Fünfte Fortsetzung

Abgesehen von diesen Missständen, so fragt es sich überhaupt, ob es zweckmäßig sei, einen jungen Menschen, der sich dem Handelsstande oder einem Handwerke zu widmen gedenkt, der lateinischen Schule zur Vorbereitung zu übergeben. Da eine Beantwortung dieser Frage manchem Vater nicht unwichtig erscheinen mag, so wollen wir bei derselben etwas verweilen.

Halten wir uns nicht nur an den Namen „lateinische" Schule, sondern an die Leistungen derselben, so können wir nicht leugnen, dass hier die lateinische Sprache als das Hauptelement der Bildung gilt; die Mehrzahl der Lehrstunden füllt der lateinische Sprachunterricht aus; Fortgang und Fleiß der Schüler wird vorzüglich nach dem Lateinischen bestimmt. Wer nun seinen Sohn auf irgend ein Gewerbe in der lateinischen Schule vorbereiten lassen will, der muss von dem alten Satze ausgehen, dass die Kenntnis der lateinischen Sprache erforderlich sei, um zu einer gründlichen Kenntnis der Muttersprache zu gelangen. Ganz richtig bemerkt in Hinsicht auf diese Ansicht der verstorbene Spilleke, Direktor des K. Friedrich-Wilhelms-Gymnasiums und der Realschule zu Berlin, in seinen gesammelten Schulschriften S. 89: „wenn die Zöglinge Sprachgelehrte werden, ihnen eine philosophisch-historische Kenntnis der Sprache als solcher mitgeteilt werden, und sie lernen sollten, nicht bloß in der Sprache, sondern auch über die Sprache zum Bewusstsein zu kommen, so ist gegen das Erlernen der lateinischen Sprache nichts einzuwenden. Der Zögling der Real- oder technischen Schule soll aber nicht über die Sprache, sondern nur in der Sprache zum Bewusstsein gelangen, mit Leichtigkeit sie handhaben, und in allen Verhältnissen des Lebens zweckmäßig und mit Gewandtheit gebrauchen lernen; dahin führt der Weg nicht durch die Grammatik. Dass vor Allem das Lateinische wenig dazu beiträgt, um zu jener Gewandtheit zu gelangen, das zeigen schon die Mädchen, denen man doch nicht zumutet, erst nach dem alten Rom zu reisen, um in ihrer Sprache recht einheimisch zu werden, und denen man doch oft den zartesten, feinsten Takt gerade in dieser Hinsicht nicht absprechen kann".


Was von obiger Behauptung zu halten ist, sehen wir auch aus dem Style so Vieler, welche die alten Sprachen tüchtig getrieben haben, nichts weniger aber als richtig und gewandt deutsch schreiben. Wie viele unserer Schriftstellerinnen beweisen nicht, dass man auch ohne Kenntnis der lateinischen Sprache einen recht guten deutschen Styl schreiben lernen kann.

Der Gewinn, welcher aus der Kenntnis des Lateinischen für das Studium der neueren Sprachen, welche für den Geschäftsmann so wichtig sind, erwächst, ist unbedeutend, und auch hier widerlegen uns die Mädchen, welche oft in sehr kurzer Zeit eine, ja mehrere dieser Sprachen erlernen, ohne jenen Umweg gemacht zu haben.

Ist aber nicht der formelle Nutzen in Anschlag zu bringen, auf welchen es doch vorzüglich abgesehen ist? Auf diese Frage antwortet Direktor Klöden in seiner Schrift: ,,Über Bedürfnis, Zweck und Lehrgegenstände der Gewerbeschule zu Berlin", folgendermaßen: „Das Bildende des Sprachunterrichtes (i. e. der alten Sprachen) ist keineswegs zu verkennen; dagegen kann aber auch der Menschengeist sich an Allem (??) in die Höhe richten, was er nur ernst und tüchtig treibt. Aber eben darum gibt es auch für Alle, welche nicht so genannte Gelehrte werden wollen, weit geeignetere Gegenstände, die eben so gut formell bilden und nicht aufgegeben zu werden brauchen, wenn das Schulleben vorbei ist.