Erfüllung der Bürgerpflichten

So wie es sich von selbst versteht, dass die Zulassung zu einem bestimmten Amt in jedem Staate, in welchem nur von gesetzlicher Ordnung die Rede ist, an die unerlässliche Bedingung der Erfüllung der mit diesem Amte verknüpften Pflichten gebunden ist, so versteht es sich auch von selbst, dass die Erfüllung aller allgemeinen Bürgerpflichten an die Erhaltung des Bürgerrechts unerlässlich geknüpft ist. Ich habe schon früher behauptet und behaupte noch jetzt, dass die Juden in den Deutschen Bundes-Staaten alle allgemeinen Bürger-Pflichten bereits erfüllen und erfüllen müssen, und die Beleuchtung der einzigen Einwendung, die Hr. Dr. P. nach vielen und weitläuftigen Phrasen S. 105-6 dagegen wirklich vorzubringen versucht, ist am besten dazu geeignet, um jeden Leser zu überzeugen, dass es damit seine volle Richtigkeit hat. Ich weiß es sehr wohl, dass es außer den pekuniären Verpflichtungen gegen den Staat noch eine andere unendlich bedeutendere und höhere Bürgerpflicht, die der Verteidigung des Vaterlandes, die Kriegs-Pflicht gibt. Ich weiß aber auch, und alle Welt weiß es, dass in den Deutschen Bundes-Staaten die Juden seit langer Zeit, und zwar in Baden mindestens seit 1808 Kriegsdienste leisten und zu leisten gehalten sind*). Herrn Dr. P. kann das auch unmöglich unbekannt sein, obgleich er es ignoriert, und sich im Gebiet allgemeiner Voraussetzungen hält; aber er wendet ein, sie würden am Sabbat keine Kriegsdienste tun und anstatt dessen Andere bezahlen, um sich für sie totschlagen zu lassen. Nun möchte ich wissen, ob Hr. Dr. P. in allem Ernste meint, dass in den Armeen Napoleons, in den Russischen oder Deutschen Armeen die Juden, wenn eine Schlacht am Sonnabend geliefert wurde, für Geld Urlaub erhalten haben? Ich habe die feste Überzeugung, dass das nie und nirgends geschehen ist, und weder Hr. Dr. P., noch sonst Jemand hat je den Schatten eines Beleges dafür angeführt. Sollte es aber irgendwo geschehen, so wäre es dem Grundsatz, den alle zivilisierten Staaten annehmen, dass Niemand seine Religions-Meinung, um sich einer bestimmten allgemeinen Pflicht zu entziehen, anführen dürfe, absolut zuwider; so wäre es ein heilloser schmählicher Unfug, der den Vorschriften des alten Testaments, des Talmuds und der Rabbinen**) nicht minder als den Regeln eines geordneten Staatslebens entgegen ist: ein Unfug, dessen Beseitigung die unendlich größere Mehrzahl der Juden eifrig herbeiwünschen würde, und der auch ohne alle Rücksicht darauf sofort beseitigt werden müsste, nicht aber geduldet, um als Ausschließungs-Grund gegen Die, die ihre Pflichten gegen den Staat in jeder Beziehung zu erfüllen sich bereit erklären, geltend gemacht zu werden.

*) Gerade darum, weil in dieser Beziehung und in anderen die Lage der Juden, was ihr passives Verhältnis gegen den Staat, was ihre Pflichten betrifft, eine ganz andere geworden, ist es selbst vom Standpunkt des historischen Rechts aus falsch, die Legalität der Fortdauer ihrer alten Beschränkungen rechtfertigen zu wollen.


**) Belege dafür, das die Feier des Sabbats nach den Vorschriften, der letzteren der Pflicht der Vaterlands-Verteidigung nachstehen muss, finden sich u. A. bei Dohm, über die bürgerliche Verbesserung der Juden, S.144 in d. Note, und in dem Charakter des Judentums von J. Wolf und S. Salomon, 2te Auflage. Leipzig, 1S17. S,42—SD. Dass es sich hiermit praktisch und theoretisch so verhält, ist so allbekannt, dass es fast unglaublich scheint, wie es Einem, der auch nur die geringste Kenntnis von den Verhältnissen der Juden sich zu verschaffen bemüht war, unbekannt sein könne, und dass es mir, ich gestehe es, hier sehr schwer wird, an der Redlichkeit der Anführungen des Hrn. Dr. P. zu glauben, da ich eine zu gute Meinung von seinen Kenntnissen habe. Man vergl. auch den Anhang.


So wie aber, wo es sich um eine Pflicht gegen den Staat handelt, keine von der individuellen religiösen Überzeugung abgeleitete Entschuldigung zuzulassen ist, eben so ist es außerhalb dieser Sphäre nach den anerkanntesten Grundsätzen nicht die Sache des Staats, sich um die Privat-Tätigkeit der Bürger an einem oder dem anderen Tage zu bekümmern. Da der Staat Niemanden deshalb in Anspruch nimmt, dass er alle sechs Tage in der Woche keinerlei Arbeit verrichtet, vorausgesetzt, dass er sie dem Staate nicht zu leisten hat, so sehe ich nicht, mit welchem Recht er gegen das Feiern an einem dieser Tage Einwendungen machen will, da es lediglich des Einzelnen Sache ist, zu sehen, wie er dabei zurecht kommen kann.