Schutzbedürftige Räuber

Gar oft habt Ihr schon an den Scheunentoren des Landmanns einen todten Raubvogel oder eine Eule angenagelt gesehen. Gewiss versäumt so leicht Niemand auf dem Lande die Gelegenheit, seinem Hause diesen sonderbaren Schmuck zu verschaffen, denn es geht die Sage, ein solcher Vogelleichnam diene gleichsam als Wache oder Scheuche und hielte, ein warnendes Beispiel, seine Verwandten fern von dem Dach, unter weichem er gekreuzigt worden ist. Schon aus diesem Grunde werden die genannten Tiere gejagt und getötet, wo es möglich ist. Aus ihrem Geschlecht haben besonders zwei zu leiden, der Bussard und die Schleiereule. Der erste, der auch hier und da Mäusefalke heißt, ist der bekannte, überall heimische braune Raubvogel, der langsam, unsere Felder durchstreift auf der Jagd nach Mäusen, Maulwürfen und kleinen Vögeln; die Schleiereule, die bekannteste ihres Geschlechts, wohnt überall in hohlen Bäumen, Kirchtürmen, öden Gebäuden und ihr hübsches Gefieder macht sie zu einer ganz freundlichen Erscheinung. Auch sie lebt hauptsachlich nur von Mäusen, welche sie unermüdlich verfolgt und vernichtet. Beide Tiere gehören daher entschieden zu den nützlichen, und wenn auch vielleicht der Bussard einmal einen jungen Hasen zerreißt, so tut er das erstens nur bei Mangel an anderer Nahrung und dann ist dieser Schaden gar nicht der Rede wert. Die Schleiereule vertilgt aber bloß schädliche Tiere. Es wird ihr zwar hin und wieder vorgeworfen, dass sie junge Tauben töte; es ist diese Meinung aber durchaus irrig. Sie lebt im Gegenteil mit den Tauben im besten Einvernehmen und begibt sich öfters in deren Schlag, um die darin befindlichen Ratten aufzusuchen. Aber weder ihr Nutzen, noch ihre Unschuld vermögen zu verhüten, dass ihr Erscheinen stets das Zeichen zur allgemeinen Jagd auf sie gibt. Selten wird ein Bauer, der eine Eule in der Scheune findet, die ihm bei Tag wegen ihres Nachtgesichtes nicht gut entgehen kann, ihr das Leben schenken; ebensowenig wird ein Jäger, dem ein Bussard schussgerecht kommt, sich enthalten können, die Flinte auf ihn anzulegen. Solches rücksichtslose Verfahren ist um so verwerflicher, als beide Tiere nach ihrem Tode ohne Gebrauchswert sind. In England ist die Beobachtung gemacht worden, dass in Gegenden, wo die Schleiereulen besonders häufig anzutreffen sind, die Feldmäuse niemals in so großer Zahl sich einstellen, wie anderswo; hingegen wurde in einer Landschaft, woselbst den Eulen töricht nachgestellt worden war, gerade die entgegengesetzte Erfahrung gemacht; hier vermehrten sich nach ihrem Verschwinden Ratten und Mäuse auf unglaubliche Weise. Ein alter Jäger schoss einmal, im Spessart-Forst einen Bussard; als das Tier niederfiel, sah er, dass es eine Maus in den Krallen und eine zweite im Schnabel hielt. Er stieg sodann zu dem Nest des Raubvogels empor, das aus Reisern lose zusammengeschichtet, wie ein Krähennest, hoch auf einer Buche stand. Vier Junge waren darin und nicht weniger als 15 Mause lagen rings um den Rand desselben, aber nicht eine Feder, kein besonderes Gewölle zeigte an, dass der Räuber auch andere Nahrung erjagt habe. Der alte Jäger hatte schon gar manchen Bussard geschossen, ohne viel darüber nachzudenken, als er aber wieder vom Baume herunter war, kam das Weibchen des getöteten Vogels mit wildem Geschrei geflogen, um seine Jungen zu verteidigen und er schoss es nicht, wie leicht er auch gekonnt hätte. Von der Zeit an hegte er ordentlich die Bussarde in seinem Revier, fütterte sie, wenn sie im Winter nicht weiter gezogen waren und hatte dafür die Genugtuung, dass seine Waldsaaten in ihren Kämpen frisch und kräftig keimten und wuchsen, wenn diejenigen seiner Nachbarn von den Waldmäusen ganz und gar zerstört worden waren. Die Schleiereule kann nur durch den Umstand in üblen Verdacht geraten sein, dass sie ein Nachtvogel ist. Das hat aber der Mensch aus dem Menschenleben genommen, dass er Alles verabscheut und Allem misstraut, was ein nächtliches Gewerbe treibt, wie es denn ganz eigentümlich ist, dass überall selbst die nützlichen Nachtwächter ohne Grund gehasst und vom Volksmund durch sprichwörtliche Redensarten verspottet werden. Da die Nacht aber, nicht und niemals des Menschen Feind, sondern im Gegenteil sein bester Freund ist, der ihm Ruhe und Vergessenheit bringt, so ist es töricht, mit ihren Schatten die abergläubische Furcht zu verbinden, die sich auch auf harmlose Tiere ausdehnt. Der Bussard oder die Eule an dem Scheunentor erhält daher eine ganz andere Bedeutung, als die Errichter solcher Denkmäler wollen und am Glimpflichsten lautet noch die Auslegung: „Hier hat das Ungeziefer freien Pass!“

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die Tierwelt und der Aberglaube