Siebente Fortsetzung

Wie anders verhält es sich, wo Anlagen nur in untergeordnetem Grade für Gegenstände vorhanden sind, die nicht zum Sprachstudium gehören. In diesem Gebiete können sie sich dann nicht zeigen, weil sie fehlen; in anderen nicht, weil nicht mehr als die Anregung gegeben werden kann. Wäre es möglich, im letzteren Falle mehr zu tun, so würde vielleicht Mancher noch Brauchbares leisten. So aber gilt er nur als ein unfähiger und talentloser Kopf. Es finden sich dagegen Charaktere, in denen Anlagen, wenn auch nicht eben hervorstechende, für mehrere Berufsarten vorhanden sind, von denen die lateinische Schule diejenigen vorzugsweise pflegt, welche zum Studium der alten Sprachen erforderlich sind, während die übrigen mehr und mehr unbeachtet bleiben. Die Geisteskraft entwickelt sich daher auch nur nach dieser Seite besonders; der junge Mensch vermag nur in diesem Gebiete etwas zu leisten, sei es auch, wie gewöhnlich, nicht gerade bedeutend. Das hat nicht selten die Folge, dass der junge Mann, wenn ihn der Vater nun für das gewerbetätige Leben bestimmt, sich ungeschickt zeigt, und überall mehr verdirbt, als gut macht, dass der geringste, bei dem Geschäfte tätige Handarbeiter ihn an Geschicklichkeit übertrifft, und vor dem er in dieser Hinsicht nichts weiter voraus hat, als dass er höchstens ein Drittel der Sachen lateinisch benennen kann.

Gehen wir in das Schulleben selbst ein, so werden wir hier den Schüler, welcher weiß, dass er sich den höheren wissenschaftlichen Studien in der Folge nicht widmen wird, in der Regel als einen Nachlässigen, Saumseligen, ja wohl gar als einen Faulen kennen lernen; er mag seine Kräfte nicht für Dinge verwenden, die seiner Ansicht nach für ihn wenig oder keinen Nutzen haben, und von deren Nutzlosigkeit für seinen einstigen Beruf er zu Hause wohl gar oft reden hört. Der Tadel des Lehrers ist ihm gleichgültig, die schlechten Fortgangs-Noten in der lateinischen Sprache genieren ihn nicht im mindesten; ja man wird ohne Zweifel nicht selten finden, dass diese Art Schüler die ärgsten Ruhestörer sind, denn sie wollen ihre Kräfte brauchen, und da sie dieselben nicht auf das Lateinische verwenden mögen, so versuchen sie dieselben zu Albernheiten und Störungen. Auf diese Weise sind solche Schüler dem Lehrer nicht nur eine wahre Plage, sondern ihren Mitschülern ein bedeutender Hemmschuh; denn da sie der Lehrer doch nicht ganz müßig sitzen lassen darf, so ist er genötigt, die kostbare Zeit wahrhaft an ihnen zu verschwenden und dieselbe den Schülern zu entziehen, welche mit Lust und Liebe ihren Studien obliegen. Ein unleugbarer Nachteil liegt endlich noch mit darin, dass die Schüler, welche in der Folge der lateinischen Sprachkenntnis entbehren können, für die Anstalten teilweise verdorben werden, in denen sie für ihren Beruf gebildet werden sollen. Die eingewurzelte Faulheit, die Gleichgültigkeit gegen Lob oder Tadel des Lehrers, der überhand genommene Mutwille und andere ähnliche Untugenden verschwinden mir dem Eintritte in die neue Anstalt nicht sogleich, im Gegenteile sie werden, wie alle Abnormitäten eher zu-, als abnehmen, und dem jungen Menschen für seine ganze Zukunft von den nachteiligsten Folgen sein und bleiben.


Sind die hier aufgestellten Ansichten über die lateinische Schule als Vorbereitungsschule für den einstigen Kaufmann oder Gewerbemann richtig, so ist es unbestreitbar, dass ein jeder Vater, der seinen Sohn für den Handelsstand bestimmt, am besten tut, denselben aus der lateinischen Schule fern zu halten, und ihn so lange die deutsche Werktagsschule besuchen zu lassen, als es möglich ist. Da in dieser letzteren Anstalt der Schüler, welcher einiges Talent besitzt, eben nicht mit Arbeiten überhäuft ist, so bleibt ihm Zeit genug übrig, um neben den gewöhnlichen Lehrgegenständen noch die Erlernung einer lebenden Sprache zu beginnen.

Hat der Schüler vorzügliche Talente, so wird er allerdings mit dem elften Lebensjahre sämtliche Kurse der deutschen Werktagsschule durchlaufen haben, und es bleibt dann nichts übrig, als ihn den letzten Kursus noch einmal wiederholen, oder ihn von Privatlehrern unterrichten zu lassen, und zwar in der deutschen und einer fremden neueren Sprache, in Geographie, Naturgeschichte, Naturlehre, Geschichte, Rechnen, Geometrie, Zeichnen und Schreiben. Dass der Religionsunterricht, als die Basis aller Erziehung keine Unterbrechung erleiden darf, versteht sich von selbst. Gestatten es die finanziellen Kräfte der Eltern, den Privatunterricht zwei Jahre lang fortzusetzen, und dann den Knaben der Anstalt zu übergeben, in welcher die Berufsbildung vorzugsweise berücksichtigt wird, so möchte dies ohne Zweifel dem Schüler nur von großem Nutzen sein.

Wohl zu beachten wäre jedoch 1. dass der Privatlehrer ein Mann sein müsste, der die zu lehrenden Fächer nicht nur an einer Hochschule oder polytechnischen Schule gehört hat, und über sein bestandenes Examen ein Zeugnis vorzeigen kann, sondern ein wahrer Schulmann, der einen gründlichen, methodischen, bildenden Unterricht zu erteilen im Stande ist; 2. dass dieser Privatunterricht im vollsten Einklange mit dem Unterrichte der Anstalt stehen müsste, in welcher der Schüler einst seine Studien fortsetzen will. —

Diesen Unterricht durch Privatlehrer glauben wir nur deshalb in Vorschlag bringen zu müssen, weil es zur Zeit durchaus noch an Gelegenheit fehlt, durch öffentliche Lehranstalten diese Lücke auszufüllen. Wohl ist uns bekannt, dass z. B. in München in einigen Werktagsschulen ein vierter Kursus errichtet ist, durch welchen dem erwähnten Gebrechen abgeholfen, und also schon vorzüglich für die Berufsbildung gesorgt werden soll. Ohne nun aber irgend einem der Lehrer zu nahe treten zu wollen, welche den Unterricht in einem solchen vierten Kursus übernehmen müssen, so können wir doch nicht umhin, offen zu gestehen, dass wir von einem solchen Unterrichte uns nicht viel Vorteilhaftes versprechen, denn erstens ist dieser Kursus der Sammelplatz aller von der lateinischen und Gewerbeschule abgewiesenen Buben, die hier gleichsam nur in Verwahrung gebracht werden; ferner erfordert ein solcher vorbereitender Unterricht durchaus, dass der Lehrer sich ihm ausschließlich widmet, die zu lehrenden Wissenschaften studiert und mit den Fortschritten derselben sich genau vertraut macht. Eine solche Forderung kann nun aber billigerweise an keinen Lehrer gemacht werden, welcher nach Beendigung seines 4ten Kursus wieder mit dem ABC - Unterricht anfangen, und fünf Jahre lang das Gebiet brach liegen lassen muss, auf welchem er einer Berufsschule vorbereiten soll. Hierzu kommt endlich, dass dieser Unterricht in keinem engen Zusammenhange mit dem der nächsten folgenden Schule steht, sondern als ein abgeschlossenes Ganzes angesehen wird. Weit zweckmäßiger möchte es uns erscheinen, wenn man diesen vierten Kursus zur Gewerbeschule schlüge, und denselben hier als Vorbereitungskursus betrachtete, oder, wenn radikal geholfen werden soll, eine Realschule zwischen der Werktags- und Gewerbeschule hinein stellte, damit der Schüler erst zum wahren Menschen gebildet, und gründlich auf die Berufsstudien vorbereitet würde.