Verteidigung der bürgerlichen Gleichstellung der Juden gegen die Einwürfe des Herrn Dr. H. E. G. Paulus.

Autor: Riesser, Gabriel Dr. (1806-1863) Rechtsanwalt, Notar, Politiker, Journalist, Publizist, ab 1859 erster jüdischer Richter in Deutschland, Erscheinungsjahr: 1831
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Deutschland, Religion, Juden, Judentum, Religionsstreit, Judenemanzipation, bürgerliche Gleichstellung,
Vorrede.

Die vorliegende Schrift ist das Werk weniger Tage und das Erzeugnis des unmittelbaren Eindrucks, den das Buch des Herrn Dr. Paulus auf mich gemacht: ein Umstand, den ich zur Entschuldigung mancher Mängel und Flüchtigkeiten in Form und Ausführung geltend zu machen genötigt bin. Ich weiß sehr wohl, dass solche Entschuldigungsgründe einem Schriftsteller als solchem nicht anstehen, da es ja von ihm abhängt, sich Zeit zu lassen; aber es gilt hier etwas ganz anderes, als literarisches Verdienst; es gilt einen unmittelbar praktischen Zweck; es gilt den Kampf für Recht, Ehre und menschliche Würde. Ich hielt es für eine Gewissens Pflicht, Alles aufzubieten, um den üblen Eindruck, den die Sophismen des Herrn Dr. Paulus da, wo sie am unmittelbarsten wirken sollen, in der Badenschen Stände-Versammlung etwa hervorbringen könnten, so weit es meine schwachen Kräfte vermögen, zu mindern. Sollte Herr Dr. Paulus hier seinen Zweck erreichen, so wird ihm kein Ehrenmann das Verdienst beneiden, eine Sache, die, da die Zeit keine rückgängige Bewegungen macht, am Ende siegen muss, um einige Jahre hingehalten zu haben.
Ich habe den Inhalt meiner früheren Schrift (über die Stellung der Bekenner des mosaischen Glaubens in Deutschland) nur da verteidigt, wo die Einwürfe des Herrn Dr. P. die Sache selbst, nicht, wo sie meine persönlichen Gesinnungen betreffen, denn es kann nur sehr Wenigen daran liegen, diese zu kennen. Diese Wenigen werden meine Schrift selbst lesen, und sich leicht überzeugen, dass Hr. Dr. P. meine Gesinnungen auf die unwürdigste Weise verzerrt und verdreht hat.

Jedenfalls würde es in den Augen verständiger Männer der Sache nicht schaden, wenn sie einen ungeschickten Verteidiger an mir gefunden hätte. Sie gehört Gottlob! zu denen, in Betreff derer jeder redliche, wohlwollende, vorurteilsfreie Mann zu dem rechten Resultate gelangen muss, wenn er nur zu ernstem, eignem Nachdenken darüber angeregt wird, und das Verdienst einer solchen Anregung ist das einzige, auf das ich Anspruch mache.

Hamburg, im Mai. 1831.

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Wenn einer Gesetzgebung, die der Fanatismus, oder doch der Gedanke, dass ein bestimmter Glaube erforderlich sei, um im Menschen den Mitbürger, den Bruder, den Menschen zu erkennen, ins Leben gerufen, diese ihre Grundlage durch eine veredelte Gesinnung entzogen worden, so müsste in jedem gesunden kräftigen Staatsleben die natürliche Folge davon sein, dass jene Gesetzgebung, von Grund aus umgeschaffen, einer neuen, aus der veredelten Gesinnung und dem Bedürfnis der Zeit hervorgegangenen Platz mache; und es genügt nicht, allenfalls „einen Lappen von neuem Tuch an das alte Kleid zu flicken: denn der neue Lappen reißt doch vom Alten, und der Riss wird ärger.“

Aber um eine solche Umgestaltung da, wo sie nicht gewaltsam erzwungen werden kann, ernstlich zu wollen, ist außer der bloßen Erkenntnis, dass das Alte unzureichend worden, ein warmes Gefühl für Recht und Menschenwürde, ein gutes Herz, dem der Gedanke peinlich ist, Tausenden seiner Mitmenschen- ohne Not und Nutzen die Freude ihres Daseins zu verkümmern, und außerdem ein gewisses Gefühl der Kraft, ein gewisses Vertrauen auf das Vermögen und die Zukunft der Menschheit von Nöten, ohne welche man sich das schlechte, das verweste Alte gefallen lässt, weil man es sich, weil man es der Menschheit nicht zutraut, das Bessere begründen, neues, frisches Leben schaffen zu können. Wo jenes Gefühl, jenes gute Herz, jenes Vertrauen fehlen, und, wo doch Verstand genug vorhanden ist, um einzusehen, dass sich die alten Gesetze und Einrichtungen auf ihrer alten Grundlage nicht mehr halten lassen, da sucht man durch mancherlei qui pro quo’s und Taschenspieler-Kunststücke dem alten morschen Gebäude eine neue Grundlage, auf welcher vernünftiger Weise ein ganz verschiedener Bau aufgeführt werden müsste, unterzulegen; das alte Vorurteil, das sich selbst als ein solches erkannt zu haben vorgibt, hüllt sich Proteus-artig in die mannigfachsten Verkleidungen, um sich als etwas Anderes, als es ist, sehr oft gerade als das Entgegengesetzte geltend zu machen.

Solche Verkleidungen haben leider oft noch einen andern schlimmeren Grund. Es gibt keinen schmutzigen Winkel, in welchem sich nicht Ungeziefer einnistete, das bei der Reinigung des Hauses ausgetrieben zu werden fürchtet; es gibt keine Anomalie, keine krankhafte Stelle im Staatsleben, bei deren Heilung nicht ein oder das andere, wenn auch noch so geringe und schmutzige Interesse gefährdet wäre. Die Inquisition hat ihre Häscher, der Despotismus seine Spione genährt; der Sklavenhandel hat seine Selenkäufer, Monopole und Prohibitiv - Systeme haben ihre Wucherer bereichert. Dass Interessen dieser Art, wenn sie bedeutend sind, sich nicht schämen, sich offen zur Schau zu stellen, und ihre Sache der der Menschlichkeit gegenüber zu vertreten, haben unter Anderem die vieljährigen Verhandlungen über die Abschaffung des Sklavenhandels im Englischen Parlament zur Genüge gezeigt. Wenn sie aber so unendlich geringe sind, dass man sie mit bloßen Augen ohne die Vergrößerungsgläser der Habsucht nicht wahrzunehmen vermag, so ist es ihnen nicht der Mühe Wert, sich in ihrer eigenen Gestalt sehen zu lassen; sie greifen daher begierig nach jedem Vorwande, der sie dessen überhebt, und sie doch in den Stand setzt, das Bessere zu bekämpfen.

So hat der Judenhass, der es eingesehen hat, dass es ihm nicht mehr möglich ist, sich als Religionshass, seine ausschließenden Gesetze als der Religion frommend einer zugleich hell denkenden und religiösen Zeit gegenüber geltend zu machen, mancherlei Masken, insbesondere die der öffentlichen Interessen, der Nationalität und der Aufklärung angetan, und ist eifrig bemüht, unter diesen Devisen jene Gesetze aufrecht zu erhalten. Im praktischen Leben geschieht dieses in der Regel mehr oder weniger unverhohlen aus dem zweiten, in der Theorie oft aus dem ersten der angeführten Motive, von Männern, die persönlich bei der Sache durchaus unbeteiligt, aber von irgend einem Lieblings-Plane, den sie seit langen Jahren verfolgen, von unüberwindlichen Vorurteilen, von allerhand fixen Ideen, insbesondere von einer Vorstellung von den Judengeleitet sind, die sie sich vor 50 Jahren aus Eisenmenger und den Märchen ihrer Ammen gebildet haben, und welche aus dem Leben zu berichtigen, es ihnen seitdem nur an gutem Willen gefehlt hat.

Die hier bezeichneten Ansichten sind in Deutschland und in anderen Ländern seit 50 Jahren sehr oft zu Tage gefördert, eben so oft gründlich in der Theorie, noch viel gründlicher in der Erfahrung durch die heilsamen Folgen, die man in allen Ländern, wo die Gesetzgebung nach den entgegengesetzten Grundsätzen umgestaltet worden, ohne Ausnahme wahrgenommen, widerlegt worden. Dennoch haben sie jetzt an Herrn Dr. Paulus in der folgenden Schrift:

Die Jüdische Nationalabsonderung nach Ursprung, Folgen und Besserungs-Mitteln. Oder über Pflichten, Rechte und Verordnungen zur Verbesserung der jüdischen Schutzbürgerschaft in Teutschland. Allen teutschen Staatsregierungen und landständischen Versammlungen zur Erwägung gewidmet von Dr. H. E. G. Paulus. (Aus dem Sophronizon besonders abgedruckt.) Heidelberg, Universitäts-Buchhandlung von C. F. Winter. 1830. 150 S. in 8.

wieder einen ausführlichen Verteidiger gefunden. Die in manchen anderen Dingen nicht gewichtlose Autorität des Verfassers, seine entschieden ausgesprochene Absicht, auf die Verhandlung der Frage bei der Badenschen Stände-Versammlung, wo sie jetzt vorliegt, zu wirken, machen diese Schrift mehr als ihr Inhalt zu einer der guten Sache Gefahr drohenden Erscheinung. Indem ich es, da dieselbe zum Teil durch eine früher von mir verfasste veranlasst worden, für meine Pflicht halte, sie zu widerlegen, fühle ich die Ungleichheit des Kampfes, was die Autorität, das Talent, die Gelehrsamkeit der Streitenden betrifft, sehr wohl, und bitte meine Leser, dieses Moment in ihrer Beurteilung zu Gunsten der Sache, die ich vertrete, in die Wagschale zu legen, damit sie nicht leide durch die Unzulänglichkeit ihres Vertreters. Abhalten vom Kampfe konnte mich dieses Bewusstsein nicht, da ich von der Überzeugung durchdrungen bin, dass das Übergewicht der Gründe, die für meine Sache sprechen, so groß, dass die Argumentation, die zur Widerlegung erforderlich, durchgängig so einfach ist, dass die unbedingteste Überlegenheit jedes Gegners dadurch neutralisiert würde.

Um die verschiedenen Gesichtspunkte, die Hr. Dr. P. mit einander vermint, — eine Verwirrung, die zu den Mitteln gehört, durch welche Herr Dr. P. scheinbar zu seinen Resultaten zu gelangen strebt, — zu sondern, was zur Verständigung durchaus erforderlich ist, will ich zuerst den des öffentlichen Interesse, nebst dem Verhältnis zu den staatsbürgerlichen Pflichten, dann den der Nationalität, und zuletzt den der Aufklärung ins Auge fassen. Vorher sind aber noch einige Bemerkungen über die Stellung der Frage nötig, die Herr Dr. P. mit einer unbegreiflichen Einseitigkeit aufgefasst hat.

Riesser, Gabriel Dr. (1806-1863) Rechtsanwalt, Notar, Politiker, Journalist, Publizist, ab 1859 erster jüdischer Richter in Deutschland

Riesser, Gabriel Dr. (1806-1863) Rechtsanwalt, Notar, Politiker, Journalist, Publizist, ab 1859 erster jüdischer Richter in Deutschland