Erstes Kapitel

Die territoriale Entwickelung des russischen Staates beginnt am Ende des Mittelalters, am Ausgange des 15. Jahrhunderts, als Iwan III. 1480 das Mongolenjoch, das Russland über 200 Jahre hatte tragen müssen, endlich für immer abschüttelte. Der Staat war noch rein kontinental und hatte eigentlich noch keine Meeresküste erreicht, weder an der Ostsee, noch an dem Schwarzen oder Kaspischen Meere. Nur das Weiße Meer stand dem Großfürsten zur Verfügung, als er 1496 seinen Gesandten Gregorius Ithoma in Begleitung des dänischen Gesandten David um Norwegen herum nach Dänemark sandte. Das Land der Moskowiter galt damals in Westeuropa kaum für ein europäisches Land, von dem man erst nach der Mitte des 16. Jahrhunderts eine annähernd richtige Vorstellung gewann.

Erst Iwan IV. (1533—1584) nahm den Titel eines Zaren an. Er erreichte mit der Eroberung des Chanats von Astrachan 1554 das Kaspische Meer. Um dieselbe Zeit knüpften auch die Engländer die ersten Handelsbeziehungen mit Russland über das Weiße Meer an, infolgedessen Archangelsk aufblühte. Unter Iwan wurde auch der Grund zu dem Besitz in Nordasien gelegt. Zwar hatten schon im 12. Jahrhundert Kaufleute von Nowgorod, das nie von den Mongolen unterworfen war, Streifzüge über den Ural bis zum Ob gemacht, aber ohne Absicht auf dauernde Eroberungen.


Das Vorspiel zu dem wirklichen Landerwerb in Nordasien bildeten auch unter Iwan IV. die Kolonisationen der angesehenen und mächtigen russischen Familie Stroganow, die zunächst an der Kama aufwärts drang und mit Genehmigung des Zaren schließlich bis zum Ural sich einen Landstrich dienstbar machte, der so groß wie Ost und Westpreußen zusammen war. Sie gründete Niederlassungen, trieb Industrie und durfte durch bewaffnete Soldaten das Gebiet gegen die Angriffe wilder Horden schützen. So wurde nicht bloß die russische Herrschaft bis an den Ural ausgedehnt, sondern die Kolonisten bahnten sich auch die Wege durch die Pässe des Ural und durften auch noch jenseits des Gebirges neue Kolonien anlegen. Im Dienste der Stroganow drang dann der Kosakenhetman Jermak Timofejew mit seinen Reitern übers Gebirge in das tatarische Chanat am Irtysch vor, das seinen Sitz in Sibir, südlich von Tobolsk, hatte. Im Oktober 1581 nahm er die Hauptstadt mit Sturm. Der bisherige Herrscher, Kutschum Chan, floh in die südlichen Steppen — und damit war der einzige Staat in Nordasien, der bis zu einem gewissen Grade den Russen hätte Widerstand leisten können, niedergeworfen. Spätere Versuche einer Wiedergewinnung der Herrschaft blieben dem russischen Zaren gegenüber erfolglos. Das Chanat Sibir. umfasste den südlichen Teil des jetzigen Gouvernements Tobolsk und den nördlichen des Gouvernements Tomsk, ein Gebiet, das an Größe das Deutsche Reich übertraf und den besten Ackerboden Nordasiens besaß. Daher erhielt der russische Besitz in Nordasien, auch als er sich bis an den großen Ozean ausdehnte, den heute noch üblichen Namen Sibirien.

Die weitere Eroberung des Landes ging leicht von statten. Die Kosaken fanden zunächst dieselbe Natur des Landes, wie im europäischen Russland: weite Ebenen, große schiffbare Ströme. So zogen sie, mehr zu Boot, als zu Ross, ostwärts, von Flusstal zu Flusstal, vom Irtysch zum Ob, vom Ob zum Jenissei und weiter zum Gebiet der Lena. Die Richtung der Nebenflüsse begünstigte das rasche Vorwärtsdringen. Als geschickte Zimmerleute erbauten sie, nur mit der Axt, ihre Wohnhäuser oder legten kleine, durch Holzwerk befestigte Plätze an. Die Verbreitung geschätzter Pelztiere, die, je weiter nach Osten, immer zahlreicher wurden, führte sie immer weiter. Die kleinen und schwachen Jägerhorden beugten sich willig der Macht des Zaren und zahlten ihren Tribut (Jassak) in Pelzen.

Wie rasch die russische Herrschaft vordrang, lehrt die Gründung der Städte: Tobolsk 1586, Tomsk 1604, Jenisseisk 1629, Irkutsk 1632, Ochotsk 1647. Im Jahre 1646 beugten sich auch die Tschuktschen, und damit war das Ostende der Alten Welt erreicht, das bereits 2 Jahre später, 1648, umfahren wurde und heute den Namen des kühnen Entdeckers, Deschnew, trägt.

Etwas langsamer drang man in das südöstliche Bergland vor: 1652 wurde Irkutsk gegründet.

Schon 1643 hatten Kosaken den oberen Amur erreicht und wenige Jahre später unternahm es Jerofei Chabarow mit 150 Kosaken und 3 Kanonen das Amurgebiet zu bezwingen. Seine abenteuerlichen Züge stehen den Fahrten der spanischen Konquistadoren in Amerika keineswegs nach. In 2 Jahren unterwarf er den ganzen Amur, was solches Aufsehen machte, dass er zur persönlichen Berichterstattung 1654 zum Zaren nach Moskau befohlen wurde. Vier Jahre später wurde Nertschinsk gegründet. Aber der Besitz des nördlichen Amurlandes wurde den Russen durch die Mandschus streitig gemacht, und in dem unglücklichen Vertrag von Nertschinsk 1689 musste das ganze Amurland den Chinesen wieder überlassen werden. Damit ging der einzige, so wichtige Ausgang aus dem polaren Gebiet nach dem großen Ozean, nach einem der regelmäßigen Schifffahrt zugänglichen Meere auf lange Zeit, 170 Jahre, wieder verloren. Als es dann aber 1858 durch friedlichen Vertrag wiedergewonnen wurde, war es ein natürliches Gefühl der Anerkennung und Dankbarkeit für den ersten Eroberer Chabarow, dass man eine Stadt an der Einmündung des Ussuri in den Amur Chabarowsk taufte.

Da durch den Vertrag von Nertschinsk die weitere Ausdehnung nach Südosten versperrt war, so wandte sich der Strom der Abenteurer nun gegen Nordosten und Norden. Noch im 17. Jahrhundert wurden die an Zobeln reiche Halbinsel Kamtschatka und im Anfange des 18. Jahrhunderts die Inseln im Eismeer, Neusibirien, mit ihrem Reichtum an fossilem Elfenbein entdeckt.

Das geschah bereits unter der Regierung Peter des Großen. Auch erkannte dieser Zar, dass von Ochotsk aus die Verbindung mit Kamtschatka schneller und sicherer zur See als auf dem beschwerlichen Landweg hergestellt werden könne. Aber in Ochotsk gab's noch keine Schiffe. Also mussten Schweden, die im nordischen Kriege gefangen genommen worden und nach Sibirien verschickt waren, dazu behilflich sein. Heinrich Busch baute 1716 das erste Schiff. Peters Befehl lautete, sie sollten mit einigen Kosaken zur See Kamtschatka aussuchen und nach Ochotsk zurückkehren. Diese Fahrt gelang 1717 und seitdem stand Ochotsk mit Kamtschatka in regelmäßigem Verkehr.

Da man die Fahrt Deschnews um das Nordostende Asiens in Petersburg nicht kannte, weil der Bericht des kühnen Seefahrers in Irkutsk liegen geblieben war, so musste die Frage, ob man vom Eismeer in den Großen Ozean gelangen könne, von neuem gelöst werden. 1719 wurden zwei Geodäten ausgeschickt, um die an das Südende von Kamtschatka sich anheftende Inselkette der Kurilen zu untersuchen und Erkundigungen über Japan einzuziehen. Auch wollte der Zar wissen, ob Asien irgendwo mit Amerika Zusammenhänge. Der Ukas für die beiden Geodäten lautet lakonisch: „Sie sollen alles ordentlich auf Karten bringen, nicht bloß Norden und Süden, sondern auch Osten und Westen.“

Der Kaiser wusste also selbst nicht, dass man damals noch kein Mittel besaß, genaue Längenbestimmungen zu machen. Übrigens war der Auftrag auch so umfassend, dass er von den beiden Geodäten nicht mit einem Schlage erledigt werden konnte. Sie kamen auch nur zu den Kurilen.

Das Ergebnis befriedigte Peter nicht; nur kurze Zeit wurde er durch den Abschluss der Kämpfe mit Schweden abgehalten. In dem Kriege gewann er Livland, Esthland, Ingermannland und Karelien, wodurch Russland endgültig festen Fuß an der Ostsee fasste. Durch den Krieg mit Persien fiel das Küstengebiet am Kaspischen See vom Terek bis nach Baku an Russland. Aber schon 1724 gab „Der Kaiser aller Reußen“, wie Peter sich seit 1721 nannte, dem Kapitän Vitus Bering, einem dänischen Seemann (1681—1741) den Befehl zu neuen Unternehmungen, die aber der Kaiser nicht mehr beginnen sah, denn er starb am 24. Januar 1725, während Bering erst am 5. Februar 1725 Petersburg verließ. Der Ukas enthält im befehlenden Infinitiv folgendes:

1. „In Kamtschatka oder sonst wo Schiffe bauen.
2. Damit nordwärts segeln an der unbekannten Küste, die vielleicht schon zu Amerika gehört.
3. Suchen, wo Amerika anfängt und dort bis zu irgend einer Stadt fahren, die einer europäischen Macht gehört, oder von irgend einem Schiffe, wenn man eins trifft, erfahren, wie das Land heißt, an der Küste landen, alles aufschreiben, eine Karte zeichnen und zurückkehren.“

Wie schwierig damals noch das Reisen in Sibirien war, geht daraus hervor, dass Bering erst nach 3 Jahren, also 1728, nach Kamtschatka kam.

Zwar gelang es ihm, die Ostspitze Asiens von Süden nach Norden und wieder zurück zu umsegeln; aber er hatte beide mal nicht das Glück, die gegenüberliegende amerikanische Küste zu sehen und zu erkennen, dass nur eine schmale Straße die Festlandsmassen der alten und neuen Welt trenne.

Erst 50 Jahre später stellte Cook auf seiner letzten Reise diese wichtige Tatsache fest und entwarf die erste richtige Karte der Beringsstraße.

Bering aber erbot sich zu einer zweiten Reise.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die sibirische Eisenbahn
035 Rast

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035 Russische Etappe im Laoistentempel von Schanhaitse

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037 Eselskarawane überschreitet den Liavho auf dem Eise bei der Stadt Tientschwangtai

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039 Barikaden am bund von Niutschwang zur Zeit der Boxerkämpfe

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039 Der Hafen von Niutschwang während des Baues der Ostchinesischen Eisenbahn

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040 Der chinesische Regierungs-Yamen in Niutschwang

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Sibirien 00 Auswanderer bei der unentgeltlich gelieferten Mahlzeit auf dem Bahnhof Kurgau

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