Katharina II. und Ihre Zeit

So war die Familie beschaffen, aus welcher Graf, nachmals Fürst, Andreas Kyrillowitsch, dessen Laufbahn wir skizzieren wollen, hervorging.

Wenden wir uns nun zu ihm selbst.


In der neuen nordischen Residenz während der Regierung der sehr freigebigen Elisabeth geboren, deren Liebling sein Vater beinahe ebenso sehr als sein Onkel war, lag er schon als Kind, gleich seinen Geschwistern, dem Glück im Schoße. Ein unbeschreiblicher Glanz umgab seine Wiege, und als er das Alter erreichte, wo der Unterricht beginnt, war er ein Mitschüler und Spielgenosse des Großfürsten und Thronerben Paul Petrowitsch, der, nur um zwei Jahre jünger, von ganzer Seele an ihm hing. Seine Erziehung war umfassend, und er hatte Männer zu Lehrern, wie eine Katharina sie wählen konnte, Graf Panin, von Osterwald, Aepinus, Plato Levschin, Schlözer25) u. a., zu einer Zeit zumal wo der Petersburger Thron, mit Philosophen und Enzyklopädisten in Berührung, aller Welt Augen auf sich zog, und wo die Russen anfingen eine Ehre darein zu setzen, mit alledem wenigstens oberflächlich vertraut zu sein, was damals zur geistigen Nahrung der gebildeten Klassen in Frankreich, England und Deutschland gehörte.

Der Versicherung Massons zufolge27) hätten die jungen Grafen Rasumovski den straßburger Dichter und Schöngeist Heinrich Ludwig Nicolay zum Hofmeister gehabt. Dies scheint sich jedoch eher auf die älteren Brüder unsers Andreas denn auf ihn selbst zu beziehen. Als, wahrscheinlich um das Jahr 1764, ihr Vater, der Hetman, in Gesellschaft des Oberkammerherrn Schuwalov auf einer Reise durch Straßburg kam, ließ sich ihnen Nicolay vorstellen, von dem sie schon in Wien gehört hatten. Er war damals Sekretär bei der königlichen Prätur28) in dieser wenigstens politisch französisch gewordenen ehemaligen Freien Reichsstadt; da er sich aber in die weite Welt sehnte, nahm er den Antrag an, den Hetman „als Führer für seinen Sohn“, wie Nicolays Biograph sich ausdrückt, auf einer längern Reise, auf der die schönsten Länder Europas besucht werden sollten, zu begleiten. Dieser Plan ward wirklich ausgeführt, aber der Sohn, von dem hier die Rede ist, wird wohl nicht unser Andreas gewesen sein, vielmehr war es entweder Gregor, der älteste, allein, oder mit ihm noch sein Bruder Alexis. Andreas war damals noch nicht zwölf Jahre alt. Da aber Nicolay bei ihrem Vater einen höchst günstigen Eindruck zurückgelassen hatte, empfahl ihn dieser dem Grafen Panin zu einer Anstellung bei dem Großfürsten, und so kam der Dichter 1769 nach Petersburg, wo es ihm vorbehalten war eine so glänzende Laufbahn zurückzulegen. Da er sie als „Mitarbeiter an der Erziehung Pauls“, freilich in sehr untergeordneter Stellung, aber doch nicht ohne das Wohlwollen des Prinzen alsbald zu gewinnen, eröffnete, kann man um so mehr annehmen, dass auch Andreas Rasumovski an seinem Unterrichte Anteil nahm, als Nicolay, ein Schützling des Vaters, schon der altern Brüder Lehrer gewesen war. Der Einfluss des strebsamen jungen Straßburgers kann nur ein vorteilhafter gewesen sein.

Als jüngerer Sohn, von seinem Vater zum Seewesen bestimmt, musste Andreas früh auf englischen Schiffen die Lehre durchmachen29), sodass er sich schon 1770 mit dem bekannten Admiral Elphinstone in den türkischen und griechischen Gewässern befand, wo unter dem Oberbefehl des Grafen Alexis Orlov die Seeschlacht von Chios geliefert und die osmanische Flotte bei Tschesme in Brand gesteckt wurde. Infolge dessen ward er bald nachher zum Fregattenkapitän ernannt, und als im Jahre 1773 die Landgräfin von Hessen-Darmstadt ihre drei Töchter wie zur Brautschau nach Petersburg führte, wo Katharina eine derselben zur Gemahlin ihres Sohnes wählen wollte, befehligte er das Schiff, welches die deutschen Fürstinnen in Lübeck erwartete, um sie ihrer Bestimmung entgegenzuführen, was nicht ohne Einfluss auf seine zukünftige Laufbahn blieb.

Diejenige unter den jungen hessischen Prinzessinnen, welche zur Gemahlin Pauls auserkoren und auch (den 10. Okt. 1773) mit ihm verehelicht wurde, war Wilhelmine, die nachherige Großfürstin Natalia Alexejewna. Ihr erstes Auftreten im Familienkreise Katharinas II. war ein durchaus erfreuliches, wie sich aus dem erwähnten englischen Gesandtschaftsbericht ersehen lässt.30) Ihr Benehmen gegen die Monarchin war ehrerbietig und zuvorkommend; auch scheint sie es sich zur Pflicht gemacht zu haben eine gleiche Gesinnung dem Großfürsten einzuflößen, der einer gefühllosen, abstoßenden Mutter kalt gegenüberstand. „Welchen Verdruss“, so liest man in dem Berichte, „die Kaiserin auch in der letzten Zeit gehabt haben mag, so rührt doch kein Teil desselben vom Benehmen des Großfürsten her, mit dem sie jetzt alle Ursache hat zufrieden zu sein.31) Vor einiger Zeit äußerte sie: „Ich danke es der Großfürstin, dass mir mein Sohn wiedergegeben ist, und es soll das Bemühen meines Lebens sein, ihr diese Verpflichtung zu bezahlen.“ Die Kaiserin lässt in der Tat keine Gelegenheit vorbei dieser Fürstin zu schmeicheln (caressing) 32), die mit einem Verstande, welcher dem ihres Gemahls selbst nachsteht, doch ohne Zweifel ein großes Übergewicht über ihn gewonnen hat, und die Lehren welche ihre Mutter, die Landgräfin, ihr ohne Zweifel gab, seither mit beträchtlichem Erfolge angewandt hat.“ Es ward Paul im Umgange mit Natalia so wohl, dass ihm beinahe jede andere Gesellschaft entbehrlich wurde. Auch dies wird in jenem Bericht bezeugt, denn er fährt also fort: „Ihre Gesellschaft ist die einzige, welche dem Großfürsten jetzt zu behagen scheint, auch geht er sonst mit niemand um, den jungen Grafen Rasumovski ausgenommen. Der vor kurzem so hervortretende Wunsch Beliebtheit zu erwerben, scheint nicht bloß verschwunden, sondern in das entgegengesetzte Äußerste umgewandelt zu sein, sodass es der Großfürst gegen diejenigen, welche sich ihm nähern, an der gewöhnlichen Aufmerksamkeit fehlen lässt. Diese ohne Zweifel der Kaiserin angenehme Veränderung mag äußerlich angenommen (affected) sein; aber nach dem was ich sehe und höre, kann ich keine politischen Beweggründe voraussetzen. Überhaupt ist es bei den obwaltenden Umständen schwer, aus den Handlungen des Großfürsten seinen Charakter zu bestimmen. Es ließe sich eher sagen, er habe keinen, er empfange so leicht Eindrücke als sie leicht wieder verschwinden. Durch die Auswahl seiner Umgebungen mag die Kaiserin deshalb ihrem Sohne großenteils die Gesinnungen einflößen, welche sie für angemessen hält.“

Dass letzteres sich nicht auch auf den jungen Grafen beziehen konnte, hat der weitere Verlauf der Begebenheiten baldigst bewiesen; denn im Gegenteil versichert Castéra33), nachdem er zuerst berichtet, Andreas Rasumovski sei immer um Paul, der viel Freundschaft für ihn habe, ihn an allen seinen Lustpartien Anteil nehmen lasse und ihm das größte Zutrauen zeige, dass diese Verbindung Katharinen beunruhigt habe, weil sie Rasumovskis unternehmenden Geist kannte, und dass sie beschlossen habe derselben ein Ende zu machen.

Katharina gedachte dies jedoch nicht zu tun ohne eine schickliche Gelegenheit abzuwarten; allein der etwas übermütige junge Graf führte selbst bald darauf eine solche herbei, wie ebenfalls Castera, mit dem erwähnten, ihm aber unbekannten Bericht übereinstimmend, erzählt. Die Kaiserin entdeckte gewisse Zeichen eines besondern Einverständnisses zwischen ihm und der Großfürstin. Da argwöhnte sie, Rasumovski habe sich vermessen, bis zu dieser sein Gelüsten zu erheben, worauf sie dem Großfürsten darüber einen Wink gab. Paul war anfangs nicht zu überzeugen, dass seiner Mutter Verdacht ein gegründeter sei; indessen beschloss er doch, ohne dem Freunde seine Gunst zu entziehen, auf sein Benehmen aufmerksam zu sein. Zugleich soll er seiner jungen Gemahlin Vorsicht empfohlen haben. „Sei es nun“, fährt Castera fort, „dass die Großfürstin wirklich schon eine Neigung zu Rasumovski hatte“ (die sich vielleicht von der Seereise herschreiben ließ, welche sie — man hat es wohl nicht vergessen — unter dem Schutze des jungen und schönen Schiffskommandanten gemacht hatte), „oder aber dass diese Neigung erst durch die Hindernisse erzeugt wurde, welche man versuchte ihr entgegenzustellen, kurz es kam zu einem geheimen Briefwechsel zwischen beiden.“ — „Natalia ging noch weiter“, schreibt unser Gewährsmann; „sie legte es darauf an, an derjenigen Rache zu üben, welche sie in den Augen ihres Gemahls verdächtigt hatte. Von diesem Augenblicke ließ sie sich in politische Umtriebe ein, welche der Kaiserin natürlich sehr missfällig sein mussten. Mochten solche Anschläge wahr oder erdichtet sein, die Zeit mangelte um sie auszuführen, denn die Großfürstin starb in den Wochen.34) Ihr Tod ward ein Anlass Katharinen ein Verbrechen mehr aufzubürden.“ 35)

Der Gewährsmann auf den wir uns berufen haben, obgleich jedenfalls ein wohlunterrichteter, ist zwar darum noch nicht ein durchaus zuverlässiger, und in solchen Dingen hat sich jeder Referent doppelte Vorsicht zur Pflicht zu machen. Allein, wie gesagt, seine Erzählung wird durch den seitdem erst bekannt gewordenen englischen Gesandtschaftsbericht vollkommen bestätigt. Man höre nur!36) „Bald nach ihrer Verheiratung mit dem Großfürsten“, heißt es darin, „fand die Prinzessin von Darmstadt leicht das Geheimnis ihn zu beherrschen, und zwar in so unbeschränkter Weise, dass er einige wenige Gesellschafter entließ, die er selbst gewählt zu haben schien, und Umgang, Zeitvertreib und Empfindung ihm ganz von ihr vorgeschrieben wurden. Ja, sie erlaubte ihm kaum den Gebrauch seiner geistigen Fähigkeiten, und er, der beweglich und lebhaft war, wurde düster, schwerfällig und träge. Sie hingegen stand unter der Herrschaft des Grafen Andreas Rasumovski, ihres Verehrers, der endlich wiederum seinen Unterricht und den größten Teil seiner Einnahme durch die Botschafter des Hauses Bourbon erhielt.37) Die Kaiserin sah und tadelte dies Benehmen ihrer Schwiegertochter, jedoch ohne Wirkung. Die junge Fürstin war ehrgeizig und entschlossen, und hätte der Tod nicht ihre Laufbahn unterbrochen, würde wahrscheinlich ein Kampf der Geschicklichkeit zwischen diesen beiden hochgestellten Frauen ausgebrochen sein. Sie wissen, dass unter ihren Papieren befremdliche Briese gefunden wurden. Nichts kann mehr in Verwunderung setzen, als dass sie solcherlei Beweise gegen sich selbst unzerstört ließ; es müsste denn die ungewöhnliche Gelindigkeit sein, welche man bei dieser Gelegenheit denen zeigte, die in ihre Umtriebe verwickelt waren. Ich wage nicht zu entscheiden, ob dies Folge der großen (damaligen) Schwäche der Regierung oder eines vorwaltenden Wohlwollens der Gesinnung war.“

Auch Castéra38) erzählt, dass der Großfürst, bei Durchsicht der Papiere seiner verstorbenen Gemahlin, gedachte Briefschaften fand. Indem er damit alsbald zu seiner Mutter eilte, forderte er sie auf, ihn an einem Manne zu rächen, der es gewagt hatte ihre gemessenen Befehle in den Wind zu schlagen. „Obwohl die Kaiserin“, fährt der Erzähler fort, „der Furcht Raum gab, die Sache möchte zu viel Lärm machen, und auch den Sohn des Hetmans schonen wollte, von dem ihr ehedem so wichtige Dienste geleistet worden waren, gab sie doch dem Zorne des Großfürsten nach. Nur, statt den Grafen Rasumovski nach Sibirien zu verweisen, verbannte sie ihn nach Venedig mit dem Titel eines außerordentlichen Gesandten.“

Ehe wir ihm nun in die diplomatische Laufbahn nachgehen, welche er unter solchen Auspizien im Jahre 1776 betrat39), müssen wir noch auf die Art von Einfluss aufmerksam machen, welche der junge Herr auf seinen ehemaligen Gespielen ausübte.

Es ist eine bekannte Tatsache, dass in Russland, seitdem der Thronerbe mündig war, eine große Verstimmung, ja Unzufriedenheit, mit der ungebührlich verlängerten Regierung der Mutter desselben, einer Deutschen, herrschte40) und dass diese besonders zu Moskau, als der Hof nach erfolgter Besiegung des Pugatschev'schen Aufstandes, 1775, sich dahin begab, an den Tag gelegt wurde.41) Wo Paul erschien, war des Gedränges, des Hurrahrufens und der freudigsten Bewegung kein Ende; wo die Kaiserin auftrat, blieb es still, und sogar eine verordnete Verringerung der Abgaben konnte keine sie betreffende Begeisterung hervorrufen. Als Rasumovski diesen Kontrast bemerkte, ward er versucht nachzuforschen welchen Eindruck er auf das Gemüt des Thronerben gemacht haben mochte. Bei Gelegenheit eines ähnlichen geräuschvollen Zudranges zu Paul flüsterte er ihm ein: „Sehen Sie, Prinz, wie sehr man Sie liebt. Ha, wenn Sie wollten ... !“ — „Der Großfürst gab darauf keine Antwort“, bemerkt derjenige, der uns diese Anekdote aufbewahrt hat42); „indessen warf er auf den Versucher einen strengen Blick, als ob er ihm hätte sagen wollen, dass es zwar allerdings lange dauere, bevor man ihm den ihm gebührenden Thron überlasse, er wisse aber auch was ein wohlgearteter Sohn seiner Mutter schuldig sei.“

Von der Zeit schreibt sich der Hass her, welchen seitdem Katharina gegen ihren Sohn empfand. Einesteils war die Ursache Eisersucht und Furcht, andernteils hatte sie seit kurzem erfahren müssen, dass es dem Großfürsten nicht unbekannt war, auf welche Art sein vermeinter Vater die Welt verlassen hatte. Dass er davon unterrichtet war, dafür hatte Graf Panin gesorgt; durch eine Äußerung von ihm war das Geheimnis ihm enthüllt worden.

Doch verlassen wir jetzt mit Rasumovski Russland, wo der Hof uns zu Beschreibungen Anlass geben müsste, auf die wir nicht eingehen könnten, ohne uns, besonders Leserinnen gegenüber, Verlegenheit zu bereiten, und die überdies mit unserm Gegenstande nicht in unmittelbarer Berührung stehen. Fürst Potemkin, welcher damals im Besitz der nicht ohne Mühe eroberten Gunst Katharinas war, eine Gunst, die ihm auch bis zu seinem Tode (1791) verblieb, hatte den langen Reigen der Favorite so wenig eröffnet als er ihn zu schließen bestimmt war; aber er spielte seine Rolle wie keiner vor oder nach ihm, verdunkelte alles um sich her, und man kann sagen, dass von 1778 an sowohl die Politik Russlands nach außen als die Verwaltung im Innern so vollkommen in seinen Händen lag, dass die Völker in ihm den wirklichen Autokraten erblicken konnten.43) „Er behauptete sich in der Gunst der Kaiserin“, sagt Schlosser, „auch noch als er seine Rolle bei ihr (ihrer Person) ausgespielt hatte, dadurch, dass er ihr half kolossale Zwecke durch kolossale Mittel zu erreichen.“

Während Paul, zu erneuerter Brautschau, seine erste Reise nach Berlin antrat (Juli 1776), auf der er auch den Dichter Nicolay in seinem Gefolge hatte, begab sich Rasumovski auf seinen Posten in Italien. Nach Castéra wäre dieser zuerst Venedig und erst kurze Zeit darauf Neapel gewesen, nach andern Berichten aber wäre der Graf gleich direkt nach Neapel gegangen. Man erwähnt sogar besondere Umstände. In beiden Fällen führte ihn sein Weg über Wien, wohin sein Vater ihm Empfehlungen mitgeben konnte, die ihn mit Sicherheit auf die zuvorkommendste Ausnahme rechnen ließen. Da erzählt man denn, dass auf die Frage, die an ihn gerichtet wurde, was ihm denn eigentlich in Neapel für eine Rolle angewiesen sei, er großsprecherisch und mit Eitelkeit geantwortet habe: „Den Herrn zu spielen!“ Dieses Wort, setzt man hinzu, ging von Mund zu Mund, und da es noch vor der Ankunft des jungen, ausgeblasenen Gesandten auch das neapolitanische Hoflager erreichte, nahm es gegen ihn ein und war Ursache, dass er sich keines, sonderlichen Empfanges zu rühmen hatte. Die damalige Königin, Karoline Maria von Österreich, eine Schwester Josephs II. und der unglücklichen Marie Antoinette, ließ es ihm entgelten, indem sie ihn mit eisiger Kälte behandelte. Dies befremdete in hohem Grade den jungen Russen, der, selbst eroberungssüchtig, daran gewöhnt war überall leichten Eingang zu finden. Da er die wahre Ursache nicht ahnte, wandte er sich an den Geschäftsträger Italinski, einen späterhin sehr bekannten Diplomaten, der damals ad interim dem Posten vorstand. Von diesem mit Freimut belehrt, nahm er sich die Sache nicht mehr zu Herzen, sondern bemühte sich im Gegenteil nach Kräften das verwegene Wort wahr zu machen. Auch erreichte er sein Ziel in der Tat mit dieser, ihrem Charakter nach wohlbekannten, damals vierundzwanzigjährigen Königin, an einem Hofe, welcher um nichts besser war als sein heimischer und als mancher andere, denn das Beispiel guter Sitte ging im vorigen Jahrhundert wahrlich nicht von den Thronen aus, selbst nicht von denen, auf welchen Töchter der unbescholtenen Maria Theresia saßen.

Indessen war der junge Herr ebenso unbeständig als leichtsinnig. Er ward es nach einiger Zeit müde, erzählt man weiter, sogar den Herrn zu spielen, hing sein Herz an eine Komödiantin, die er aus Paris hatte kommen lassen, und erdreistete sich, wie man gleichfalls behauptet, so weit, dass er selbige sogar als eine Verwandte von ihm bei Hofe vorstellte. Als Karoline Maria erfuhr was an der Geschichte Wahres sei, kam es zum Bruche, wodurch Rasumovski sich gezwungen sah um Versetzung auf einen andern Poften anzuhalten. Die von ihm verscherzte Gunst fiel bald darauf dem berüchtigten Acton zu, den sie zum ersten Minister machte.

Noch war aber der russische Lüstling in Neapel vollkommen heimisch, als auf ihrer oft beschriebenen Rundreise durch Europa der Graf und die Gräfin vom Norden daselbst 1781, von Rom kommend, anlangten. Es ist bekannt dass unter diesem Namen der Großfürst Paul nebst seiner jungen Gemahlin Maria Feodorowna44) sein Inkognito, nicht ohne gelegentliche Unterbrechungen, festzuhalten suchte. Noch hatte er die schwere Beleidigung nicht vergessen, deren sich sein Jugendfreund gegen ihn schuldig gemacht hatte: er bewies es, indem er dem Grafen Rasumovski das Verbot zugehen ließ, irgendwo in seiner Gegenwart zu erscheinen.

Einige Jahre später, im April oder Mai 1784, als der junge Diplomat schon seiner Abberufung gewärtig war, erhielt er den vielleicht nicht sehr erwünschten Besuch eines schon erfahreneren und sehr gewiegten Amtsbruders, des bekannten Markov (dem wir hier noch nicht den Grafentitel beizulegen haben). Dieser war damals russischer Minister am Hofe Gustavs III., Königs von Schweden (1771 — 1792), eines Landes, welches noch immer zu den größeren Mächten gerechnet wurde, und auf welches Katharina II. zu jener Zeit, bei ihren ehrgeizigen, die osmanische Pforte bedrohenden Planen, ein wachsames Auge hatte. Denn Schweden war sowohl mit letzterer als auch mit Frankreich im Bunde, und seit dem Staatsstreiche (1772), durch den sich Gustav der Vormundschaft des hohen Adels entzogen hatte, auf den sich Russland ebenso gut als Frankreich zu stützen pflegte, war es wohl erlaubt zu befürchten, der sehr rührige Monarch möchte seine eroberte Unbeschränktheit dazu benutzen wollen, um an seine Krone die Landschaften zurückzubringen, welche an die östliche Großmacht verloren worden waren. Deswegen hatte die Zarin seine persönliche Bekanntschaft gesucht und ihn auch wirklich, Ende Juni 1783, zu einer Zusammenkunft in der finnländischen Stadt Frederikshamn vermocht.

Da kurz nachher Gustav III. eine Reise durch Europa und nach Italien machte, zerstreuten sich eine Zeit lang die Mitglieder des diplomatischen Corps in Stockholm, und so kam Markov nach Italien, wo er sich wieder mit dem Könige begegnete. In Neapel wurde er durch Rasumovski dem Hofe vorgestellt, und wir lesen wie folgt in einem Berichte über seine erste Unterredung mit der Königin Karoline45): „Den Gegenstand ihres Gesprächs mit Markov bildete der Graf Andrei Kyrillowitsch Rasumovski, welcher einige Jahre als russischer Gesandter in Neapel gelebt hatte. Es gelang ihm ganz besonders sich der Königin zu nähern, welche Markov auch beauftragte nach Petersburg zu berichten, dass die unangenehmen Gerüchte über Rasumovski, welche die Kaiserin veranlassten ihn aus Neapel zu entfernen46), ein Werk seiner Feinde gewesen, und dass er seinen Verpflichtungen bestmöglichst nachgekommen sei. Zufolge dieses Auftrags sendete Markov ein Schreiben der Königin mit der genauen Darstellung seiner Unterredung mit derselben nach Petersburg. Allein die leidenschaftlichen Bitten der Königin wurden nicht erhört: man versetzte Rasumovski nach Kopenhagen.“ Markov kehrte nach Stockholm zurück, wo er aber nur bis 1786 verblieb.

Rasumovski seinerseits weilte nicht lange am dänischen Hofe, wo er nach kurzer Frist durch den Baron Alexis von Krüdener abgelöst wurde. Wir lesen seinen Namen unter denen der Herren und Damen, welche den Aufenthalt des Grafen von Segur als französischen Minister in Petersburg gleich im Jahre 1785 so überaus unterhaltend und anziehend machten. Nach den Grafen Rumanzov, Soltykov, Stroganov nennt dieser „Andreas Rasumovski, der durch Glückszüge im Spiele der Politik und der Liebschaften so berühmt geworden ist“.

Bald aber wurde ihm der Gesandtschaftsposten in Stockholm übertragen. Damit er gleich bei seinem Erscheinen mit den innern Verhältnissen Schwedens vertraut wäre, befahl Katharina dem zu einer höhern Stellung abberufenen Markov, eine ausführliche Instruction für ihn aufzusetzen, was denn auch pünktlich vollzogen wurde. Markov kehrte nicht in sein Vaterland zurück, ohne zuvor (25. Okt. 1786) an seinen Nachfolger ein längeres Schreiben zu richten, worin er ihm die Sachlage, wie er sie zurückließ, vollkommen deutlich machte. Die Aufgabe, die der neue Gesandte zu lösen hatte, lief, in wenig Worten ausgedrückt, darauf hinaus, dass er sich bemühen sollte den Einfluss wiederherzustellen, den Russland bis im Jahre 1772 mittels der Parteiungen zwischen den „Hüten“ und den „Mützen“ in dem ziemlich anarchischen Nachbarlande ausgeübt hatte. Auf Russland stützten sich die Mützen, d. h. die Oligarchen, die den Russen durch fortwährende Unruhen in die Hände arbeiteten; die Hüte hingegen, oder die monarchische Partei, gaben den Einflüsterungen Frankreichs Gehör.

Seitdem Ostermann Stockholm verlassen hatte, heißt es in der Regierungsgeschichte der großen Kaiserin48), hatten sich seine Nachfolger (Mussin-Puschkin und Markov) genau an seine Bersahrungsart gehalten; keiner aber hatte sich durch eine Keckheit ausgezeichnet wie die Andreas Rasumovskis. Angelegentlichst bemüht die Gunst seiner Kaiserin wieder zu erwerben, war dieser Gesandte beständig geschäftig, Samen der Feindschaft unter die schwedischen Aristokraten zu streuen, wovon die meisten, über den König missvergnügt, sehr geneigt waren dem eigennützigen Rate Russlands ihr Ohr zu leihen. Mit schwer unterdrücktem Groll sah Gustav anfangs diesen Umtrieben des verhassten Nachbars zu, der außerdem sich auch sehr bereitwillig zeigte einem Gegner seiner Regierung, dem Oberst Sprengtporten, eine Zuflucht zu bieten; als aber im Jahre 1787 Katharina den Türken, seinen Bundesgenossen, den Krieg erklärte, war ihm diese Gelegenheit willkommen gegen sie, nicht ohne Anschein guten Rechtes, loszuschlagen. Er erneuerte alsbald seinen schon bestehenden Traktat mit den Osmanen und gab zu Rüstungen Befehl. Nun ging dem russischen Gesandten die Geduld aus. Mittels einer Note, die er am 18. Juni 1788 einreichte, drückte er in sehr energischer Sprache sein Befremden, seine schmerzliche Verwunderung aus über die Herstellung einer Kriegsbereitschaft, deren Gegenstand nur Russland sein könne, welches, seiner Meinung nach, dazu keine Veranlassung gegeben habe, indem die in Kronstadt segelfertige Flotte keine andere Bestimmung habe als nach dem Archipel zu schiffen, und welches vielmehr auf Schwedens Dankbarkeit gerechnet hätte. Das waren streitige Punkte, worüber es vielleicht nicht unmöglich war sich zu einigen; indem die Note aber zugleich sich dahin aussprach, dass der Übergeber dieses Schriftstück an die königlichen Minister „und an alle diejenigen von der Nation richte, die an der Regierung Anteil zu nehmen hätten“49), bewies er eine Rücksichtslosigkeit, die den ohnehin leidenschaftlichen und ungeduldig vom Tatendrang besessenen König nicht anders als aufbringen konnte, obgleich Graf Segur, selbst ein so gewandter, seiner Diplomat, nichts an dieser Sprache auszusetzen findet, was zur Entschuldigung Rasumovskis wohl eine Erwähnung verdient. Gustav III. sah darin einen willkommenen Anlass, einen Krieg mit Russland herbeizuführen, der schon lange in seinen Wünschen lag, den er aber ohne Bewilligung der Stände nur als Gegenwehr hätte ansangen können.

Es lag ihm viel daran, während er selbst der Angreifende war, sich den Schein zu geben, als schlage er nur einen Angriff von außen ab, und aus dieser Ursache zeigte er sich sehr aufgebracht. Er beschuldigte den russischen Gesandten der Absicht, seine Untertanen zum Verrate anreizen und die Nation von ihrem Regenten trennen zu wollen. Der Oberzeremonienmeister musste sich alsbald zu ihm begeben und ihm erklären, dass er, indem er die oben angeführte ungebührliche Bemerkung gemacht, vergessen habe, dass die Verfassung umgeformt worden sei, dass der König allein regiere, er aber, der Unterzeichner der Note, die Sprache wieder aufgefrischt habe, die zwar seine Vorgänger hätten führen können, die seitdem aber unstatthaft geworden sei. Da der Monarch unmöglich glauben könne, Graf Rasumovski sei von seiner Gebieterin ermächtigt worden selbige wieder anzunehmen, wolle er ihn auch nicht länger als einen beglaubigten Gesandten ansehen, und verbiete er seinen Ministern mit ihm Unterhandlungen zu pflegen; ihn selbst aber lasse die Majestät ersuchen, den schwedischen Boden in Frist einer Woche zu verlassen, wo er dann königliche Schiffe bereit finden werde ihn nach Hause zu bringen.

Allein der nichts weniger als blöde Russe ließ sich nicht so leicht aus dem Felde schlagen, sondern war aus einen Vorwand bedacht, um, statt zur See, durch Finnland nach Petersburg zurückkehren zu können, was aber gerade den Absichten Gustavs entgegenlief; jedenfalls, erklärte Rasumovski, könne er seinen Posten nur infolge eines Befehls der Kaiserin verlassen, den er also in Stockholm erwarten müsse. Auch blieb er wirklich daselbst bis zum 11. Aug., wo er sich dann nach Lübeck bringen ließ.

Gustav aber wollte keine Zeit verlieren: er schiffte sich den 24. Juni mit einem Heere ein und landete den 2. Juli in Finnland. Hätte er wirklich keine verloren, so wäre es ihm vielleicht nicht unmöglich gewesen Petersburg zu überrumpeln und die Kaiserin aus ihrer Residenz zu vertreiben; denn, wie gewöhnlich, waren die 26.000 Russen, die man alsbald marschfertig machen wollte, nur auf dem Papiere vorhanden: in der Wirklichkeit waren nur 6.000 Mann in Bereitschaft, als Gustav bei Nyslott sich mit der Armee seines Bruders, des Herzogs von Südermanland, vereinigte50) und nun 36.000 Mann unter seinem Befehle hatte.

Wir lassen uns hier nicht daraus ein diesen schwedisch-russischen Krieg, der nach der Meinung Gustavs die glorreichen Zeiten des Siegers von Lützen wieder herbeiführen „sollte, zu erzählen und über dessen Zwischenfälle bis zu seiner Beendigung durch den Frieden von Werelä, 14. Aug. 1790, nähere Ausschlüsse zu geben.51) Nur von dem Schrecken wollen wir ein Wort sagen, welcher augenblicklich in Petersburg herrschte, nachdem der König durch den daselbst zurückgebliebenen Gesandtschaftssekretär von Schlaff sein Ultimatum hatte überreichen lassen. In diesem Aktenstück, dessen Hauptinhalt man bei Segur lesen kann und das von einem Hochmut zeugte, der an Überspannung grenzte, wurden in sehr gebieterischem Tone der Kaiserin drei Bedingungen vorgelegt, deren erste folgendermaßen lautete: „Dass Gras Rasumovski aus exemplarische Weise für alle die Umtriebe gestraft werde, welche er, aber erfolglos, in Schweden in Gang gebracht und wodurch die Freundschaft, das Vertrauen und Einverständnis gestört worden sind, die zuvor zwischen den beiden Reichen bestanden; damit seinesgleichen aus immer die Lust vergehe sich in die innern Angelegenheiten eines unabhängigen Staats einzumischen.“ Die zweite Bedingung verlangte Zurückgabe aller Teile Finnlands, welche durch die Traktate von Nystad und von Abo an Russland abgetreten worden waren; die dritte, Annahme seitens der Kaiserin der Vermittelung des Königs, um den Frieden mit den Türken wiederherzustellen, müsste es auch mittels Wiederabtretung der Krim und alles dessen geschehen, was Russland seit den Abmachungen von 1774 an sich gerissen hatte. — „Der König hieß es am Ende des Ultimatums, „ist eines Ja oder Nein gewärtig; er kann auf keine Abänderung eingehen, ohne den Ruhm und die Interessen seiner Völker aufs Spiel zu setzen.“ Eine solche Sprache zu führen, bemerkt Ségur, hätte sich kaum der Großherr unterfangen, seinem Vasallen, dem Hospodar der Moldau gegenüber. Das Erscheinen der schwedischen Flotte in der Nähe von Kronstadt gab ihr Hoch mehr Nachdruck. Auch hieß es alsbald, erzählt der Graf weiter, im Winterpalast sei alles in Schrecken; man packe ein und die Kaiserin sei auf dem Punkte sich nach Moskau zu flüchten. Es war dem jedoch nicht also, wie der gewandte Hofmann sich bald überzeugte. Als die Kaiserin mit verhaltenem Spott ihn fragte, wie er die Note finde, antwortete er: „Mir kommt es vor, Majestät, als ob der König von Schweden, von einem Traume getäuscht, sich einbildete, er habe schon über Sie drei große Schlachten gewonnen.“ — „Und wenn er sie auch gewonnen hätte, Herr Graf“, entgegnete mit Heftigkeit die nordische Semiramis, „wenn er schon jetzt im Besitz von Petersburg und Moskau wäre, wollte ich ihm doch zeigen, was an der Spitze eines tapfern und ergebenen Volkes eine Frau vermag, die nicht ohne Charakterstärke ist, solange sie beim Verfall ihres Reichs noch aufrecht steht.“ Ihre Antwort auf Gustavs Herausforderung war eine Kriegserklärung (11. Juli).

Die Gefahr ging schnell genug vorüber. Man kennt den Aufstand, der im schwedischen Lager vor Frederikshamn in Abwesenheit des Königs ausbrach, welchen Geschäfte auf kurze Zeit nach Stockholm zurückgerufen hatten. Die Armee, von Missvergnügten bearbeitet, welche in deren Reihen die Meinung geltend machten der angefangene Krieg sei ein Angriffskrieg und folglich verfassungswidrig, da er ohne Bewilligung der Stände unternommen worden, vereitelte die Pläne Gustavs52), und die Anstifter des Verrats gingen so weit, dass sie sich mit der russischen Regierung in Unterhandlungen einließen. Zugleich landeten 20.000 Dänen auf schwedischem Boden, um den Russen Luft zu machen. Und in der nämlichen Zeit hatte der kühne Monarch einen Kampf gegen seinen Adel zu bestehen. Er ließ sich nicht überwältigen, sondern kehrte bald darauf auf den Schauplatz des Krieges zurück, wo er wenigstens durch sein kräftiges Austreten so viel errang, dass die Friedensbedingungen nicht unrühmlich für ihn ausfielen, während seine Bundesgenossen, die Türken, vor Suworovs Ungestüm zurückwichen und dann im endlich erlangten Frieden (1792) neue Einbußen sich gefallen lassen mussten.

Kehren wir zu unserm Diplomaten zurück, dessen Name nun in ganz Europa bekannt war und dessen stolzes Auftreten ihm den Beifall der russischen Aristokratie sowie des gesammten Volks erworben hatte. Wir begegnen ihm nun auf deutschem Boden, den er künftig nicht mehr, oder wenigstens nur vorübergehend, verlassen wird.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Andreas Kyrillowilsch Rasumovski