Achtes Kapitel

Wenn wir in der Geschichte der Menschheit nur das Leben abgesonderter, ethnographisch und sprachlich bestimmter Kulturtypen sehen wollten, von denen jeder einzelne sein Genüge vollständig in sich selbst findet, so würden wir damit die Augen vor den wichtigsten Erscheinungen der Geschichte verschließen. Für die Theorie, die uns hier zur Besprechung vorliegt, ist der Buddhismus etwas Unbegreifliches, ebenso unbegreiflich ist für sie der Islam, und was das Traurigste ist, vollkommen unbegreiflich ist für sie auch das Christentum und dessen welthistorische Bedeutung. Der Verfasser konnte natürlich nicht das Christentum mit Stillschweigen übergehen, wie er den Buddhismus *) mit Stillschweigen übergangen hat. Er spricht daher vorübergehend wohl einige Male über das Christentum und erkennt es als die höchste und absolute Wahrheit an, aber im ganzen Buche ist auch nicht ein einziger Hinweis darauf zu finden, wie der Wesenskern dieser, die ganze Welt umfassenden Wahrheit mit der grundlegenden und endgültigen Isoliertheit aller kulturhistorischen Typen vereinigt werden soll. Dieser Widerspruch tritt mit besonderer Schärfe in der Anschauungsweise über die Glaubensunterschiede hervor, die der Verfasser eingehend bespricht. Danilewsky bezeichnet den Protestantismus als eine Verneinung der Religion überhaupt, und den Katholizismus als ein „Produkt von Lüge, Hochmut und Unwissenheit, und identifiziert somit, den Fußtapfen der früheren Slawophilen folgend, das Christentum ausschließlich mit dem griechisch-russischen Glaubensbekenntnisse, das auf diese Weise allein zum adäquaten Ausdruck der absoluten Wahrheit wird. Zugleich wird dies Glaubensbekenntnis aber auch als das ausschließliche Aufklärungsprinzip des russisch-slawischen kulturhistorischen Typus bezeichnet, und daher kann eine Übertragung auf andere Typen nicht zugegeben werden. Damit fällt aber die ganze Anschauung Danilewskys in nichts zusammen, denn dann wird die Menschheit nicht in zehn oder zwölf mehr oder weniger gleichartige und gleichberechtigte Kulturtypen geteilt, sondern in zwei durchaus ungleiche Hälften, nämlich einerseits in die orthodoxe slawische Menschheit, die den ausschließlichen Vorzug genießt, im Besitze der absoluten Wahrheit zu sein, und andererseits in alle übrigen Stämme und Völker, die dazu verurteilt sind, in den verschiedenen Formen der Lüge zu verharren. Vor diesem absoluten und „allerwesentlichsten" Gegensatze zwischen Wahrheit und Lüge verblassen und verschwinden aber alle relativen Unterschiede der einzelnen Kulturtypen, denn, wie uns Danilewsky selbst sagt, ,,der Unterschied zwischen Wahrheit und Lüge ist ein unendlich großer, und somit ist auch der Unterschied zwischen zwei Lügen immer viel geringer als der Unterschied zwischen einer jeden der beiden Lügen und der Wahrheit."

Diese Anschauung des Verfassers, die vom historischen und religiösen Gesichtspunkte aus vollkommen unhaltbar ist, kann durch den schwachen Versuch einer Art philosophischer Rechtfertigung nur wenig gewinnen (siehe ,, Russland und Europa", S. 118 — 128).


,, Menschheit und Volkstum (Nation und Rasse) verhalten sich zueinander wie der Geschlechts- oder Gattungsbegriff zum Artgemäßen; folglich müssen ihre Beziehungen zueinander auch solche sein wie zwischen Gattung und Art überhaupt.

Darauf folgt dann die Erklärung, dass die Gattung, das Geschlecht entweder nur eine Abstraktion sei, die durch den Ausschluss alles dessen erhalten wird, was den Arten als ein besonderes Merkmal eigen ist, und in diesem Sinne sei die Gattung etwas in Wirklichkeit Unmögliches, oder aber es wird unter dem Gattungsbegriffe etwas Allgemeines verstanden, das in seiner Verwirklichung mit gewissen, ganz bestimmten Merkmalen ausgestattet ist, und in diesem Sinne sei die Gattung dann eine Realität, aber nur als Gesamtheit aller ihrer Arten. In diesem Sinne", sagt Danilewsky, „ist die Gattung der Himbeeren nicht durch den abstrakten Begriff des Gemeinsamen bestimmt, der zwischen der Gartenhimbeere, der Brombeere, der Steinbeere, Schellbeere und der nordischen Himbeere vorhanden ist, sondern durch die Gesamtheit von Himbeere, Brombeere, Steinbeere, Schellbeere und nordischen Himbeere usw. Das Katzengeschlecht ist nicht bestimmt durch das abstrakte Gemeinsame zwischen Löwe, Tiger, Panther, Hauskatze und Luchs, sondern in der realen Gesamtheit aller dieser Tiere. Im ersteren Sinne ist die Gattung nur das Allgemein-Artgemäße, und in diesem Sinne ist der Gattungsbegriff ein niederer als jedes Artgemäße im besonderen; im letzteren Sinne aber enthält die Gattung alle Arten in sich, und ist daher höher und umfassender als jede Art".

Indem nun Danilewsky diesen Gedanken auch auf die Beziehung zwischen Volkstum und Menschheit anwendet, erklärt er, dass der Begriff des Allgemein-Menschlichen nicht nur nichts Reales und Wirkliches in sich enthalte, sondern dass er, enger gefasst, auch niedriger als der Begriff des Stammes oder Volkes sei, weil dieser letztere notwendig schon den ersteren in sich einschließe und außerdem noch etwas Besonderes in ihn hineinbringe, etwas Ergänzendes, das gerade erhalten und entwickelt werden soll, da ja der menschliche Gattungsbegriff in seiner zweiten (realen) Bedeutung erst die Mannigfaltigkeit und den Reichtum erhalten habe, zu denen er fähig ist.

,,Daher", fährt der Verfasser fort, „gibt es nicht nur nichts Allgemein-Menschliches in Wirklichkeit, sondern auch der Wunsch nach seinem Vorhandensein würde nur ein sich Bescheiden bedeuten, er würde einem farblosen Gemeinplatze gleichkommen, der jeder Originalität entbehrt, kurz, es wäre die Befriedigung in einer nicht annehmbaren ,,Unzulänglichkeit. Etwas anderes ist dagegen das Menschliche in seiner Gesamtheit, das vom Allgemein-Menschlichen wohl zu unterscheiden ist. Es steht zweifellos über allem vereinzelten Menschlichen oder Nationalen, denn es besteht ja auch aus der Gesamtheit alles Nationalen, das an allen Orten und zu allen Zeiten da war und da sein wird; es kann in irgendeinem einzelnen Volkstume nicht Raum haben und sich nicht verwirklichen, weil es seine Verwirklichung an allen Orten und zu allen Zeiten findet".

Dieser Exkursion in das Gebiet der formalen Logik käme nur in dem Falle Bedeutung zu, wenn die erste Behauptung, von der Danilewsky ausgeht, nämlich dass ,,Menschheit und Volkstum (Nation, Rasse) sich zueinander so verhalten, wie der Gattungsbegriff zum Artgemäßen" unzweifelhaft richtig wäre. Woraus sich diese Behauptung herleitet und worauf sie sich gründet, wird uns nicht gesagt. In Wirklichkeit können und müssen die Beziehungen zwischen Menschheit und Volkstum ganz anders gedacht werden. Angenommen also, dass der Verfasser im allgemeinen Recht hat, in dem er diese Beziehung in die Sphäre des Abstrakt-Logischen verlegt, so muss doch jedenfalls zugegeben werden, dass die Begriffe von Gattung und Art einen vollkommen relativen und bedingten Charakter haben. Dieselbe Gruppe, die sich zu Gruppen einer niederen Ordnung, wie die Gattung zum Artgemäßen verhält, kann selbst sehr wohl auch nur die Bedeutung des Artgemäßen in Bezug auf eine andere, umfassendere Gruppe haben. Danilewsky selbst verwirrt sich und ist schwankend, wenn er die verschiedenen Arten der Gattung Mensch tatsächlich bestimmen will, und er rechnet zu diesen Arten einmal Völker, dann Stämme und endlich kulturhistorische Typen. Und ungeachtet einer solchen Bedingtheit in der Unterscheidung des Gattungsmäßigen vom Artgemäßen, zieht der Verfasser aus diesen Unterschieden dennoch schwerwiegende moralische und praktische Schlüsse.

Er sagt: ,,Wenn eine Gruppe, die wir als einen kulturhistorischen Typus bezeichnen, auch nicht die absolut höchstentwickelte ist, so ist sie in jedem Falle doch die höchste unter allen den Gruppen, deren Interessen vom Bewusstsein des Menschen erfasst werden können, und daher bildet sie die letzte Grenze, bis zu welcher sich die Unterordnung der niederen Interessen unter die höheren, das Aufgeben der Ziele des Einzelnen zugunsten allgemeiner Ziele erstrecken kann und soll. Das Wort Menschheitsinteresse ist dem Menschen ein sinnloser Ausdruck, während das Wort europäische Interessen für den Franzosen, den Deutschen und Engländer kein leeres Wort ist. Ebenso muss für jeden Slawen die Idee des Slawentums die höchste Idee sein, höher als Freiheit, als Wissenschaft, als Bildung und Kenntnisse. Während der Verfasser alle Pflichten gegenüber der Menschheit verneint (ausgenommen die Pflichten gegenüber einzelnen Menschen), lässt er noch besondere Pflichten nicht nur in Bezug auf den Staat, sondern auch in Bezug auf jene höhere Einheit, die wir als kulturhistorischen Typus bezeichnen" gelten.

Es ist schwer zu entscheiden, wovon hier eigentlich die Rede ist, von wirklichen Idealen oder nur von einem Ideale überhaupt, nämlich von dem, was sein sollte. Es ist aber klar, dass der Verfasser in beiden Fällen unrecht hat. Wenn, wie er glaubt, die Franzosen, die Deutschen und die Engländer ihre Pflichten gegenüber Europa erkennen und die Interessen der Gesamtheit über ihre nationalen Interessen stellen würden, so wären die beständigen Antagonismen und die grausamen Kriege zwischen den Völkern Europas unmöglich, oder sie würden auf alle Fälle als verbrecherische Bürgerkriege beurteilt werden. Wenn jedoch Frankreich unter den letzten Herrschern aus dem Hause Valois und unter den ersten Bourbonen aus Gründen politischer und nationaler Rivalität gegen Spanien und Österreich mit den für Europa nicht nur fremden, sondern auch zu jener Zeit gefährlichen Türken ein Bündnis schloss, so hat niemand diese Handlung als einen Verrat am romanisch-germanischen Volkstypus und als eine verbrecherische Pflichtverletzung in Bezug auf höhere soziale Gruppen angesehen. Wenn der Verfasser aber nicht die politischen Beziehungen und Anschauungen, sondern die Forderungen der sozialen Moral im Auge hat, so ist es absolut nicht ersichtlich, warum er gerade beim kulturhistorischen Typus, als der äußersten Grenze für solche Forderungen, stehen bleibt. Es ist zweifellos, dass diese Grenze, ganz abgesehen von ihrer außerordentlichen Unsicherheit und Unklarheit, nicht nur überschritten werden kann, sondern dass sie auch tatsächlich von den besten Vertretern der Menschheit überschritten worden ist. Es ist doch einleuchtend, dass der Apostel Paulus z. B. nicht um irgendeinen kulturhistorischen Typus, sondern um etwas Höheres und Umfassenderes Sorge trug, als er bemüht war, das Christentum zu verbreiten, und als er die Vereinigung der ganzen Menschheit im Christus predigte.

,,Was sind nun aber Menschheitsinteressen? Wer kann sie erkennen, außer Gott allein? fragt der Verfasser, und sofort, ohne es selbst zu merken, beantwortet er auch schon die Frage im Sinne der von ihm bekämpften Idee.

„Ohne Zweifel“, fährt er fort, ,,war es im Interesse der Menschheit, dass Rom zerstört wurde, und dass an Stelle der römischen Zivilisation für eine Zeit Barbarei herrschte. Natürlich wusste kein Römer (?) Tmd kein Germane davon und konnte es auch nicht ^issen, dass solches für die Interessen der Menschheit erforderüch war. Das Bev^iißtsein, dass ein Überfall der Barbaren der Menschheit nützhch sei (selbst wenn ein solches Bewußtsein möghch gewesen wäre), konnte natürlich weder einen römischen Bürger veranlassen, dieses für die Menschheit ^'ünschens werte Ereignis zu imterstützen, noch hätte es ihn von der Beschuldigung des Verrates an einer Sache freisprechen können, die dem gleichen Zwecke zu dienen vermeinte."

Es erweist sich hiermit, dass die Menschheitsinteressen außer von Gott auch noch vom Schreiber des Buches ,,Russland und Europa", wenn auch nur post factum, erkannt worden sind, denn er redet davon, dass die Zerstörung Roms ohne Zweifel im Interesse der Menschheit geschah. Die Frage der Zeit hat hier gar keinen Sinn, denn es hat ja immer Leute gegeben, die in ihrer Erkenntnis der Mehrzahl ihrer Zeitgenossen voraus waren, und die selbst kommende Ereignisse vorausverkünden konnten. Übrigens macht das von Danilewsky so glücklich gewählte historische Beispiel die Propheten überflüssig. Wenn der Verfasser das berühmte Werk des heiligen Augustinus ,,de civitate Dei" gekannt oder sich dessen erinnert hätte, so würde er es natürlich unterlassen haben zu behaupten, dass kein Römer in der Zerstörung des römischen Kaiserreiches die Wahrung der Menschheitsinteressen erkannt hätte. Diese Erkenntnis nämlich (inwieweit sie umfassend und befriedigend genug ist, das ist eine andere Frage) ist es gerade, die der große christliche Schriftsteller und römische Staatsbürger ausspricht. Dass irgendwelche heidnisch gesinnte römische Patrioten ihn dafür des Verrates hätten beschuldigen können, das unterliegt keinem Zweifel, aber einer solchen Anschuldigung hätte sich sicher auch jeder Franzose ausgesetzt, der sich, von den Ansichten Danilewskys durchdrungen, zur Zeit des Deutsch Französischen Krieges auf den Standpunkt der höheren Interessen des romanisch-germanischen kulturhistorischen Typus gestellt und verlangt hätte, dass die niederen Interessen der französischen Nation den gesamten höheren untergeordnet werden müssten.

Wenn ein Kulturtypus, der eine konkreter und schärfer bestimmte Menschengruppe darstellt, der Gesamtmenschheit als einem zu abstrakten und unklaren Begriffe vorgezogen wird, so bedeutet das nichts anderes als eine weitere Herabsetzung der moralischen Forderungen. Denn es ist doch vollkommen zweifellos, dass nationale Interessen (im engeren Sinne) viel konkreter, bestimmter und klarer sind als die Interessen eines ganzen Kulturtypus, der für die Mehrzahl der Sterblichen vielleicht ein noch nebelhafteres Gebilde sein mag, als es für Danilewsky die ganze Menschheit ist. Ebenso zweifellos ist es, dass die Interessen irgendeiner Zunft oder Partei stets viel bestimmter und konkreter sein werden, als allgemein nationale oder staatliche Interessen, und es unterliegt keinem Zweifel, dass dem einzelnen Menschen die persönlichen, egoistischen Interessen vor allen anderen die klarsten, bestimmtesten und konkretesten sind.

Um die Idee einer Gesamtmenschheit lächerlich zu machen, behauptet der Verfasser ferner ganz unbegründeterweise, dass für die Realität dieser Idee die Voraussetzung irgendeines ,,Erdgeistes" notwendig sei, der in sich das Gesamtleben der ganzen Menschheit bewusst erleben könne. Erstens ist das durchaus nicht notwendig, weil ein solches Bewusstsein auch ein gewöhnlicher Sterblicher haben kann, wie z. B. der Apostel Paulus, der heilige Augustinus oder auch gar Danilewsky selbst; und zweitens sehe ich nicht ein, warum der „Erdgeist" (oder genauer gesprochen der „Geist der Menschheit") lächerlicher sein sollte, als der „Volksgeist", und was den „Geist" des kulturhistorischen Typus" anbetrifft, so will es mir scheinen, dass er lächerlicher und unrealer ist als alle übrigen Geister zusammen.

Die Anschauung des Verfassers über die Beziehung des Nationalen zum Allgemein-menschlichen erweist sich auch als unhaltbar, selbst wenn (wie es oben geschah) jener allgemeine Satz, von dem er ausgeht, als richtig angenommen wird, dass nämlich die Menschheit sich zu den einzelnen Gruppen, aus denen sie besteht, so verhält, wie die Gattung zur Art. Worauf ist aber nun eigentlich dieser Satz selbst gegründet, und warum hat der Verfasser von „Russland und Europa", der bei anderen Gelegenheiten so gründlich ist, hier nicht einmal den Versuch gemacht, eine andere Anschauung von dieser Sache zu widerlegen oder zu beseitigen, nämlich jene Anschauung, die seit der Zeit des Apostels Paulus (und zum Teil auch seit der Zeit Senekas) von den besten Geistern in Europa geteilt wurde, und die in unserer Zeit sogar das Erkenntnisgut der positiven wissenschaftlichen Philosophie zu werden beginnt? Ich meine die Anschauung, dass die Menschheit sich zu den Rassen und Völkern, aus denen sie besteht, nicht wie die Gattung zur Art, sondern wie das Ganze zu seinen Teilen, wie ein realer, lebendiger Organismus zu seinen Organen oder Gliedern verhält, deren Leben wesentlich und notwendig durch das Leben des ganzen Leibes bestimmt wird. Der Begriff des Leibes ist keine leere, von der Vorstellung seiner Glieder abgeleitete Abstraktion, und ebensowenig kann der Körper einfach als Zusammenfassung oder als Aggregat der Glieder gedacht werden. Folglich kann die Beziehung des Gattungsmäßigen zum Artgemäßen hier in keiner der beiden Bedeutungen, die der Verfasser unterschieden wissen will, genommen werden. Hingegen hat sich die Idee einer Menschheit, als eines lebendigen Ganzen (und nicht eines abstrakten Begriffes oder Aggregates), schon von den ersten Zeiten des Christentums an, so sehr in die geistigen Instinkte der denkenden Menschen hineingelebt, dass auch Danilewsky selbst sich von ihr in keiner Weise freimachen kann, und daher an einer Stelle seine „kulturhistorischen Typen" als die lebendigen und wirkenden Organe der Menschheit bezeichnet. Bedauerlicherweise darf in diesen Worten nur der Ausdruck eines im bewussten Instinktes gesehen werden. Wenn darin ein ernster und bewusster Gedanke des Verfassers enthalten wäre, so hätte er sich von dem ganzen Inhalte und sogar von den Motiven seiner Arbeit lossagen müssen.

Wenn die kulturhistorischen Typen tatsächlich lebendige und wirkende (und daher bis zu einem gewissen Grade auch bewusste Organe der Menschheit als eines einigen geistig-physischen Körpers sind, so bekommen die Begriffe des „Allgemein- und Gesamtmenschlichen" in Bezug auf die einzelnen Gruppen eine so positive und wesentliche Bedeutung, dass sie der Grundanschauung Danilewskys von der fundamentalen Selbständigkeit und notwendigen Isoliertheit der kulturhistorischen Typen direkt widersprechen. Dann wird es aber auch notwendig, die praktische Schlussfolgerung zu verwerfen, dass es für uns keine Menschheitsinteressen gebe und nicht geben dürfe, und dass wir der Menschheit gegenüber gar keine Pflichten haben können. Es ergibt sich im Gegenteil eine ganz andere Schlussfolgerung, und die lautet: Wenn jede Einzelgruppe, sei es eine Rasse oder ein Volk, nur das Organ, das Werkzeug der Menschheit ist, so sind unsere Pflichten gegenüber dem Volke oder Stamme, d. h. gegenüber dem Werkzeuge wesentlich durch die höheren Pflichten gegenüber dem anderen beeinflusst, dem dieses Werkzeug dienstbar sein soll. Wir haben die Pflicht, uns nur unter der Bedingung einem Volke unterzuordnen, wenn dieses Volk selbst sich auch den höheren Interessen der gesamten Menschheit unterordnet. Es genügt, dem „System" der kulturhistorischen Typen ernstlich den Begriff von den, „lebendigen und tätigen Organen" der Menschheit gegenüberzustellen, und schon durch diese Bestimmung allein wird die besondere Ansicht des Verfassers vollständig widerlegt, und anstatt jeder weiteren Kritik dürfte es genügen, ihn an die alte römische Fabel von den Gliedern des Leibes zu erinnern, die nur für sich leben wollten.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Russland und Europa