IV. Interessant und sachverständig führt Herr Pastor de le Roi, welcher selbst Judenmissionar ist, die Stellung vor Augen

Interessant und sachverständig führt Herr Pastor de le Roi, welcher selbst Judenmissionar ist, die Stellung vor Augen, welche die Juden als Gesamtheit in unserem Kulturleben einnehmen, sowohl als Rassen-, wie als Religions- und Volksgemeinschaft.

Auch de le Roi erkennt in dem „Talmud“ das Band, welches nach der Zerstörung Jerusalems die über die ganze Erde zerstreuten Glieder des Volkes Israel zusammenschloss. Der Talmud (s. a. S. 48) ist ein Buch, welches eine Sammlung der traditionellen Auslegungen der mosaische Gesetze, welche in dem ersten Jahrhunderte der christlichen Zeitrechnung unter den Juden bekannt waren, enthält. Er gilt als das mündliche Gesetz neben dem schriftlichen, dass in den Büchern Mosis gefunden wird. Wie das Gesetz Mosis selbst ist das mündliche Gesetz nach jüdischer Lehre durch Eingebung des Heiligen Geistes entstanden. Der Heilige Geist hat sowohl dafür gesorgt, dass von Geschlecht zu Geschlecht in ununterbrochener Reihenfolge die richtige Auslegung des Gesetzes von Sinai erhalten bliebe, als er auch seine Organe, die Rabbinen, befähigte, noch nicht aufgeworfene Fragen über einzelne Bestimmungen richtig zu erledigen. Diese Satzungen annehmen, heißt daher dem heiligen Geiste gehorchen; sie verwerfen, heißt ihm widerstreben. Und zwar sind alle durch Auslegung festgesetzten Bestimmungen, deren Zahl unermesslich ist, gleich wichtige; weil sie alle von Gott stammen, gibt es unter ihnen keinen Unterschied zwischen Kleinem und Großem ... Der Talmud beherrschte nun das ganze Leben der Juden. Der Israelit konnte nicht gehen, nicht stehen, nicht arbeiten, nicht essen, nicht trinken, nicht wachen, nicht schlafen, nicht leben, nicht sterben, außer in seinen Geboten ...


Die Juden blieben unter dem Talmud, nach ihrer unerschütterlichen Überzeugung, das Gottesvolk, auf welchem der Bestand der Welt beruhte. Und eben dies war der positive Gedanke des Judentums. Die übrige Menschheit mochte mit großartigen Leistungen menschlicher Kraft und Kunst gleißen, oder sie mochte sich an dem Geringeren ergötzen, da ihr doch das Höhere versagt war; sie mochte augenblicklich auch noch zur Läuterung und Vollendung Israels die Herrschaft auf Erden besitzen, schließlich war sie doch bestimmt, sich den Juden zu unterwerfen, und dann entweder dieselben aus freiem Triebe mit ihren Gaben zu schmücken, oder im Fall des Widerstrebens, wie die früheren Bewohner Kanaans, das Los der Ausrottung zu erfahren ... Dann würden die Volker sich die Juden zu ihren Führern erwählen, sie würden von ihnen die himmlische Weisheit lernen, und den heiligen Märtyrer Israel, den sie so lange verkannt hatten, in der Weise preisen, wie es Jesaia Kap. 53 schon gelehrt hätte.

Die Erfüllung dieser Weissagung muss nahe herangerückt sein, oder sie ist fast schon da.

Das ist auch heute das Fundament, auf welchem sich alle jüdischen Anschauungen bewegen. Der Unterschied zwischen der früheren Zeit und der Gegenwart ist nach de le Roi nur der:

früher kannten die Juden für ihre Erhabenheit noch eine Bedingung, nämlich den Gehorsam gegen den Talmud; heute wird zumeist auch diese Bedingung erlassen, und die jüdische Person selbst tritt mehr und mehr allein an die Stelle, welche vorher noch jenes Gesetz mit eingenommen hatte; es genügt, eine jüdische Person zu sein und zu bleiben, um von vornherein auf der höchsten Stufe der Menschheit zu stehen...“

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die Juden im deutschen Staats- und Volksleben