Schlesische Urkunden zur Geschichte der Juden im Mittelalter

Aus: Archiv für Kunde österreichischer Geschichts-Quellen. Band 31. Herausgegeben von der zur Pflege vaterländischer Geschichte aufgestellten Kommission der kaiserlichen Akademie der Wissenschaften
Autor: Oelsner, Ludwig Dr. (1831-1910) Historiker und Gymnasiallehrer in Frankfurt a. Main, Erscheinungsjahr: 1864

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Themenbereiche
Enthaltene Themen: Juden, Judentum, Judenhass, Antisemitismus, Judenverfolgung, Mittelalter, Religion, Christen, Christentum, Judengasse, Schicksal, Glauben, Geschichte, Bildung, Gesittung, Bürgertum, Unwissenheit, Kreuzzüge, Klerus, Politik, Macht, Handel, Vertreibung, Flucht, Mord, Todschlag, Nation, Volk, Heimat, Weisheit, Leben, Ideale, Mut, Gottesfurcht, Geist, Freude
      Ans Vaterland, ans teure, schließ' Dich an.

"Lange bevor deutsche Kolonisten nach Schlesien kamen und mehr und mehr die Herren des Grundes und Bodens wurden, lebten schon Juden in dem noch durchaus slawischen Lande, und obwohl nur dürftige Kunde aus jenen Jahrhunderten zu uns dringt, so erhalten wir doch die merkwürdige Nachricht, dass die schlesischen Juden damals Landgüter besaßen und Ackerbau trieben *). Die deutsche Einwanderung scheint diesem Zustande ein Ende gemacht zu haben, und die großen Judenprivilegien der schlesischen Herzoge aus der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts kennen kaum noch einen anderen Nahrungszweig der Juden als das Geldausleihen auf Zins und Pfänder. . . . "

*) Siehe meine Schlesischen Juden im Mittelalter, S. 6—7 (in Liebermanns Jahrbuch für Israeliten, 1864).

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Einführung

Die menschliche Gesellschaft ist ein Organismus, der, um sich gesund zu erhalten, alles Fremdartige ausscheiden oder sich assimilieren muss. Und der einzelne Mensch ist zu dieser Gemeinsamkeit geboren: nur wer sich als Glied des Ganzen fühlt, gelangt zum Genuss des Lebens und zur Erfüllung seines Lebensberufes. Darum ist dies die nächste und höchste Aufgabe jedes Menschen, dass er sich eins wisse mit seinen Volksgenossen, ihre Denkungs- und Empfindungsweise teile, mit ihnen strebe und mit ihnen feiere, mit ihnen sich freue und mit ihnen leide.

Damit ist keineswegs jene Uniformität gemeint, die vielmehr tötet als belebt. Die Einheit lässt, ohne darin unterzugehen, die größte Mannigfaltigkeit zu, und neben dem Rechte der Gesamtheit steht als gleich heiliges Postulat die individuelle Freiheit. Das ureigenste Besitztum des Individuums aber ist seine Religion, seine Beziehung zu jener höheren Macht, die vor uns war und nach uns sein wird, und es gibt keine Gewalt auf Erden, die das Recht hätte, in dieses Seelenheiligtum einzudringen. Die Länder wurden zu Wüsteneien, in denen die Tyrannei Glaubenseinheit zu erzwingen sich erkühnte, und die Geschichte preist die Helden, welche ihre Überzeugungstreue mit dem Blute besiegelten. Gleich dem Familienleben soll das Religionsleben von außen her unangetastet bleiben, und wie der Vater der Herr seines Hauses, so soll jedes Individuum der Priester seines Herzens sein. Das öffentliche Leben wird davon nicht berührt; es liegt nicht im Wesen der Religion, dass sie ihre Bekenner zu bürgerlichen Tugenden untüchtig macht.

Aber welche Anwendung findet das Gesagte auf die mittelalterlichen Juden? Denn ihren Schicksalen gilt unsere Betrachtung. War aller Hass gegen sie nicht Glaubenshass? Ging die Verfolgung, der sie erlagen, nicht aus religiöser Unduldsamkeit hervor? Wer zum Christentum übertrat, war erlöst, und wer den Glauben seiner Väter nicht verlassen wollte, wurde als Feind betrachtet! Welchen Anschluss an das Vaterland gab es also, der sich mit der Gewissensfreiheit vertrug?

Wohl gab es einen solchen für die Juden des Mittelalters; der Hass, welcher auf ihnen lastete, galt keineswegs immer ihrer Religion. Wir müssen vor Allem die Zeiten unterscheiden. Es ist ein vielbeliebtes Verfahren, das Mittelalter in Bausch und Bogen zu verwerfen, es als „die Zeit der Barbarei, der vereinigten Herrschaft von Faustrecht, Unwissenheit und Pfaffentum" zu bezeichnen *) und von der „Herrlichkeit des Mittelalters" und seinen „Verehrern" mit wegwerfendem Spotte zu sprechen **). Die Geschichte aber kennt auch eine Blütezeit edlen Rittertums, sie kennt manche Epoche echten Aufschwunges innerhalb der Kirche, insbesondere erzählt sie von einem Bürgertum, das in den letzten zwei Jahrhunderten des Mittelalters neben Adel und Geistlichkeit, ja an ihre Stelle trat und zum Träger höherer Bildung und Gesittung wurde. Die Geschichte weiß von keinem mehrhundertjährigen Stillstande, und doch geben die meisten Darstellungen jüdisch-mittelalterlicher Zustände uns nur ein wüstes Bild immer gleicher Verfolgungssucht.
Es ist wahr, in den Zeiten der Kreuzzüge fielen die Juden blinder Glaubenswut zum Opfer, und einem unerhörten Fanatismus stand damals ein großartiges Märtyrertum gegenüber, als ewig ruhmwürdiges Zeugnis für die innere Kraft des Judentums und den Opfermut seiner Bekenner.

„Weil ich fürchte nur den Einen,
Fürcht' ich von den Vielen keinen!"

mit solchen Worten gingen sie in den Tod,

„und von dem Bräutigam und von der Braut
war der „„einzige Gott"" der letzte Laut ***)".

*) Zunz, synagogale Poesie des Mittelalters, S. 14.
**) Geiger, jüdische Zeitschrift, I, 274.
***) Zunz a. a. O. S. 15—16.

Die späteren Jahrhunderte aber kannten diesen Gegensatz nicht mehr. Eine so unnatürlich gesteigerte Stimmung, wie sie während der ersten Kreuzzüge die abendländische Welt beherrschte, kann wohl eine oder zwei Generationen lang andauern, aber zuletzt muss sie einem leidenschaftsloseren Zustande weichen. In der Tat erfreut uns das städtische Leben des 14. und 15. Jahrhunderts durch seine kerngesunde Nüchternheit Nicht als ob es allen Schwunges ermangelt und nur den „engherzigsten Interessen" der Bürger und der Zünfte zum Tummelplatze gedient hätte *); denn der deutsche Großstädter jener Tage trieb mit Eifer und richtigem Verständnisse auch hohe Politik, und die Kommunen griffen, wie durch ihren weitreichenden Handel, so auch durch Macht und Intelligenz, weit mehr als in den folgenden Jahrhunderten, in die allgemeinen Weltangelegenheiten ein. Aber das Interesse war es allerdings, was ihre Entschlüsse und Unternehmungen bestimmte, jener Sinn für das eigne Wohl und Wehe, der vor unfruchtbaren Idealen schützt und das Wesen politischer Weisheit ausmacht. Während der Klerus entartet und das Rittertum dahinwelkt, weht uns aus den Städten jener Zeit ein urkräftiger, frischer Geist entgegen, in dem sich das Leben der Nation verjüngt. Hier waltet Biederkeit und wahrhafter Mut, hier Gottesfurcht und Freude am Gesang. Hier, mit Einem Worte, erblüht das edle Bürgertum, der Stolz und die Stütze der modernen Welt.

Und der Stamm der Juden sollte auch hier einer überspannten Religionsschwärmerei begegnet sein? und wenn das Mittelalter mehrfach mit ihrer Vertreibung aus den Städten endet, wäre dies die Wirkung religiöser Antipathie? Diese Frage, wir gestehen es, bildete den ersten und wesentlichsten Ausgangspunkt der vorliegenden Untersuchung. Eine solche Erscheinung entspräche dem gesunden, aufs Praktische gerichteten Sinne des Bürgertums nicht.

(Fortsetzung)

Ostjüdisches Antlitz

Ostjüdisches Antlitz

Der greise Jude

Der greise Jude

Bärtiger Jude

Bärtiger Jude

Alter Jude

Alter Jude

Lesender Jude

Lesender Jude

Meditierender Ostjude

Meditierender Ostjude

Vollbärtiger Jude

Vollbärtiger Jude

Kohle schleppender Jude

Kohle schleppender Jude

Bärtiger Jude mit Pelzmütze

Bärtiger Jude mit Pelzmütze

Ostjüdin

Ostjüdin

Ostjüdin mit Kopftuch

Ostjüdin mit Kopftuch

Ostjüdische Schönheit

Ostjüdische Schönheit

Jüdin des Ostens

Jüdin des Ostens