Russland und Europa
Politisches Leben. Schriften zum Ausbau eines Volksstaates.
Autor: Solovjeff, Wladimir Sergeevich (1853-1900), Erscheinungsjahr: 1917
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Themenbereiche
Enthaltene Themen: Russland, Russen, Nationalismus, Volksinteresse, Menschheitsinteressen, Fortschritt, Wünsche und Bedürfnisse, Nationalitätenpolitik, westeuropäische Kultur, Reformen, Peter des Großen, Kirchenspaltung, Prophetentum, Slawophile, Westmächte, Menschheitsideale, Kulturgüter, Kulturfaktor, Vaterland, Barbarei
Abdruck aus Solovjeffs ausgewählten Werken B III „Vorlesungen über das Gottmenschentum“ Aus dem Russischen von Harry Köhler
Inhaltsverzeichnis
Vorrede
Im dritten Bande der „Ausgewählten Schriften" von Wladimir Solovjeff, der, wie die beiden vorhergehenden, im gleichen Verlag erscheinen wird, wird eine Abhandlung unter dem Titel „Russland und die nationale Frage" stehen, dessen 5. Kapitel in diesem Bändchen abgedruckt ist.
Wir haben uns entschlossen, dieses Kapitel heute schon im Sonderdruck erscheinen zu lassen, bewogen durch die Ereignisse der Zeit, auf deren Ursprung, wenigstens soweit er in Russland zu suchen ist, gerade dieses Kapitel ein besonders grelles Licht wirft.
Wenn es richtig ist, dass Ereignisse in der Zeit ihres Geschehens am schwersten zu übersehen sind, und dass eine gewisse Distanz notwendig ist, um zu einem klaren Urteile über sie zu gelangen, dann ist auch in Bezug auf die Ursachen, die zu den betreffenden Ereignissen geführt haben, jedenfalls das maßgebender, was Jahrzehnte vorher von autoritativer Seite über sie ausgesagt worden ist, als was zur Zeit der Ereignisse selbst und unter den starken Eindrücken, denen sich heute wohl niemand entziehen kann, gedacht und geschrieben wird.
In den vorhergehenden Kapiteln wird der Standpunkt dargelegt, auf den sich ebenso wie der einzelne Mensch auch ein Volk zu stellen hat, wenn es seiner Aufgabe innerhalb der Gesamtmenschheit gerecht werden und den Prinzipien des Christentums entsprechen will.
Die Fürsorge um die nationale Entwicklung und um das nationale Wohlergehen wird hier nicht abgelehnt, ja nicht einmal das Aufkommen des modernen nationalen Gedankens, wie er sich in Europa und seit den vierziger Jahren auch in Russland zeigt; ganz im Gegenteile sieht der Verfasser hierin etwas durchaus Berechtigtes, Notwendiges, Gutes und Fortschreitendes. Nur bekämpft er diese Erscheinung da, wo sie in den reinen Nationalismus übergeht und auf Kosten und zum Schaden der anderen Völker dem Egoismus verfällt. Er fordert uneingeschränkt die Unterordnung der Volksinteressen unter die dem Range nach höher stehenden Menschheitsinteressen*). Auf diesem Gebiete identifiziert Solovjeff diesen Gedanken geradezu mit der christlichen, weltumfassenden Idee, wenn er diese auch an anderen Stellen seiner Schriften in Bezug auf das Objekt viel weiter fasst (z. B. da, wo er selbst die leblose Natur und körperlose Wesen in diesen Gedankengang einbezieht).
*) d. h. er verlangt ebenso wie vom einzelnen Menschen auch von den Völkern Moral und Opfer in der Beziehung zu anderen Völkern.
Danach haben die nationalen Interessen nur dann Berechtigung, sind auf die Dauer nur dann als reale Interessen auch für das betreffende Volk selbst anzusehen, wenn sie den Menschheitsinteressen nicht zuwiderlaufen, sondern sich ihnen unterordnen, sich vom Egoismus frei machen und damit den christlichen Gedanken realisieren. ,,Es ist die Aufgabe der christlichen Religion, die ganze Welt zu vereinigen als einen lebendigen Körper, als vollkommenen Organismus des Gottmenschentums."
Dieser Gedankengang zieht sich wie ein Faden durch die Schriften Solovjeffs, immer wiederkehrend bei jeder Gelegenheit. Es ist sein Alpha und sein Omega, seine Sorge und sein Ziel, das, wofür er arbeitet, und worin er das einzige Heil und den einzigen Fortschritt sieht. Auch er ist den Weg gegangen, auch er ist aufgestiegen vom Engen zum Weiten, vom Kleinen zum Großen, vom Slawophilentum zum Christentum.
Er verlangt von der Politik, dass sie das Prinzip der christlichen Pflicht im Dienste einer höheren Wirklichkeit, als es das momentane, scheinbare Bedürfnis der eigenen Nation ist, in sich aufnehme, und für Russland stellt er sich all das ausgedrückt und verwirklicht vor in einer Partei, die er die "russische Partei" nennt, d. h. eine Partei die den wahren Wünschen und Bedürfnissen, dem wahren Wesen und eigentlichen Charakter des russischen Volkes entspricht, und die nicht lediglich theoretisch und schematisch, nach irgendwelchen Vorbildern des Auslandes eine kurzsichtige Nationalitätspolitik treibt. Als das tiefste, wesentlichste und zeitgemäße Bedürfnis seines Volkes aber betrachtet er das geistige, das religiöse. Wie es eine Zeit gegeben habe, in der es das vornehmste Bedürfnis Russlands war, sich als Staat zu bilden und zu organisieren, damals, als es sich von außen seine Dynastie herbeirief — , wie es dann eine andere Zeit gegeben habe, in der der russische Staat innerlich konsolidiert seine Hauptaufgabe darin erblicken musste, den Anschluss an die westeuropäische Kultur zu gewinnen durch die Reformen Peters des Großen, ebenso sei es jetzt für Russland an der Zeit, an den Ausbau seiner geistigen Kräfte zu gehen, seine Bedürfnisse auf geistigem und religiösem Gebiete ins Auge zu fassen.
In den beiden erstgenannten Fällen kam die Hilfe von außen, dadurch dass die Russen sich über das Nationale hinwegsetzten, erst die Warjäger als Herrscher herbeiriefen und später ihre Lehrer aus Deutschland und Holland kommen ließen; heute sieht Solovjeff die Erfüllung seiner Forderungen darin, dass Russland sich entschließt, in eine fruchtbare Wechselbeziehung mit dem geistigen Prinzipe des Westens, dem westlichen Christentum, speziell der katholischen Kirche, zu treten. Zu diesem Zwecke verlangt er volle Freiheit der Meinungen und des Wortes. Letzten Endes strebt er nichts Geringeres an als die Wiedervereinigung der beiden Kirchen. „Diese Einheit, die durch die unglückliche Kirchenspaltung gestört wurde, kann und soll wiederhergestellt werden", und er stellt sich diese Vereinigung nur dann als möglich vor, wenn keiner der beiden Teile seine Eigenart aufzugeben braucht, ,,wenn es möglich sein wird, als Bekenner der orthodoxen Lehre auch katholisch und als Katholik auch griechisch-orthodox zu sein".
Der Kampf des Ostens gegen den Westen, der Antagonismus zwischen Russland und den Westmächten, zu denen auch in einem gewissen Sinne die katholischen Westslawen wie die Polen zählen, wird zurückgeführt auf den alten Streit zwischen Rom und Byzanz, zwischen dem byzantinischen Kaiser und dem Papste, und der Ausgleich kann wiederum nur durch die Aussöhnung dieser beiden christlichen Prinzipien erfolgen. Vorher kann weder die polnische, noch die orientalische Frage gelöst werden. Das Ideal dieser Vereinigung gipfelt zuletzt in dem richtigen Verhältnisse zwischen der königlichen und der hohenpriesterlichen Macht, der sich noch, gleichsam ausgleichend und frei von jedem Schema oder Dogma, die geistige Kultur der Menschheit weiterführend, als Drittes das Prophetentum hinzugesellt. Schon in seiner Schrift „Die Rechtfertigung des Guten", Kapitel XIX, 20, bespricht er diese Trias, die, sich gegenseitig ergänzend, einst das herrschende Moment in der Menschheit bilden soll.
Dass Solovjeff mit den Slawophilen und ihren Bestrebungen in Widerspruch kommen musste, ist selbstverständlich, da sich deren Gedankengänge und Bestrebungen ja gerade in entgegengesetzter Richtung bewegen.
In dem Kapitel „Russland und Europa" bespricht Wladimir Solovjeff die Bücher des Slawophilen Danilewsky „Russland und Europa" und "der Darwinismus", sowie N. Strachoffs „Kampf mit dem Westen in der russischen Literatur" in einer eingehenden Kritik, und nimmt damit scharf Stellung gegen die slawophile Richtung, die er als Russlands Unglück, als das größte Hemmnis seiner Entwicklung bezeichnet.
Es ist eine ernste Warnung, die er damit an Russland richtet. Und noch schwerwiegender wird diese Warnung, weil sie aus dem Munde eines Mannes kommt, dessen Blick auf die höchsten Menschheitsideale gerichtet war, und der dennoch fest auf dem Boden der Wirklichkeit stand, der die Zeichen seiner Zeit sehr wohl kannte und ein klares Auge für ihre Forderungen besaß. Aber er sprach sie nicht aus wie sein Zeitgenosse und Gegner L. Tolstoj als Utopien einer unwirklichen Gegenwart oder als Träume einer sehr fernen Zukunft, sondern durchpulst und durchglüht ist alles, was er mit schärfstem Wahrheitssinne erfasst, von einer innigen Liebe für sein Volk und von einem starken Glauben an die tragende Kraft seines religiösen Ideals.
Gerade in diesem Kapitel weist Solovjeff darauf hin, wie negativ bisher die selbstschöpferische Betätigung Russlands als europäischer Kulturfaktor verlaufen ist. Er begründet diese Tatsache mit dem ausschließlich rezeptiven Charakter des russischen Volkes, das durch diese Eigenschaft organisch darauf hingewiesen sei, die Bausteine für seine äußere Weiterentwicklung aus der älteren Kultur des Westens herbeizutragen, bis es für seine besondere Aufgabe als Glied der Gesamtmenschheit herangereift sein wird.
Für uns Deutsche ist es interessant aus dieser Schrift zu sehen, wie ein von hohen Idealen erfüllter Russe sein Vaterland und insbesondere dessen nationalistische Bestrebungen beurteilt und bewertet. Vielleicht erinnert sich auf diesem Umwege auch Russland wieder einmal eines seiner edelsten Söhne; dieser würde sicherlich, wenn er lebte (gest. 1900) nicht mit einstimmen in den Vorwurf der Barbarei demjenigen Volke gegenüber, dem Russland an Kulturgütern der Gegenwart wohl das weitaus Meiste verdankt. Gr. I .
Im dritten Bande der „Ausgewählten Schriften" von Wladimir Solovjeff, der, wie die beiden vorhergehenden, im gleichen Verlag erscheinen wird, wird eine Abhandlung unter dem Titel „Russland und die nationale Frage" stehen, dessen 5. Kapitel in diesem Bändchen abgedruckt ist.
Wir haben uns entschlossen, dieses Kapitel heute schon im Sonderdruck erscheinen zu lassen, bewogen durch die Ereignisse der Zeit, auf deren Ursprung, wenigstens soweit er in Russland zu suchen ist, gerade dieses Kapitel ein besonders grelles Licht wirft.
Wenn es richtig ist, dass Ereignisse in der Zeit ihres Geschehens am schwersten zu übersehen sind, und dass eine gewisse Distanz notwendig ist, um zu einem klaren Urteile über sie zu gelangen, dann ist auch in Bezug auf die Ursachen, die zu den betreffenden Ereignissen geführt haben, jedenfalls das maßgebender, was Jahrzehnte vorher von autoritativer Seite über sie ausgesagt worden ist, als was zur Zeit der Ereignisse selbst und unter den starken Eindrücken, denen sich heute wohl niemand entziehen kann, gedacht und geschrieben wird.
In den vorhergehenden Kapiteln wird der Standpunkt dargelegt, auf den sich ebenso wie der einzelne Mensch auch ein Volk zu stellen hat, wenn es seiner Aufgabe innerhalb der Gesamtmenschheit gerecht werden und den Prinzipien des Christentums entsprechen will.
Die Fürsorge um die nationale Entwicklung und um das nationale Wohlergehen wird hier nicht abgelehnt, ja nicht einmal das Aufkommen des modernen nationalen Gedankens, wie er sich in Europa und seit den vierziger Jahren auch in Russland zeigt; ganz im Gegenteile sieht der Verfasser hierin etwas durchaus Berechtigtes, Notwendiges, Gutes und Fortschreitendes. Nur bekämpft er diese Erscheinung da, wo sie in den reinen Nationalismus übergeht und auf Kosten und zum Schaden der anderen Völker dem Egoismus verfällt. Er fordert uneingeschränkt die Unterordnung der Volksinteressen unter die dem Range nach höher stehenden Menschheitsinteressen*). Auf diesem Gebiete identifiziert Solovjeff diesen Gedanken geradezu mit der christlichen, weltumfassenden Idee, wenn er diese auch an anderen Stellen seiner Schriften in Bezug auf das Objekt viel weiter fasst (z. B. da, wo er selbst die leblose Natur und körperlose Wesen in diesen Gedankengang einbezieht).
*) d. h. er verlangt ebenso wie vom einzelnen Menschen auch von den Völkern Moral und Opfer in der Beziehung zu anderen Völkern.
Danach haben die nationalen Interessen nur dann Berechtigung, sind auf die Dauer nur dann als reale Interessen auch für das betreffende Volk selbst anzusehen, wenn sie den Menschheitsinteressen nicht zuwiderlaufen, sondern sich ihnen unterordnen, sich vom Egoismus frei machen und damit den christlichen Gedanken realisieren. ,,Es ist die Aufgabe der christlichen Religion, die ganze Welt zu vereinigen als einen lebendigen Körper, als vollkommenen Organismus des Gottmenschentums."
Dieser Gedankengang zieht sich wie ein Faden durch die Schriften Solovjeffs, immer wiederkehrend bei jeder Gelegenheit. Es ist sein Alpha und sein Omega, seine Sorge und sein Ziel, das, wofür er arbeitet, und worin er das einzige Heil und den einzigen Fortschritt sieht. Auch er ist den Weg gegangen, auch er ist aufgestiegen vom Engen zum Weiten, vom Kleinen zum Großen, vom Slawophilentum zum Christentum.
Er verlangt von der Politik, dass sie das Prinzip der christlichen Pflicht im Dienste einer höheren Wirklichkeit, als es das momentane, scheinbare Bedürfnis der eigenen Nation ist, in sich aufnehme, und für Russland stellt er sich all das ausgedrückt und verwirklicht vor in einer Partei, die er die "russische Partei" nennt, d. h. eine Partei die den wahren Wünschen und Bedürfnissen, dem wahren Wesen und eigentlichen Charakter des russischen Volkes entspricht, und die nicht lediglich theoretisch und schematisch, nach irgendwelchen Vorbildern des Auslandes eine kurzsichtige Nationalitätspolitik treibt. Als das tiefste, wesentlichste und zeitgemäße Bedürfnis seines Volkes aber betrachtet er das geistige, das religiöse. Wie es eine Zeit gegeben habe, in der es das vornehmste Bedürfnis Russlands war, sich als Staat zu bilden und zu organisieren, damals, als es sich von außen seine Dynastie herbeirief — , wie es dann eine andere Zeit gegeben habe, in der der russische Staat innerlich konsolidiert seine Hauptaufgabe darin erblicken musste, den Anschluss an die westeuropäische Kultur zu gewinnen durch die Reformen Peters des Großen, ebenso sei es jetzt für Russland an der Zeit, an den Ausbau seiner geistigen Kräfte zu gehen, seine Bedürfnisse auf geistigem und religiösem Gebiete ins Auge zu fassen.
In den beiden erstgenannten Fällen kam die Hilfe von außen, dadurch dass die Russen sich über das Nationale hinwegsetzten, erst die Warjäger als Herrscher herbeiriefen und später ihre Lehrer aus Deutschland und Holland kommen ließen; heute sieht Solovjeff die Erfüllung seiner Forderungen darin, dass Russland sich entschließt, in eine fruchtbare Wechselbeziehung mit dem geistigen Prinzipe des Westens, dem westlichen Christentum, speziell der katholischen Kirche, zu treten. Zu diesem Zwecke verlangt er volle Freiheit der Meinungen und des Wortes. Letzten Endes strebt er nichts Geringeres an als die Wiedervereinigung der beiden Kirchen. „Diese Einheit, die durch die unglückliche Kirchenspaltung gestört wurde, kann und soll wiederhergestellt werden", und er stellt sich diese Vereinigung nur dann als möglich vor, wenn keiner der beiden Teile seine Eigenart aufzugeben braucht, ,,wenn es möglich sein wird, als Bekenner der orthodoxen Lehre auch katholisch und als Katholik auch griechisch-orthodox zu sein".
Der Kampf des Ostens gegen den Westen, der Antagonismus zwischen Russland und den Westmächten, zu denen auch in einem gewissen Sinne die katholischen Westslawen wie die Polen zählen, wird zurückgeführt auf den alten Streit zwischen Rom und Byzanz, zwischen dem byzantinischen Kaiser und dem Papste, und der Ausgleich kann wiederum nur durch die Aussöhnung dieser beiden christlichen Prinzipien erfolgen. Vorher kann weder die polnische, noch die orientalische Frage gelöst werden. Das Ideal dieser Vereinigung gipfelt zuletzt in dem richtigen Verhältnisse zwischen der königlichen und der hohenpriesterlichen Macht, der sich noch, gleichsam ausgleichend und frei von jedem Schema oder Dogma, die geistige Kultur der Menschheit weiterführend, als Drittes das Prophetentum hinzugesellt. Schon in seiner Schrift „Die Rechtfertigung des Guten", Kapitel XIX, 20, bespricht er diese Trias, die, sich gegenseitig ergänzend, einst das herrschende Moment in der Menschheit bilden soll.
Dass Solovjeff mit den Slawophilen und ihren Bestrebungen in Widerspruch kommen musste, ist selbstverständlich, da sich deren Gedankengänge und Bestrebungen ja gerade in entgegengesetzter Richtung bewegen.
In dem Kapitel „Russland und Europa" bespricht Wladimir Solovjeff die Bücher des Slawophilen Danilewsky „Russland und Europa" und "der Darwinismus", sowie N. Strachoffs „Kampf mit dem Westen in der russischen Literatur" in einer eingehenden Kritik, und nimmt damit scharf Stellung gegen die slawophile Richtung, die er als Russlands Unglück, als das größte Hemmnis seiner Entwicklung bezeichnet.
Es ist eine ernste Warnung, die er damit an Russland richtet. Und noch schwerwiegender wird diese Warnung, weil sie aus dem Munde eines Mannes kommt, dessen Blick auf die höchsten Menschheitsideale gerichtet war, und der dennoch fest auf dem Boden der Wirklichkeit stand, der die Zeichen seiner Zeit sehr wohl kannte und ein klares Auge für ihre Forderungen besaß. Aber er sprach sie nicht aus wie sein Zeitgenosse und Gegner L. Tolstoj als Utopien einer unwirklichen Gegenwart oder als Träume einer sehr fernen Zukunft, sondern durchpulst und durchglüht ist alles, was er mit schärfstem Wahrheitssinne erfasst, von einer innigen Liebe für sein Volk und von einem starken Glauben an die tragende Kraft seines religiösen Ideals.
Gerade in diesem Kapitel weist Solovjeff darauf hin, wie negativ bisher die selbstschöpferische Betätigung Russlands als europäischer Kulturfaktor verlaufen ist. Er begründet diese Tatsache mit dem ausschließlich rezeptiven Charakter des russischen Volkes, das durch diese Eigenschaft organisch darauf hingewiesen sei, die Bausteine für seine äußere Weiterentwicklung aus der älteren Kultur des Westens herbeizutragen, bis es für seine besondere Aufgabe als Glied der Gesamtmenschheit herangereift sein wird.
Für uns Deutsche ist es interessant aus dieser Schrift zu sehen, wie ein von hohen Idealen erfüllter Russe sein Vaterland und insbesondere dessen nationalistische Bestrebungen beurteilt und bewertet. Vielleicht erinnert sich auf diesem Umwege auch Russland wieder einmal eines seiner edelsten Söhne; dieser würde sicherlich, wenn er lebte (gest. 1900) nicht mit einstimmen in den Vorwurf der Barbarei demjenigen Volke gegenüber, dem Russland an Kulturgütern der Gegenwart wohl das weitaus Meiste verdankt. Gr. I .