Die Tierwelt und der Aberglaube

Ein Lesebuch für Jedermann
Autor: Hamm, Wilhelm Ritter von Prof. Dr. (1820-1880) deutscher Agrarwissenschaftler, Unternehmer, Politiker und Publizist, Erscheinungsjahr: 1852
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Aberglauben, Naturwissenschaft, Tiermedizin, Tierbeobachtungen, Tierarzt, Quacksalber, Irrglaube, Wundermedizin, Wunderheiler, Vampyre, Popanz, Hexen, Aufklärung, Bildung
Liebe Leser

Das Büchlein, welches ich Euch hiermit in die Hand lege, ist verfasst für Alt und Jung, Hoch und Gering, Arm und Reich, denn in allen Ständen und Lebensstufen begegnet dem aufmerksamen Beobachter noch eine hässliche Erscheinung, welche wir längst von uns abgeschüttelt haben sollten, der Aberglaube. Diesen schlimmen Gast aus dem Naturreich verbannen zu helfen, ist die Aufgabe meiner Schilderungen, von welchen ich hoffe, dass sie Euch gefallen und mehr noch nützen werden. Vorerst habe ich sie nur aus dem Tierreich , und zwar aus dem Leben der Säugetiere und Vögel entlehnt; entsprechen sie Euern Erwartungen und meinem Zweck, so werde ich dieselben späterhin fortsetzen und die anderen Tierklassen, sodann auch die Pflanzenwelt und das Steinreich von den Irrtümern und falschen Vorstellungen zu reinigen trachten, welche sie in Folge verkehrter Ansichten oder Unkenntnis der Natur leider noch in den Augen so vieler Menschen entstellen. Von allem Übrigen möge das Büchlein selber zu Euch sprechen; beurteilt es mehr nach dem Wollen als nach dem Vollbringen, dies wünscht

Der Verfasser.
Inhaltsverzeichnis
    Einleitung
  1. Viel Lärm um Nichts
  2. Das verkannte Verdienst
  3. Mäuse
  4. Unglücksverkünder
  5. Der Hühnerliebhaber
  6. Die Hausgenossen
  7. Schutzbedürftige Räuber
  8. Das wilde Heer
  9. Komm mit
  10. Der Ziegenmelker
  11. Die Frühlingsboten
  12. Schonet die Sänger
  13. Die Rabensippschaft
  14. Der Kukuk
  15. Holzhacker
  16. Die Wachtel
  17. Hahn und Henne
  18. Im Röhricht
Einleitung

Wir leben in einem Jahrhundert, welches wir gern vorzugsweise das der Aufklärung nennen, weil in demselben die allmächtige Wissenschaft den Schleier von gar mancher dunkeln Truhe weggezogen und gar manchen düstern Nebel aus dem heitern, erhabenen Bereich der Natur verjagt hat. Aber so viel in dieser Hinsicht auch geschehen und erreicht ist, so viel bleibt noch zu tun und zu erreichen übrig. Noch ist bei Weitem der größte Teil unserer Mitmenschen leider nicht zu der Höhe der Bildung und Selbstachtung gelangt, auf welcher der Mensch deutlich fühlt, dass er ein höheres, gottähnliches Wesen ist; noch umnachten Unwissenheit und Aberglaube die Sinne von Tausenden. Aberglaube — klingt es nicht, als ob dieses Wort sich nur als ein Fremdling längst vergangener Jahre in unsere Zeit des ausgehenden Lichtes verirrt habe? Und doch ist er noch in beklagenswerter Weise allenthalben verbreitet, mehr, als man denkt, als man sich selbst zu gestehen wagt. Ja, es darf sogar behauptet werden: Die wenigsten Menschen sind ganz frei von Aberglauben. Es wird zwar ein Jeder leugnen, dass er davon nur im geringsten Grad befangen sei — wenn er aber still und ernst über sich selber und seine Ansichten von diesem und jenem nachdenkt — so wird er gewöhnlich zu dem Schluss gelangen, dass er betroffen ausruft: „Du bist doch abergläubisch — wenn auch nur wenig!“ Es ist dann kein Trost, dass gescheite, verständige, reiche, angesehene, berühmte und beneidete Leute ebenfalls ihr Teilchen Aberglaube besitzen — so wenig die Torheit des einen Menschen die eines Andern beschönigen kann. Jeder soll nach Kräften dahin ringen, selbstständig zusein und frei von allen Anhängseln, deren er sich schämen muss. Ein solches ist der Aberglaube. Denn er ist nicht mehr noch minder als die kindische Vorstellungsweise eines armen Unwissenden, der den Mangel an Kenntnis oder Beobachtung durch selbstgeschaffene, einbildnerische Lügengewebe zu überdecken, und somit sich selbst zuerst und dann auch Andere zu täuschen sucht. Man kann sich leicht denken, wie dergleichen Ansichten in der Kindheit der Völker haben entstehen, nach und nach sich ausbreiten und festwurzeln können — aber schwer zu begreifen ist dagegen, dass von so vielen gescheiten und vernünftigen Menschen, welche schon auf der Welt gelebt haben, so wenige es der Mühe wert fanden, denselben durch Erforschung und Verkündigung der Wahrheit pflichtgemäß entgegen zu treten. Eben aus diesem Grunde haben wir es auch zu beklagen, dass der Aberglaube noch ein so weites Feld beherrscht. Nirgends jedoch ist er mehr zu Hause, als in den Vorstellungen der Menschen von der Natur. Weil die Schöpfung in ihrer erhabenen Größe dem kleinen Verstand als ein unbegreifliches Gotteswerk dastand, eben darum suchte er auch die Geschöpfe, von deren Leben und Weben er sich nicht Rechenschaft geben konnte oder wollte, mit dem Grauen oder dem Zauber des Geheimnisvollen, Überweltlichen auszustatten, und brachte dadurch das tollste Zeug und die heilloseste Verwirrung in die Naturgeschichte. Gewiss, geschichtlich begründet ist, dass der Aberglaube der Urvölker sich zuerst und zunächst an das heftet, was unerklärlich vor ihren Augen wächst und entsteht, an das Pflanzentum, dann an die Steine, deren Heilkraft oder Form oder Farbe dem kindlichen Sinn auffallend erscheint, endlich an die Tierwelt, deren mannigfache Beziehung zu dem Menschen einerseits, deren merkwürdige Lebensweisen und Gewohnheiten von der andern Seite genug des Unerklärlichen und Geheimnisvollen für einen blöden Blick, für ein ungebildetes Urteil bieten. Erst ganz zuletzt, schon in späteren Zeiten der Völker, hat sich der Aberglaube auch ins Menschenleben selbst, in Religion und Sitten eingedrängt. Aus diesen letzteren ist er, Gott sei Dank, bei gebildeten Völkern größtenteils wieder geschieden, dagegen waltet und wuchert er noch überall mehr, als recht und billig ist, in Hinsicht auf die untergeordneten Geschöpfe, welche einen großen Teil der Natur bilden. Ihn aus dem herrlichen Gottesgarten ganz zu vertreiben, ist unsere Aufgabe, und sie gelingt, wenn wir Augen und Ohren öffnen.

Menschen, Tiere, Pflanzen — weiter kennen wir keine erschaffenen Wesen, denn Luft, Wasser und Steine sind wesenlose Körper. Jene werden erzeugt, wachsen und sterben nach bestimmten, unwandelbaren Naturgesetzen, freilich mannigfach beschränkt durch Verhältnisse verschiedener Art, immer aber dieselben, weise und ewig. Was die gebieterische Notwendigkeit der Erhaltung, die geschärften Sinne, der eigentümliche, seiner Bestimmung gemäße Körperbau, seine aus Furcht und Scheu, besonderer Leibesbeschaffenheit oder der Nahrungsjagd halber mehr oder minder verborgene Lebensweise und noch so vieles Andere bei dem Tiere nun dem Menschen fremdartig und seltsam erscheinen ließ, das hat er von jeher lieber mit Aberglauben umsponnen, als dass er den Grund davon durch Beobachtung und Nachdenken hätte erforschen mögen. So ist es gekommen, dass sich an viele Tiere die wunderbarsten Sagen und Berichte knüpfen, dass man manche Gattungen derselben sogar mit Wesen in Verbindung brachte, welche nirgends ein Dasein haben, als im kranken Gehirn der Menschen, kurz, dass die ganze lächerliche Geister- und Gespensterfurcht mit ihrem Gefolge sich zu aller erst und am festesten in der Tierwelt eingenistet hat. Wie viele Geschichten wären davon zu erzählen! Aber gerade dieser Teil des Aberglaubens ist seinem Erlöschen allzu nahe, als dass man noch viele Worte brauchte, um ihm den Todesstoß zu versetzen. Wem eine derartige, unglaubliche Geschichte, worin überirdische Wesen und Dinge eine Rolle spielen, erzählt wird, der frage nur gleich den Erzähler: „Hast du's selbst gesehen?“ Unter hundert Antworten wird kaum eine einzige „Ja!“ lauten. Und wer dann Ja antwortet, diesen Menschen betrachte man sich doch ganz genau. Denn entweder täuscht er absichtlich, oder er ist selber getäuscht worden; und aus diesem Grund sind die Verbreiter von derlei Geistererscheinungen, wenn wir denn dies Wort nennen wollen, entweder schlechte, bösartige, oder schwache, urteilslose Menschen. Von diesen ist denn auch das Meiste erfunden worden, was über die wunderbaren Verbindungen der Tiere mit einer andern Welt, über die geheinmissvollen Zauberkräfte und andere Eigenschaften derselben erzählt oder gefabelt wird. Wer nur einigermaßen Anrecht auf gesunden Menschenverstand haben will, der wird solches Zeug sich nicht mehr aufbinden lassen. Der Mensch im Kindesalter hängt freilich gern an dergleichen Vorstellungen — man sehe nur die Kinder selbst an, welche mit irgend einem beliebigen Etwas, das sie gar nicht kennen, von welchem sie nicht den mindesten Begriff haben, in Furcht und Angst gejagt werden können, wenn es nur seltsam klingt oder aussieht. Wir wollen aber zu gehöriger Zeit die Kinderschuhe hübsch ausziehen, und gebildete aufgeklärte Staatsbürger werden, denen ein mannhaftes, wackeres Herz in der Brust schlägt. Allein es gibt noch eine andere Art des Aberglaubens hinsichtlich der Tierwelt und diese ist die gefährlichere und allgemeinere. Fast allenthalben findet man noch die sonderbarsten Meinungen über Lebensweise, Gewohnheiten und Eigenschaften der Tiere verbreitet, Meinungen, welche nicht anders als Aberglaube genannt werden können. Sie entspringen aus gänzlicher Unkenntnis und Gedankenträgheit; um so wichtiger ist es, sie zu widerlegen. Es gilt dabei den Menschen selbst eine Stufe höher zu heben, ihm seinen krankhaften, schädlichen Abscheu vor so vielen Tieren zu benehmen, ihn von der nutzlosen Vertilgung anderer abzuhalten, ihn zu dem Herrn und nicht, zum Knecht und Feind der Schöpfung zu machen. Eben weil die Tierwelt in ihrer bunten außerordentlichen Mannigfaltigkeit noch so viele rätselhafte, selbst dunkle Erscheinungen darbietet, welche nur durch prüfende Wissenschaft erhellt zu werden vermögen, ist sie von jeher der Tummelplatz der ausschweifendsten menschlichen Einbildungskraft gewesen. Aus dem gleichen Grunde hat sie noch lange nicht den Grad des Nutzens und Vergnügens für den Menschen erreicht, zu welchem ihr Dasein bestimmt ist, weil er, töricht genug, in selbstgeschaffenem Wahne ihre Gaben und Fähigkeiten teilweise verschmäht, oder sie unnützer und grausamer Weise verfolgt und vernichtet, wo er kann. So soll es aber doch nicht immer bleiben. Heutzutage tritt überall wissenschaftliche Erkenntnis an die Stelle der alten Märchen, und sie hat uns die Mittel an die Hand gegeben, uns über de n Grund oder Ungrund unserer Wahrnehmungen oder Urteile aufzuklären. Aus der Naturwissenschaft muss die Sage weichen, denn die Forschung hat den Sieg davon getragen. Wenige Dinge liegen noch in ihrem Bereich, vor welchen wir statt: „So ist's!“ — nur sagen dürfen: „So scheint es!“ Die Ungeheuern Fortschritte, welche in diesem Zweige der menschlichen Erkenntnisse gemacht worden sind, haben ihren wohltätigen Einfluss auf alle Gewerbe, auf die gesamte menschliche Tätigkeit erstreckt. Sie sollen aber nicht bloß dazu dienen, die körperliche Wohlfahrt zu steigern, nein, sie sollen auch die Bildung des Menschengeschlechts fördern, den Geist kräftigen, das Gemüt wecken und heben. Die Naturwissenschaften vermögen dies mehr, als viele andere Lehren; wo sie ihr Licht aufstecken, da verschwindet die alte Nacht wie mit Zauberschlag, da wird's hell in den Köpfen der Menschen. Und es gehört gar wenig dazu, einen recht tiefen und gründlichen Einblick in sie zu tun. Wer die Natur liebt und ihren Winken lauscht, ihre wunderbar einfache und deutliche Sprache versteht, der hat schon unbewusst so viel vorgearbeitet, dass ihm der Lehrer und das Buch nur noch wenig zu sagen brauchen. Und ein solcher Mensch wird auch gar leicht von dem Aberglauben zu befreien sein, der ihm hin und wieder anklebt. Es ist endlich noch die Behauptung aufgeworfen worden, mit dem Verschwinden des Aberglaubens gehe ein großer, dichterischer Reiz des menschlichen Lebens verloren. Der Einsichtsvolle errät gleich, dass eine solche verkehrte Klage nur von einem durch und durch Abergläubischen selbst herrühren kann, dem nebelhaftes Träumen und Tappen lieber ist, wie klares Sonnenlicht und ebene Bahn. Auch das vielbesungene Räuberleben hat einen großen dichterischen Reiz, nichtsdestoweniger wird man noch keinen ehrlichen Mann darüber haben jammern hören, dass es nicht mehr so im Schwang ist, wie vor einem Paar hundert Jahren.

In der Natur ist Alles hell und licht, bei Tag und bei Nacht, auf dem freien Bergesgipfel, wie in der düstern Waldschlucht, auf dem glänzenden Spiegel des Sees, wie in der tiefen Felsenhöhle — aber der Mensch muss auch verstehen, mit lichten, klaren Blicken um sich zu schauen, die Dinge außer sich zu betrachten. Das Licht des Menschengeistes. ist ebenso hell wie die Sonne und es dringt sogar dahin, wohin ihre Strahlen nicht mehr reichen. Und so begleitet mich denn mit scharfen Augen und klarem Geist hinaus in die Schöpfung, in Gottes Reich! Tretet mit mir in den kühlen, grünen, Wald, in welchem bei uns das Tierleben noch am freiesten, uneingeschränktesten sich entfaltet und ich will Euch zeigen, dass wenn auch der scheinbaren Missklänge viele sein können, dennoch aber alle insgesamt zu dem erhabenen Einklang der ganzen Natur notwendig sind — dass in der Tierwelt manches uns sonderbar Erscheinende, aber niemals etwas Widernatürliches, oder, was dasselbe ist, Übernatürliches vorkommt, dass in ihr sich die Große und der Zusammenhang der Schöpfung fast, noch viel deutlicher offenbart, als in den anderen Naturreichen, und endlich, dass sie Nichts aufzuweisen hat, was nicht hinreichend erklärt werden könnte, alles sogenannte Unerklärliche darin also auf Irrtum des Menschen beruht.

Hinaus in den frischen Buchenwald! Es ist ein warmer Sommertag, die Ährenfelder wogen im leisen Wind wie die aufgejagten Wellen eines grüngoldene n Meeres und die Wiesenblumen scheinen unter den Schritten aufzublühen. Wie wohl tut die Kühle der prächtigen Säulenhallen schlanker Bäume! Das Moos senkt sich weich unter dem Fuß und schwillt elastisch wieder zurück, Zweige und flatternde Ranken schwingen sich um das Haupt des Wandelnden; Tausende von kleinen Tieren leben und weben in der Luft, auf den Blättern, an den Stämmen, unter den Steinen, im Wasser des Bachs, in den Kelchen der Blüten, im abgestorbenen Holz. Dort schleppt die geschäftige Ameise Baustoff in ihre unterirdische Festung; hier eilt der goldschillernde Laufkäfer dahin mit einer kleinen Puppe, seinem Raub, zwischen den gewaltigen Fresszangen; der stattliche Feuerschröter labt sich am hervorquellenden Saft der Eichen und der Holzbock sonnt sich, vergnügt schnarrend, auf einem alten Stamm. Die Schmetterlinge gaukeln durch die Luft, der Trauermantel hoch oben, unten am Gestrüpp hin der große und der kleine Fuchs, der Admiral und der Zitronenvogel, und sie scheinen der armen schwarzen Raupen zu spotten, die das hoch aufgeschossene Brennesselkraut zum Wohnsitz erkoren haben und im nächsten Jahre es als bunte Pfauenaugen umflattern werden. Bienen und Hummeln summen von Blume zu Blume in sammelnder Arbeit, die blauen und goldnen Mücken aber tanzen luftig im Strahl, der durch das Blätterdach fällt, und die Eintagsfliege mit den dunkeln Florfittigen schwebt über der durchsichtigen Welle des Baches, aus welcher rotgetupfte Forellen nach ihr haschen, und wie beschämt zwischen den Kieseln sich verbergen, wenn ihnen der Fang misslingt. Aus dem feuchten Moos kriecht der Feuermolch und betrachtet verwundert seine Verwandtin, die flinke grüne Eidechse, welche zwischen den Steinen mit Blitzesgeschwindigkeit hinschlüpft; die Schleiche liegt träg auf dem Sande und der Laubfrosch ergötzt sich an der Fliegenjagd aus sicherem Blattversteck. Die Frösche aber im nahen Teich missgönnen dem Buchfinken oben in den Ästen sein fröhlich Lied, und stimmen ohrzerreißenden Rundgesang an; der Häher fliegt mit rauem Schrei durch die Baumkronen und schreckt die Amsel auf, die wie ein schwarzer Pfeil ins Gesträuche schießt. Unbekümmert hackt der Specht den Takt, dass es weithin schallt durchs stille Holz. In jener Fichtengruppe läuft ein possierlich Eichhornpaar Stamm auf Stamm ab — und wenn es Abend wird und im Schatten der Bäume dunkler, dann tritt vielleicht noch ein edler Hirsch hervor aus dem Dickicht, hält den Kopf hoch in den Wind, um den etwa lauernden Feind zu erspähen, und schreitet dann, vorsichtig äsend, nieder zu dem Quell. Wo ist in diesem Bild ein unheimlicher Zug, ein grauenerweckender Hintergrund!

Aber in der Nacht? In der Nacht ist es ebenso wie am Tag, nur scheint statt der Sonne der Mond, oder es ist gar dunkel, und es regen sich bloß die wenigen Tiere, welche Nachts ihrer Nahrung nachgehen. Kommt also mit in den nächtlichen Wald! Von dem wimmelnden Lehen, das Euch noch im Gedächtnis ist, keine Spur! Still und schweigsam ruht der hundertjährige Forst, als sei er selbst in tiefen Schlaf versunken, wie die Menschen draußen in Städten und Dörfern. Doch horch, nein, nicht alles Leben ist in seinen dunklen Hallen erloschen. Ein seltsames Knistern wird rege rings um Euch — aber es ist nur der Wind, der durch das Laubwerk raschelt — ein eintönig hohles Murmeln schlägt an Euer Ohr — der Bach ist's, dessen Welle sich an Wurzeln und Steinen bricht — ein Knall macht Euch zusammenfahren — aber ein üppig wuchernder Baum hat im Überdrange seines Saftes die Rinde gesprengt. Vielleicht auch malt der Mond mit schelmischem Strahl Euch den Schatten irgend eines Strauches als ungeheuerlichen Riesenkörper an die Felsen, oder ein Feuermann erwartet Euch auf der einsamen Waldwiese, — entweder ist's ein fauler Weidenstumpf oder ein Irrlichtlein, entzündete Sumpfluft, — kurz, seht nur hin, Ihr werdet Nichts finden, das Euch auf eine herzhafte Frage nicht tröstliche, vernünftige Antwort gäbe. Und dann hört Ihr den klagenden Ruf der Eule, welche auf der Mäusejagd umherirrt, oder ein dürres Zweiglein bricht unter eines Vogels Last, der dann erschreckt emporflattert und einen sichereren Ruheplatz sucht — das ist Alles! Wird Euch unheimlich zu Mut, wenn Ihr dies lest?— Gewiss nicht. Und ebenso wenig, als die Schilderung, kann Euch auch die Wirklichkeit schreckhaft sein. Der Förster, der Kohlenbrenner, Leute, welche ihr Geschäft zu jeder Nachtzeit im Walde sein heißt, befinden sich darin so sicher und ruhig, wie Ihr in der heimischen Behausung. Und wenn nicht im Walde, überhaupt im Freien, wo sie sich noch am urkräftigsten zu entwickeln vermag, wo denn sonst sollte die Tierwelt den Menschen zagen machen? Doch nicht im Hause, wo er Herr und König ist? Wohlverstanden rede ich nur von unsern deutschen Tieren, denn mit Deutschen rede ich und nicht von den Tigern und Schlangen und Krokodilen heißer Länder. In diesen hat man schon Grund zur Vorsicht, aber ebenfalls nicht zur Angst in dem Sinne, wie wir sie nehmen. Der Mensch darf wohl zusammenschrecken vor der Gefahr, die ein stärkeres Tier ihm bringen kann, doch nicht aus Aberglauben. In unserem Himmelsstrich giebt es aber kein wildes Tier mehr, welches sehr zu fürchten wäre; selbst der Wolf, der sich noch zuweilen aus Polen zu uns verirrt, greift nicht leicht einzeln den Menschen an.

Ist es uns gelungen, die Tiere vernünftig zu betrachten und zu beobachten, den Wahn, der sie uns vordem unkenntlich verkleidet hatte, abzustreifen, so wird es auch gar nicht lange dauern, dass wir zur richtigen Schätzung und Wägung des Schadens und Nutzens, den sie uns bringen, gelangen. Und mit Verwunderung werden wir alsdann gewahren, dass unsere Vorstellungen davon öfters ebenfalls sehr verwirrt und so trübe gewesen sind, dass sie dicht an die Grenze des Aberglaubens streifen. Es soll eine Hauptaufgabe der Bilder, welche ich vor Euch aufrollen will, sein, diese falschen und verderblichen Ansichten zu bekämpfen, wo sie uns begegnen. Es ist ein beschämendes Gefühl, sich sagen zu müssen: „Du hast so und so viele Jahre lang im Glauben an Dein Recht diese und jene kleine Tiergattung unablässig verfolgt und jetzt vernimmst Du auf einmal mit unwiderlegbarer Bestimmtheit, dass dieselbe Dir keineswegs schädlich, sondern im Gegenteil nützlich gewesen ist.“ Immer besser ist aber noch dieser Selbstvorwurf zur rechten Zeit und die Umkehr auf den Weg der Vernunft, als das Verharren bei dem althergebrachten Irrglauben. Der Letztere hat schon gar manches Unheil gestiftet, zumal in Bezug auf die Haustiere, welche das größte Gut und die Ernährer vieler Völker sind, und dafür von jeher durch die widersinnigste Behandlung gar zu oft belohnt werden., Welche Märchen hat man ausgesonnen, um natürliche Krankheitserscheinungen zu erklären, welchen Missbrauch hat man mit auffälligen Erscheinungen bei denselben getrieben! Und noch heutzutage ist dieser entwürdigende Aberglaube nicht ganz verschwunden.

Und aus diesem Grunde führe ich Euch in den nachfolgenden Bildern selbst mitten in die Tierwelt und suche Euch die Rätsel darin zu lösen, die lächerlichen Ausschmückungen daraus zu entfernen, vielverbreitete Irrtümer zu widerlegen, und Euch auf das aufmerksam zu machen, was Ihr wissen müsst, um Euer Urteil zu bilden und zu kräftigen, um in Zukunft das Wahre vom Falschen zu sichten. Begleitet mich, prüfend, misstrauisch, wenn Ihr nicht anders könnt — aber verschließt wenigstens nicht hartnäckig Euer Ohr der erwachenden besseren Überzeugung. Es ist betrübend, wenn Menschen in unserer Zeit noch mit abergläubischen Gedanken und Vorstellungen behaftet sind, noch betrübender ist es aber, wenn sie dieselben nicht ablegen wollen. Und wenn Ihr Alten die höchst verwerfliche Meinung hegt, Ihr wäret zu alt, um noch etwas zu lernen, o so gebt dies Büchlein wenigstens Eueren Kindern in die Hände. Sie werden Nichts darin finden, was ihnen schädlich wäre, aber vielleicht gar Manches, wofür sie Euch später dankbar sein werden. Denn die beste Erziehung hilft wenig, wenn in der jungen Seele der Popanz Fuß gefaßt hat, der dem Menschen das ganze Leben vergällt: Der Aberglaube!

Das Wiesel

Das Wiesel

Fuchs mit einem Hasen im Fang

Fuchs mit einem Hasen im Fang

Der Maulwurf

Der Maulwurf

Der Wolf

Der Wolf

Die Hauskatze

Die Hauskatze

Der Edelmarder

Der Edelmarder

Der Esel

Der Esel

Der Feldhase

Der Feldhase

Fledermaus

Fledermaus

Flugfüchse

Flugfüchse

Großes Wiesel und Hamster im Kampf

Großes Wiesel und Hamster im Kampf

Hausmäuse

Hausmäuse

Huski, Arbeitshund der Eskimo

Huski, Arbeitshund der Eskimo

Igelfamilie

Igelfamilie

Falken

Falken

Das Rind

Das Rind

Das Schaf

Das Schaf

Wasser-Spitzmaus

Wasser-Spitzmaus

Wildkater

Wildkater

Ziegenbock

Ziegenbock