Erste Fortsetzung

Trotz seiner kontinentalen Lage ist das Land sehr gut bewässert. Die schönen südlichen Täler eignen sich zur Kultur, auch wenn ihre Höhenlage über 500 m hinaufreicht. Die nördlichen raueren Hochflächen, namentlich am oberen Witim, sind entschieden in dieser Beziehung ungünstiger. Trocken sind die südlichen Hochsteppen an der Grenze der Mongolei. Man schätzt das nutzbare Land etwa auf 1/3 der Gesamtfläche.

Das Klima ist streng kontinental. Die mittlere Temperatur, — 2 3/4° C., kommt etwa derjenigen des Waldgebiets in Ostsibirien gleich. Dazu zeigt der kälteste Monat — 28° C.; aber die für die Vegetationsperiode wichtigen Sommermonate haben mit + 17° C. eine höhere Temperatur als in Ostsibirien. Demnach ist Ackerbau keineswegs ausgeschlossen. Die meisten Regen, 20 cm, fallen im Sommer.


Die Bevölkerung beläuft sich aus 664.000; davon sind Russen und Eingeborene, namentlich Buriäten. Die Russen treiben mehr Ackerbau, die Buriäten mehr Viehzucht, namentlich Schafzucht. Die größte Stadt, Tschita, hat nur 14.000 Einwohner; es wohnen hier überhaupt nur 5 % der Bewohner in Städten.

Dass das ganze Land sich für Viehzucht recht gut eignet, ist daraus ersichtlich, dass auf 100 Einwohner 70 Pferde, über 100 Rinder und etwa 350 Schafe kommen.

Die Amurprovinz, auf der nördlichen Seite des mittleren Amur gelegen, hängt kaum mit Transbaikalien zusammen, sondern wird vorläufig noch durch die chinesische Mandschurei getrennt. Sie zeigt, obwohl mit Transbaikalien teilweise in demselben Stromgebiet gelegen, und auch noch nicht ans Meer reichend, wieder eine verschiedene Natur. Das Gebiet zählt auf 4677 qmyr nur etwa 120.000 Einwohner. Da es aber nach der Neuänderung des Planes von der Eisenbahn nicht durchzogen wird, so können wir füglich von einer näheren Betrachtung absehen. Die Gründe, warum man die ursprüngliche Absicht, die Bahn den Strom hinunter zu führen, aufgegeben hat, werde ich später noch anzugeben haben.

Die Küstenprovinz in ihrem südlichen Hauptteil, östlich vom Ussuri und unteren Amur am japanischen Meere lang hingestreckt zwischen dem 43. und 54° nördl. Br. (in Europa der Lage von Stettin bis Rom entsprechend) kommt zwar für die Hauptlinie der Bahn auch nicht mehr in Betracht, obwohl in seinem südlichen Hafen von Wladiwostok der erste Spatenstich vor 10 Jahren geschah. Allein für die Machtstellung Russlands wird es doch von Bedeutung sein, dass der Hafen von Wladiwostok (Beherrscher des Ostens) der Ausgangspunkt zweier Bahnen wird, von denen die eine nordwärts an den Amur nach Chabarowsk, die andere westwärts die Hauptlinie in der Mandschurei bei Charbin erreicht.

Um eine Erschließung der Provinz selbst durch die Bahnen dreht sich die Hauptfrage zunächst nicht. Obwohl das Land lang an der See hingelagert ist, öffnet es sich doch nicht dem See verkehr. Es gibt aus der ganzen Welt wohl keine so lange Gebirgsküste, die sich so starr und fast völlig hafenlos, vor der See so verschlösse, als diese. Und dabei misst der höchste Berg kaum 1.100 m und die Pässe liegen in einer Höhe von nur 360 bis 730 m. Aber die Seeseite ist beständig von dicken Nebeln umlagert, rau, unfreundlich; die Landseite dagegen des Gebirges trockner, wärmer. Das offenere Binnenland ist rein kontinental. Die mittlere Temperatur beträgt in Wladiwostok 4,5° C., die mittlere Wintertemperatur aber immer noch —12° C., dagegen die Sommertemperatur 18° C. Da nun der Unterschied zwischen dem heißesten und kältesten Monat immerhin 37° C. beträgt, so kann man das Klima von Wladiwostok, obwohl es an der See liegt, als kontinental bezeichnen. In Chabarowsk am Amur ist die mittlere Temperatur nur 0° C., die Wintertemperatur sinkt auf —22° C., die des Sommers steigt auf 19° C. Also sind hier die Gegensätze noch weit mehr ausgeprägt. Aber der Sommer ist für den Landbau warm genug; auch fällt im Sommer Regen genug, nämlich 31 cm. Der Hafen von Wladiwostok wird aber im Winter höchstens für 1,5 bis 2 Monate durch Eis versperrt. Das Tal des Ussuri ist aber trotz des Abschlusses von der See feucht, nebelreich und der Anbau infolgedessen schwierig. Der Boden ist mit Wald und Sumpf bedeckt. Die Bevölkerung zählt 220.000 Einwohner. Davon leben 20.000 in Wladiwostok. Obwohl erst 1860 gegründet, hat sich der Ort rasch als Kriegshafen und Anfang der Eisenbahn seit 10 Jahren entwickelt und vertritt die Provinz mehr als der Regierungssitz Chabarowsk. Sonst ist das Küstenland sehr gering bewohnt, nämlich 0,2 Einwohner auf 1 qkm.

Wir haben nun endlich noch ein Gebiet zu betrachten, dass zwar von der großen Eisenbahn durchzogen wird, aber noch nicht russisch ist: die Mandschurei. Dieses Land erstreckt sich vom Amur südwärts bis zum Gelben Meere und schmiegt sich in einem nach Osten geöffneten Bogen an die Amurprovinz, die Küstenprovinz und Korea an. Zwar bietet sich scheinbar als westliche Naturgrenze das große Chingangebirge dar, das die Mongolei von der Mandschurei zu trennen scheint. Allein das Gebirge steigt von der Westseite so allmählich an, dass man mit Wagen ohne besondere Schwierigkeit hinüberfahren kann. Und so sind auch die wandernden Mongolen hinüber gezogen in die östliche Gobi, die sich bis zum Sungari, dem Hauptfluss der Mandschurei erstreckt. Man schätzt die Größe der Mandschurei auf 9.420 qmyr und ihre Einwohnerzahl auf 7,5 Millionen. Möglicherweise ist diese Zahl noch zu geringgeschätzt. Aber auch so übersteigt diese Volksmenge bei weitem die Gesamtbevölkerung aller russischasiatischen Landschaften, die ich bisher erwähnt habe (5 3/4 Millionen). Eine Eisenbahn durch ein so volkreiches Land bietet für den Bahnbau und für die Rentabilität der Bahn ganz andere Vorteile, als in den anderen Gebieten. Dazu führt die Bahnlinie aus dem polaren Norden südwärts vor die Haupttore des chinesischen Reiches und endigt in dem prächtigen Hafen von Port Arthur, den die Russen sich, pachtweise, vor drei Jahren von China haben abtreten lassen. Dass die Linie aus Transbaikalien hierher auch eine Strecke durch die Mongolei führt, fällt weiter nicht ins Gewicht.

Der chinesische Krieg des vorigen Jahres gab den Russen die erwünschte Veranlassung, die Mandschurei zu besetzen und ihre Bahn unter den Schutz der Waffen zu stellen. De jure ist das Land noch chinesisch, aber de facto russisch. Und Russland wird schwerlich zurückgehen; denn die dadurch gewonnene Machtstellung ist zu bedeutend, als dass es freiwillig verzichten sollte. Gegen das Schmollen und Grollen der englischen Presse antwortete die russische:

„Die Besetzung der Mandschurei war in jeder Beziehung bedingungslos und vollständig, und sie war das Ergebnis eines in aller Form geführten Krieges, an dem keine anderen Truppen als nur diejenigen Russlands und Chinas beteiligt waren. Russland hatte ihn gegen seinen Willen zu führen . . . Wir haben die Mandschurei erobert und werden dort bleiben, so lange es uns beliebt.“ Dass diese Worte ganz den Absichten der Regierung entsprechen, ist klar; denn sie hat das Besatzungsheer in der Mandschurei bereits auf 100.000 Mann gebracht und lässt Kasernen bauen, die bis zum Winter fertig werden sollen. Bis dahin sollte auch die Eisenbahn in der Mandschurei fertig sein; und die nördlich des Amur in Sibirien befindlichen Truppen, etwa 50.000 Mann, können jeden Augenblick zur Verstärkung herangezogen werden (M. A. Z. 21. Aug. 1901).

Ich werde daher auch dies Gebiet in allgemeinen Zügen schildern, soweit wir eine Kenntnis des Landes besitzen. Die Mandschurei bildet ähnlich wie Transbaikalien ein Übergangsgebiet, aber mit dem Unterschied, dass ein Teil des Landes sich nach Süden entwässert, Transbaikalien aber nach Norden. So stellen diese beiden Landstriche zusammen den natürlichen Übergang von Sibirien zum Gelben Meere dar; und die Mandschurei insbesondere muss für eine Eisenbahn außerordentlich günstig erscheinen.

Das Land gehört größtenteils zum Amurgebiet, der Südwesten aber zum Liau-ho, der ins Gelbe Meer fließt. Rings an den Rändern des Landes erheben sich Mittelgebirge, die in der Mitte das Talbecken am Sungari umschließen. Der ganze Süden und Osten ist mit Gebirgen er füllt, deren Gipfel und Abhänge mit dichtem Wald bedeckt sind. Das Land ist wasserreich und stellenweise auch mit Sümpfen bedeckt. Eine wirkliche Alluvialebene findet sich nur im Süden am Liau-ho und bei Kinn am Sungari. Das Klima ist streng kontinental. James, der 1885 die letzte bedeutende Reise durch das Land machte (P. R. G. Soc. 1887. vol. XI) gibt als höchste beobachtete Temperatur 20° C. und als niedrigste —45° C. an; aber trotzdem lobt er das Klima als sehr gesund. Die südliche am Meere gelegene Provinz ist gut angebaut und erzeugt dieselben Produkte wie Nordchina. Es ist dichtbewohntes chinesisches Kolonialland, während die beiden nördlicheren Provinzen erst 1644 politisch mit China vereinigt wurden. Sie sind, abgesehen von der Ebene um Kirin, weniger angebaut. Das hat aber nur teilweise seinen Grund in der Steppennatur des Landes, teilweise hingegen darin, dass den Chinesen vor 1820 überhaupt untersagt war, sich in den nördlichen Distrikten niederzulassen; denn man benutzte jene Landschaften gewissermaßen als ein chinesisches Sibirien und schickte Deportierte hierher, die aber bei mangelnder Überwachung sich davonmachten und als Landstreicher und Räuber das Land unsicher machten.

Erst seit etwa 1860 war die Einwanderung gestattet; nun wuchs die Bevölkerung rascher; aber immer noch nicht wie in einem völlig freien Lande. Als Grenzgebiete der russischen Amur und Küstenprovinz und als Verbannungsgebiet verlangten die Länder eine straffere Verwaltung, und so waren auch hier, wie im benachbarten russischen Besitz, Militärgouverneure eingesetzt.

Die eingeborene Bevölkerung der Mandschu ist nach Lebensweise und Sprache ganz im chinesischen Volk aufgegangen.

So trägt denn das Land chinesisches Gepräge bis auf den nördlichen Teil, wo Tungusen nomadisieren.

Das Land ist vielfach von Straßen und Wegen nach chinesischer Art durchzogen und zählt auch mehrere Großstädte. Vor allem wichtig ist aber für Russland der Kriegshafen von Port Arthur und nicht weit davon der Handelshafen Talienwan, wo die von Sibirien herkommende Eisenbahn endigen soll und wo eine neue Hafenstadt Dalnii benannt ist. Wenn man nun kurz noch einmal die geschilderten asiatischen Landschaften nach ihrem Werte Prüft, dann muss man gestehen, dass sie alle einer bedeutenden Entwickelung fähig sind und dass namentlich für Ackerbau und Viehzucht große Gebiete erschlossen werden können, vorausgesetzt, dass Schienenwege ihnen auch entfernte Absatzländer zugänglich machen. Um den Landeserzeugnissen einen befriedigenden Absatz zu verschaffen, genügte der sibirische Trakt nicht; andere brauchbare Fahrstraßen gab's und gibt's in Sibirien noch wenig. Aber auch die Transportkosten waren viel zu groß, außerdem schwankend: im Sommer bei aufgeweichtem Boden mal so hoch als im Winter bei dauerndem Frost. Auch waren die Frachten viel zu lang unterwegs. Hier konnte also nur eine Eisenbahn helfend eingreifen. Aber wenn es sich um einen Bahnbau von Tausenden von Kilometern und um Kosten von mindestens 2 Milliarden Mark handelt; dann ist es wohl Pflicht des Staates — und sei er der reichste — sich die Sache wohl zu überlegen.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die sibirische Eisenbahn