Der Rhein als Schicksal oder Das Problem der Völker

Mit Aufsätzen von Theodor Rumelin und Erwin Hanslik nebst einem Kapitel aus dem Unum necessarium des Comenius, Johann Amos, 1592-1670.
Autor: Paquet, Alfons (1881-1944), Erscheinungsjahr: 1920
Themenbereiche
"...Denn der Krieg ist etwas Bestialisches. Dem Menschen ziemt Menschlichkeit und Sanftmut, und alle Streitigkeiten lassen sich durch ein verständiges Urteil beilegen."

Aus dem Unum necessarium des Comenius, Johann Amos, 1592-1670.
Vorwort

Diese Schrift ist aus einem Vortrag entstanden, der am 2. November 1919 vor der Gesellschaft der Künste in Köln gehalten und zuerst in der von Karl Nierendorf herausgegebenen Buchfolge „Der Strom“ gedruckt wurde.

Dem Vortrag ist durch die Aufsätze, die im Rahmen dieses Buches folgen, eine Erweiterung gegeben. Die Zusammenstellung kann zuerst befremden. Vielleicht ist dieses Buch dem einen Leser nur ein Anruf, das Herz hoch über die Lasten dieser Zeit zu erheben, dem anderen ein Schritt von praktischer Bedeutung. Jedenfalls schien es dem Verfasser erlaubt, ohne daß die freundschaftliche Hergabe dieser Beiträge Mitverantwortung für den sonstigen Inhalt des Buches bedeute, die Aufsätze von Theodor Rümelin über „Wasserkraft und Schiffahrt beim oberen Rhein“ und ein paar Blätter aus dem Werke „Menschheit“ des österreichischen Denkers Erwin Hanslik nebeneinander zu stellen und das Ganze durch ein Kapitel aus dem Unum Necessarium des Comenius abzuschließen.

Es handelt sich mit dieser Schrift um einen Versuch, die Komplexität eines Problems aufzuweisen, das als Lebensfrage viele Menschen von vielen Seiten her beschäftigt. Auch in der neuen Erziehung wollen sich Naturkunde, Wirtschaftskunde und Geisteskunde wieder zur Einheit zusammenzufügen, — zur Einheit der Anschauung und des schöpferischen Wollens. Und liegt nicht die Erörterung dessen, was uns anregt, über die tiefe Verbundenheit von Landschaft und Schicksal nachzudenken, zwischen den Gedankenreihen, die der moderne Ingenieur in seiner von Zahlenenergien gesättigten Sprache aufbaut, und den aus zeitlosem Born geschöpften Worten des Weisen, des Sehers, des Träumers aus alter Zeit?

Die Bestimmung einer großen Landschaft wie der rheinischen liegt weder in technischen Vollendungen noch in gesellschaftlichen Erneuerungen, noch in geistigen Wiedergeburten allein, wohl aber in diesen dreien zusammen; der Strom ist Schicksal auf jedem dieser Gebiete.

Bei dem wachsenden Überdruss der Menschen an den alten machtpolitischen und parteipolitischen Formen richten sich unwillkürlich alle Hoffnungen auf neue große Gegenstände der Arbeitsvereinigung, auf Ströme, Gebirge, Kontinente in ihrer Ganzheit. In der Phantasie von Architekten und Künstlern schweben die Entwürfe zu Neugestaltungen von großartiger Schönheit. Aber nicht von Luftschlössern, die aus den Launen des Augenblickes wie Seifenblasen in das blaue Reich der Vergessenheit entschweben, ist hier die Rede, sondern von Wirklichkeiten, denen eine erwachende Fähigkeit der Gemüter entgegenstrebt. Einerlei, ob die Gilde oder die Industriegewerkschaft zum Anfang dienen mag, oder ob die Idee der übergewerklichen Arbeiterkorporation sich um einen Kern von neuer gemeinschaftsbildender Kraft gestaltet, so ist die kultivatorische Grundabsicht das wesentliche. Bleiben wir beim Rhein und bei dem Gesetz, das für seine Landschaft gilt, so muss, was hier entscheidet, irgendwie auch für andere Landschaften Geltung haben.

Die Internationalität des Rheinproblemes erscheint heute als unwiderruflich, aber sie ist es nur, wenn seine Lösung in einer neuen Menschlichkeit vor sich geht und sich selber zum Beispiel aufstellt, um auf ewig die barbarischen Kämpfe Europas zu beenden.