gabelung der Bahnen von Peking nach Mukden und Niutschwang

026 Station Kobantse an der Gabelung der Bahnen von Peking nach Mukden und Niutschwang

028 Die Etappe in Kobantse

028 Die Etappe in Kobantse

029 Gastmahl beim Dorfschulzen von Kobantse

029 Gastmahl beim Dorfschulzen von Kobantse

029 Mandschurischer Bauernhof in Kobantse

029 Mandschurischer Bauernhof in Kobantse

032 Meine Kosaken

032 Meine Kosaken

034 Russische Etappe in einer Ausspann in Tudiatai

034 Russische Etappe in einer Ausspann in Tudiatai

034 Ziehbrunnen bei einer mandschurischen Fanse

034 Ziehbrunnen bei einer mandschurischen Fanse