Die Juden im deutschen Staats- und Volksleben

(Separat-Abdruck aus der „Deutschen Reichs-Post“)
Autor: Dr. Hilarius Bankberger, Erscheinungsjahr: 1879

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Themenbereiche
Enthaltene Themen: Juden, Judenfrage, Toleranz, Rechte, Christen, Zinsnehmen, Vorrecht, Geldfragen, Religion, Israeliten, Volk und Staat,
I.

Wir sprechen nur höchst ungern von einer „Judenfrage“ und wir wissen, dass unsere jüdischen Mitbürger noch weniger gern von einer solchen hören, ja die Existenz derselben am liebsten überhaupt in Abrede stellen. „Jede Diskussion der Judenfrage“ sagte kürzlich das leitende jüdische Organ in Deutschland „gleichviel in welchem Tone, ist Wahnsinn oder Raub“! Immerhin existiert die Frage nicht nur, sondern sie ist sogar schon uralt und wird seit vielen Jahrhunderten diskutiert.

In neuester Zeit scheint die „Judenfrage“ die Gemüter wieder lebhafter beschäftigen zu wollen. Die nächste Veranlassung dazu dürfte in ganz derselben Tatsache zu finden sein, welche auch in den früheren Jahrhunderten schon die literarische und tätliche Beschäftigung mit dieser Frage immer von neuem provozierten.
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So ungern wir nun auch an und für sich diese so leicht zu Gehässigkeiten verleitende Frage berühren, so glauben wir doch auch nicht, dass es richtig wäre, dieselbe neuerdings etwa ganz unbesprochen zu lassen, wie dies unsere jüdischen Mitbürger wünschen. Wir sind uns dabei völlig bewusst, wie schwierig es ist, hier gerecht und richtig zu urteilen und die Dinge so zu sehen wie sie sind. Es gibt wenige Fragen, in welchen die Tatsachen selbst so schwierig festzustellen sind und in welchen das Urteilsmaterial so sehr durch Vorurteil, Leidenschaft und andere menschliche Fehler verwirrt und verwickelt ist, wie gerade die Judenfrage. Selbst das Wort „Judenfrage“ hat für uns an und für sich schon einen so unangenehmen Klang, dass wir uns desselben am liebsten ganz enthielten, wenn wir wüssten, wie wir dasselbe durch ein anderes, die Sache ebenso kurz und zutreffend bezeichnendes ersetzen sollten.

Wenn wir es wagen, trotz aller Schwierigkeiten uns mit der Frage zu befassen, so geschieht dies aus dem Grunde, weil uns in derselben manches sonst schwer zugangliche Urteilsmaterial zur Verfügung steht und weil wir mit dem Bewusstsein schreiben, dass auch Gegner unserer Auffassungen uns das Bemühen nicht absprechen werden, sachlich, billig und leidenschaftslos zu schreiben.


II.

Die „Judenfrage“ ist, wie wir sagten, schon sehr alt. Sie hat beispielsweise die Ägypter schon vor Jahrtausenden beschäftigt. Man wird unter der Judenfrage wesentlich die Frage nach der Gestaltung des Verhältnisses der Juden zu den Völkerschaften zu verstehen haben, unter welchen sie wohnten, beziehungsweise gegenwärtig wohnen.

Nur eine mit den Tatsachen durchaus nicht vertraute Auffassung konnte bei Erörterung dieser Frage von der Annahme ausgehen, als ob die Juden, wenn man von der Religion absieht, der übrigen Bevölkerung der Staaten, in welchen sie wohnen, völlig gleichartig zu erachten seien. Man wird doch nicht übersehen dürfen, dass die Juden nicht nur eine besondere Religionsgemeinschaft bilden, sondern dass sie auch einem anderen Zweig der kaukasischen Rasse angehören, als die europäischen Kulturvölker.

Zugleich haben die Juden bis zur Zerstörung Jerusalems auch ein in sich abgeschlossenes Staats- und Volksganze gebildet. Ihre Religion war mit ihren Staatseinrichtungen und ihrem Volksleben zu einem untrennbaren Ganzen verwebt und verwachsen. Ein einzelner Stamm, mit besonderer Religion und scharf hervortretender Rasseneigentümlichkeit ausgestattet, bildete zugleich ein Volk und einen Staat für sich allein, schloss sich streng gegen alle fremden Elemente ab und erhielt sich in dieser Abschließung mit wenigen Unterbrechungen bis zum Eindringen der Römer in den Juden-Staat.

Das Judentum ist also wesentlich ein Gesamtprodukt verschiedener Besonderheiten, welche lange Jahrhunderte hindurch in gegenseitiger Durchdringung auf den jüdischen Stamm der semitischen Rasse einwirkten. Die Rassen- und Stammeseigentümlichkeiten der Juden sind auf diese Weise verwachsen und mit ihrer religiösen Besonderheit. Zugleich bildeten sie auch ein streng in sich abgeschlossenes Volkstum, einen Staat für sich, dessen Schicksale und Geschichte als geheiligte Tradition auch nach der Auflösung des Judenstaates den in alle Welt zerstreuten Israeliten ein ideeller Einigungspunkt geblieben sind.

Als die Eroberung Palästinas durch die Römer und die Zerstörung Jerusalems den jüdischen Staat vernichtete, war das durch lange Jahrhunderte konsolidierte Gefühl der Zusammengehörigkeit und Eigenart unter den Juden so groß geworden, dass sie auch in ihrer Zerstreutheit fortfuhren, sich als ein eigenes und einiges Volksganze zu fühlen, welches sich mit allen seinen Eigentümlichkeiten auch im Laufe der bisherigen christlichen Zeitrechnung erhalten hat.

Was die Stellung der Juden zu den Völkern und Staaten des Mittelalters betrifft, so hatten die Juden ihrerseits, sagt Pastor de le Roi 1), nicht wenig dazu beigefragen, dass sich das Verhältnis mit ihnen fast überall gerade so gestaltete, wie der Fall gewesen ist. Sie traten in die fremden Länder nicht bloß als Bekenner einer fremden Religion ein, sondern sie wollten auch selbst ein anderes Volk unter den übrigen sein und bleiben. Die Juden wollten sich nicht etwa bloß ihre besondere Religion, sondern in demselben Maße auch ihr besonderes Geschlecht oder ihre besondere Nationalität bewahren. Wo sie wohnten oder sich niederließen, sollten also eine andere Volksart, ein anderer Volkssinn, ein anderes Volksziel, als die, welche alle Übrigen beherrschten, für ihre Gemeinschaft gelten ... „Die Fremde“ war ihnen jenes Land, das sie seit der Verbannung bewohnten ... Also nicht einseitig, aus einem schroffen Nationalitätsgefühl des Mittelalters heraus, sind die Juden von allen übrigen Völkern als Fremdlinge betrachtet worden, sondern weil sie selbst gerade diese Stellung allen anderen gegenüber und zwar mit der schneidigsten Schärfe einnahmen. Mochte nun die Art, wie den Juden ihr Fremdlingscharakter zu fühlen gegeben ward, eine noch so verkehrte sein, jedenfalls fordert die Gerechtigkeit, das anzuerkennen, dass die Juden selbst den Nationen nichts Anderes übrigließen, als ihnen nach Art von Fremdlingen zu begegnen.

An einer anderen Stelle (s. a. S. 192) macht de le Roi noch die bisher gehörige Bemerkung: „Das christliche Mittelalter verklagen sie für seine harte Behandlung der Juden; berühren es dagegen mit keinem Worte, dass diese Verfolgungen ihren ersten Anlass nicht in religiösen Motiven, sondern fast stets in Blutsaugereien der Juden gefunden hatten.“

Das ist ein hartes Wort, es scheint indessen, laut einer Fülle aktenmäßig erwiesener Tatsachen, nicht unbegründet zu sein, dagegen ist auf der anderen Seite zu betonen, dass die christliche Kirche des Mittelalters den Juden gegenüber ein nach unserer Auffassung völlig unchristliches Verhalten eingeschlagen hat. Während das kanonische Recht des Mittelalters den Christen das Zinsnehmen überhaupt verbot, wurde von den christlichen Behörden den Juden das Zinsnehmen als ein Vorrecht vor der übrigen Bevölkerung ausdrücklich gestattet. Während den Juden das Recht des Grunderwerbes und des Betriebes anderer Erwerbsarten außer Handel und Geldgeschäften meist gesetzlich versagt war, stellte sich die christliche Kirche bezüglich des Zinsnehmens auf den unvollkommeneren und unchristlichen Standpunkt, den Juden inmitten der Christenheit zu gestatten, was den Christen selbst untersagt war. Diese große Unchristlichkeit darf als die eigentliche Ursache dafür angesehen werden, dass es heute überhaupt noch eine Judenfrage gibt. An diesem Hebel, des den Juden im Mittelalter ausdrücklich verliehenen Vorrechtes, Zins zu nehmen und zu wuchern, setzt die Judenfrage unablässig von neuem wieder ein. Und wie einerseits im Mittelalter schon in Geldfragen die Christlichkeit vielfach aufhörte, so wurden gerade in Geldfragen für den Juden im Mittelalter schon der Hebel, mittelst dessen sie immer und immer von neuem ihre oft durchgesetzte Ausschließung aus christlichen Staaten wieder illusorisch und rückgängig machten.

Man könnte hiernach mit vollem Rechte auch sagen, dass die Judenfrage eigentlich am meisten in der Unchristlichkeit vieler Christen bestehe.