Welche Bildung wird in unseren Tagen von einem Kaufmanne gefordert?

Und welche Wege sind zur Erlangung derselben zu verfolgen?
Autor: Gutbier, Adolf Dr. (1841-1902) Galerist, Kunsthändler, Verleger, Erscheinungsjahr: 1846

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Themenbereiche
Enthaltene Themen: Kaufleute, Kaufmänner, Händler, Handelsgeschichte, Handel, Gewinn, Waren, Buchhaltung, Lagerhaltung, Einkauf, Verkauf, Wissenschaften, Künste, Spekulation, Transport, Versicherung, Lagerwirtschaft, Warenkunde, Industrie, Handwerk, Manufaktur, Kunstprodukte, Konsumenten, Produzenten
Mit besonderer Rücksicht auf die technischen Lehranstalten im Königreiche Bayern den Eltern und Vormündern, welche ihre Söhne oder Pflegebefohlenen dem Kaufmannsstande zu widmen gedenken, beantwortet von Dr. Adolph Gutbier.


Dass in unseren Tagen der Kaufmann nicht mehr mit etwas Rechnen, Lesen und Schreiben, wie es jede Dorfschule lehrt, durchkommen kann, wenn er die Konkurrenz mit wahrhaft gebildeten Männern seines Standes aushalten will, wird immer mehr erkannt, je mehr man sieht, dass Eisenbahnen und Dampfschiffe nach und nach alle Schanzen durchbrechen, hinter denen sich in den vergangenen Zeiten alte Gebräuche, Unwissenheit, und Ungeschicklichkeit gemächlich verbergen konnten, und je offenbarer es wird, dass man alte Rechte und Privilegien, unter deren schützender Kraft selbst der Ungeschickteste und Unwissendste, sobald er sie einmal für vieles Geld an sich gebracht hatte, aller Ausbildung des Geistes Hohn sprechen, alles Streben nach Vervollkommnung für null und nichtig erklären konnte, fortwährend rütteln, schütteln und einem Sturze nahe bringen sieht, der nicht minder zum Siege der Intelligenz über die Ignoranz beitragen wird.

Was dagegen der Kaufmann wissen und können muss, wenn er glücklich emporkommen, und sich aufrecht erhalten will, ist der Mehrzahl der Vettern, die ihre Söhne dem Handelsstande zuführen, völlig unbekannt; das bestätigten uns die Erfahrungen, welche wir in einer Reihe von Jahren als Direktor von öffentlichen und Privatlehr- und Erziehungsanstalten in dieser Hinsicht machten.

Nicht ohne bedeutenden Einfluss auf die Idee von der Bildung eines Kaufmannes sind die Verhältnisse, in denen der Mensch aufwächst und seine Tage verlebt. Wer in einem Dorfe das Licht der Welt erblickte, und nie weiter als in das benachbarte Landstädtchen kam, der wird auch den Handelsmann, von welchem sein Dorfkrämer Zündhölzchen, einige Pfund Kaffee und Zucker bezieht, für das von plus ultra von Kaufmann halten. Versammeln sich an einem Markttage einige Käufer mehr denn gewöhnlich in dem Laden, und sieht der Landmann, wie Pakete von mehreren Pfunden verkauft werden, wie der städtische Kaufmann vielleicht ohne nur die Kreide in die Hand zu nehmen, schnell aus dem Kopfe die Summe der verkauften Ware bestimmt, wie er mit Schnelligkeit seine Verkaufsorte leserlich aufsetzt; so ist der Schluss bald gemacht, dass das kaufmännische Gewerbe nicht nur bequemer als das eines Landmannes, sondern zu dessen Betreibung auch nur einige Übung im Rechnen und Schreiben und etwas Fonds zur Anschaffung der Ware erforderlich sei. — Entwickelt nun der Sohn eines Landmannes, der über etliche harte Thaler zu verfügen hat, und deshalb seinen Sprössling nicht hinter dem Pfluge hergehen sehen mag, etwas mehr Talent zum Rechnen und Schreiben, als die übrigen Schulbuben, hat derselbe vielleicht gar schon einige vorteilhafte Ein- und Verkäufe mit seinen Kameraden abgeschlossen; so darf man sich nicht wundern, wenn der Vater ein kaufmännisches Genie in seinem Sohne erblickt, und denselben dem Kaufmannsstande zu widmen beschließt; denn nach seiner Ansicht braucht man, um Kaufmann zu sehn, nur Rechnen, Lesen und Schreiben zu können, einige hundert Gulden bar in den Händen zu haben, und die Gabe zu besitzen, seine Ware recht zu loben, und sie mit Vorteil an den Mann zu bringen.

Gleich der Ansicht des Landmannes vom Kaufmanne ist die des Kleinstädters, des Bürgers einer Provinzialstadt. Kommen wir dagegen in eine eigentliche Handelsstadt, wie nach Hamburg, Amsterdam, Leipzig, Nürnberg u. a. m., so werden wir finden, dass hier schon der Karrenzieher eine andere Idee vom Kaufmanne hat, als mancher Bürger eines Provinzialstädtchens. In großen Handelsstädten sieht man nicht nur mit Gütern befrachtete Schiffe ein- und auslaufen, oder schwer beladene Güterwagen zu- und abfahren, Geld in Säcken durch die Straßen ziehen; sondern man hört auch, wie dieser und jener durch glückliche Spekulationen, durch unternehmenden Geist in wenigen Jahren zum Herrn bedeutender Schätze geworden, dagegen auch wie andere durch grenzenlosen Aufwand, durch falsche Spekulationen, durch Unwissenheit und Ungeschicklichkeit in kurzer Zeit um das Erbe ihrer Väter sich brachten.

Diesen Erfahrungen zu Folge stellt sich schon der geringste Arbeitsmann unter einem Kaufmanne einen Mann vor, der an dem einen Orte die Waren kauft, um sie an dem andern mit Gewinn wieder abzusetzen, einen Mann, der mit den fernsten Ländern in Verbindung steht und zur Führung seiner Geschäfte viele ausgebreitete Kenntnisse besitzen, sich durch einen spekulierenden, besonnenen Geist auszeichnen, und die Tätigkeit seiner Arbeiter zweckmäßig zu leiten verstehen muss.

Stehen in einer Handelsstadt Künste und Wissenschaften in gleichem Flore mit dem Handel, kommt der Kaufmann mit dem Gelehrten, mit dem Künstler so gut in Berührung, wie mit dem Handwerker, sieht und hört man, wie er jenen auch in nicht kaufmännischen Dingen gewachsen ist, wie er gründlich über Kunst und Wissenschaft zu reden versteht, wie er sich auf dem einen oder dem andern Gebiete der Wissenschaft oder Kunst wohl gar auszeichnet; so wird die Idee vom Kaufmanne auf eine noch höhere Stufe erhoben, und man erkennt in demselben auch einen Mann von wissenschaftlicher Bildung.

Je nachdem sich nun die Idee vom Kaufmanne gestaltet hat, je nachdem wird sich auch die Vorstellung von kaufmännischer Bildung gestalten, und man darf sich nicht wundern, wenn die Ansichten über die Bildung eines Kaufmannes nicht nur verschieden sind, sondern oft gar im vollkommensten Widerspruche stehen. Wer den Landkrämer, den Salzstößler und den Käsehändler zu den Kaufleuten rechnet, der wird natürlich auch eine sehr geringe Idee von einem Kaufmanne und von kaufmännischer Bildung haben; nicht minder wird dagegen auch derjenige im Irrtum sein, welcher unter einem Kaufmanne sich nur einen Großhändler denkt und hiernach die kaufmännische Bildung berechnet.

Gutbier, Adolf Dr. (1841-1902) mit seiner Frau Sophie. Galerist, Kunsthändler, Verleger

Gutbier, Adolf Dr. (1841-1902) mit seiner Frau Sophie. Galerist, Kunsthändler, Verleger

007 Rathausplatz

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013 Bürgerstube

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031 Rathausdiele

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033 Schulstube

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034 Hafen mit Hanseschiff

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041 Straßenszene

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