Erste Fortsetzung

Nun folgte aber in der dritten Abteilung, in der Baikalbahn das schwierigste Stück der ganzen Unternehmung.

Von Irkutsk bis zum Baikal steigt in einer Entfernung von 60 km die Bahn um mehr als 100 m, muss dabei aber drei Flüsse überschneiden, die zeitweilig ihr Thal vollständig überschwemmen. Deshalb mussten weithin feste Steindämme aufgeführt werden; oder es war an anderer Stelle ein Tunnel von 3800 m Länge erforderlich. Noch schwieriger gestaltete sich der Bahnbau an den Felsenufern des Baikal.


Daher ist diese Bahn, obwohl sie nur eine Länge von 312 km hat, noch nicht vollendet.

Um aber den Verkehr über den See zu ermöglichen, musste von Irkutsk eine provisorische Bahn von 68 km im Angaratal an den See gebaut werden und hier am See sollten Reisende und Waren mit Dampfern über den Baikal gebracht werden, der etwa 64 km breit ist (von Dresden nach Döbeln oder Oschatz).

Aber der See ist einen großen Teil des Jahres mit dickem Eise bedeckt. Man versuchte die Überfahrt durch mächtige Eisbrecher zu ermöglichen. Aber vergebens. Die Zeitung des Vereins deutscher Eisenbahnverwaltung schrieb darüber am 16. Februar 1901 (S. 219):

„Es scheint, als ob das Unternehmen, durch große Eisbrecherschiffe ganze Eisenbahnzüge über den Baikal zu setzen, vollständig misslungen sei. Wegen Beschädigung der Eisbrecher ist dieser Verkehr auf zwei Monate unterbrochen. Als Aushilfe ist ein Weg über das Eis gebaut und für Post, Personen und Güterverkehr eingerichtet. Arbeiterabteilungen halten den Weg in brauchbarem Zustande. Größere Eisspalten werden überbrückt.

„Die Eisbrecher wurden in England gebaut, auseinandergenommen, dann zur See nach Petersburg geschafft, mit Eisenbahn nach Krasnojarsk und weiter zum Baikal befördert. Bis zu ihrer Zusammenstellung und Einrichtung am 1. Januar 1901 beliefen sich die Kosten auf 4 Mill. Rubel, dazu die Baukosten der Landungsplätze auf 1.840.000 Rubel, Mehrausgaben von 365.000 Rubel, sowie die Baukosten der Landungsplätze in Myschicha, da der Hafenplatz in Myssowaja (wo die Bahn den See wieder verlässt), nicht zweckentsprechend gebaut war, mit 140.000 Rubel. Das gibt eine Gesamtsumme von fast 6,5 Mill. Rubel, ohne die Kosten der Nachbestellung in England von eingebüßten Eisbrecherteilen.“

Und das ganze Geld, wie es scheint, ausgegeben für einen verfehlten Versuch.

Dies nur als Beispiel, wie leicht unerwartete Mehr ausgaben erforderlich sind. Dass bei einem Unternehmen, wo der Kostenanschlag um Hunderte von Millionen überschritten wird, finanzielle Schwierigkeiten nicht ausbleiben konnten, war vorauszusehen; allein daraus folgt noch nicht, dass die Vollendung in Frage gestellt werden könnte.

Verfolgen wir nun den Verlauf der transbaikalischen Bahn weiter!

Auf der transbaikalischen Bahn ist von Myssowaja aus zunächst die Selenga in einer Breite von 970 m zu überbrücken und führt weiter nach Tschita die Linie über eine Passhöhe von 1.129 m, d. h. hier über Hochregionen, die ein strengeres Klima haben, als die Alpenpässe in der Schweiz von über 2.000 m. Am 14. Juli 1900 wurde diese Bahn dem Verkehr übergeben.

Von Tschita an beginnt die ostchinesische Bahn; sie berührt Zizikar, Charbin und Ninguta und erreicht Wladiwostok, dessen Hafen als Freihafen mit dem 1. Januar 1901 geschlossen ist. Diese Linie ist noch nicht vollendet. Wohl aber ist die Nebenbahn von Wladiwostok nordwärts nach Chabarowsk schon im September 1897 fertig geworden.

Und diese Linie versieht vorläufig allein — allerdings mit einiger Umständlichkeit — den Dienst. Man fährt also von Wladiwostok aus zunächst 768 km nach Chabarowsk auf der Eisenbahn, besteigt hier den Amurdampfer und fährt über 2.000 km stromaufwärts bis Strjetensk an der Schilka (= von Hamburg nach Tunis), um dann wieder auf der Eisenbahn seine Reise fortzusetzen.

Für Personen und Postverkehr kann dieser Weg einst weilen dienen, wenn auch die Stromfahrt die Zeitdauer wesentlich verlängert. Für Güterverkehr in großem Stil ist sie unbrauchbar.

Ebensowenig wie die ostchinesische Bahn ist aber auch die südmandschurische Bahn von Charbin nach Port Arthur fertig gestellt. Nur das südliche Stück von Port Arthur nach Mukden war am 1. Januar 1900 vollendet worden, hat aber entschieden, wie die ganze Strecke, durch die Boxerverwüstungen gelitten.

Die ganze Linie sollte im Mai 1901 eröffnet werden; allein die Boxer haben während des chinesischen Krieges weite Strecken — man spricht von 400 englischen Meilen — der Bahnen in der Mandschurei wieder zerstört, und somit wird diese Bahn vor Ablauf von zwei Jahren schwerlich wieder hergestellt und vollendet sein. Und man versteht nun, warum Russland eine so bedeutende Truppenmacht noch jetzt dort unterhalten muss, weil die Bahn beständig militärischen Schutzes bedarf. — Es mag hierbei noch erwähnt werden, dass das ganze Eisenbahnmaterial an Wagen, Schienen, Schrauben u. s. w. aus Nordamerika und zumeist aus Pittsburg eingeführt ist.

Die Commercial Gazette von Pittsburg erklärte: Über eine Million Tonnen an Eisenbahnmaterial ging aus unseren Hütten im vorigen Jahre nach Russland. Man kann sagen, dass in den letzten Jahren jede Woche zwei mit amerikanischer Maschinerie beladene Dampfer von Philadelphia und Baltimore nach Russland abgegangen sind.

Wenn also gegenwärtig nur durch die Stromfahrt auf dem Amur eine zusammenhängende Reiselinie für die sibirische Bahn ermöglicht ist, so ist gewiss der Ausspruch, den der englische Konsul Bonar in Yokohama schon im März 1901 getan hat, etwas voreilig, wenn er meint: Die transsibirische Bahn ist soweit fertig, dass es möglich ist, sie mit verhältnismäßiger Behaglichkeit in ihrer ganzen Länge zu bereisen. Es braucht nicht auf den besonderen Unglücksfall hingewiesen zu werden, dass der Generalmajor Keller, der Chef der Ussuribahn, auf dieser Bahn selbst verbrannte. Aber wenn in den 14 Tagen, vom 24. Dezember bis 7. Januar 1901 gemeldet wird von 20 Betriebsstörungen, die durch Bruch der Kuppelung, Wassermangel auf der Lokomotive, notwendige Ausbesserung des Gleises, Betrunkenheit des Zugpersonals, Achsenbruch, Schienenbruch, Brand auf der Lokomotive u. a. entstanden sind, so scheint die gerühmte „Behaglichkeit“ sich doch nicht immer eingestellt zu haben.

Der schlimmste Vorwurf ist aber der, dass man die Bahn überhaupt zu leicht gebaut und zu schwache Schienen genommen hat, daher häufig bei zu starker Belastung Schienenbrüche vorgekommen sind.

Auf weiten Strecken müssen die Schienen ausgewechselt werden, um nach dieser Hinsicht auch den Anforderungen, die an eine Weltbahn gemacht werden müssen, entsprechen zu können.

Aber auch die Zahl der erforderlichen Wagen war nicht auf einmal zu beschaffen.

Ende 1900 betrug die größte Zahl der täglich in jeder Richtung abgelassenen Züge nur 8. Es war eine schwierige Aufgabe, diese Zahl zu erhöhen. Infolge der häufigen Schneestürme ist die Wagenzahl der Personen und Güterzüge um 15% gegen die für den Winterverkehr geltende Bestandzahl verringert. In Tomsk wurden am 31. Dezember 1900 nach Irkutsk bestimmte Güter verladen, die am 24. August aufgegeben waren (Eisenbahnzeitung vom 16. Febr. 1901).

Immerhin muss betont werden, dass die oberste Leitung bemüht ist, immerfort Verbesserungen eintreten zu lassen. Im Anfange des Betriebes wurden auf der Strecke von Tscheljabinsk nach Irkutsk monatlich nur zweimal Schnellzüge abgelassen, seit dem Anfange des Jahres 1901 gehen jede Woche Mittwoch und Sonnabend von Moskau und jeden Montag und Freitag von Irkutsk Schnellzüge ab. Jeder Zug hat einen Wagen erster und zwei Wagen zweiter Klasse, einen Speisewagen und einen Gepäckwagen. In jedem Zuge befinden sich 66 Plätze, davon waren durchschnittlich 80% besetzt. Also saßen die Reisenden recht enge (ebenda 12. Januar 1901).

Mit diesen Schnellzügen wurden 1898/99 4.517 Personen, 1899/1900 5.493 Personen befördert. Die gewöhnliche Fahrgeschwindigkeit beträgt nur 37 km in einer Stunde. Russland wird zwar noch Jahre lang zu arbeiten haben, bis die sibirische Bahn den Anforderungen einer Weltstraße entspricht, aber trotzdem berechnet man schon, welche Vorteile sie dann bieten wird. Die Reise von Moskau nach Japan in erster Klasse wird, die Verpflegung für 30 Tage eingerechnet, etwas über 800 Mark kosten, während man bei einer Fahrt nach demselben Ziel, sei es durch den Suezkanal oder über Kanada die doppelte Summe braucht. Überdies werden später die Fahrkosten durch Sibirien noch verringert werden.

Spekulative Köpfe weisen auch schon auf den kürzesten Weg hin, um „die Welt zu umjagen“. Man wird von Berlin über Moskau, Tscheljabinsk, Wladiwostok, Vaucouver, Halifax, Dublin 41 Tage gebrauchen, davon genau die Hälfte (20,5 Tag) auf dem Lande und die Hälfte auf dem Wasser.

Gewiss aber ist, dass nach Vollendung der Bahn der ganze chinesisch-japanische Postverkehr durch Sibirien gehen wird.

Fragen wir nun, welche Wirkung die Bahn in ihrem jetzigen Zustande bereits für Russland gehabt hat.

Der riesig angewachsene Verkehr zeigt sich in folgenden Zahlen:

Verkehr auf der Bahn von Tscheljabinsk nach Irkutsk.

1896: 417.000 Personen, 184.000 Tonnen Waren
1897: 600.000 Personen, 413.000 Tonnen Waren
1898: 1.049.000 Personen, 700.000 Tonnen Waren
1899: 1.075.000 *) Personen, 657.000 Tonnen Waren

*) Dresdener Straßenbahn im August 1901auf der Linie Altmarkt – Laubegast 1.010.000 Personen.

Aus dem europäischen Russland wanderten nach Sibirien:

1893: 65.000 Personen
1894: 76.000 Personen
1895: 109.000 Personen
1896: 203.000 Personen
1897: 87.000 Personen
1898: 206.000 Personen
1899: 225.000 Personen

1899 kehrten über 38.000 Ansiedler wieder nach Russland zurück.

Dieser Rückgang in der Einwanderung 1897 erfolgte, weil die Regierung vor übereilter Einwanderung gewarnt hatte. Billige Volksschriften zur Belehrung für die Kolonisten wurden in Hunderttausenden von Exemplaren verbreitet.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die sibirische Eisenbahn