Sechste Fortsetzung

Geben wir auch die formell bildende Kraft der alten Sprachen im vollsten Maße zu, so ist es doch gewiss, dass sich dieselbe nur bei denen zeigt, welche den ganzen Gymnasialkursus mit Auszeichnung durchgemacht haben. Was hat aber der große Haufen Derer gewonnen, welche nichts als dürftige Bruchstücke der alten Sprachen und sonstiger Altertumskunde mit hinausnehmen, die jahrelange Mühe gekostet haben, und gewöhnlich in unglaublich kurzer Zelt wieder vergessen werden? Man will auch in diesem Falle den formellen Nutzen der alten Sprachen behaupten, indem doch der Geist durch das Anwenden der Regeln und Formen eine gewisse Gewandtheit erlange, die späterhin nicht verloren gehe, auch wenn der Stoff verloren gegangen sein sollte.

Das ist allerdings richtig; aber ließ sich denn diese Geistesgymnastik nicht an einem Stoffe üben, der mehr ins künftige Leben eingriff, und für dasselbe von größerem Wert wäre? Mit Recht bemerkt Herr Direktor Spilleke a. a. O., dass man die formell bildende Kraft des Lateinischen für Alle nicht so unbedingt zugeben könne, weil, was nicht unmittelbar in den Zusammenhang des Lebens, sei es des physischen oder des geistigen, eingreift, notwendig tot bleiben, und weit gefehlt die übrigen Lebenselemente zu fördern, vielmehr hemmend und störend ihrer Entwicklung entgegenstehen müsse. Dass das Studium der lateinischen Sprache in vielen Fällen mehr schädlich als nützlich sei, weist Kloden a. a. O. folgendermaßen nach:


,,Als einen Schaden muss man es doch immer ansehen, wenn die Kräfte des jungen Menschen für einen Gegenstand in Anspruch genommen werden, der für ihn von geringem Nutzen ist, während er Kenntnisse vernachlässigen muss, die ihn für sein Geschäft nützlicher und brauchbarer gemacht hätten, und welche die lateinische Schule höchstens anregt, aber keineswegs in irgend einem anwendbaren Grade ausgebildet hat. Die Schule, wenn sie zweckmäßig war, sollte den Schüler ja vorbereiten für sein künftiges Leben, und was ihn für dasselbe am meisten bildete, und von Nutzen war, musste neben dem, was er seinem edleren Selbst schuldig war, Hauptgegenstand seines Fleißes sein". So war es aber keineswegs.

Wie aber, wenn für die alten Sprachen gar kein Talent da war, welche Kräfte sind nun geweckt, geübt und gestärkt? Wären auch wirklich Anlagen für andere Gegenstände vorhanden gewesen, bei der geringen Pflege, welche ihnen wurde und werden konnte, entwickelten sie sich nicht zu der Bedeutung, die sie für das Leben brauchbar machte, wenn sie nicht ausnahmsweise in ungewöhnlicher Größe vorhanden waren. In diesen, Falle bildet auch das spätere Leben Kräfte, welche die Schule schlummern ließ, und bei denen man bedauern muss, dass sie nicht schon in der Schule vielseitiger angeregt und planmäßiger gebildet wurden, was doch gewiss mehr gewirkt hätte, als die zufällige Anregung, wie sie das Leben bietet.