Die Hausgenossen

Es ist noch nicht lange her, dass in Frankreich sich ein Fall ereignete, welcher nicht ohne Schauder daran erinnerte, wie tief so viele Menschen noch in Rohheit und beklagenswertem Stumpfsinn versunken sind. Es stand nämlich dort eine ganze Familie, Vater, Mutter, drei erwachsene Söhne und zwei Tochter vor Gericht, angeklagt, eine alte 70jährige Frau unter den qualvollsten Martern bis zum Tode misshandelt zu haben. Den Leuten war ein Paar Kühe plötzlich erkrankt und so rasch gestorben, dass sie glaubten, die Sache sei nicht mit rechten Dingen zugegangen. Ihr Verdacht fiel sogleich auf eine alte Frau, welche längst im ganzen Dorf als Hexe verschrieen war, aus keinem andern Grunde, als weil 70 Jahre ihren Rücken gekrümmt hatten und sie sich ohne fremde Unterstützung, bloß von ihrer Hände Arbeit durch Spinnen und Kräutersuchen kümmerlich aber anständig ernährte. Der Zufall wollte, dass sie gerade am Tage des Verlustes hinter dem Stalle der davon Betroffenen Wurzeln suchte und neugierig durch eine Öffnung hineinschaute, wobei sie von dem jüngsten Sohn gesehen wurde, der, selbst über Maßen erschrocken, ins Haus lief und ihre Nähe meldete. Die ganze Familie stürzte sogleich hinaus, bemächtigte sich der Alten, schleppte sie trotz ihres kläglichen Flehens in den Stall und hier begannen Thaten, vor deren Abscheulichkeit die Menschheit weinend ihr Haupt verhüllt. Vorübergehende Landjäger, welche das Ächzen der Gequälten vernahmen, befreiten sie zwar mit Mühe und Not aus den Händen ihrer Peiniger, aber sie starb doch wenige Tage nachher in Folge der erlittenen Misshandlungen. Die rohen Täter wurden zwar sogleich eingezogen, auch von dem Gerichte sämtlich zu schweren Strafen verurteilt; aber die schwerste Straft hilft wenig, wenn die Gesetzgebung es nicht versteht, von Jugend auf den Keim des Aberglaubens und der Rohheit durch zweckmäßige Volksbildung und Sittenveredlung zu unterdrücken. Der vorliegende Fall war geeigneter als viele andere, auf die entsetzliche Verwahrlosung des Landvolks vieler Gegenden in dieser Hinsicht aufmerksam zu machen. Denn noch am Tage der Tat sandte die Behörde einen Tierarzt an Ort und Stelle, um wo möglich die Ursache des Todes der Kühe zu erforschen; und siehe da, die Krippen des Stalles waren noch mit einem Futter gefüllt, welches zu einem Vierteil aus Gras und zu drei Vierteilen aus Herbstzeitlosen, giftigen Pflanzen, bestand, die oft in unglaublicher Menge auf den Wiesen wuchern, wenn die Trägheit der Besitzer Nichts zu ihrer Ausrottung tut. Die weitere Untersuchung erwies auch ganz deutlich, dass die Tiere bloß in Folge dieses Genusses gefallen waren. Jene gewalttätigen Menschen hatten also den Fehler ihrer eigenen Unwissenheit und Arbeitsscheu so blutig an der unschuldigen alten Frau gerächt!

Leider steht der erzählte Fall keineswegs vereinzelt da, wenn er auch einer der abschreckendsten ist, und der Gedanke daran muss jeden wahren Menschenfreund mit tiefer Betrübnis erfüllen. Insbesondere knüpft sich hieran die nur allzu häufige Wahrnemung, dass gerade bei den Tieren, welche der Mensch am längsten kennt und die er deshalb auch am besten kennen sollte, seinen Hausgenossen, der Aberglaube noch den weitesten Spielraum findet. Wollte man alle die einzelnen bekannten Fälle zur Bestätigung dieser Behauptung anführen, so müsste man ein eigenes dickes Buch darüber schreiben, denn es sind ihrer unzählige. Nur Einiges soll hervorgehoben werden, was gerade besonders auffällig oder schädlich ist.


Gewiss hat schon fast Jeder den Widerwillen bemerkt, welchen Landbewohner bei Krankheiten ihrer Angehörigen oder ihrer Haustiere gegen die Zurateziehung eines sachverständigen Arztes hegen. Namentlich gehen sie, wenn Letzteren etwas fehlt, lieber drei Stunden weit zu einem Schäfer, Hufschmied, oder Wasenmeister, als dass sie den, vielleicht in der Nähe wohnenden Tierarzt aufsuchten. Das kommt aber ganz allein davon her, weil die Leute zu dem Schein weit mehr Zutrauen haben, als zu der Wissenschaft; dass sie einem seichten Schwätzer, welcher ihnen durch allerlei sonderbar klingende Redensarten Sand in die Augen zu streuen weiß, weit eher glauben, als der einfachen Sprache der Vernunft. Wenn der Tierarzt dem Bauer, der ihn um ein Vorbeugungsmittel des Milzbrandes fragt, anrät, dem Tiere, welches die Zeichen der Krankheit äußert, fortwährend kaltes Wasser über den Rücken zu gießen, so befolgt der Letztere das gewiss nicht so getreulich und eifrig, wie wenn ihm irgend ein alter Schmied den Rath gibt, dem Tiere zwölf Haare aus dem Schweif zu ziehen, dieselben mit sieben Wachholderkörnern und einem Stück sogenannter Galgenwurzel auf glühenden Kohlen zu verbrennen und ihm dann die Asche zu fressen zu geben. Das letztere Mittel hilft so wenig, als ob dem Tiere etwas Asche aus irgend einem beliebigen Feuerloche gegeben worden wäre. Denn die Asche sämtlicher Pflanzenstoffe besteht nur aus denselben Bestandteilen in wechselndem Mischungsverhältnis, weil die etwa heilkräftigen Stoffe, wie z. B. das flüchtige Öl der Wachholderbeeren, bei der Verbrennung verloren gehen. Wer also so töricht wäre, den Rat des Quacksalbers anstatt den des Wissenden zu befolgen, der würde wahrscheinlich sein erkranktes Haustier verlieren, während es im letzteren Fall wahrscheinlich gerettet würde. Es verhält sich aber mit dem Gebrauch des Arztes, überhaupt des wissenschaftlich gebildeten Mannes, von Seiten der Ungebildeteren gerade wie mit den Büchern; diejenigen, welche durch einen wunderbaren Titel und durch Geheimniskrämerei die Neugier reizen, stehen in höherem Ansehen und werden mehr gekauft, als die wahrhaft guten, die der Marktschreiern nicht bedürfen. Besonders ist vor den zugesiegelten Schriftchen zu warnen, welche das Aushängeschild führen: „Merkwürdiges Geheimnis“ oder „Neuentdecktes Wunder“ oder „Keine Krankheit mehr“ oder „Mittel in 24 Stunden ein reicher Mann zu werden“ u. s. w. Alle diese Erzeugnisse, welche die Unwissenheit und Torheit der Menschen auszubeuten bestimmt sind, wimmeln dermaßen von den schädlichsten und gefährlichsten Angaben, dass es ein Wunder zu nennen ist, wenn sie nicht von, der Obrigkeit mit der größten Strenge unterdrückt werden. So gibt es ein solches im Umschlag verklebtes Büchelchen, welches heißt: „50 Geheimnisse des alten Schäfers Martin, so derselbe auf dem Sterbebett seinem ältesten Sohn hinterlassen und damit dieser gar viele Menschen und Vieh kurieret, auch Kaisern und Königen geholfen hat. Gedruckt in diesem Jahr.“ Wer nun dieses Machwerk für 10 Ngr. kauft, der findet darin Mittelchen, wie das folgende: Geggen den flygenden Brandt, so auch Mylzbrandt und gelber Knopff benamset ist. Nymm die Wurzel Radyr, so man untter Eychbäumen fyndet, so nycht untter hundert Jahr alt seynd; dazu nymm auch einen neuen Topff, darunnen noch Nychts gewessen, lege hyreyn syben Nägel von eynem Sarg, mache eyn Kreutz aus der Wurzel Radyr, das lege dazu. Wyrf darüber drey Hand voll Salz und bynde das Ganze wohl myt eyner Blasen zu. Am ersten Neumond nach St. Johanne da es 12 Uhr schlägt in der Nacht, eyngegraben 2 Ellen tief untter der Schwelle des Stalles und dazu gesprochen das Gebet, Aldekullam, hylfft geggen den flygenden Brand.“ — Um diesen Unsinn, der selbst dem, welcher sich nicht genügende Kenntnisse anzueignen vermochte, zu stark erscheinen muss, nur einigermaßen näher zu bezeichnen, genügt es darauf hinzuweisen, dass die Wurzel Radix sich nicht allein unter Eichbäumen, sondern unter allen Pflanzen befindet, denn Radix ist ein lateinisches Wort und heißt auf Deutsch: „Wurzel!“ Das Gebet, welches den sonderbar klingenden Namen führt, wird aber so leicht Niemand beten können, und wahrscheinlich wusste es derjenige, welcher mit dem Niederschreiben jener angeblichen Geheimnisse einen Anschlag auf den Geldbeutel unwissender und leichtgläubiger Menschen machte, selber nicht. Schon alte gute Sprichwörter warnen vor der Quacksalberei mit besonderem Bezug auf die Haustiere und sagen: „Man muss vor die rechte Schmiede gehen,“ — oder „Gehe zum Schmied und nicht zum Schmiedchen.“ Wer daher Haustiere besitzt, an deren Leben ihm gelegen ist, der gehe vor die rechte Schmiede, wenn sie krank werden.

Besonders vorsichtig sei er aber auch mit dem Gebrauch von sogenannten Hausmitteln. Diese haben von jeher mehr Unheil als Gutes gestiftet, eben weil der Gebrauchende sie und ihre Wirkung nur vom Hörensagen kennt und sich darüber durchaus keine Rechenschaft abzulegen vermag. Gar oft artet dies Hausmittel-Geben bei den Tieren in die abscheulichste Quälerei aus. Wie oft geschieht es noch, dass einem halb blinden Pferd der Staub des kugelförmigen Bovistschwammes in die Augen gedrückt wird, in der Meinung, es erhalte dadurch seine Sehkraft wieder, während dies das einzige Mittel ist, sie unrettbar zu zerstören; wie häufig gibt man erkrankten Tieren einen Trank durch die Nase ein, weil man glaubt, das sei ein näherer Weg in den Magen als der Schlund, und setzt dadurch das Tier im besten Fall einer Lungenkrankheit, wo nicht der Erstickung aus; wie häufig werden die Pferde durch Arsenik oder Rattengift, das man in ganz kleinen Mengen unter ihr Futter mischt, schleichend, aber unheilbar vergiftet, während man bloß die Absicht hat, sie dadurch fett und wohlleibig zu machen! Nicht weniger wie das Pferd muss der Esel leiden, wo er bei uns gehalten wird. Derselbe ist zum Ruf eines dummen Tieres gelangt, ohne dass er es im Mindesten verdient, und es ist ein hartnäckiger Glaube der meisten Leute, dass der Esel, wenn er nur einigermaßen gedeihen solle, weit mehr Schläge als Futter bekommen müsse. Aber gerade bloß durch die schlechte Nahrung und die unmenschliche Behandlung, welche ihm zu Teil fällt, wird der Esel zu dem langsamen, störrischen Tiere, das er ist, während er, gut gezüchtet und gehalten, an Lebhaftigkeit und Verstand mit dem Pferde wetteifert. Am meisten Aberglaube kommt wohl bei dem Rind in Schwang und die blaue Milch der Kühe spielt dabei eine große Rolle. Es gibt eine Anzahl von unter dem Futter wachsenden Pflanzen, deren Genuss die Milchabsonderung dünner und fettarmer macht, als sie es sein soll; ist nun durch Zufall dieser Übelstand bei einer Kuh eingetreten, so vermutet der ängstliche Besitzer eher alles Andere, als die richtige Ursache. Da hat bald ein altes Weib die Kuh besprochen, oder es ist ein Feuerdrache durch den Stall gefahren, oder die drei Kreuze, welche über der Türe stehen, sind nicht mehr sichtbar und was derlei Unsinn noch mehr ist. Es ist kaum nötig, auf die Torheit solcher Meinungen aufmerksam zu machen. Weder ein altes noch ein junges Weib vermag durch Worte die Verrichtungen des tierischen Körpers zu leiten und zu ändern, der sogenannte Feuerdrache ist weiter Nichts, wie eine glänzende Lichterscheinung, ähnlich wie der Blitz, und die 3 Kreuze über der Stalltüre können doch im besten Falle keine andere Deutung erhalten, als dass sie das Eigentum unter Gottes Schutz stellen sollen; es wäre aber schlimm, wenn es nicht auch ohne dieselben darunter stände. Bei gar manchen Krankheiten des Rindviehes werden noch die allerverkehrtesten Mittel angewendet, bloß weil sie aus alter Zeit durch die Sage überliefert worden sind und den Anstrich des Geheimnisvollen haben. So gibt man an vielen Orten den Kühen, wenn sie aufgebläht sind, eine Hand voll Erde von einem Grabe; wenn diese Erde recht kalkhaltig, ist, so hilft das Mittel auch öfters, aber gewöhnlicher Kalk hätte es auch getan. Bei der Maulseuche macht der Landmann das Übel oft zehnmal ärger dadurch, dass er dem leidenden Tiere die Blasen auf der Zunge öffnet und die wunde Haut dann mit Essig, Pfeffer und Salz einreibt, das vortrefflichste Mittel, um die Krankheit völlig unheilbar zu machen. Ein besonders merkwürdiges Leiden des Rindviehes ist die Knochenbrüchigkeit, durch welche das Tier auffallend rasch gänzlich abmagert und seine Knochen so spröde werden, dass dieselben beim Gehen zerbrechen. Über die Ursachen desselben sind die allerseltsamsten Meinungen verbreitet; bald soll es davon herrühren, dass das Tier von einer Kröte in die Zunge gebissen worden sei, bald davon, dass es Glasscherben verschluckt habe; hier und da glaubt man, die Krankheit komme von dem Genuss des Huflattigs her, bald sagt man, das Tier habe eine heiße Leber, welche dem übrigen Körper alle Feuchtigkeit entziehe, so dass er zu Grunde gehen müsse. Alle diese Ansichten sind aber grundfalsch und besonders lächerlich diejenige mit dem Krötenbiss. Die Krankheit hat ganz einfach ihren Grund darin, dass sich der phosphorsaure Kalk der Knochen durch fortwährendes Füttern von Pflanzen, die bloß Kohlensäure enthalten, wie z. B. Esparsette, in kohlensauren Kalk verwandelt. Gewöhnlich ist mit der Knochenbrüchigkeit die sogenannte Lecksucht verbunden, bei welcher das Tier an allen möglichen Gegenständen leckt, namentlich an Stroh, Steinen, Mauern u. s. w. und gewissermaßen dadurch zu erkennen gibt, was ihm fehlt. Überhaupt wäre über den Wahn, der größenteils noch hinsichtlich der Krankheitserscheinungen bei den Haustieren herrscht, gar Vieles zu sagen; so über die Drehkrankheit der Schafe, die bloß eine Folge von Würmern im Gehirn ist, über die Räude des Schweins, welche aus Unreinlichkeit und keineswegs durch Ansteckung von Ratten entsteht u. s. w., allein es möge genügen hier darauf hinzuweisen, dass in allen bedenklichen Krankheitsfällen der Haustiere die Hilfe eines erfahrenen Tierarztes in Anspruch genommen werden soll, welcher dann schon das Seinige tun wird, um dem Irrglauben zu steuern und vernunftgemäße Ansichten zu verbreiten.

Wenn der erwähnte Aberglaube nun auch beklagenswert ist, so schädigt er doch großenteils bloß das Eigentum; bringt aber nicht das Leben des Menschen in Gefahr, wie dies stattfindet, wenn er bei der fürchterlichen Krankheit eines der gewöhnlichsten Hausgenossen, der Hundswut auftritt. Es gibt fast keine Erscheinung, über welche so viele irrtümliche und durchaus abergläubische Ansichten verbreitet sind, wie über dieses entsetzlichste aller Übel. Die Wutkrankheit, welche nicht allein bei dem Hunde, sondern auch bei dem Wolf, dem Fuchs und der Katze ausbricht, ist im höchsten Grad ansteckend, allein nur entweder durch den Biss oder durch Vermischung des Speichels oder Blutes des kranken Tieres mit dem Blute eines gesunden; alle gebissenen Tiere ohne Ausnahme und ebenso der Mensch verfallen dann demselben furchtbaren Leiden, wenn nicht bei Zeiten ein richtiges Verfahren dagegen eingeschlagen wird. Schon die Zeichen, welche gewöhnlich zur Erkennung eines tollen Hundes nach allverbreiteter Annahme dienen sollen, sind sämtlich teils unwahr, teils trügerisch, so dass Belehrung über dieselben zur Pflicht eines jeden Wissenden wird. Namentlich ist niemals, unter keinen Umständen, das wutkranke Tier wasserscheu, sondern es verhält sich zu dem Wasser gerade so, wie in gesunden Tagen. Es hat diese irrige Meinung schon vielen hundert Menschen das Leben gekostet, indem man eben einen tollen Hund für gesund hielt, weil er vor dem Wasser nicht zurückschreckte. Auch bei keinem gebissenen Tiere, nur bei dem Menschen, tritt auf der höchsten Stufe der Krankheit die Wasserscheu ein. Weiter soll der tolle Hund Schaum vor dem Maule haben, den Schwanz zwischen die Beine klemmen, immer nur gerade aus laufen und seinen Herrn nicht mehr kennen. Alles das ist aber nicht wahr; im Gegenteil hat er ein trocknes Maul, trägt den Schweif gekrümmt herabhängend, läuft, wie es sich schickt, und verliert fast niemals die Zuneigung zu seinem Herrn und den Gehorsam. Die eigentlichen Kennzeichen der Hundswut, deren erstes Eintreten darnach allerdings ziemlich schwierig zu erkennen ist, sind folgende: Das Tier verändert plötzlich, ohne sichtbare Ursache sein Benehmen, es zeigt sich fortwahrend aufgeregt, unruhig, schnappt in die Luft, zerkratzt alle Gegenstände und verschluckt die verschiedenartigsten Dinge, verliert die Fresslust, bekommt dagegen vielen Durst, obgleich es Schwierigkeit im Schlucken zu finden scheint. Am zweiten Tage werden die Augen entzündet, der Blick wird stier und unheimlich, das Tier hat beständigen Drang zur Entleerung und ist in den meisten Fällen fast nicht mehr in der Stube, oder in irgend einem geschlossenen Raume zu halten, sondern sucht davon zu laufen, wo und wenn es kann. Besonders auffallend erscheint die plötzliche Veränderung im Klange seines Bellens, welches ganz heißer, rau und höher wie gewöhnlich klingt, und eines der sichersten niemals trügenden Zeichen der Wut ist. Dann werden die meisten tollen Hunde auch bissig, schnappen bei der leisesten Reizung nach Jedermann und zwar ohne vorher merken zu lassen, dass sie erzürnt sind oder beißen wollen; nur in seltenen Fällen aber verwundet der Hund seinen Herrn, den er bis zum letzten Augenblick zu kennen und zu lieben scheint, obwohl man sich darauf durchaus nicht verlassen kann, eben weil dieser Umstand wesentlich durch die Gemütsart des Tieres bedingt wird. Nach und nach magert der Hund sehr ab und wird gelähmt, so dass er kann mehr vorwärts laufen kann. Alsdann ist die Wutkrankheit völlig entwickelt und das Tier dem Tod verfallen. Ein großer Irrtum ist es, wenn die Leute glauben, gesunde Hunde wichen dem tollen schon von selbst aus und kämen daher nicht leicht in Gefahr, gebissen zu werden; dies ist im Gegenteil niemals der Fall, wie auch schon die zahllosen Beispiele der Übertragung der Hundswut vermittelst des Bisses beweisen.

Die Ursachen der Wutkrankheit sind noch immer nicht klar erforscht. Die gewöhnliche Meinung schreibt sie der Einwirkung einer zu großen Hitze oder Kälte zu, allein mit entschiedenem Unrecht. Denn es ist eine ausgemachte Tatsache, dass gerade in den heißesten, wie in den kältesten Klimaten die Hunde niemals von der Wut befallen werden. In der Türkei, in Kleinasien und Nordafrika, wo sie zu Tausenden in den Straßen der Städte halb wild herumlaufen, weiß man ebensowenig von dieser fürchterlichen Krankheit, wie in Kamtschatka, Grönland und dem nördlichsten Amerika, wo der Hund das einzige Haus - und Zugtier ist. Auch die Nahrung und Lebensweise überhaupt scheint keinen besondern Einfluss auf das Entstehen der Wut zu haben, eben so wenig andere Unregelmäßigkeiten und Widernatürlichkeiten im Leben des Tieres. Genug, es bleibt hier noch ein Rätsel zu lösen, dessen Schlüssel vielleicht auch der zu einem möglichen Schutz vor dem Übel selbst sein kann.

Es ist ein sehr allgemeiner Aberglaube, dass die Wutkrankheit in geheimnisvoller Verbindung mit der Zahl Neun stände. Sie soll nämlich immer entweder am neunten Tage oder dann erst in der neunten Woche, oder darnach im neunten Monat, oder endlich im neunten Jahr nach dem Biss ausbrechen, sonst nicht. Es ist Schade, dass die nächste Steigerung auf das Jahr schon ein Jahrhundert ist, sonst hätte der Volkswahn vielleicht die Frist noch etwas weiter verlängert. Da die Zahl neun im Leben und besonders in den Krankheitsfällen des Menschen überhaupt eine vom Aberglauben erfundene Rolle spielt, so hat man sie wohl auch in die Wutkrankheit verflechten zu müssen geglaubt. Wie wenig Wahres aber an diesem Märchen ist, haben leider viele hundert Erfahrungen schon dargetan. Die Wut bricht gewöhnlich ziemlich rasch nach dem Biss aus, manchmal jedoch auch spät; es sind einzelne Beispiele bekannt, dass sie sich erst 4 — 5 Monate darnach zeigte, während gewöhnlich nach 8 Wochen wenig mehr zu fürchten ist; jedenfalls tritt sie niemals zu einer ganz bestimmten Zeit auf. Die Wutkrankheit ist immer tödlich und es gibt keine Vorbeugungsmittel dagegen. Allerdings will das Volk wissen, dass durch das Schneiden des Tollwurms dem Hunde die Fähigkeit genommen werde, der Krankheit zu verfallen; aber diese törichte und verdammungswürdige Quälerei besteht bloß darin, dass man dem Hund ein Stück des Zungenbandes ausschneidet, welches dazu dient, sein eigentümliches Wassersaufen möglich zu machen, und das der Aberwitz für einen giftigen Wurm, die Ursache der Tollheit hält. Das sicherste Mittel, eigenes und fremder Menschen Leben vor einer so entsetzlichen Krankheit zu schützen, liegt jedenfalls in einer, wo möglich gesetzlichen, Beschränkung des Hundehaltens.

Sobald ein Hund in den Verdacht kommt, toll zu sein, so muss er, falls er schon andere Hunde oder Menschen gebissen hat, mit möglichster Vorsicht an die Kette gelegt werden, damit man sich durch Beobachtung Gewissheit darüber verschaffen kann, ob er wirklich krank ist. Würde man ihn sogleich töten, so setzte man dadurch sich und Andere vielleicht einer unützen, langandauernden Sorge aus. Von Verdächtigen gebissene Hunde sollten aber ohne Umstände sogleich getötet werden.

Wenn ein Mensch von einem Hunde, dessen Gesundheitszustand nicht recht zu trauen ist, gebissen worden ist, so muss er augenblicklich die nötigen Vorkehrungsmaßregeln gegen etwaige Gefahr ergreifen. Was vor Allem und sogleich geschehen muss, ist ein längeres Auswaschen der Wunde mit lauwarmem Wasser und ein Unterhalten der Blutung durch Überbindung des gebissenen Teils. Wenn lauwarmes Wasser nicht auf der Stelle zu haben sein sollte, so muss warmer Urin angewendet werden; alle übrigen Waschungsmittel sind nicht so gut, wie die genannten. Natürlich muss mittlerweile sogleich nach einem Arzt geschickt worden sein, der sodann die Wunde mit einem glühenden Eisen ausbrennt, oder sie so tief als möglich ausschneidet oder ätzt. Wohnt der Arzt sehr entfernt, so kann das Letztere auch von einem Nichtarzt unternommen werden; man befeuchtet ein Stückchen Leinwand mit Schwefelsäure und tupft damit die Wunde so rein als möglich aus, oder ätzt sie mit Höllenstein, Ätzkali u. s. w.; alsdann muss dieselbe immer noch einige Wochen in Eiterung bleiben. Auch das Brennen und Ausschneiden kann im Notfall von einem Nichtarzt unternommen werden; jedenfalls ist jedoch die Zuziehung eines verständigen Arztes die Hauptbedingung möglicher Heilung.

Fast kein Jahr vergeht, dass nicht da und dort ein neues bewährtes Mittel gegen die Hundswut auftaucht und angepriesen wird, aber von den vielen Hunderten, welche schon bekannt sind, oder von ihren Besitzern geheim gehalten werden, von der wundertätigen Kapelle im Kölner Dom und dem Erbschlüssel an bis herab zu Tollstein, Maiwürmern, Spanischen Fliegen und Froschlöffelkraut hat in wirklichen Fällen noch kein einziges geholfen. Es ist daher nicht genug zu warnen vor jeder Quacksalberei bei einer unbedingt lebensgefährlichen und rasch verlaufenden Krankheit, wie es die Hundswut ist.

Pferde, Kühe, Schafe, Ziegen, Schweine, ja selbst Geflügel, die von tollen Hunden gebissen worden sind, bekommen ebenfalls die Wut und tragen sie auf andere Tiere über. Auch bei ihnen ist die größte Vorsicht zu beobachten, wenn auch bis jetzt nur sehr selten Fälle vorgekommen sind, in welchen die genannten Tiere dem Menschen gefährlich geworden wären. Dagegen sind Beispiele vorhanden, dass wütende Füchse Menschen angefallen und gebissen haben. Pferde haben schon öfters durch den Biss toller Wölfe die Wutkrankheit bekommen. Wo dieselbe einmal ausgebrochen ist, sei es bei Menschen oder Tieren, da ist keine Rettung mehr möglich und je schneller dann der Tod eintritt, eine um so größere Wohltat ist er.

Auch im gesunden Zustand ist der Hund gar häufig Gegenstand des Aberglaubens. So sind viele Leute der festen Überzeugung, dass ein eigentümliches Heulen des Hundes zur Nachtzeit den baldigen Tod eines Menschen aus dem Hause verkündige. Allein das arme Tier heult aus ganz andern Gründen als aus Besorgnis vor einem Todesfall, und es müsste sonderbar zugehen, wenn der Hund, das Tier, in die Zukunft eines Menschen blicken sollte, währen doch der Mensch nicht einmal die des Hundes, eines viel unedleren, rein tierischen Wesens zu enthüllen vermag. Und so verhält es sich mit einer Menge anderer ähnlicher Sagen.

Ein besonderer Umstand ist noch der Erwähnung wert. Es gibt nämlich Menschen, zu welchen die Tiere weit schnelleres und größeres Zutrauen fassen, wie zu anderen; so unterscheiden namentlich die Hunde mit großer Schärfe gleich diejenigen, welche ihnen geneigt sind, und räumen solchen Menschen oft ohne Weiteres eine Herrschaft über sich ein, die in den Augen Anderer unerklärlich wird. Aber die Erklärung ist leicht; die scharfen Sinne des Tieres wittern mit unfehlbarer Gewissheit aus den allerkleinsten Merkmalen dasjenige heraus, was dem gröberen, in Verbildung untergegangenen Sinn des Menschen entgehen muss. So weiß man auch viel zu erzählen von berühmten Pferdebändigern, die dem wildesten Ross bloß ein Wörtchen ins Ohr zu sagen brauchen, um es augenblicklich geduldig und zahm wie ein Lamm zu machen. Das Wortchen tut es nun freilich nicht, sondern das Wunder besteht in einem alten Rosstäuscherkunststück der Mann beißt nämlich das Tier herzhaft ins Ohr und der heftige Schmerz macht dieses dumm und widerstandslos. Dergleichen Erscheinungen, die in den Augen der Menge Wunder sind, haben immer einen guten, einfachen und natürlichen Hergang,

Zu den Haustieren gehört auch die Katze und gar oft ist sie das geliebteste und verhätscheltste Wesen im ganzen Hause. Sie verdient es aber nicht. Wie das ganze Geschlecht, das sie in Europa vertritt, ist sie falsch, hinterlistig, feig, boshaft und stets auf den Schaden des Menschen bedacht. Der einzige Nutzen, welchen sie leistet, besteht in der Vertilgung der Mäuse; aber es ist eine längst wahrgenommene Tatsache, dass auch die beste Hauskatze die Mäusejagd keinesweges mehr als Nahrungserwerb, sondern bloß zum Vergnügen betreibt und es ihr dabei ganz einerlei ist, ob die Mäuse den Menschen auffressen oder nicht. Das Halten der Katzen in Zimmern hat neben vielen Unannehmlichkeiten, wozu namentlich die durch sie stets verbreitete Unreinlichkeit gehört, die beständigen Diebereien, von welchen sie nicht lassen, gar nicht gerechnet, manches Gefährliche; wenn es auch nicht wahr ist, dass, wie viele Leute glauben, ein verschlucktes Katzenhaar dem Menschen unfehlbar die Schwindsucht bringe, so sind doch Beispiele vorhanden, dass Katzen einen Menschen dadurch getötet haben, dass sie, Wärme suchend, sich in der Nacht quer über dessen Hals legten und ihn erstickten. Ebenso sind schon öfters Angriffe von Katzen auf Säuglinge vorgekommen, so dass es Jedermann nicht genug zu empfehlen ist, Katzen wenigstens niemals bei Nacht im Zimmer zu lassen. Wo sie der Mäuse wegen gehalten werden, soll man sie wo möglich gar nicht in die Familie gewöhnen, sondern für sich selber sorgen lassen und ihnen nur Futter verabreichen, wenn dies unumgänglich nötig ist. Von jeher hat die Katze in sehr üblem Geruch gestanden. In den grauen Zeiten der Unwissenheit war sie der Geselle der Hexen, und der Teufel verwandelte sich gewöhnlich in einen schwarzen Kater. Schon das beweist übrigens, wie wenig Zutrauen das Volk mit richtigem Gefühl zu der Gemütsart dieses Tieres besitzt. Glücklicherweise ist von alten schaurigen Sagen jener Gattung wenig mehr haften geblieben und höchstens sieht man es als ein schlimmes Zeichen an, wenn einem zur Nachtzeit eine Katze über den Weg läuft. Manche machen freilich einen Unterschied und halten in solchem Fall eine weiße Katze für Glück bringend und bloß eine schwarze oder dunkel gefärbte für von übler Vorbedeutung. Aber Katze ist Katze, und es sähe wahrlich nicht gut in der Welt aus, wenn jedem Begegnen derselben ein Unglück auf dem Fuße folgen müsste. Oft aber muss der Gedanke aufsteigen, als habe sich der Mensch von Anbeginn der Welt an abgemüht, sich das Leben recht sauer zu machen und sich durch Hirngespinnste der wunderlichsten Art fortwährend in einem Zustand der Befürchtung und der Angst vor der Zukunft zu erhalten. So hat er sich selber freiwillig durch Irrwahn in ein Abhängigkeitsverhältnis zu Wesen gesetzt, welche tief unter ihm stehen und deren Einfluss auf sein Wohl und Wehe ganz von ihm selbst abhängt. Wie schädlich und Verderben bringend dies aber für ihn werden kann, das tritt nirgends deutlicher zu Tag als bei den Tieren, die er des Nutzens wegen an seine Person gefesselt hat, seinen Hausgenossen.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die Tierwelt und der Aberglaube