Erste Fortsetzung

Unter der Kaiserin Anna (1730—1740) wurden dann mehrere Forschungsexpeditionen ausgerüstet, die zwar nur für 5 Jahre geplant waren, aber über 10 Jahre dauerten und sowohl das Innere Sibiriens, als auch den nördlichen Küstensaum am Eismeer erforschen sollten. Während unter der Oberleitung von Bering im Innern hauptsächlich deutsche und französische Gelehrte tätig waren, fiel die mühsame Arbeit am Eismeer lediglich russischen Offizieren zu. Und so wurde denn auch nach manchem Opfer an Menschenleben so viel erreicht, dass man wenigstens in allgemeinen Umrissen eine Kenntnis von den ungeheuren Länderräumen gewann. Dass aber erst 1878 der leider vor kurzem verstorbene berühmte Nordenskjöld das ganze Eismeer zum ersten Male befahren und den Küsten verlauf richtiger gestellt hat, mag zeigen, wie schwierig noch vor 160 Jahren derartige Aufnahmen im Eismeere waren.

Es kann mit Stolz darauf hingewiesen werden, dass das Hauptverdienst, das russische Asien gründlicher erforscht zu haben, den Deutschen gebührt. Welch einer stattlichen Reihe von berühmten Namen begegnen wir in den 140 Jahren von 1730 bis 1870: Messerschmidt, Gmelin, Steller, Pallas, Klaproth, Wrangell, Ledebur, Erman, Humboldt, Ehrenberg, Rose, Helmerson, Hoffmann, Schrenk, Middendorff, Radde, Schwartz, Krusenstern, Cotta. Aber es bleibt trotz aller dieser großartigen Anstrengungen doch eine auffällige Tatsache, dass die Regierung in Petersburg noch bis 1844 nicht wusste, wo die Reichsgrenze gegen China nördlich vom Amur verlief. Hier hat Middendorff erst auf einer kühnen Winterreise die russische Grenze niedergelegt. Von der Gorbiza an, einem Zufluss der unteren Schilka, war gegen Osten im Vertrage von Nertschinsk 1689 die Grenze unbestimmt geblieben. Die Chinesen hatten zwar die Grenzzeichen von 3 zu 3 Jahren revidiert, aber die ihnen zu gesprochenen linken Zuflüsse des Amur nur so weit beansprucht, als sie mit Boten zu befahren waren; die Russen aber hatten seit jener Zeit von der Gorbiza an gegen Osten gar keine Grenzposten errichtet. Die Jägervölker, dort nur spärlich vertreten, hatten stets ihren Iassak (Tribut an Fellen) nach Irkutsk eingeliefert, ohne dass man dort wusste, woher die Felle kamen. Russland gewann durch Middendorffs Forschung etwa 57.000 qkm, d. h. einen Flächenraum fast viermal so groß als das Königreich Sachsen (vgl. Karte 36 in Petermanns Mitteilungen 1856). Das wichtigste dabei war, dass Russland wieder im Amurgebiet, aus dem es 1689 verdrängt war, festen Fuß fasste. Und als nun bald darauf Murawiew 1847 Gouverneur von Ostsibirien wurde, erkannte er sofort, dass sein Verwaltungsgebiet ohne den Amur wertlos sei. In seinem Auftrage drang das erste russische Schiff, die „Baikal“ unter Kapitän Newelsky 1849 von der See her in den mächtigen Strom ein und im nächsten Jahre wurde an der Mündung die russische Flagge geheißt und Nikolajewsk gegründet. Noch vier Jahre später befuhr Murawiew mit einer russischen Flotte den Strom. Er hatte zwar die Chinesen von seiner Absicht in Kenntnis gesetzt, aber ihre Antwort, ob sie nichts dagegen hätten, nicht abgewartet. Russische Ansiedler setzten sich unter dem Schutze ihrer Regierung am Amur fest.


Die inneren Unruhen in China und der demütigende Krieg Chinas gegen England und Frankreich wurden von Russland sehr geschickt benutzt, sich 1858 das ganze Land nördlich vom Amur und ebenso 1860 alles Land östlich vom Ussuri bis an die Koreanische Grenze abtreten zu lassen. Nun erst war ein brauchbarer Ausgang von Ostsibirien aus über ein schiffbares Meer gewonnen und der Urheber dieses höchst wichtigen Erfolges, Murawiew, wurde dafür in den Grafenstand erhoben.

Sein Verdienst war es, die Vorbedingungen für eine sibirische Eisenbahn geschaffen zu haben.

Dass man nach der Wiedergewinnung des Amurgebiets bald ähnliche Hoffnung in nicht zu ferner Zukunft hegte, sprach bereits 1858 Karl Andree, der verdienstvolle Begründer der Zeitschrift „Globus“, in einem Vortrage: „Das Erwachen der Südsee“ aus, worin er sagt: Das in vieler Beziehung wertvolle und zukunftsreiche Sibirien besaß im Osten keinen Wasser weg zum Ozean. Ein solcher ist durch den Amur gewonnen.“

Mit prophetischem Blicke fährt er fort: „Der Besitz des Amurs wird im Fortgange der Zeit jenen der ganzen Mandschurei und eines Teils von Nordchina nach sich ziehen und der Zar, dessen Thron an der Newa steht, wird auch eine pazifische Macht bilden.

Russische Stimmen haben uns jüngst versichert, dass die Weltbahn von Moskau durch Sibirien bis zur Amurmündung, eine große östliche Schlagader des Verkehrs, voll endet sein werde, bevor unser Jahrhundert in den Schoß der Zeiten hinabgerollt sei.“ (Geogr. Wanderungen, II. 329.) Eine andere wichtige Vorbedingung für eine solche Eisenstraße war aber, dass sich in Sibirien schon ein geregelter, immer wachsender Verkehr allmählich entwickelt hatte, und die Vorbedingung dafür war wiederum, dass Sibirien eine sesshafte Bevölkerung gewann. Die einheimischen Hirten und Jägerstämme konnten sich nicht verdichten; nur russische Einwanderung konnte im Laufe der Zeit von Einfluss werden. Die Kolonisation der nutzbaren Gebiete durch den Acker bau begann erst am Ende des 17. Jahrhunderts, also etwa am Anfange der Regierung Peter des Großen. Russische Bauern aus dem Gouvernement Perm erhielten dafür Privilegien, Ackergeräte, selbst Geld. Die Einwanderer gingen von Perm nach Werchoturje über den Ural, die Tura hinab an den Tobol und Irtysch, und von da zum Ob; sie schlugen also ziemlich denselben Weg ein, wie die kosakischen Eroberer. Sie folgten dem Laufe der schiffbaren Flüsse, aus denen sie immer weiter nach Osten kamen. Die Permischen Bauern setzten sich in dem besten Gebiet zwischen den Tataren im Süden und den Ostjaken im Norden fest. Jene wichen immer mehr nach der kirgisischen Steppe, diese in die polare Tundra zurück.

Aber der Verkehr mit Europa war noch recht spärlich: nach Moskau alljährlich einmal. Nicht bloß die Kolonisten, sondern auch die Eingebornen mussten noch von Europa aus anfänglich mit Getreide versorgt werden.

Dass sich die verdrängten Stämme gelegentlich durch Raubeinfälle in das neue Ackerland zu rächen suchten, ist erklärlich. Zum Schutz der Kolonisten mussten die Festungen Omsk, Jamyschewsk und Petropawlowsk und Städte wie Biisk, Semipalatinsk angelegt werden.

Manche Händler drangen bis über die Grenzen des Ackerbaues vor. Der Kaufmann Demidow fand 1723 im Altai zuerst Gold und begann drei Jahre später mit dem Bergbau. Aber schon 1747 nahm die Krone das ganze Gebirge in Besitz und der ergiebige Bergbau ist seitdem Krondomäne geblieben.

Der Reichtum an edlem Metall erwies sich später auch noch jenseits des Baikal sehr bedeutend. Der Bergbau verlangte viele Arbeiter, so wuchs neben der ackerbauenden auch die bergbauende Bevölkerung namentlich in den südlichen Teilen des asiatischen Besitzes rasch an.

Aber die Hauptwege im Lande wurden doch erst nach der zweiten Expedition Berings und durch Kosakenposten 1744 und 1745 zwischen Tobolsk und Tara am Irtysch, ferner auf dem Parallelweg zwischen Ischim und Omsk festgelegt. Erst unter der Kaiserin Katharina II. (1762—1796) wurde die Jekaterinenburger Straße über den Ural gebaut. Der große Hauptweg lief nun von Omsk weiter über Tomsk nach Irkutsk und jenseits des Baikal weiter nach Tschita, Nertschinsk und Stretensk an der Schilka. Hier hörte der Landweg völlig auf, und man war auf den Wasserweg nach dem Amur angewiesen. Eine Abzweigung des Weges führte nach Kiachta.

Das war der große sibirische Trakt, die Hauptpulsader des Verkehrs für ganz Sibirien. Am leichtesten war noch trotz der großen Kälte der Schlittenverkehr im Winter. Von Tjumen, am östlichen Fuß des Ural, bis nach Stretensk beträgt die ganze Wegstrecke 4.685 km; und diesen Raum legte der Kaufmann zu Schlitten in 30 Tagen zurück, d. h. täglich über 150 km. Waren brauchten natürlich viel längere Zeit. Daher bewegten sich ganze Wagenzüge auf dem sibirischen Trakt. Ein reisender Amerikaner berichtet uns, dass ihm 1885 an einem Tage 1.445 beladene Frachtwagen begegnet seien. Der Güterverkehr auf dem sibirischen Trakt wuchs von Jahr zu Jahr.

Aber im Frühjahr und Herbst, wenn beim Schwinden des Schnees die Wege grundlos wurden oder das Eis die schiffbaren Flüsse wieder bedeckte, dann stockte der Verkehr wohl ganz. Zunächst machte sich das Bedürfnis fühlbar, eine bessere Verbindung über das Uralgebirge vom europäischen Russland zu schaffen, und so entstand die Eisenbahn von Perm wenigstens bis Tjumen, wo man einen schiffbaren Fluss zur Verfügung hatte. Die Weiterführung des Schienenweges nach Irkutsk wurde zwar geplant, aber der Plan schien doch noch nicht ausführbar. Man sah vorläufig noch davon ab.

Erst als General Annenkow die transkaspische Bahn seit 1880 von Krasnowodsk nach Merw und Buchara so überaus rasch ausgeführt hatte, wurde vor nun 10 Jahren, 1891, auch der Bau der sibirischen Bahn fest beschlossen und schon am 21. Mai 1891 tat der jetzige russische Kaiser den ersten Spatenstich am östlichen Ende der Bahn, in dem eisfreien südlichsten russischen Hafen in der Mandschurei, in Wladiwostok. Dass nach der durch den letzten chinesischen Krieg veränderten Weltlage Wladiwostok nur eine Zweigbahn zu der Hauptbahn erhalten wird, werde ich später noch zeigen

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die sibirische Eisenbahn