bis 1349

Von einer Beschränkung des städtischen Aufenthaltes für die Juden, sei es der Zeit nach oder im Raume, war unter der Regierung Johanns noch keine Rede. Sie besessen Grundeigentum in verschiedenen Teilen Breslaus und galten als erbangesessene Bewohner der Stadt. Es gab damals noch keine Judengasse in Breslau; da lag des Einen Besitzung, 40 Ellen breit, 4 Mark an Wert, zwischen den Häusern des Nicolaus Bara und Heinrich Hesteler; des Anderen Grundstück, im Werte von 5 Mark, zwischen den Häusern des Lorenz von Strelitz und des Johann Riemer; ein drittes, nur 7—8 Ellen breit und nicht ganz eine Mark wert, zwischen den Grundstücken des Marner und der Frau von Lübau; die Häuser — oder wohl richtiger nur die Bauplätze — werden unter später zu erwähnenden Umständen veräußert, und — Christen sind es, die dieselben kaufen. Zwei Synagogen standen damals in Breslau; ob auch zwei getrennte Gemeinden bestanden, ist nicht ersichtlich. Es geschieht vielmehr zu wiederholten Malen nur Einer Gemeinde Erwähnung, die die gesamte Judenschaft umfasst zu haben scheint. Sie hat einen Rabbiner oder Bischof, mehrere Lehrer, Schulmeister genannt (magister schole), die wohl zum Teile nur Hauslehrer reicher Familien waren, endlich mehrere Fleischer, vielleicht in Folge der obenerwähnten Bemühungen des Bischofs Heinrich. Außer der Gemeinsamkeit in den Kultuseinrichtungen bestand zwischen den Gemeindegliedern auch eine Solidarität der Verpflichtungen gegen die schützende Behörde, derart, dass der Gesamtheit ein Zins von bestimmter Höhe auferlegt, die Aufbringung desselben aber ihr selbst überlassen wurde. Hier zeigte sich nun eine traurige Erscheinung. Es wurde das vornehmlichste Bestreben der Einzelnen, sich von dieser allgemeinen Haftungspflicht zu befreien, und jeder außerordentlichen Geldleistung pflegte eine solche Exemption als Belohnung zu folgen 5). So führte der Eigennutz auch hier, wo festes Zusammenhalten so nützlich gewesen wäre, zur Trennung. Während die Religion das gemeinsame Banner blieb und die Anhänglichkeit an den Glauben der Väter, ebenso wie die Abneigung gegen Taufe und Getaufte, Alle durchdrang und Alle umschlang: wollten sie in weltlicher Beziehung von keiner Gemeinschaft wissen, und statt mit vereinten Kräften nach politischen Vorteilen zu streben, ja ohne auch nur ein Verständnis dafür zu zeigen, gingen sie vielmehr, auf getrennten Wegen, ein Jeder dem eigenen Vorteile nach.

Die nächste Zukunft schon sollte sie Alle grässlich enttäuschen. Wohl waren sie reich und mehrfach günstiger situiert, als viele ihrer Stadtgenossen; wohl gewährten König und Rath ihnen Schutz gegen Gewalttat. Wir wissen jedoch, welche Willkür diesem Schutze beigemischt, welchen Motiven er zuzuschreiben war. Das Volk aber, in dessen Mitte eine Klasse von Leuten das Vorrecht genoss, mühelos reich und reicher zu werden; die Gewerbetreibenden, die in ihnen drängende Gläubiger sahen; die Handwerker, die Taglöhner, die im Schweiß ihres Angesichtes ihnen dienen mussten, um sich ihr karges Brod zu erwerben, während von allen heiligen Stätten aus ihnen zugerufen wurde: ihr seid die Söhne der Freien und sie die Söhne der Magd — das Volk konnte jenen wachsenden Reichtum der Juden nicht ohne geheimen Groll betrachten und ein Ausbruch der Leidenschaften war nicht zu verhüten. Es war ein törichter Wahn der Juden, sich über die Antipathie einer ganzen Bevölkerung zu täuschen oder sich gegen dieselbe sicher zu fühlen, weil sie eine Zeit lang unter der Asche glimmte. Oder merkten sie erst, als es zu spät war, dass das Geld, welches die Christen ihnen dienstbar machte, sie selbst den Christen verhasst gemacht hatte?


Am 27. März 1349 schreibt der Breslauer Rat dem Könige die bezeichnenden Worte: „Die Juden sind in Furcht wegen der allgemeinen Hungersnot"; sehr merkwürdige Worte, denn sie sind eine schlagende Widerlegung derjenigen, die auch die städtischen Judenverfolgungen aus religiösem Fanatismus herleiten. Die Unglücklichen sahen das Verderben nahen, ohne es aufhalten zu können; zwei Monate später erfolgte der Schlag. Es geschah am 28. Mai 1349, am Donnerstage vor Pfingsten, dass im Getümmel einer Feuersbrunst, die in schneller Verbreitung die Stadt verwüstete, alle Juden „ermordet und erschlagen wurden". Wer waren die Täter? Der Rat der Stadt, der acht Tage später darüber dem König Bericht erstattet, sagt, offenbar um sich zu entschuldigen, es seien einige Fremde, Vertriebene, ihm selbst Unbekannte gewesen. Genauere Auskunft erhalten wir in dieser Beziehung über die gleichzeitigen Judenmorde in Guhrau und Brieg; die sechs verhafteten Mörder in ersterem Orte sind ein Weber, ein Schneider, ein Fleischer, ein Stellmacher, ein Schuhmacher, ein Bäcker; unter den Brieger Angeklagten werden drei Weber und ein Scherenschmied als die Rädelsführer hervorgehoben: in beiden Orten also Handwerker, nur Handwerker. Müssen wir nicht auch hierin ein charakteristisches Zeichen erkennen? Das Jahr 1349 brachte bekanntlich über die Juden ganz Europas schwere Verfolgung; eine furchtbare Epidemie, der schwarze Tod, gab den Vorwand zu der Beschuldigung, sie hätten die Brunnen vergiftet. In Breslau reichte, wie der amtliche Bericht zeigt, eine Hungersnot dazu hin, ihr Leben zu gefährden. An der Katastrophe in Guhrau dagegen hatte der Vergiftungsspuck, wenngleich in anderer Gestalt, seinen Antheil; ein Jude, Namens Yla, der früher daselbst wohnte, hatte durch Pulver, die er verteilte, einen gewissen Rabo getötet. Freilich stützte sich diese Aussage der dortigen Ratsherren nur auf das Geständnis eines zum Feuertode verurteilten Weibes.**)

*) Vergl. das Formelbuch Arnolds von Protzan a. a. O. S. 1S8. Sehr treffend betont diesen Gegensatz J. M. Jost im 7. Bande seiner Geschichte der Israeliten, S. 176.
**) Es geziemt sich, an dieser Stelle hervorzuheben, dass außer jenem der Giftmischerei beschuldigten Yla sich in dem, 14 Folioseiten, unseres Kladdenbuches füllenden Verbrecher-Verzeichnisse kein einziger Jude findet.
***) Stenzel, Geschichte Schlesiens, S 290, sagt, auf eine uns unbekannte Quellennotiz gestützt: „Im Jahre 1351 wurden einige Bürger, welche Juden erschlagen, in des Königs und der Stadt Acht getan". Also auch hier Bürger, nicht „Fremde und Unbekannte!"

Genug, der Streich war geschehen; der Volksunwille, lange niedergehalten, hatte sich Luft gemacht. Was aber tat hierauf die schutzpflichtige Behörde? Sie folgte nach wie vor den Eingebungen ihres Interesses! Wohl wurden die Mörder ergriffen, und der König Karl ermächtigte insbesondere wegen der Breslauer Vorgänge im Februar 1350 den Hauptmann und den Magistrat der Stadt, auf die Schuldigen zu fahnden und sie zu richten. Aber viel dringender schien die Frage, was mit der Hinterlassenschaft der Gemordeten anzufangen sei. Denn in demselben Briefe, der dem Könige den Frevel meldet, deutet der Rat bereits an, dass die Sache streitig geworden, und bittet um Aufschub der Entscheidung bis nach Anhörung der deshalb abzuordnenden städtischen Gesandten. So am 5. Juni; am 20. Juli schweben die Verhandlungen noch; der Rat spezialisiert das Judengut, das in Grundstücken, in Pfändern und Schuldbriefen besteht, und stellt in unverblümten Worten den Antrag, der König möge, was sich finden sollte, der Stadt überlassen und die ihr verpfändeten fürstlichen Einkünfte damit einlösen. Endlich am 7. Oktober 1349 erfolgte das königliche Dekret: die Stadt erhielt, in Rücksicht auf die erlittene Feuersbrunst, alle Häuser und liegenden Gründe der Juden, darunter die zwei Synagogen*) zusammen auf 400 Mark veranschlagt; ein etwaiger Überschuss aber, ingleichen alles verborgene und vergrabene Geld, sowie Kleinodien und Pfänder sollten an die königliche Kammer geliefert werden a). So teilten sich König und Stadt in die Erbschaft der Getöteten; über den Ertrag derselben findet sich nur die eine Angabe aus dem Jahre 1350, dass das in den Häusern gefundene Geld und der Erlös aus den Schuldbriefen sich' zusammen auf 446 Mark oder 10.348 Thaler jetzigen Geldes (die Mark nur zu 5 4/5 Thalern gerechnet) beliefen.
Das traurige Ereignis hatte hiermit seine Erledigung gefunden; es handelte sich nun um die Zukunft. Echte Staatsweisheit gebietet, einem Übel, das einmal an den Tag getreten ist, fernerhin dadurch vorzubeugen, dass man auf seinen Ursprung zurückgeht und hier die Heilung versucht. Man konnte die Juden auf immer verbannen, das war die gründlichste Remedur, wie sie 100 Jahre später wirklich erfolgte. Staatsmännischer und menschlicher wäre es gewesen, durch neue Ordnungen die Juden in ein besseres Verhältnis zu ihren Mitbürgern zu setzen. König Karl aber tat weder das Eine, noch das Andere. Eine heilbringende Umgestaltung der Juden Verhältnisse sollte dem Mittelalter überhaupt nicht gelingen; sie ist das Werk der segensreichen Neuzeit. Zu dem entgegengesetzten Schritte einer völligen Verbannung aber konnte sich Karl nicht entschließen, sei es aus Schonung, sei es aus Interesse. Genug, es kehrte im Wesentlichen der frühere Zustand wieder, mit einer Verschlimmerung jedoch, deren wir bald gedenken werden.

*) Eine derselben wurde vom Rat für 2 Mark jährlich an einen Privatmann vermietet. Grünhagen, Rechnungsbücher der Stadt Breslau, S. 100. Durch diese Schenkung erklärt sich wohl auch der Verkauf einiger areae Judeorum in Nr. 18 unserer Sammlung.
**) Klose a. a. O. II; 1, 185.
***) Henricus Pauper a. a. O. S. 78. Auffallend ist die Bezeichnungsweise: 445 marc. 4 fert. — Unsere hauptsächlichste Quelle für die Ereignisse der Jahre 1349 und 1350 sind die Nr. 9—12 unserer Urkundensammlung.