Sechstes Kapitel

Danilewsky lehnt die allgemein gebräuchlichen Einteilungen der Menschheit, sowohl die geographische (nach den verschiedenen Weltteilen) als auch die historische (die alte, mittlere und neuere Geschichte), ab ; er bekämpft diese Klassifizierung als gekünstelt, ungenau und unlogisch und stellt ihr eine Reihe „natürlicher Gruppen" entgegen, die er ,,kulturhistorische Typen" nennt. Für denjenigen, der in der Menschheit ein einheitliches lebensvolles Ganzes sieht, hat die Frage nach dieser oder jener Einteilung dieses Ganzen jedenfalls nur eine untergeordnete Bedeutung. Von einem solchen Gesichtspunkt aus ist die gemeinsame Aufgabe, an deren Lösung alle Teile der Gesamtmenschheit zusammen arbeiten sollen, wichtiger als alles andere. Anders stellt sich die Sache den Gedankengängen Danilewskys dar. Für ihn ist die Menschheit nur ein abstrakter Begriff, dem jede reale Bedeutung abgeht*); er muss daher den einzelnen nationalen und Stammesgruppen nicht nur eine vollkommene, von allem anderen unabhängige Realität zuschreiben, sondern er muss in ihnen auch den höchsten und endgültigen Ausdruck sozialer Einheit für alle Menschen erkennen**). Aus diesem Grunde wird die Gruppenfrage für ihn zu einer Sache von einer solchen ausschließlichen Wichtigkeit, wie sie ihr bei den allgemein gebräuchlichen Klassifizierungen von niemandem bisher beigelegt worden war. Außerdem erhebt der Verfasser den Vorwurf, dass diese Art der Klassifizierung gekünstelt und unlogisch sei, und damit verpflichtet er sich zugleich, in seinem ,,System" eine vollkommen natürliche, klar bestimmte und gesetzmäßige Einteilung vorzulegen. Seine ,,kulturhistorischen Typen" müssen also wirklich besondere Gruppen darstellen, deren Abgrenzung voneinander sich scharf und einwandfrei nach einem unveränderlichen und wesentlichen Trennungsmerkmale vollzieht.

Mittlerweile löst der Verfasser diese, von seinem Gesichtspunkte aus so wichtige und grundlegende Aufgabe auf eine sehr sonderbare und überraschende Weise. Nachdem er nämlich erklärt hat, dass das natürliche Geschichtssystem in dem Unterschiede zwischen den kulturhistorischen Entwicklungstypen (die als Hauptgrundlage für die Einteilung dieses Systems zu gelten haben) und den Entwicklungsgraden besteht, nach denen nur diese Typen (und nicht die Gesamtheit aller historischen Erscheinungsformen) noch weiter eingeteilt werden können***), fährt er dann fort: ,,Die Erforschung und Aufzählung dieser Typen bietet gar keine Schwierigkeiten, da sie allgemein bekannt sind. Bisher ist ihnen nur die große Bedeutung, die ihnen gebührt, nicht zuerkannt worden, weil sie, den Gesetzen eines natürlichen Systems, ja sogar einfach dem gesunden Menschenverstände entgegen, einer willkürlichen und, wie wir gesehen haben, vollständig irrationellen Einteilung unterworfen waren. Diese kulturhistorischen Typen oder selbständigen Entwicklungsepochen sind in chronologischer Reihenfolger die ägyptische, die chinesische, die assyrisch-babylonisch-phönizisch-chaldäische oder ursemitische, die indische, die iranische, die jüdische,, die griechische, die römische, die neusemitische oder arabische und die germanisch-romanische oder europäische Kultur. Zu diesen können auch noch zwei amerikanische Typen — der mexikanische und der peruanische — hinzugezählt werden, deren Untergang gewaltsam herbeigeführt wurde, ohne dass sie ihre Entwicklung vollenden konnten****)."


*) Siehe „Russland und Europa", S. 107. **) Ibid. pass. ***) Ibid. S. 90. ****) Siehe „Russland und Europa", S. 91

Wir glauben nicht, dass in der von Danilewsky abgelehnten, allgemeingebräuchlichen Klassifizierung geschichtlicher Ereignisse so viel Willkürliches und Irrationelles zu finden ist wie in diesem sogenannten ,,natürlichen" Geschichtssystem. Über das Irrationelle dieses Systems werden wir später noch eingehend zu reden haben, aber vom ersten Augenblicke an macht sich ein Gefühl des Staunens geltend über die außerordentliche Willkür einer derartigen Einteilung. Warum werden gerade so viel Typen und nicht mehr oder weniger angenommen, warum sind einzelne Völker als besondere Typen hervorgehoben, andere hinwiederum zu einem einzigen Typus miteinander verschmolzen ? Die einzige Begründung, auf die der Verfasser selbst hinweist, ist die „allgemeine Kenntnis“ dieser Dinge; als ob er nicht wüsste, wie oft sich in der Geschichte das allgemein Bekannte als ein allgemeiner Irrtum erwiesen hat. Insbesondere oblag es immer den Begründern „natürlicher Systeme", viel von dem, was als allgemein bekannt gilt, beiseite zu stellen; sonst müssten z. B. in der Klassifizierung der Tierwelt der Hai zu den Fischen und die Puppen aller Insekten zu den Würmern gerechnet werden. Andererseits hat die genannte Tabelle der historischen Typen nicht einmal ein Anrecht auf ein so schwaches Argument wie den Hinweis auf die „allgemeine Kenntnis" des Gesagten. Es ist z. B. allgemein bekannt, dass China an ein abgesondertes und sehr eigenartiges Kulturgebiet, nämlich an Japan, grenzt; dieses Land ist aber aus irgendeinem Grunde nicht in das ,,System" aufgenommen. Ebenso allgemein bekannt ist, dass die Griechen und Römer so eng und mannigfach in kultureller Beziehung miteinander verbunden waren, dass sie immer als ein gemeinsamer historischer Typus, als das sogenannte klassische Altertum zusammen angeführt werden. Diesen natürlichen Zusammenhang hat der Verfasser aber auch aus irgend einem Grunde in seinem ,,natürlichen System" aufgehoben. Ebensowenig ersichtlich ist es, warum er annimmt, dass die mexikanischen und peruanischen Volkstypen gewaltsam vernichtet worden sind, bevor sie ihre Entwicklung vollenden konnten. Die eine Tatsache, dass diese Gebiete von den Spaniern erobert worden sind, genügt noch lange nicht für eine solche Schlussfolgerung, denn erobert zu werden ist ein gewöhnliches Schicksal von Völkern und Ländern; ist etwa Ägypten nicht von den Persien und dann von den Griechen erobert worden? Wurden die Griechen nicht von den Römern und Rom von den Germanen unterjocht? Das sind aber nach Danilewskys eigenen Angaben vollkommene Kulturtypen. Was wir von den Azteken und Inkas wissen, weist durchaus darauf hin, dass bei der Landung der Spanier die eigenartige Kultur dieser beiden Völker ihre höchste Entwicklung erreicht hatte, dass sie schon sozusagen bis zu den Grenzen der Absurdität gelangt war, weshalb ein kleines Häuflein spanischer Eroberer genügte, um ihnen den Garaus zu machen.

Danilewsky weist ohne genügende Begründung auf die „allgemeine Kenntnis" dieser Tatsachen hin, ohne seiner Tabelle eine genauere Bestimmung darüber vorauszuschicken, was er eigentlich unter einem besonderen kulturhistorischen Typus verstanden wissen will. Erst wenn er zu einigen allgemeinen Schlussfolgerungen übergeht, die er etwas hochtrabend und nicht ganz zutreffend als ,,Gesetze der historischen Entwicklung" bezeichnet, bestimmt Danilewsky zugleich mit dem ersten dieser „Gesetze" auch den Begriff des ,,kulturhistorischen Typus" selbst. Diese Bestimmung lautet wie folgt: ,,Gesetz I. Jeder Stamm oder jede Völkerfamilie, die durch eine besondere Sprache charakterisiert sind oder zu einer gemeinsamen Sprachengruppe gehören, deren Verwandtschaft ganz unmittelbar ohne tiefgehende philosophische Forschung empfunden werden kann, bildet einen selbständigen kulturhistorischen Typus, wenn sie ihren geistigen Anlagen nach zu einer historischen Entwicklung überhaupt fähig und dem Kindesalter schon entwachsen ist*)." Die Sprache ist also jenes wesentliche Merkmal, durch das in erster Linie das selbständige Dasein eines kulturhistorischen Typus bestimmt wird. Wir wollen nun sehen, inwieweit jene historischen Typen, die Danilewsky in sein ,,natürliches System" aufnimmt, dem Gesagten entsprechen.

*) Siehe „Russland und Europa", S. 94.

Erstens ergibt sich von diesem Gesichtspunkte aus die Frage, auf welche Weise kulturhistorische Typen aus einem einzigen semitischen Volksstamme abgeleitet werden können, dessen Dialekte so wenig verschieden voneinander waren und sind, dass Renan z. B. sogar den Ausdruck „semitische Sprachen" als ungenau bezeichnet, da es eigentlich nur eine semitische Sprache gäbe*).

,,Von zehn kulturhistorischen Typen," erklärt Danilewsky (S. 95), „deren Entwicklung den Inhalt der Weltgeschichte ausmacht, gehören drei den Stämmen der semitischen Rasse an, und jeder Stamm, der durch eine der drei Sprachen der semitischen Völkergruppe, nämlich der chaldäischen, der jüdischen und der arabischen, charakterisiert ist, hatte seine eigene selbständige Kultur."

In der Tat werden in der semitischen Sprache drei Dialekte unterschieden, nämlich der nördliche oder aramäische Dialekt (wozu auch die chaldäische und die syrische Mundart gehören), der mittlere oder kanaanäische (der jüdische, phönizische und andere mehr) und der südliche oder arabische Dialekt. Erstens müssen aber alle diese Dialekte unzweifelhaft als eine Sprachengruppe charakterisiert werden, deren Verwandtschaft ganz unmittelbar empfunden werden kann, und daher stellen, nach der Bestimmung Danilewskys selbst, alle semitischen Völker zusammen nur einen kulturhistorischen Typus dar. Zweitens würde trotz alledem, selbst wenn diese Völker in drei besondere Typen, die drei semitischen Dialekte, geteilt würden, diese Einteilung des Verfassers sich als ein grober Fehler erweisen. Denn was bedeutet eigentlich sein assyrisch-babylonisch-phönizischer oder chaldäischer kulturhistorischer Typus? Augenscheinlich glaubte Danilewsky, dass die Phönizier Chaldäisch sprachen oder dass ihre Sprache zum aramäischen Dialekte der semitischen Sprachen (oder Sprache) gehörte. In Wirklichkeit gehört die phönizische Sprache aber ebenso wie die jüdische, mit der sie fast identisch ist, nicht zu diesem, sondern zum kanaanäischen oder mittleren Sprachgebiete **). Auf diese Weise lehnen sich die Phönizier sprachlich nicht an die Assyrier und Babylonier, sondern aufs engste an die Hebräer an. Und wenn sie außer der Sprache auch nur eine geringe Kulturgemeinschaft mit dem Volke Israel hatten, so war diese Gemeinschaft mit den Völkern, die zum assyrisch-chaldäischen Typus gehörten, noch geringer.

*) „Ces trois divisions (l’araméen, le chananéen et l'arabe) sont moins Celles de trois langues distinctes que de trois âges d'une même langue, de trois phases parlesquelles a passé le language sémitique sans jamais perdrele characèdre primitif de son identité." Siehe Ernest Renan, „Histoire générale et système comparé des langues sémitiques", Paris 1885, tome I, p. 97 — 98). Und indem Renan weiterbeweist, dass der aramäische, jüdische und sogar der arabische Dialekt im lebendigen Sprachgebrauche ineinander übergehen, und dass sie nur in der Schriftsprache genau voneinander unterschieden werden können, bemerkt er dazu: „tant il est vrai que dans un sens général, il n'y a réellement qu'une seule langue sémitique." **) ,,La langue des Inscriptions phéniciennes", sagt Renan, „est presque de l'hebreu pur (ibid. PP. 179, 184, 186).

Dieser letztere Typus hatte sich unter der starken ethnographischen und kulturellen Einwirkung zweier nichtsemitischer Elemente gebildet, nämlich des sumerisch-akkadischen einerseits und des arischen andererseits, die vollständig in ihm aufgingen und dem assyrisch-babylonischen Reiche sein eigenartiges religiöses und politisches Gepräge gaben, das mit der phönizischen Kultur nichts gemeinsam hatte *). Die Religion der Chaldäer (die wahrscheinlich vollständig von den Akkadern übernommen wurde), zeichnet sich bekanntlich durch ein kompliziertes hierarchisches System göttlicher und dämonischer Kräfte aus (auf ein höchstes göttliches Wesen folgt eine zwiefache Trias von Hauptgöttern, dann folgen fünf Planetengottheiten und endlich eine zahllose Menge guter und böser Geister); der Kultusdienst, der einen magischen Charakter trägt und viele Beschwörungsformeln hat, wird von der Kaste der Zauberer, Wahrsager und Astrologen geleitet.

Einen ganz anderen Charakter hat die naturalistisch-sinnliche Religion der Phönizier **), die aller Theosophie fernsteht und eine sehr primitive Götterversammlung aufweist, denn diese besteht eigentlich nur aus zwei Sonnengöttern und zwei weiblichen Gottheiten, denen aber zahlreiche Ortsnamen beigelegt werden ; eine organisierte Priesterschaft fehlt dieser Religion ganz, und der Kult trägt keinen magischen Charakter, sondern ist vorzugsweise ein Opferkultus. Der gleiche Gegensatz herrscht auch in politischer Beziehung zwischen der zentralisierten, kriegerischen Despotie der Könige von Ninive und Babylon und der Handelsaristokratie der phönizischen Städterepubliken mit ihren Sufiten. Daher liegt gar kein Grund vor, diese beiden so sehr voneinander verschiedenen, ja sogar im Gegensatze zueinander stehenden Kulturtypen in einen besonders engen Zusammenhang zu bringen.

*) Wie hoch der Anteil gewertet wird, den das nichtsemitische Prinzip (Akkader und Arier) an der Entwicklung der assyrisch-baylonischen Kultur genommen, kann z. B. aus nachstehender Behauptung Renans entnommen werden. **) Eine Analogie zwischen diesen beiden Religionen hat nur einen ganz allgemeinen und unbestimmten Charakter. Jedenfalls steht die Religion der Phönizier der ägyptischen viel näher als der chaldäischen.

In dieser Frage hätte der Verfasser des „natürlichen Systems" bei richtiger Überlegung einen der drei nachstehenden Gesichtspunkte wählen müssen: er hätte sich nämlich entweder auf die unzweifelhaft vorhandene linguistische Einheit beschränken und alle Semiten unterschiedslos auf einen kulturhistorischen Typus zurückführen oder diese allzu umfassende Gruppe in kleinere Gruppen teilen sollen, je nach dem Verwandtschaftsgrade der mehr untergeordneten Dialekte miteinander, so dass die Phönizier und die Hebräer zu einer Gruppe vereinigt worden wären. Und drittens endlich hätte er bei seiner Einteilung nicht die Sprachen, sondern die Gesamtheit der besonderen Kulturmerkmale in Betracht ziehen und daher die Phönizier (mit Karthago) wie auch die Chaldäer, Hebräer und Araber zu einem besonderen Typus vereinigen sollen. Anstatt dessen hat Danilewsky eine vollständig phantastische, auf nichts begründete Zusammenstellung der Phönizier mit den Assyriern vorgezogen.

Ich habe mich über diese Einzelheiten nicht darum ausgelassen, um einen Fehler, den der verstorbene Schriftsteller gemacht hat, zu tadeln, sondern weil mir dieser Fehler, der so leicht hätte vermieden werden können, als ein sehr charakteristisches Beispiel der allgemeinen russischen Originalität erscheint, die hauptsächlich in einer gewissen geistigen Sorglosigkeit ihren Ausdruck findet.

Andererseits war ganz unzweifelhaft die Möglichkeit vorhanden, einer so wichtigen Kulturnation wie den Phöniziern eine beliebige von den drei vorhandenen Stellen in der üblichen historischen Klassifizierung zuzuweisen (abgesehen von jener ganz unmöglichen Stellung, die diese Nation in dem quasi natürlichen Systeme unseres Verfassers einnimmt). Die Phönizier konnten nämlich als Glieder eines allgemeinen, einheitlichen Typus angesehen oder mit den Hebräern zusammen als eine besondere kanaanitische oder kenitisch-punische Gruppe aufgefasst werden; oder aber drittens bestand die Möglichkeit, sie als einzelnen kulturhistorischen Typus für sich auszusondern; und gerade diese Möglichkeit, denselben Gegenstand von drei verschiedenen Gesichtspunkten aus aufzufassen, von denen jeder einzelne relativ bestimmt ist, beweist klar, wie unsicher und schwankend das Prinzip selbst dasteht, auf Grund dessen die Menschheit in einzelne kulturhistorische Typen eingeteilt werden soll, wie unklar der Begriff dieser Typen ist und wie unbestimmt die Grenzen zwischen diesen bedingten Gruppen sind, die Danilewsky so naiv als vollkommen reale Einheiten hinstellt. Es verlohnte sich natürlich nicht, über diese Dinge zu reden, wenn wir es hier nur mit einer gewöhnlichen, approximativen Einteilung der historischen Erscheinungen zu tun hätten und nicht mit der Prätension auf ein streng bestimmtes und genaues „natürliches System".

Die nahe Verwandtschaft zwischen der griechischen und der lateinischen Sprache war schon unmittelbar und lange vor den ,,tiefgründigen philosophischen Forschungen" eines Bopp und Bumouf von den Alten selbst wahrgenommen worden. Ungeachtet dessen und auch ungeachtet des engen Kulturzusammenhanges zwischen Griechenland und Rom, hat Danilewsky aus ihnen zwei besondere kulturhistorische Typen gemacht. Das real vorhandene Gemeinsame dieser beiden Nationen zu verneinen, fällt ihm ebenso leicht, wie es ihn auch nichts kostet, die gar nicht vorhandene Einheit Phöniziens mit Assyrien zu behaupten. Am merkwürdigsten mutet es aber an (vom Gesichtspunkt des ,, ersten Gesetzes" der historischen Entwicklung aus), wie Danilewsky alle romanischen und germanischen Völker zu einem kulturhistorischen Typus vereinigt. Wer hätte wohl jemals eine nahe Verwandtschaft zwischen der schwedischen und spanischen und zwischen der holländischen und italienischen Sprache „unmittelbar empfunden"? Übrigens geht Danilewsky, von dem Wunsche beseelt, Europa als einen der kulturhistorischen Typen neben China und Ägypten hinzustellen, sogar so weit, dass er überhaupt alle nationalen Unterschiede in Europa verneint. Indem er sich gegen diejenigen wendet, die in der europäischen Kultur einen Faktor sehen, der die engen nationalen Schranken durchbrechen könnte, sagt er: ,,Hierbei ist außer acht gelassen, dass Frankreich, England und Deutschland nur politische Einheiten sind, und dass als Kultureinheit immer das gesamte Europa in Betracht kam, daher konnte und kann auch heute von einem Durchbrechen nationaler Schranken niemals die Rede sein*)." Der Leser wird zugeben, dass das ein nettes ,,natürliches System" sein muss, dessen Aufrechterhaltung es notwendig macht, die tiefgehenden nationalen Unterschiede der europäischen Völker zu verneinen und zu behaupten, dass die Unterschiede zwischen Deutschen und Franzosen, zwischen Spaniern und Engländern nur politischer Natur seien.

*) Siehe „Russland und Europa", S. 119.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Russland und Europa