Zweite Hälfte des 15. Jahrhunderts

Das Jahr 1455 brachte die große Katastrophe zum völligen Abschluss. König Ladislaus war damals in Breslau, und diese Anwesenheit benutzte „der Rat und die ganze Gemeine der Stadt", die nun wohl bereits ein Jahr von den Juden verlassen war, um dem König die Bitte vorzutragen, dass er in Zukunft keinem Juden mehr eine Wohnung in Breslau gestatten möchte. Ladislaus, der das Jahr zuvor den Bürgern von Brunn und Olmütz ein gleiches Privilegium gegeben hatte, gewährte auch den Breslauern ihre „redliche Bitte" und erließ Donnerstag, den 30. Januar 1455, einen Tag vor seiner Abreise, den Befehl, dass „fernerhin kein Jude und keine Jüdin in ewigen Zeiten zu Breslau ihre Wohnung oder ihr Wesen haben sollten"; zugleich gebot er dem Rat und den Bürgern, „die damals waren und künftig sein würden" , dass sie den obgenannten Juden „ihre Wohnung nimmermehr gönnen sollten in ewigen Zeiten" ***). Ein ähnliches Schreiben erwirkten sich die Schweidnitzer im Jahre 1457, und so war der Ausgang auch in vielen anderen Städten Schlesiens.

Als einst 150 Jahre früher die schlesischen Herzoge jenes berühmte Toleranz-Edikt verkündeten, welches wohl alle Beteiligten eine bessere Zukunft hoffen ließ, da sprachen sie es als ihren Willen aus, dass die Juden in den erteilten Rechten für alle kommenden Zeiten fest und unverbrüchlich erhalten werden sollten. Jetzt beschloss König Ladislaus auf ewige Zeiten die Verbannung der Juden aus den schlesischen Städten. Die folgenden Jahrhunderte haben des Einen wie des Anderen Berechnungen durchkreuzt. Was geschehen war, hat mit einer gewissen Naturnotwendigkeit geschehen müssen. Aber die fortschreitende Entwicklung der Menschheit führt auf neue Gedanken und neue Wege. Der Blutsaat entkeimt ein frisches Leben, und dem tödlichsten Hasse folgt eine herzliche Wiederannäherung. Darf der Staubgeborene sich vermessen, der Ewigkeit Gesetze vorzuschreiben? Das Fürstenwort verhallt und jede Menschensatzung geht vorüber: ewig ist allein der unsichtbar-sichtbar waltende Geist Gottes in der Geschichte!



URKUNDEN.

Sämtliche nachfolgenden Urkunden sind den beiden Breslauischen Archiven, dem städtischen und dem Provinzial-Archiv, entnommen, wo sie sich teils im Original, teils in Kopialbüchern finden; der nähere Nachweis hierüber ist jedem einzelnen Stücke beigefügt. Nur über das „Kladdenbuch des Breslauer Rats", aus dem ein großer Teil der auf das 14. Jahrhundert bezüglichen Urkunden geschöpft ist, scheint eine eingehendere Mitteilung au dieser Stelle erforderlich. Es ist dieselbe Papierhandschrift, die Stenzel (z. B. in der Geschichte Schlesiens, S. 337) dem Kanzler des Fürstentums Breslau, Dietrich (Dietmar?) von Mekebach, zuschreibt und ein„Concept-oderNotatenbuch* desselben nennt. Schon Mancherlei ist daraus früher veröffentlicht worden: so namentlich das dritte Heft, nebst Zusätzen aus dem ersten, als „Landbuch des Fürstentums Breslau" von Stenzel in den „Arbeiten der schlesischen Gesellschaft für vaterländische Kultur im Jahre 1842" (Breslau 1843) ; Anderes, wie „Ältestes Rothwälsch in Deutschland", „Zur Fischkunde Schlesiens", „Altester Gebrauch der arabischen Ziffern in Schlesien", in Hoffmanns Monatsschrift von und für Schlesien (1829), S. 55, 69, 287; die „Statuten der Kunstärzte, Wundärzte und Apotheker" in einer zu Breslau erschienenen, medizinischen Doktordissertation von Heyn. In umfassendster Weise benutzt ist das Manuskript von Stenzel in seiner bekanntlich ohne Quellenangabe gedruckten Geschichte Schlesiens, deren erster und leider einziger Band ja bis zum Jahre 1355 reicht. Denn den mittleren zwei Jahrzehenten des 14. Jahrhunderts gehört fast der gesamte Inhalt der Handschrift an; nur einmal, auf Seite 16 6 des ersten, 45 Folioblätter umfassenden Heftes, findet sich, von gewohnter Hand, die Abschrift einer viel älteren Urkunde, vom Jahre 1294 (s. Zeitschrift des Vereins für Gesch. und Altertum Schlesiens!, 146); ein anderes Mal, fol. 8 ft desselben Heftes, in entsprechend späterer Schrift, der Satzanfang: Anno domini millesimo trecentesimo nonagesimo primo — im Jahre 1391 sollte das lieft also nochmals zur Eintragung irgend einer geschäftlichen Notiz benutzt werden, doch es unterblieb. Die Gegenstände, von denen das Manuskript (und zwar in seinen ersten zwei Heften, die hier allein in Betracht kommen) handelt, sind sehr mannigfaltiger Art; doch haben sie sämtlich eine meist nahe Beziehung zur Stadt Breslau. Als charakteristisches Beispiel diene (fol. 45 6) das Verzeichnis der claves habentes civitatis — ad sigilla— ad privilegia domini regis — ad cistam in turri etc. vom Jahre 1348. Von einem Vertreter der Stadt, am wahrscheinlichsten von dem Schreiber des Rates, muss denn auch das ganze Buch angelegt und gehandhabt worden sein. Zum Beweise mögen einige Stellen aus den legationes civitatis ad dominum regem (fol. I a—III a des ersten Heftes) angeführt werden:

*) Das auf Fol. 10 a — 11a des dritten Heftes befindliche Breslauer Zollmandat vom Jahre 1327 ist jüngsthin von Grünhagen aus dem Original bekannt gemacht worden : Breslau unter den Pisten (1861), S. 119—122.

Das Verhör des Mönches Johannes, eines Falschmünzers enthält vielleicht eine Hinweisung auf den Namen des Verfassers; am Ende des Protokolls heißt es nämlich: Nota. Omnia prescripta de verbo ad ver hum scripsit Petrus notarius civitatis ex ore Johannis monachi in presentia dominorum . . . Consilium. Wir haben es hier freilich nur mit einer Abschrift des Protokolls zu tun, wie die Auslassung der Konsulnamen, so wie die Überschrift: Isti sunt accusati per Johannem monachum cremation beweist. In jedem Falle halten wir uns für berechtigt, das Buch als den Zwecken der städtischen Verwaltung dienend zu bezeichnen. Dass es nicht ohne amtlichen Charakter war, beweisen u. A. die vielen Kopien von Originalurkunden, die es enthält und an deren Stelle sich hin und wieder auch nur Auszüge befinden, etwa mit dem Zusatze: Copia litere invenitur in una carta presentibus inclusa, die freilich jetzt nicht mehr vorhanden ist. Hätte die Handschrift keine amtliche Bedeutung gehabt, wozu dienten dann die vielen sorgfältig angebrachten Korrekturen und Nachträge? König Johann hatte 1331 die Breslauer Consuln ermächtigt, alle Verbrecher, die in ihren Büchern angezeichnet stünden, zu fangen und zu verurteilen (Klose II, 106). Unser Manuskript nun enthält auf 14 Folioseiten ein Verbrecherverzeichnis, teils auf den Aussagen Verurteilter, teils auf Denunziationen auswärtiger Stadtbehörden beruhend, das ohne Zweifel dem Breslauer Magistrate zu ebenerwähntem Zwecke diente; so heißt es z. B, Heft 11, fol. I a: Nota. Petirlinus accusavit prescriptos, qui fuit homo desperatus. Ideo de accusatis rei Veritas ignoratur; sed pro eo scripti sunt si quis ex eis inantea pro malefico repertus fuerit, quod civitas sesecundum hoc regere valeat atque possit. Andere Stücke wiederum erinnern an die Beschaffenheit der Formelbücher des Mittelalters; es sind Urkunden, Conzepte oder Abschriften, in denen Individuelles, wie Namen und Summen, ausgelassen ist. Auch sonst begegnen widersprechende Eigentümlichkeiten. Das Buch muss dem Verfasser stets zur Hand gewesen sein; wie zur Kurzweil malte er hier einen Buchstaben, dort die ungewohnten arabischen Ziffern hin, oder er vermerkte einen allgemeinen Gedanken, gleichsam um ihn nicht zu vergessen, wie: Quod uni in prejudicium evenit, alterf ad cautelan) erogatur; oder: Debitor honestus aspiciens creditorem auget propter degentiam in corde merorem (Heft II, letzte Seite). Enthält das Buch einesteils größere Aktenstücke zum Behufe künftiger Benutzung, so finden sich andererseits flüchtige Notizen, zusammenhangslos und unverständlich, die offenbar nur für den Augenblick dem Gedächtnisse des Schreibers nachhelfen sollten. Neben sorgsamen Verbesserungen und Radierungen ist wohl auch manchmal ein Schreibfehler auf frischer Tat mit dem Finger ausgewischt, und ein Löschblatt — wenn man solches damals schon hatte — gehörte so wenig in die Ökonomie dieses Buches, dass die auf fast allen Blättern deutlich erkennbaren Schriftabdrücke mir das beste Mittel holen, die einst wohlgehefteten, im Laufe der Zeit aber auseinander gefallenen, auch durch Feuchtigkeit zum Teil beschädigten Bogen so zu ordnen, wie sie jetzt zu einem festen Bande vereinigt sind. Beachtenswert ist noch, dass dem Schreiber das Latein geläufiger gewesen zu sein scheint als das Deutsche; denn fast alle seine eigenen Zusätze und Bemerkungen, selbst zu deutsch geschriebenen Urkunden, sind in lateinischer Sprache abgefasst. Die Schrift ¡st übrigens keineswegs durchaus von derselben Hand; doch lassen die vielen ungeschickt geschriebenen Notizen nur die Gewandtheit der Haupthand hervortreten. Ohne Zweifel hatte der Stadtschreiber zu Breslau, zu seinem eigenen amtlichen Gebrauche, sich dieses Konzept- und Notatenbuch eingerichtet, das ich, nach dem Vorgange von Pertz (Archiv für ältere deutsche Geschichtskunde V, 345), mit einem im Bureauwesen geläufigen Ausdrucke, ein „Kladdenbuch des Breslauer Rats" genannt habe und das, auch nach all' den bisher schon daraus erfolgten Publikationen, noch so viel interessantes Material zur Geschichte des politischen und merkantilen, gewerblichen und sozialen Lebens jener Zeit enthält, dass die von dem schlesischen Geschichte-Verein beabsichtigte Herausgabe desselben gewiss allgemeinen Dank finden wird.