Mäuse

Überall ist die Zeit der Ernte eine fröhliche, wohlgemute, in welcher der Landmann sich zwar doppelt zu rühren hat, dafür aber auch die hohe Freude empfindet, den durch seiner Hände Arbeit gepflegten Besitz endlich heim zu bringen unter das schützende Dach und so des Schweißes Lohn zu erringen. Wo ich aber auch das rege Ernteleben und Treiben beobachtet habe — und an gar vielen Orten Deutschlands, der Schweiz, Frankreichs und Belgiens hab ich das — so meine ich doch, dass es nirgends lebendiger, anregender, schöner sein könne, als in dem freien, grünen England. Dort lebte ich längere Zeit und wandte mein Augenmerk hauptsächlich der Landwirtschaft, dieser edelsten aller Künste, zu, welche mit Recht schon von den Alten die Mutter und Amme der Völker und Staaten genannt wurde. Die Ernte ist in England ein wahres Fest; wetteifernd arbeiten Herren und Gesinde von Morgens früh, bis in die sinkende Nacht, um bei gutem Wetter einheimsen zu können; die lauteste Fröhlichkeit stört niemals den Gang der Verrichtung, und wenn auch die zinnernen Krüge mit dem schäumenden Ale fleißig kreisen — niemals wird darüber das Geringste vernachlässigt. Erst am letzten Tag, wenn man sicher ist, dass vor Abend jedenfalls noch die letzte Weizengarbe sicher auf die Feime gelangt, — denn die Engländer besitzen keine Scheunen— erlaubt der Herr seinen Arbeitern allerlei Scherz und Kurzweil. Nicht den untersten Rang dabei nehmen die Kaninchenjagd und das Mäuseschlagen ein. Die ersten ist gar lustig. Es gibt in England außerordentlich viel von diesen Näschern, und die Weizenfelder wimmeln oft von ihnen. Um eine möglichst große Anzahl davon zu erlegen, beobachten die Arbeiter nun beim Abernten des letzten Weizenfeldes ein eigentümliches Verfahren. Sie setzen nämlich von der in Garben liegenden Frucht in der Mitte des Ackers einen ganz großen Haufen, rings umher die üblichen, kleinen aus je fünf Garben, zusammen. Während der Paar Tage, in welchen das Getreide abtrocknet, ziehen sich die durch die Sichel in ihre Löcher vertriebenen Kaninchen wieder unter die Haufen, um ihre gewohnte Nahrung aufzusuchen. Darauf gründet sich nun das Jagdverfahren am letzten Erntetage. Der Farmer oder Pachter, seine Söhne und die ältesten Knechte haben sich mit Flinten bewaffnet und die gesamte Hundeschar des Hofes und der Arbeiter ist mitgebracht worden. Die letzteren beginnen nunmehr das Abtragen und Aufladen der Haufen zuerst ringsum, dann in immer enger und enger werdenden Kreisen auszuführen. Unter jeder letzten Garbe hüpfen eins, ja zwei und drei Kaninchen hervor— da knallen denn die Gewehre, die Hunde fahren rasend hinter den geängstigten Tierchen drein, das laute Hilloh! Hilloh! der Arbeiter und ihrer Kinder, deren Heer an solchen Tagen niemals fehlt, das blitzschnelle Auftauchen und Verschwinden des Wildes unter dem inneren Garbenring — Alles das bildet ein eben so aufregendes, als anziehendes, wildes Schauspiel. Man glaube nur nicht, dass die Arbeit darunter leide, im Gegenteil, am sogenannten „Kaninchentag“ geht das Aufladen am allerschnellsten, denn Jedermann ist neugierig auf das Wegnehmen des letzten, großen Haufens. Dieser besteht gewöhnlich aus fünfundzwanzig Garben, wovon zwanzig aufrecht zusammengeschichtet stehen und fünf das Dach herstellen. Eine Anzahl Arbeiter bildet um denselben einen Ring, die andern stehen mit Bindestöcken bewaffnet außen mit den Hunden und den äußersten Kreis bilden die Schützen. Nun sind in einen solchen Haufen oft hundert und mehr Kaninchen geflüchtet. Der innere Ring erfasst die Garben, zuerst das Dach und reicht sie weg — noch rührt sich nichts. Aber jetzt werden die stehenden emporgehoben, und nach allen Seiten brechen die Tiere hervor. Da entsteht denn ein unbeschreiblicher Wirrwarr — Alles schreit, schlägt, bellt, knallt, — und dann ist die Jagd vorbei und die Arbeiter teilen sich in die Jagdbeute. Ich habe selbst bei einem solchen Kesseltreiben über 300 erlegter Kaninchen gezählt, und eben so viele mochten entkommen sein. Diese ungeheure Menge der dem Ackerbau schädlichen Tiere mag denn auch als Entschuldigung dienen, wenn man etwa die erzählte Erntebelustigung bloß als eine Grausamkeit will gelten lassen. Als Vergnügen ist sie allerdings zu verwerfen, aber sie ist eine Notwendigkeit! Dem Menschen ist darum die Herrschaft über die Tiere gegeben, dass er eben dem Überhandnehmen des tierischen Elements auf Erden die unerlässliche Schranke setze.

Die Kaninchenjagd habe ich darum umständlich geschildert, weil bei der Mäusejagd oder dem Mäuseschlagen in England zur Erntezeit gerade so verfahren wird. Es gibt dort nicht in allen Gegenden Kaninchen, aber überall Feldmäuse, und zwar oft in solcher unermesslichen Zahl, dass sie schon ganze Landstriche rein verwüstet haben. Leider kennen wir auch in Deutschland diese fürchterliche Plage des Landmanns nur zu gut. Die ungeheuere Vermehrung dieser winzigen Tiere macht sie für unsere Felder zu einer weit größeren Geißel, als es die Knochenberge der Elephanten für die ostindischen Reisfelder sind. Überhaupt ist es Tatsache, dass die kleinsten Tiere der Schöpfung diejenigen sind, welche den größten Einfluss auf ihre Veränderungen haben, vom menschlichen Gesichtspunkt aus am nützlichsten und schädlichsten sind. Alle Tigertiere seit Anbeginn der Welt haben noch nicht so vielen Schaden gestiftet, wie ein einziges Heuschreckenheer, alle Krokodile, welche da leben, sind nicht so gefährlich für das Wohl der Menschheit, wie ein einziges sogenanntes Mäusejahr. Dagegen ist der Nutzen, welchen sämmtliche Haustiere bis jetzt dem Menschen geleistet haben, auch wiederum sehr gering gegenüber der unberechenbaren Wohltat, die ihm durch die kleinen, unscheinbaren Wasserinsekten erwächst, deren stillem Walten er es ganz allein verdankt, dass die stehenden Gewässer nicht die Luft verpesten und mit giftigen Ausdünstungen unheilbare Seuchen erzeugen.


Aber zurück zu den Mäusen! Als ich eines Tags auf einem Gut in Essex dem Mäusefang in beschriebener Weise zusah, bemerkte ich, wie ein Arbeiter, dicht vor mir, welcher mit der Hand eine Maus erhäscht hatte, diese plötzlich mit allen Zeichen des Ekels und des Schreckens wegwarf, indem er schrie: „A shrew!“ — So heißt aber auf Englisch die Spitzmaus, ein wohlbekanntes Tierchen, das überall vorkommt, Abscheu erregt und gehasst wird, wahrscheinlich wegen des hässlichen Geruchs, den es verbreitet, so dass keine Katze es berührt, und wegen seines scheuen Nachtlebens. Übrigens gehört die Spitzmaus, die ihren Namen bloß von ihrer mausähnlichen Gestalt und der rüsselförmigen Schnauze hat, keineswegs zu den eigentlichen Mäusen, denen sie so fern steht, wie die Katze dem Hund, sondern bildet mit ihren Verwandten eine ganz eigene Ordnung. Sie ist eines der nützlichsten Tiere, welche es gibt, denn sie lebt bloß von schädlichen Insekten und Würmern, deren sie in nie gestilltem Heißhunger ungeheure Mengen verzehrt. Der Landwirt, welcher somit eine Spitzmaus, die nie ein Samenkorn berührt, tötet, begeht die Nämliche Torheit, als wenn er ein Paar Scheffel Engerlinge auf seinen Acker trüge und sorgfältig eingrübe!!! Und doch verfolgt der Aberglaube dies unendlich wichtige Tier auf die unverantwortlichste, Weise. Denn man höre nur weiter: Jener Knecht betrachtete seine Hand, ein Tröpfchen Blut kam aus dem Daumen, das Tierchen hatte ihn gebissen. Wie dies der starke Bursche sah, wurde er so weiß, wie eine Wand, und so schwach, dass er sich auf eine Garbe setzen musste. Von allen Seiten kamen Männer und Weiber auf ihn zugelaufen. Ich selbst trat hinzu, nahm seine Hand, welche eine neben mir stehende Frau sogleich dem schwarzen Brand unrettbar anheim gefallen erklärte, und bedeutete ihn, dass ein solcher Nadelstich so viel wie gar nichts schaden könne.

Aber wie kam ich da an! Zu, meinem größten Erstaunen musste ich hören, dass der Biss einer Spitzmaus giftig sei, wie sonst Nichts in der Welt, und dass es gegen denselben bei zunehmendem Monde nur ein Mittel gäbe, bei abnehmendem aber gar keines. Jenes erste aber, sagte der grauköpfige Großknecht, der mich belehrte, indem er mir dabei seine rotbraune Faust gleich einem Schraubstock auf die Schulter gelegt hatte und allerlei anzügliche Redensarten über die Unwissenheit der Franzosen fallen ließ — Franzosen (Frenchmen) heißen bei dem ungebildeten Engländer alle Nicht-Briten — jenes Mittel sollte ich heute noch in Anwendung kommen sehen. Es sei meine — angenehme — Pflicht, es kennen zu lernen, um meinen in der Kultur zurückgebliebenen Landsleuten jenseits des Wassers etwas aus Alt-England mitzubringen, was mehrwert sei, als all das alberne Zeug, was ich da täglich aufschreibe, und das ja jedes Kind wisse! — Ehrerbietig horchte ich dieser väterlichen Vermahnung zu und beobachtete den weiteren Verlauf der Sache. Zuerst zog der Graukopf nun einem Braunen des Gespanns ein weißes Haar aus dem Schweif, wie deren sich immer welche finden, und Unterband damit den Daumen des von der Spitzmaus Verwundeten. Dieser blieb ruhig sitzen und betrachtete sehr trübselig das dem Verderben geweihte Fingerglied. Dann begann aber eine noch viel aufmerksamere Mäusejagd, als zuvor.' Plötzlich schrie es da und dort: Here, here! Hier, hier! und ein Junge kam gelaufen, der ein sorgsam zugefaltetes Tuch mit einem lebenden Gefangenen trug. Sogleich ward von dem Großknecht ein Bote nach der Farm (Wirtschaftshof) gesendet, der nach wenigen Minuten mit einem großen Bohrer atemlos zurückkam. Das Weizenfeld war rings mir einer Weißdornhecke, wie alle Äcker in England, eingefriedigt, jenseits derselben grenzte an zwei Seiten daran ein grüner Park mit knorrigen, weitästigen Eichen und hochstämmigen Eschen, ein Besitztum des Lords, in dessen Pachtgut ich mich aufhielt. In diesen Park stürmte nunmehr Alles, was gerade von der Arbeit abkommen konnte, ich natürlich mit. Der Großknecht hieb zuerst mit dem Messer einen tüchtigen Eichenast ab und schnitzte daraus einen Pfropf; dies geschehen, trat er zu einer herrlichen Esche und bohrte in deren Stamm ein abwärts schräges, tiefes Loch. Als dies endlich unter ehrerbietigem Schweigen der Umstehenden vollendet war, nahm er dem Jungen das Tuch ab, hielt es mit vorsichtigem Drehen und Wenden so lange vor das Loch im Baume, bis endlich der Inhalt, eine lebendige Spitzmaus, hineinsprang, dann schlug er rasch den Pfropf in die Öffnung und der Zauber war vollbracht! Der Großknecht sah mich spöttisch an, machte gegen mich eine bezeichnende Bewegung mit dem Finger nach der Stirne, zuckte die Achsel und kehrte mit den Andern an die Arbeit zurück. Ich aber wusste nicht, was ich sagen sollte, doch sollte mir Alks klar werden. Das Feld war abgeerntet, der Mond jenseits der Koppel aufgegangen und Jedermann schickte sich fröhlich an zum Heimweg. Da winkte der Großknecht mir und dem Verwundeten. Der Letztere litt große Schmerzen — natürlich, der Daumen war unterbunden, dadurch der Blutumlauf gehemmt und eine Geschwulst hervorgerufen. Wir schritten zu der geheimnisvollen Esche, in welcher die Spitzmaus gefangen war. Murmelnd brach der Großknecht einige Blätter von derselben, hieß den Burschen die Hand ins Mondenlicht halten, löste das Pferdehaar und wickelte die Blätter um den Daumen. Augenblicklich spürte der Leidende große Linderung, so große, dass er noch denselben Abend furchtbare Massen Bier trinken und mit höchst achtungswerter Beweglichkeit den English reel, einen beliebten Volkstanz, austanzen konnte zur höchsten Befriedigung des Großknechts und Aller, welche Zeugen der Wunderkur gewesen waren. Was tat ich aber, ich ungläubiges Menschenkind? Während der allgemeinen Lust schlich ich hinaus in den Milton-Park zu der Esche, zog mit vieler Mühe den Pfropfen heraus, und stellte mich gegenüber. Und keine zwei Minuten dauerte es, so fuhr — husch — ein dunkles Körperchen aus der Öffnung und war fort. Mit größter Genugtuung schlug ich den Pfropf dann wieder hinein. — Nach zwei Tagen sah man nicht mehr die Spur des Bisses an der schwieligen Hand des Burschen. Triumphierend wies der Großknecht darauf hin und sagte zu mir: „Wohl, Herr, da habt Ihr was gelernt, was man in Frankreich nicht lernen kann. Wen eine Spitzmaus beißt bei zunehmendem Licht, der ist nur so zu retten — und jetzt haben wir da eine shrew mouse ash (Spitzmaus-Esche), deren Blätter werden noch hundert Jahre gegen das Mausegift helfen. Ihr könnt Euch ein Paar davon mit hinüber nach Frankreich, in das Suppenland, nehmen, wenn Ihr bald geht.“ Ich aber platzte los. „Kommt mit mir!“ rief ich, „und ich werde Euch beweisen, welch ein abergläubisches Volk Ihr seid!“ Und ich führte sie zu der Esche, erzählte meine Tat, zog den Pfropf heraus und stocherte so lange mit einem Stöckchen in dem Loche herum, bis sie sich überzeugen mussten, dass nichts mehr darinnen befindlich sei. Der von der Spitzmaus Gebissene blickte den Großknecht etwas verdutzt an, aber dieser kam auch nicht einen Augenblick aus der Fassung. „O diese Franzosen !“ sagte er sehr ruhig und mitleidig, „sie lügen lieber, als sie glauben wollen, dass die Esche die Spitzmaus aufsaugt, so dass kein Härlein übrig bleibt. Wie könnte sie denn sonst eine Spitzmaus-Esche sein?“ Dieser sehr treffliche Beweis bestärkte denn auch sogleich wieder den halbzweifelnden Burschen im „wahren Glauben“ brachte mich aber um alles Ansehen unter den Arbeitern der Farm. Da sieht man also klar und deutlich, wie auch in dem freien, vorgeschrittenen England Unwissenheit und beklagenswerter Aberglaube noch weit mehr, als billig zu ertragen wäre, unter einem Stande herrscht, der sonst gar viele gute Eigenschaften hat.

Der erzählte Aberglaube in Hinsicht auf das ganz und gar unschädliche, des Schutzes im höchsten Grad würdige Tier herrscht aber nicht bloß in England, sondern leider auch in Deutschland. So glauben die niedersächsischen Bauern steif und fest daran, dass jedes Pferd rehe werde oder verschlage, jede Kuh und jedes Schwein, überhaupt jedes Haustier erlahme, welches zufällig von einer Spitzmaus berührt werde. Dass diese wirklich giftig, und zwar durch und durch giftig sei, ist ein auf dem Lande bei uns überall verbreiteter Wahn. Wie oft haben sich die Erntearbeiter über meine Kühnheit gewundert, wenn ich eine lebendige Spitzmaus mit der bloßen Hand fing! Es gibt keine giftigen Säugetiere und keine giftigen Vögel. Bloß solche Tiere untergeordneter Klassen, welchen ihre Körperbeschaffenheit entweder keine andere Verteidigung erlaubt, oder die sich ihren Feinden nicht rasch zu entziehen vermögen, oder die eben dadurch zur Vertilgung anderer, noch schädlicherer Tiere ausersehen sind, sind von der Natur mit giftigen Stoffen bewehrt worden. Das Gift der Schlangen ist weiter nichts als ein Gährungsstoff, welcher die Zersetzung des gebissenen Tierkörpers beschleunigt, denselben also zur Nahrung für den trägen Magen des Gifttiers geeigneter macht, indem er dessen mangelnde Tätigkeit teilweise selbst verrichtet. Das Schlangengift schadet daher auch nur, wenn es mit dem Blute in Berührung kommt; es bringt dieses rasch in Währung, ähnlich wie Hefe oder Sauerteig das angerührte Mehl oder eine Kartoffelmaische, wodurch dann natürlich das gebissene Wesen stirbt. Schneidet man sogleich das verwundete Fleisch weg, ätzt und brennt die Wunde tüchtig, so hat der giftige Biss auch keine weiteren Folgen, eben weil der Gährungsstoff dann nicht Zeit hat, sich dem Blute des übrigen Körpers mitzuteilen. Ähnlich verhält es sich mit dem Bisse wütender Tiere, welcher ebenfalls wie Gift wirkt. Aber da Krankheit natürlich eine Abweichung vom ordentlichen, richtigen Zustand des Körpers ist, so kann man nicht sagen: der Hund ist ein giftiges Tier, weil sein Geschlecht der Wutkrankheit unterworfen und diese vermittelst des Bisses ansteckend ist. Genug, es gibt keine höher stehenden Tiere, welche giftig sind, und die Spitzmaus ist es am allerwenigsten. Woher der seltsame Aberglaube in Betreff dieses dem Landmann überaus wohltätigen Tierchens rühren mag, ist ganz unbekannt. Aber schon vor mehr als 2000 Jahren war derselbe unter den Griechen und Römern verbreitet; er hat sich fortgeerbt bis auf unsere Zeiten, während gar vieles Gute, worin jene alten Volker uns zum Muster dienen können, nicht so allgemein auf uns übergegangen ist.

Da ich gerade von der Spitzmaus erzähle, so kann ich gleich auf die wirkliche Maus übergehen, ohne einen neuen Abschnitt zu beginnen, weil ja der Name beide zu Verwandten stempelt, wenn sie es auch in der Tat nicht sind, wie ich schon erwähnt habe. Jedermann kennt die gewöhnliche graue Hausmaus, ein kleines Nagetier, welches nur mit dem Menschen lebt, an das Dasein desselben gebunden und niemals außer Gemeinschaft mit ihm oder seinen Wohnsitzen anzutreffen ist. Sie ist eines der wenigen Tiere, welche überall auf dem ganzen Erdball vorkommen und gedeihen, weil der Mensch sie allenthalben hingeschleppt hat, freilich wohl niemals mit Willen, und sie zeichnet sich noch dadurch aus, dass sie auch Alles, was der Mensch genießt, frisst oder fressen lernt, sei es aus dem Tier- oder Pflanzenreich; eine Eigenschaft, welche ganz Folge ihrer Abhängigkeit vom Herrn der Schöpfung, man kann sagen ihrer Verbildung ist. Vor diesem kleinen Tiere, dem unzertrennlichen Begleiter des Menschengeschlechts, haben nun viele, ja leider die meisten Menschen eine so unerklärliche Furcht, einen so krankhaften Abscheu, dass man diese Erscheinung Aberglaube nennen und mit allen Waffen der Vernunft und Überzeugung bekämpfen muss. Tausendmal ist es vorgekommen, dass Frauen beim Anblick einer Maus Alles fallen ließen, was sie in den Händen hielten, furchtbar zu schreien anfingen, ja in Krämpfe fielen. Und nicht den Frauen allein ist diese Schwäche vorzuwerfen, ich habe auch genug Männer gekannt, denen das Tierchen entweder offenbare Angst oder doch wenigstens ein heimliches Grauen einjagte. Fragt man nach dem Grunde, so erhält man jedenfalls immer nur eine sehr ungenügende Antwort. In der Tat mochte es aber auch schwer sein, eine stichhaltige zu geben. Dass die Maus giftig sei, wie Manche behaupten wollen, wird der nicht mehr glauben dürfen, welcher einigermaßen in der Bildung vorangeschritten ist und sich auf die Millionen Fälle besinnt, die solche Annahme auch vom Standpunkt des Ungebildeten aus widerlegen, Man erzählt wohl auch, Mäuse liefen mit offenem Mund schlafenden Menschen gern in den Schlund und bissen ihnen dann das Herzband oder sonst etwas ab. Ich glaube, man könnte getrost hunderttausend Taler als Preis für einen einzigen verbürgten Fall der Art aussetzen, ohne fürchten zu müssen, sie zu verlieren; schon der Bau der menschlichen Kehle muss die Sache, wenn auch nicht unmöglich, so doch im höchsten Grade unwahrscheinlich machen. Ferner hat mir eine Frau anvertraut, dass jedes Weib, dem eine Maus über den Fuß springe, das fliegende Feuer oder die Gicht bekomme. Das wäre nun ein starkes Stückchen von einem so kleinen Tier, wenn nur ein Titelchen Wahres daran wäre. Die Gicht bekommt man durch Erkältung oder durch unregelmäßigen Lebenswandel, und weil beide Ursachen und ihre Wirkungen unter den jetzigen Menschen so gar häufig vorhanden sind, so mag es allerdings auch manchmal vorgekommen sein, dass eine Frau, der eine Maus über den Fuß gelaufen war, später die Gicht bekam — aber nicht, weil ihr die Maus über den Fuß gelaufen war. Hässlich von Ansehen kann man die Mäuse auch nicht nennen, im Gegenteil, es sind zierliche Tierchen, und jedenfalls hübscher und netter, als das so hoch geschätzte Schwein, dessen Nutzen allerdings so groß ist, als der Schaden, den die Maus anzurichten vermag. Denn sie vermehrt sich ins Ungeheure, zerstört nicht bloß aus Hunger oder Bedürfnis, sondern weit mehr noch aus Spielerei; nichts ist vor ihren scharfen Nagezähnen sicher, als Stein und Metall, so dass sie in der Tat zur Hausplage und zu einem gefürchteten Gast werden kann. Aber auch dies erklärt noch nicht die unvernünftige Furcht vor ihr, denn jedes Kind kann sie töten und ihrer Vermehrung und Verheerung lassen sich gar leicht Schranken fetzen. Zwei Dinge bleiben noch übrig, welche einzig zur Rechtfertigung der Furchtsamen dienen können. Einmal führt die Maus einen unangenehmen, durchdringenden Geruch, welcher Nervenschwachen und selbst Nervenstarken sehr widerwärtig ist; dann aber ist in der Einsamkeit der Nacht das Rascheln und Wispern der kleinen unsichtbaren Tiere hinter den Tapeten, unter den Stubendielen, auf Schränken und in Papierkörben wenigstens belästigend, wenn auch für Beherzte nicht schreckend. Auf ein so kleines Maß beschränkt sich also der Grund des Abscheus vor den Mäusen. Und sonderbar, dass dieser im Norden stets größer und herrschender ist, als im Süden. In Italien kümmert sich kein Mensch um die Mäuse, die in den besten Häusern ohne Furcht und Scheu den Leuten scharenweise zwischen den Beinen einherlaufen, ja ihnen fast das Essen aus der Hand stehlen. Im südlichen Frankreich, in der Umgegend von Lyon, gelten die Mause für einen Leckerbissen, werden gebraten und verzehrt, wie bei uns die Lerchen. Warum auch nicht! Ihrer Nahrung nach müssen sie ein Fleisch haben, welches zart genug ist, und den Fressern geschieht es schon recht, wenn sie wieder verzehrt werden. Wenn wir Deutschen nun auch vorerst für solch eine Mahlzeit danken, so wollen wir uns doch wenigstens nicht wegen kindischer Furcht verspotten lassen. Wem es daher Ernst ist mit Ablegung derselben als einer den Menschen entwürdigenden Eigenschaft, der lasse sich eine Maus einfangen, sperre sie in einen Käfig und beobachte sie täglich. Wenn er im Anfang Grauen davor hatte, wird er nach und nach Interesse an dem Tierchen finden, seine possierliche Beweglichkeit und endlich sich selber belachen, dass er so töricht gewesen ist, dies schwache Wesen zu fürchten. Wunderlich ist mir immer vorgekommen, wenn Frauen die Katzen liebten und sich vor Mausen entsetzten. Sollte man nicht mehr Ekel vor einem Tier haben, das von Mäusen lebt, als vor diesen selbst? Und wenn die Katze sich nicht vor der Maus fürchtet, wohl aber vor dem Menschen, so braucht dieser gewiss nicht Angst vor der letzteren zu haben.

Da schaltet mir aber irgend Jemand ein: Du hast so ziemlich Recht in dem, was du von der gewöhnlichen Maus erzählst; vor dieser fürchte ich mich auch nicht, allein es gibt auch ungewöhnliche, es giebt weiße Mäuse mit roten Augen; und dass diese giftig sind, wirst du doch nicht leugnen wollen.?

Allerdings will ich aber das. Die weißen Mause sind so wenig giftig wie die weißen Stallhasen oder Kaninchen, welche gleichfalls rote Augen haben. Freilich befinden sich diese Tiere in einem nicht natürlichen, krankhaften Zustande j aber derselbe kommt auch bei den Menschen vor, welche dann eine kreideweiße Haut, hellrötliche Haare und Augen haben und Kreidlinge oder Weißlinge genannt werden. Solche gibt es sogar unter den Mohren, also bei Menschen mit sonst dunkelgefärbter Haut. Dieser angeborne Krankheitszustand ist unter den Tieren so gut einheimisch, wie unter den Menschen. Es gibt weiße Elephanten, weißgeborne Pferde, weiße Hirsche, weiße Füchse, weiße Hasen und weiße Mäuse. Giftig ist aber von diesen Tieren so wenig Eines, wie Einer von jenen allzuweißen Menschen. Wer aber handgreifliche Beweise zur Überzeugung braucht, der mache die Probe mit einer Katze. Stirbt diese nach dem Verzehren einer weißen Maus, dann will ich Abbitte leisten.

Ganz nahe Verwandte der Mäuse sind die Ratten. Eine saubere Sippschaft! Was die Einen nicht zu zwingen vermögen, das verfallt gewiss den Andern und ist dann unwiederbringlich verloren. In Ostindien und Südamerika gibt es weiße Ameisen, welche Linienschiffe zerstören, quadratmeilengroße Strecken verwüsten, die ganze Bevölkerung ansehnlicher Städte zur Auswanderung gezwungen haben. In Europa spielen nicht selten die Ratten die Zwingherren der Menschen. In der Stadt Bern steht ein uralter Turm, der Christophsturm, mitten in der Stadt, zur höchsten Unzier und Unbequemlichkeit; gern hätte man ihn längst hinweggebrochen, wenn man nicht das ungeheure Rattenheer fürchtete, welches in seinen Räumen seit undenklicher Zeit Quartier aufgeschlagen hat. Die große Hauptstadt Frankreichs, Paris, ist von dieser Geisel ebenfalls furchtbar heimgesucht. Dort haben sich auf dem sogenannten Wasen, wo tote Tiere abgehäutet, ausgenutzt oder vergraben werden, seit mehreren Jahrhunderten die Ratten dermaßen eingenistet, dass der ganze, nach und nach rings umher entstandene Stadtteil von ihnen förmlich untergraben ist, und mehr als einmal Häuser im vollen Sinne des Wortes eingesunken sind, weil die Ratten die Grundmauern durchwühlt hatten. Gern hatte man längst jenen ungesunden und hässlichen Schlachtplatz verlegt, allein dann würden sich die Millionen der Ratten erst recht eigentlich in die Stadt ziehen, und so muss er bleiben, wo er ist, mitten in einer der belebtesten Vorstädte. Allwöchentlich wird eine große Rattenjagd angestellt; wenn die grauen Raubgesellen sich in dem Zwinger, wo die getöteten Tiere liegen, Nachts eingefunden haben, werden ein Paar Dutzend tüchtige Bullenbeißer unter sie geschickt — ein furchtbareres Schauspiel für Auge und Ohr soll dann nicht zu denken sein! Was hilft es aber, wenn auch solchergestalt Tausende getötet werden? Bei der schrecklichen Vermehrung dieser Tiere bringen solche Metzeleien gar keine bemerkbaren Lücken in ihren Scharen hervor.

Es gibt zweierlei Arten von eigentlichen Ratten, die schwarze und die Wanderratte. Sonderbarer Weise sind diese jetzt allenthalben so ungeheuer verbreiteten Tiere erst seit höchstens 300 Jahren in Deutschland, überhaupt in Europa bekannt, und aus dem Morgenlande zu uns eingewandert. Zuerst kam die schwarze Ratte, ihr folgte die größere und stärkere graue oder Wanderratte, welche die erstere überall vertrieb, so dass sie jetzt verhältnismäßig selten geworden ist. Die graue ist jene Pariser Wühlerin, die schwarze ist der böse Gast in Bern. Beide zusammen haben von jeher die Furcht und den Abscheu des Menschen in hohem Grad erweckt. Die Ratten sind gefährliche, bissige Tiere, furchtlos und jähzornig, im Hunger wahrhaftes Raubzeug, und Beispiele vom Angriff auf junge Haustiere sind nicht selten; selbst schlafende Säuglinge sollen schon ihr Opfer geworden sein. Auch ihr Ansehen erregt Ekel und Widerwillen; fast immer erscheinen sie räudig, riechen hässlich und zumal ist der nackte, kahle, mit Schuppenringen umgebene lange Schwanz so garstig, dass die allgemeine Sage geht, er sei giftig und eine Berührung desselben ziehe schädliche Folgen nach sich. Das ist jedoch nicht wahr, sonst müsste ich sie selber empfunden haben. Denn in dem alten Hause meines Großvaters gab es unzählige graue Ratten und täglich lagen mehrere Opfer des bissigen rauchhaarigen Hundes, der nur zu ihrer Vertilgung gehalten wurde, in den Winkeln. Ich hatte schon als Kind die lebhafteste Freude an Tieren, und wenn ich keine lebendigen besaß und aufzog, so war ich wohl so genügsam, mich auch mit todten zu behelfen. So bin ich denn gar oft tüchtig gestraft worden, weil ich die toten Ratten an den Schwänzen herumtrug und sie männiglich zu Nutz und Vergnügen vorwies. Meine Großmutter, welche selber daran glaubte, sagte mir zwar oft: „Die Ratten haben giftige Schwänze,“ allein so gescheit war ich denn doch, dass ich dachte: Hat es dir zwanzigmal nichts geschadet, wenn du sie unbeobachtet zu deinem eigenen Vergnügen herumschlepptest, so schadet es gewiss auch nicht viel mehr, wenn dich gerade Jemand damit sieht! Also mit dem Gift ist es nichts — aber ekelhaft sind die Tiere und es wird wenige Menschen geben, welche sie lieben. Einen besonders hohen Rang unter den abergläubischen Märchen über die Tierwelt nimmt die Sage vom Rattenkönig ein. Es sollen nämlich von Zeit zu Zeit, etwa in jedem Jahrhundert einmal, Rattengruppen von neun bis zwölf Stück aufgefunden werden, deren Schwänze dermaßen in einander verwachsen, dass sie niemals wieder auseinander zu bringen, also die Tiere an Ort und Stelle gebannt sind und von andern gefüttert werden müssen, wenn sie nicht umkommen sollen. Das tun aber nun die andern Ratten mit der gewissenhaftesten Treue, denn jene zusammengekoppelten Geschöpfe bilden den Thron des Rattenkönigs, eines fabelhaften Wesens, das noch keines Menschen Auge gesehen hat, welches aber entsetzlich gestaltet und der erbittertste Feind des Menschengeschlechts ist. Ihm gehorchen alle Ratten auf der Welt und was des Unsinns noch mehr ist. An den Rattenkönig selbst glaubt nun gewiss Niemand mehr, denn die Tiere haben keine Könige und brauchen auch keine, weil sie nicht im Staatsverband leben und unmöglich Steuern zahlen könnten; desto mehr Leute glauben aber noch an jenen zusammengewachsenen Thron, welcher schlichtweg gewöhnlich selbst: Rattenkönig genannt wird. Nun haben zwar manche Naturforscher das Dasein und die Möglichkeit solcher vielköpfigen Wesen zugegeben, indem sie annehmen, dass eine Krankheit die Schwänze der jungen Ratten im Nest zusammenklebe, so, dass sie unentwirrbar mit einander verwüchsen. Auch fehlen keineswegs Nachrichten von der Auffindung solcher Wundergeschöpfe, und es kommt wohl auch vor, dass sie ausgestopft gezeigt werden. Ich muss gestehen, dass ich an die verwachsenen Rattenschwänze nicht eher glauben mag, bis ich einmal einen lebendigen Rattenkönig sehe; die Sache klingt doch gar zu unwahrscheinlich, und sonderbar ist namentlich der Umstand, dass, gesetzt auch, sie wäre eine krankhafte Erscheinung, dieselbe nur bei Ratten und nicht bei andern Tieren mit langen Schwänzen auftritt. Wie dem aber auch sein mag, der Rattenkönig bedeutet weder den Untergang der Welt, noch Krieg oder Teuerung, weder Wassernot noch Christenverfolgung, sondern im höchsten Fall das Vorhandensein vieler Ratten, aber auch das nur, wenn er wirklich wieder aufgefunden werden sollte. Ich glaube aber, dass es sehr lange dauert, bis das geschieht. Denn selbst zugegeben, dass einmal eine solche verwachsene Rattenfamilie entdeckt worden sei, so wäre der Zufall allzumerkwürdig als dass an eine Wiederholung desselben zu denken sei. Mit den ausgebalgten Proben des Rattenkönigs scheint es aber dieselbe Bewandtnis zu haben, wie mit den vielen ausgestopften Missgeburten von Tieren, die auf den Messen und Märkten gezeigt werden und weit seltener ein Wunder der Natur, als vielmehr eines geschickten Flickschneiders sind.

In der Vorzeit hielt man das gesamte Ungeziefer für Teufelsbrut und nannte den Bösen daher den „Herrn der Ratten und der Mäuse, der Fliegen, Frösche, Wanzen, Läuse.“ Allein auch diese schädlichen Tiere — die Frösche ausgenommen, welche nur nützlich sind — haben ihren kleinen Nutzen, wenn wir denn doch einmal nicht lassen können, die Schöpfung bloß von dem Standpunkt unserer menschlichen Wohlfahrt und Bequemlichkeit aus zu betrachten. Die Ratten reinigen die Umgebungen der Wohnungen von tierischen Stoffen, deren Zersetzung üblen Geruch und Krankheiten erzeugen könnte, sie vertilgen nebenbei manche schädlichen Larven und Insekten, was auch die eigentlichen Mäuse tun. Allein leider steht der kleine Dienst, den sie damit dem Menschen leisten, in gar keinem Verhältnis zu dem ungeheuren Schaden, welche ihre Milliarden ihm zufügen. Denn weit lieber halten sich die wahren Mäuse an die Vorräte des Menschen, als an jede andere Nahrung. Sie zu verfolgen und zu vernichten, wo und wie man kann, natürlich ohne Quälerei, dazu ist also Jedermann berechtigt. Niemand aber verwechsele mit diesen schlimmen Feinden die nützliche, harmlose Spitzmaus.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die Tierwelt und der Aberglaube