Andreas Kyrillowilsch Rasumovski

Ein Fragment aus der Geschichte der russischen Diplomatie
Autor: Schnitzler, Johann Heinrich (1802-1871) deutscher Statistiker, Historiker, Russlandkenner und Publizist, Erscheinungsjahr: 1863
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Russland, Diplomatie, Befreiungskrieg, Napoleon, Wiener Kongress, Lebensgeschichte, Geschichte der Diplomatie, Russische Fragmente,
Aus: Historisches Taschenbuch. Herausgegeben von Raumer, Friedrich Ludwig Georg von (1781-1873) deutscher Historiker und Politiker. Bd 44. Folge. Vierter Jahrgang. 1863


Die vielbesprochene Tüchtigkeit der russischen Diplomatie schreibt sich nicht von gestern her: schon im vorigen Jahrhundert, zur Zeit der Reichskanzler oder Reichsvizekanzler Ostermann, Bestushev und Panin, war sie anerkannt; und nicht der geringste Beweis ihrer Erfolge ist jener Friedenstraktat von Teschen (22. Mai 1779), in welchem Russland, neben Frankreich, sich zum Vermittler und Bürgen auswerfen durfte, was dann aus die Neugestaltung Deutschlands, im Anfange gegenwärtigen Jahrhunderts, einen bedeutenden Einfluss übte.

Wie sehr die Geschichte dieser Diplomatie des Verfassers Aufmerksamkeit in Anspruch genommen hat, mag den nächsten Jahren zu beurkunden überlassen bleiben. Hier geht unsere Absicht nur dahin, einen der wirksamsten Vertreter derselben, den Grafen, nachherigen Fürsten, Andreas Rasumovski, den gebildeten Leserkreisen vorzuführen, und, von ihm ausgehend, einige Blicke aus die jüngstvergangene Zeitgeschichte zu werfen, für welche dieselben vielleicht nicht ohne einige Beleuchtung bleiben dürften. Wir möchten zugleich versuchen, mittels dieser politischen Lebensgeschichte, ein Seitenstück zu der lehrreichen Notiz über den Grafen Morkov (man spreche Markov) aufzustellen, die man in den höchst merkwürdigen „Russischen Fragmenten“ von Bodenstedt gelesen hat.

Der Name Rasumovski ist, in unserer so vergesslichen Zeit, etwas mehr als recht ist in den Hintergrund getreten: im 18. Jahrhundert war er ein allgemein bekannter. Es ist der Name einer Familie, die sich aus dem Staube bis aus die obern Stufen eines mächtigen Thrones erhoben, und, in ihren Anfängen besonders, bewiesen hat, dass sie dieser Erhöhung nicht unwürdig war. Denn obgleich man zu sagen pflegt, das Glück sei blind, weiß am Ende Fortuna doch gelegentlich recht gut diejenigen ausfindig zu machen, denen, durch Charakter oder Geistesanlagen, zu hohen Ämtern und Würden Befähigung zu Teil geworden ist.

Es sei uns vergönnt, ehe wir mit der Laufbahn des Neffen und Sohnes der ersten Rasumovski uns befassen, in Kürze dieser letztern zu gedenken, und deren Geschichte einer kritischen Sichtung zu unterwerfen.
Ihr Ursprung, als einer historischen Familie, gehört der Regierungszeit der Kaiserin Anna Joannewna (1730 — 1740), ihre wirkliche Erhebung der ihrer Nichte Elisabeth Petrowna (1741 — 1762) an, dieser ganz der Sinnlichkeit ergebenen Monarchin, welche in einem frühern Band des „Historischen Taschenbuch“ (Jahrgang 1837) so geistreich und scharfsinnig beurteilt worden ist.

Die Tochter Peters des Großen war erst noch Cesarevna, als, unter der Regierung ihrer Muhme, Anna Joannowna, ein kleinrussischer Sänger in der kaiserlichen Kapelle bemerkbar wurde, dessen schöne Gestalt alsobald Aufmerksamkeit erregte. Er hieß Alexis Grigoriewitsch Rasumovski, war im Jahre 1709 in einem Dorfe der tschernigovschen Statthalterschaft von halbkosackischen Ältern geboren, deren wahrer Name Rasum war, und mochte damals 25 Jahre alt sein. Des Kirchensängers Wohlgestalt und einnehmendes Wesen entging der Kennerschaft der Prinzessin nicht. Seit ihrem siebzehnten Lebensalter (sie hatte ebenfalls im Jahre 1709, kurz nach der Schlacht von Poltawa, das Licht der Welt zuerst erblickt) an geheimen Umgang mit Männern gewöhnt, hatte sie von Anfang an ihre Wahl nicht von Stand und Rang oder geistiger Liebenswürdigkeit abhängig gemacht, und so nahm sie auch jetzt keinen Anstand, den jungen Kleinrussen in ihre unmittelbare Nähe zu ziehen, obgleich er von ganz geringem Herkommen war.

Der Neugewählte täuschte die Erwartung der Großfürstin nicht. Die Russen sind bekanntlich bildsam und vor andern geschickt äußere Glätte und Geistespolitur schnell sich anzueignen; die Kleinrussen sind es noch in höherem Grade als ihre Brüder von Großrussland. Alexis Rasumovski verstand es ebenso sein Betragen der Glücksstufe anzupassen zu welcher er erhoben war, sich angenehm und anziehend zu machen, ja sich von Tag zu Tag mehr einzuschmeicheln, sodass er Elisabeth an sich fesselte und ihr unentbehrlich wurde. Dabei muss bemerkt werden, dass sein gefälliges, taktvolles, seines und das Herz gewinnendes Benehmen nicht etwa bloß die Frucht kalter Berechnung, schlauen Eigennutzes oder gar niedriger Kriecherei war; der junge Mann war von Natur gutmütig, freundlich, offen, anschmiegend und leutselig. Auch war es vorauszusehen, dass das Glück ihn nicht verderben, dass er sich dessen nicht stolz überheben würde. In der Tat, obgleich er demselben bald im Schoße lag, blieb er doch was er war, im Umgang mit der Jugend fröhlich und mitteilend, rücksichtsvoll und aufmerksam mit gewiegten oder Achtung gebietenden Personen, und gegen das Alter ehrerbietig. Auch nahm seine Herablassung, seine herzliche Freundlichkeit und Unbefangenheit, seine Menschlichkeit gegen Unglückliche, sein teilnehmendes, gefühlvolles, gleichweit von Hochmut und Niederträchtigkeit entferntes Wesen alt und jung für sich ein.

Die Großfürstin, welcher alsobald von der Kaiserin der Wunsch gewährt worden war, ihn ihrem Hofstaate beizählen zu dürfen, umschlang er beinahe augenblicklich mit unauslöslichen Banden; für sie war er nicht nur ein unvergleichlicher Liebhaber, es dauerte nicht lange, so war er ihr Liebling in umfassendster Weise, und er blieb es auch bis an ihr Ende, zwar nicht mit Ausschluss anderer sinnlicher Verhältnisse (wie z. B. mit dem Grafen Iwan Schuwalov), aber doch ohne wesentliche Störung des ihrigen, ohne wirkliches Erkalten zwischen ihnen beiden. Auch wird allgemein angenommen, und zumal vom Grafen Almagro1) (Fürsten Peter Dolgorukov) bestimmt versichert, dass sie miteinander durch eine geheime Ehe verbunden waren, welcher mehrere Kinder entsprossen, nicht aber, wie behauptet wird, die unglückliche Fürstin Tarakanov und ihre Brüder. Rasumovski soll, in der Zeit der größten Innigkeit ihrer gegenseitigen Liebe, die etwas ängstliche äußere Frömmigkeit der nachherigen Kaiserin, die auch als Russin nicht ohne Aberglauben war, dazu benutzt haben, um sie zum kirchlichen Akte zu vermögen.2)

Moskau - Roter Platz

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Moskau - Im Kreml

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Moskau - Kaiser-Proklamation

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Moskau - Kongress im Kreml

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Moskau - Der Kreml

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