Das verkannte Verdienst

Der Gärtner Jacob stand auf seinem Spaten gelehnt und betrachtete mit sehr ärgerlicher Miene mehrere Beete, deren meiste junge Pflanzen nicht allein welk und augenscheinlich vernichtet, sondern die auch da und dort mit hohen, frischaufgeworfenen Erdhaufen bedeckt waren. Als ich mich ihm näherte, winkte er mir mit der Hand Behutsamkeit zu, deutete auf den Boden und flüsterte: „Pst! Ich laure auf den Maulwurf. Der Spitzbube hat mir das halbe Frühgemüse schon zu Schanden gemacht und will auch die Pflänzchen des Spätkrauts nicht verschonen; aber ich passe ihm auf den Dienst. Sehen Sie diese Gänge und Haufen; es ist noch keine Viertelstunde her, dass er sie aufgeworfen, und der Räuber ist noch nicht weit; wenn wir uns still verhalten, so wird er unser. Jetzt — jetzt stößt er! Acht gegeben!“ Und mit gewaltigem Spatenstich schleuderte plötzlich Jacob den schwarzen Gesellen aus seinem unterirdischen Pass herauf an das Sonnenlicht; ehe ich nur ein Wort sagen konnte, hatte er ihm auch schon durch einen Spatenschlag den Garaus gemacht. „Der frisst mir keine Wurzel mehr ab,“ sagte er zufrieden lächelnd. „Wenn er überhaupt jemals welche abgefressen hat,“ entgegnete ich. „Wie — was?“ rief der Gärtner ganz erstaunt, „Sie nehmen wohl diesen Burschen in Schutz? Da sehen Sie doch einmal her!“ Und er bückte sich und zog ein welkes Endivienpflänzchen aus dem Boden; augenscheinlich war die Wurzel desselben abgebissen und dies die Ursache seines Verwelkens gewesen. „Was braucht es mehr?“' fragte er mich achselzuckend. Ich aber erwiderte: „Der Maulwurf ist tot und wenn er auch noch lebte, könnte er sich doch nicht gegen Eure ungerechten Vorwürfe verteidigen; deshalb will ich das Amt seines Advokaten übernehmen. Das werdet Ihr doch zugeben, guter Freund, dass der schwarze Bursche da Nichts im Magen haben kann, als was er vorher gefressen hat? Nun gebt einmal Acht! Mit diesem Federmesser öffne ich das Tier; hier ist sein Magen, ich schneide ihn auf; da kommt der Inhalt. Lasst doch sehen, aus was er besteht! Dies hier sind unzweifelhaft Stücke eines Regenwurms; schon ein Feind Eurer Beete, Meister Jacob, den der Maulwurf vertilgt. Aber weiter: Hier ist ein völlig erhaltener Körperteil, der fast wie eine Hand aussieht und auffallend an die Vorderfüße des Maulwurfs selbst erinnert. Ihr wisst recht gut, welchem Tiere dieses Stück angehört hat, der Werre oder Maulwurfsgrille, einem der gefährlichsten und unersättlichsten Insekten, welches noch weit mehr zu fürchten ist, als derjenige, dem es zur Speise dient. Und hier, diese Reste sind ebenfalls nicht zu verkennen; es sind die roten Köpfe von Engerlingen, und den Schaden, welchen diese schlimmen Gäste anstiften, kennt Ihr aus Erfahrung und werdet ihn gleich noch näher kennen lernen. Denn jetzt tut mir einmal den Gefallen und stecht eine der verwelkten Pflanzen mit dem Spaten aus. Siehe da, ein Engerling an der Wurzel! Nun noch eine und wieder eine. — Ihr konntet Alle ausgraben und Ihr würdet fast an jeder denselben bösen Feind, die Larve des Maikäfers, finden. Sie ist des Maulwurfs liebste Nahrung und nun begreift Ihr doch, warum er gerade diese Beete und nicht jene anderen, wo ältere Pflanzen kräftig wachsen, durchwühlt hat? Er sucht sein Futter und dadurch, dass Ihr ihn getötet, habt Ihr Tausenden von Regenwürmern, Werren, Engerlingen, Schnecken, ja selbst auch mancher Kröte und mancher Maus das Leben geschenkt. Wollt Ihr nun der verkannten Unschuld Abbitte leisten?“

„Es ist sonderbar!“ sagte der Gärtner. „Ich muss Ihnen glauben, denn Sie haben mich durch den Augenschein überzeugt, aber dennoch sträubt sich mein Inneres dagegen, ein Tier, das ich von Jugend auf als schädlich gehasst und verfolgt habe, nun auf einmal sogar als nützlich anerkennen zu müssen. Jedenfalls schadet der Maulwurf doch dadurch, dass er die Erde aufstößt, Pflanzen lockert und Gärten und Äcker unsauber macht.“


„Je nun,“ antwortete ich, „der Schaden ist doch so groß nicht und kann mit etwas Fleiß gar leicht ausgebessert werden.“

„Aber auf den Wiesen,“ rief Jacob, „da sind doch nie Maulwurfshügel gar unangenehm, denn sie hindern die Sense, vermindern den Graswuchs und sehen hässlich aus.“

„Ganz recht,“ fuhr ich fort, „wenn man sie eben lässt, wie und wo sie sind. Gerade auf den Wiesen ist der Maulwurf ein Prediger des Fleißes. Wenn seine frischaufgestoßenen Haufen sogleich mit Schaufel und Rechen verstreut werden, so dient die lockere Erde derselben zur Verjüngung der Grasnarbe, welche darnach freudiger und reichlicher tragt; die Sense wird sodann weder einen Anstoß finden, noch werden jene Hügel als Denkmäler der Trägheit der Wiesenbesitzer dastehen. Übrigens gibt der Maulwurf den Letzteren eine gute Lehre, die sie sich nicht entgehen lassen dürfen. Da er die Feuchtigkeit durchaus nicht vertragen kann, so hält er sich nur in solchen Wiesen dauernd auf, welchen es an Wässerung fehlt, und die deshalb weit besser zu Ackerland umgebrochen würden. In einer guten, regelmäßig bewässerten Wiese habt Ihr gewiss noch keinen Maulwurf gesehen.“

„Ich glaube, Sie haben Recht,“ antwortete der Gärtner, nachdem er einige Augenblicke lang nachgedacht hatte. „Allein Sie erwähnten vorhin, dass der Maulwurf auch Mäuse fräße; nun möchte ich aber doch wissen, wie er es anfängt, dieselben zu bekommen, denn er ist ja blind und sieht nur im Augenblick seines Todes, wenn sein Sehen ihm nichts mehr hilft. Es ist recht schade, dass wir den Burschen da zu schnell getötet haben, sonst hätten wir uns seine Augen betrachten können, welche erscheinen, sobald man ihn mit einer Nadel in den Rüssel sticht, wonach er dann auf der Stelle stirbt.“

„Ihr könnt sie sehen,“ sagte ich, „ohne nutzlose und schändliche Quälerei des Tieres. Schaut her, da sind sie. Der Maulwurf hat recht gute Augen, nur sind sie mit Haaren bedeckt, welche ihnen Schutz verleihen vor der Erde, in der das Tier wühlt; man braucht nur auf die Stelle zu blasen und sogleich legen sich diese kranzförmig zurück, so dass das Auge sichtbar wird.“

Der Gärtner schüttelte bedächtig den Kopf; er hatte so viel Neues über ein Tier vernommen, welches seiner Meinung nach eines der schädlichsten in der Welt war, dass er sich noch kaum von seinem Erstaunen zu erholen vermochte. Da ich sah, dass noch nicht alle Zweifel in ihm getilgt waren, so fuhr ich fort: „Die Ehrenrettung des Maulwurfs hat schon längst vor mir ein Mann versucht, welchem Bildung und sittliche Hebung seiner Mitmenschen mehr am Herzen lagen, als alles Andere. Er hieß Hebel und seine Schriften sind, wie sein Gemüt es gewesen, ein Schatzkästlein voller Wahrheiten, Edelsinn und Aufklärung im Schmuck der liebenswürdigsten Laune. Und das kleine Tier verdient wirklich mehr Schonung, als ihm bis jetzt zu Teil wird, denn es ist in der Tat nützlich, so dass man sagen kann, es wird nur da am eifrigsten verfolgt und vertilgt, wo Unwissenheit und Trägheit am meisten zu Hause sind. Es geht in dieser Hinsicht dem Maulwurf gerade so, wie dem vielfach verunglimpften, guten Igel.“

„Nun, den werden Sie doch hoffentlich nicht rein waschen wollen?“ rief der Gärtner lachend, „oder wenn Sie es auch wollen, so wird es Ihnen unmöglich sein!“

„So?“ erwiderte ich; „was könnt Ihr denn eigentlich dem Igel vorwerfen? — Was sind seine Verbrechen? — Wodurch schadet er?“

„Darauf ist leicht Bescheid zu geben,“ sagte Meister Jacob mit sicherer Miene; „den Igel muss man totschlagen und ausrotten, wo man ihn findet, denn er ist der heimtückischste Bösewicht, den es nur geben mag. Dass er uns Gärtnern unendlichen Schaden tut, indem er auf die Bäume kriecht, das beste Obst abbricht, sich dann in eine Kugel zusammenrollt und herabfallen lässt, worauf er unten frisst, was er kann und das Übrige an seine Stacheln spießt und so davon tragt, wobei er aussieht wie ein wandelnder Korb voll Äpfel und Birnen — das möchte noch hingehen, wenn es gleich schon Grund genug wäre, das garstige Tier zu töten, wo man es trifft. Das Schlimmere aber ist, dass sich der Igel bei Nacht in die Ställe armer Leute schleicht und den Kühen die Milch aus dem Euter saugt, so dass, wenn die Melkerin am Morgen kommt, kein Tropfen mehr darin ist. Überhaupt ist der Igel ein unheimliches Tier; mit seinem Fett können die Zigeuner allerlei schreckliche Krankheiten bei Vieh und Menschen hervorbringen, weshalb man sich hüten muss, sie ohne Almosen gehen zu lassen und zu erzürnen; und dass eine Igelhaut, ins Bettstroh versteckt, keinen Menschen schlafen lässt, ist eine bekannte Sache.“

„An dies Letztere will ich glauben!“ fuhr ich jetzt lachend heraus, „besonders wenn die Stacheln durchgehen und den Ruhebedürftigen kitzeln. Nehmt es mir nicht übel, Meister Jacob, Ihr seid ein geschickter und verständiger Gärtner, aber in der Naturgeschichte der Tiere seid Ihr blitzwenig bewandert. Denkt doch nur ein Wenig nach. Das Igelfett hat noch niemals einen Menschen weder krank noch gesund gemacht, denn sonst wäre es in den Apotheken zu haben und die Ärzte gebrauchten es, die doch gewiss eben so gut wie Ihr von seinen vermeintlichen Wirkungen gehört haben müssen. Durch derlei abergläubische Spiegelfechtereien tauschen die Zigeuner vielleicht hier und da gutmütige Landleute, um dadurch Furcht und Geschenke zu erzwingen. Mit dem Milchaussaugen des Igels ist es noch viel weniger; dazu ist seine rüsselförmige Schnauze und sein Gebiss gar nicht eingerichtet, und ich möchte wohl einmal sehen, wie das kleine Geschöpf es anfinge, dem großen Euter einer Kuh Milch zu entlocken; er vermöchte mit dem besten Willen die Zitze nicht so weit zu packen, wie dies dazu unumgänglich notwendig ist. Wenn der Igel manchmal in Ställen betroffen wird, so ist er gar nützlich beschäftigt; er befindet sich nämlich auf der Mäusejagd.“

„Das ist auch wahr,“ unterbrach mich der Gärtner; „es fällt mir ein, dass ich selbst schon einen Igel mit einer Maus zwischen den Zähnen gesehen habe!“

„Ja, und außer den Mäusen frisst er schädliche Insekten, Schnecken, Würmer und Schlangen, so dass er der größte Freund das Menschen zu heißen verdient. Zu solchem hat ihn die allweise Natur bestimmt und darum hat sie diesem harmlosen, tätigen und nützlichen Tiere auch eine Eigenschaft verliehen, welche es vor allen übrigen Geschöpfen außerordentlich auszeichnet. Von allen lebenden Wesen ist, zahlreichen Erfahrungen nach, der Igel das einzige, welchem kein Gift schadet. Weder der Arsenik, noch die Bisse der Giftschlangen vermögen ihm etwas anzuhaben; Beide verzehrt er mit dem größten Appetit und ist namentlich der unermüdliche Vertilger der einzigen deutschen Giftschlange, der Kreuzotter. Aus diesem Grunde ist es mir oft vorgekommen, als könne südlichen Ländern, wo es so viele giftige Kriechtiere gibt, keine größere Wohltat erwiesen werden, als wenn man den Igel dorthin verpflanzte und es versuchte, ihn daselbst heimisch zu machen.“

„Ich sehe schon,“ sagte der Gärtner, „daß es mit dem Baumklettern ebenfalls Nichts ist, und dass Sie auch in dieser Hinsicht den Igel weiß waschen können.“

„Allerdings ist es Nichts damit,“ fuhr ich fort. „Seht nur einmal das Tier genau, an und dann sagt mir, ob Ihr es für möglich haltet, dass es einen Baum hinaufklettern kann? Freilich liebt der Igel einen guten Apfel und eine saftige Birne recht sehr und lässt sich dieselben wohlschmecken, wenn er sie im Grase findet; allein weitere Mühe gibt er sich nicht darum. Es mag wohl vorgekommen sein, dass sich einmal zufällig eine Frucht an seinen Stacheln festspießte und er damit davongelaufen ist, freiwillig jedoch trägt er solche Last, die ihm sehr hinderlich wäre und die er kaum wieder los werden könnte, gewiss nicht fort. Der kleine Schaden aber, den der Igel dem Menschen zufügt, wenn er ihm einige Stücke abgefallenen Obstes entführt, wird allein schon dadurch aufgewogen, dass er die Wurzeln der Quecke und des Wegerichs, zweier schlimmen Unkrautpflanzen, eben so gern aufsucht und ausgräbt. Außerdem frisst er keine Pflanzenstoffe, sondern lebt bloß von menschenfeindlichem Ungeziefer. Daher wird er von vorurteilsfreien und vernünftigen Menschen nicht nur geschützt und gehegt, sondern auch trotz seines üblen Geruchs als Haustier gehalten, wo er dann, den Speicher von Mäusen, die Küche von Heimchen und den Keller von Schaben reinigt. Kurz , noch einmal, es gibt wenig nützlichere, harmlosere Tiere wie der Igel, und tief beklagenswert ist es, dass er noch so gar häufig mit einer Hast und Grausamkeit verfolgt wird, welche am gesunden Sinn des Menschen verzweifeln lassen.“

Meister Jacob sah mich, als ich geendet hatte, lächelnd an, kratzte sich gedankenvoll den Kopf und sagte: „Ich hätte kaum geglaubt, dass ich in einer kurzen Stunde und in meinen alten Tagen noch so viel lernen könnte, wie heute. Aber ich bin Ihnen dankbar dafür, denn zum Lernen ist man nie zu alt, und ich will mir Mühe geben, das, was ich vernommen habe, anzuwenden und auch auf Andere überzutragen. Dem Maulwurf und dem Igel geht es wie vielen Menschen: Jedermann weiß nur Böses von ihnen zu sagen, aber ihre Verdienste bleiben im Stillen.“

„Wo es sich aber um den eigenen Nutzen handelt, da sollte man doch wenigstens bereit sein, dieselben anzuerkennen!“ entgegnete ich, und dann schieden wir von einander, ein Jeder an seine Arbeit.

Ein Paar Tage darnach sah ich, ohne gesehen zu werden, wie Meister Jacob einen gefangenen Maulwurf sorgfältig in die Baumschule trug, wo die Engerlinge vielen Schaden anrichteten, ohne dass man ihnen auf geeignete Weise hätte beikommen können, und ihn daselbst laufen ließ. Später erblickte ich auch einen Igel im Kuhstall und die Knechte erzählten mir, sie hätten ihm in mancher mondhellen Nacht aufgelauert, ob er an den Kühen sauge, aber er habe sich um weiter Nichts bekümmert, als um Mäuse, und diese finge er mit größerer Geschicklichkeit, als die beste Katze.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die Tierwelt und der Aberglaube
Der Maulwurf

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