1793 Rasumovski russischer Gesandter am Wiener Hof

Gegen Ende des Jahres 1793 ward Rasumovski zum russischen Gesandten am Wiener Hofe ernannt, und so begann, er seinen Aufenthalt in einer Stadt, wo er, von einer glänzenden Aristokratie umgeben, bei der Regierung in besonderer Gnade und einer bedeutenden Rolle sich bewusst, bald so heimisch ward, dass er dem Wunsche nicht widerstand, sich darin anzusiedeln, um daselbst auch dann noch zu verbleiben, nachdem er seines Amtes enthoben wäre.

Die zweite Teilung Polens war kraft des zwischen Russland und Preußen geschlossenen Traktats53) im Juli 1793 erfolgt, und am 19. Aug. hatte der Reichstag dies Aktenstück gezwungenerweise unterzeichnet. Dabei konnte aber unmöglich das Land sich beruhigen. Madalinski gab das Zeichen zum Aufstande, und während die Besatzung Krakaus diesem entgegeneilte, zog der großherzige Thadäus Kosciuszko in diesen alten Königssitz der Piasten ein (25. März 1794). Das Land, soviel vom alten Polen noch übrig war, begrüßte in Kosciuszko seinen Befreier, und, von ihm ausgerufen sich wider seine Unterdrücker zu erheben, griff es zu den Waffen mit einem Heldenmute, wie wir ihn auch jetzt wieder gesehen haben. Die polnische Armee in Warschau, obgleich von einer russischen Besatzung überwacht, folgte dem gegebenen Beispiele. Letztere nebst ihrem Anführer, dem tyrannischen Prokonsul Baron Igelström, wurde teils in der Stadt niedergemetzelt, teils aus derselben verjagt; auch Wilna fiel wieder in die Gewalt der Vaterlandsfreunde.54) Die Verfassung vom 3. Mai 1791 ward alsbald wieder als bestehend proklamiert, Kosciuszko überall als Generalissimus und Diktator anerkannt. Zwar eilten nun die Preußen ihren Raub- und Bundesgenossen zu Hilfe, und der Kampf, den beide vereinigt bei Szczekociny (6. Juni) den Ausständigen lieferten, fiel für letztere ungünstig aus; aber nichtsdestoweniger hielten sich diese noch mehrere Monate, und man sah sogar einen Augenblick die 40.000 Preußen schimpflich Warschau den Rücken kehren, bis Katharina endlich, über die Absichten der Türken beruhigt, das Heer, das unter Suworov auf deren Grenzen stand, glaubte herbeirufen zu können. Von der Zeit an sank die Hoffnung zu siegen, welche bis dahin in der tapfern Brust der, Polen geglüht hatte. Es half ihnen nichts Männer wie Kosciuszko, Madalinski, Dombrowski, Zajonczek, Fürst Joseph Poniatowski u.a. an ihrer Spitze zu haben: ihr Heer unterlag dem der Russen, das Graf Fersen befehligte, in der Schlacht von Macieowice (10. Okt.); der Diktator selbst fiel schwer verwundet zur Erde, indem er verzweifelnd ausrief: „Finis Poloniae!“ kam in Gefangenschaft, und nachdem am 4. Nov. Suworov selbst im Sturm Warschaus Vorstadt Praga eingenommen hatte, wo das Gemetzel schauderhaft war, musste sich auch die Hauptstadt selbst am 9. Okt. aus Gnade und Ungnade ergeben und der Rest der Armee die Waffen strecken.


Österreich, das, mit der Aussicht aus das Elsaß und Lothringen vertröstet, bei der zweiten Teilung leer ausgegangen war und doch die Verbündeten hatte gewähren lassen, weil es mit ihrer Hilfe den Krieg gegen Frankreich glücklich zu beendigen hoffte; Österreich, seine ehrgeizigen Nachbarn mit wachsamem Auge beobachtend, war gegen sie voll gerechter Eifersucht; es erkannte die letzten Erwerbungen Preußens nicht an. Jedoch befand sich der junge Kaiser nicht in der Nähe, als der neue polnische Krieg begann, denn Franz II. hatte sich persönlich an die Spitze seiner Armee gestellt, die von den Niederlanden aus das republikanische und mit sich selbst ausschließlich beschäftigte Frankreich bekriegte. Baron Thugut55), der seit 1792 mit der Leitung der auswärtigen Angelegenheiten beauftragt war, drang um so mehr in ihn zurückzukommen, als Russland wichtige Eröffnungen machte. Es handelte sich um eine wiederholte, diesmal definitive Teilung Polens, und die Zarin, wohl wissend, dass sie nicht gegen den Willen Österreichs ausgeführt werden könnte, missgönnte diesem Staate nicht, wie Preußen, einen angemessenen Anteil daran. Es erkannte die Notwendigkeit dieses Mittels, um Österreich mit der zweiten Teilung auszusöhnen.

Graf Rasumovski eilte dem Kaiser mit Katharinas Vorschlägen bis Frankfurt entgegen, verfehlte ihn aber und konnte seinen Auftrag an ihn erst in Wien ausrichten. Schon am 30. Juni erfolgte eine Bekanntmachung, worin sich Franz mit den beiden andern Mächten einverstanden erklärte; und wenige Tage daraus rückten 17.000 Österreicher in Kleinpolen ein, „um die Gefahren zu entfernen, deren Galiziens Grenzen durch die Unruhen in Polen ausgesetzt seien“. An dem Kampfe, der, wie man soeben gesehen, noch bis in den Novembermonat nicht ohne abwechselnde Vorteile dauerte, nahm dieses Heer wenig Anteil, desto mehr aber die Regierung an dem Ländermarkte, der nun noch einmal stattfand. Auch Rasumovski war im Verlauf der betreffenden Unterhandlungen geschäftig, obwohl besonders Petersburg der Sitz derselben war, wo Ostermann, Besborodko und Markov sich direkt besonders mit dem Grafen Ludwig von Cobenzl und auch, obgleich langsamer, mit dem preußischen Obersten Grafen von Tauenzien verständigten. Von da ging auch (3. Jan. 1795) die Erklärung aus, durch welche die dritte Teilung eingeleitet ward und welche ungefähr also lautete: „Durch Erfahrung von der völligen Unfähigkeit der Polen überzeugt, sich eine feste und sichere Verfassung zu geben, haben die Mächte in ihrer Weisheit, aus Liebe zum Frieden und für das Wohl ihrer Untertanen, beschlossen, die Republik ganz zu teilen.“ Ja, ein sehr bekannter und gewöhnlich vorsichtiger russischer Geschichtsschreiber, Ustrialow56), nimmt keinen Anstand, durch nachfolgende Worte die Verantwortlichkeit der ganzen Sache, einer folgenschwangern Untat, auf die Schultern der Seinigen zu nehmen: „Solchergestalt vollzog die weise Katharina das, was unsere alten rechtgläubigen Zare gewollt, wonach die Polen selbst mehr als einmal gestrebt (?), woran Peter der Große gedacht und was als unfehlbare Folge des jahrhundertelangen Ganges der Ereignisse unvermeidlich war.“ Polen hatte sich nicht zu regieren gewusst; ein Staat aber der seiner nicht mächtig ist muss fallen, so will es das ernste Gericht der Geschichte; allein nichtsdestoweniger hat Friedrich von Raumer vollkommen recht, wenn er spottend die Bemerkung macht: „Frankreich bekämpfte man, weil dort die königliche Gewalt verringert, Polen, weil sie daselbst vergrößert war, und die Jakobiner (diese Feinde aller Könige) sollten eben diese Vergrößerung bewirkt haben!“

Die Unterhandlungen über den Anteil, den jede der drei Mächte an der reichen Beute beanspruchte, dauerten noch ein ganzes Jahr, denn die Deklaration vom 3. Jan. 1795 57) war nur ein vorläufiger, vorerst nur zwischen Österreich und Russland geschlossener Akt, und Preußen machte lange ersterem Staate den Besitz von Krakau streitig; der endliche Traktat, welcher Polen von der Karte Europas strich, wurde erst den 24. Okt. 1795, ebenfalls zu Petersburg, unterzeichnet58), worauf die Thronentsagung König Stanislav Augusts erfolgte.

Es war kein Irrtum, wir wissen es alle, wenn schon Rousseau behauptete, Polen sei zwar von den Mächten verschlungen worden, sie hätten es aber nicht zu verdauen vermocht. Die drei Teilungen fallen hauptsächlich Preußen zur Last, dessen Verlegenheiten aller Art, in seiner für eine Großmacht prekären Stellung, dazu führten. Die Mitschuld Österreichs war im Grunde eine unfreiwillige. Da sie nun aber einmal verwirkt war, hatte sie um so mehr einen innigen Verband zwischen Österreich und Russland zur Folge, als man Preußen seit seinem Separatfrieden mit Frankreich nicht mehr recht traute und dessen Ansprüche von dem Augenblick an sehr gesteigert waren, als zudem die drei Mächte sich gegenseitig den vollen Besitz ihrer Länder gewährleisteten und als das Haus Habsburg auf die Zarin rechnete, um nicht im Kriege gegen Frankreich zu unterliegen, den es auch dann noch fortsetzte, als Preußen, nur auf sich selbst bedacht, den Baseler Traktat geschlossen hatte. Außerdem war dem Kaiser der gewünschte Austausch seiner Niederlande gegen Bayern von Russland versprochen worden. Man kann sich demnach denken, welche Rolle der Gesandte letzterer Macht in Wien spielte, wie er gesucht, geschmeichelt, verhätschelt wurde, was augenscheinlich nicht geeignet war, ihm seinen Aufenthalt in der Kaiserstadt zu verleiden, wo übrigens eine mächtige, reiche, vergnügungssüchtige Aristokratie den Thron umgab und in dem russischen Großen unverhaltene Sympathie erweckte.
Er konnte hoffen im Fall zu sein, den auf ihn gesetzten Erwartungen entsprechen zu dürfen. Denn in der Tat trug sich damals Katharina II. mit dem Plane, an dem Kriege gegen Frankreich teilzunehmen, eine neue, auf festern Grundlagen ruhende Allianz gegen dasselbe zu stiften und als Resultat derselben die Monarchie der Bourbonen wiederherzustellen. Die Hilfstruppen, um welche Kaiser Franz sie wiederholt und inständig anging, hatte sie beschlossen ihm nicht länger zu verweigern.59)

So ward die Stellung Rasumovskis eine der wichtigsten. Sein Briefwechsel mit dem Kanzler Grafen Ostermann besprach Punkte, von denen das Wohl und vielleicht die Existenz der habsburgischen Monarchie abhing. Der Graf, dem die Rettung derselben ebenso sehr am Herzen lag, als er ein geschworener Feind der fränkischen Republik war, zeigte sich unermüdlich in der Vermittelung der Freundschaft zwischen ihr und dem Zarenreiche. Angelegentlichst trug er ihre Bitten um Hilfe seinem Hofe vor. Einem seiner Schreiben (dem vom 4./15. Febr. 1796) waren folgende Worte des Barons Thugut beigelegt: „Wenn Ihro kaiserliche Majestät in Ihrer Weisheit finden sollte, dass Sie dem Kaiser die Truppen nicht zusagen könne, auf welche er gehofft hatte, so schmeichelt sich doch Höchstderselbe, im Vertrauen auf die Freundschaft und die Teilnahme, womit die Kaiserin ihn beehrt, mit der Hoffnung, dass sie letztere abermals werde betätigen wollen, indem sie wenigstens den König von Preußen von Feindseligkeiten abhielte und die Innigkeit ihres Verbandes mit dem Kaiser vor dem Reiche offenkundig machte, sodass ihre großherzige Absicht seine gerechten Forderungen dem deutschen Staatskörper gegenüber zu unterstützen, keinem Zweifel mehr unterläge.“ Diese so eifrigen Bemühungen des Gesandten blieben nicht ohne Erfolg: Katharina versprach wirklich dem Kaiser Franz eine Armee von 60.000 Mann, um, wie es in Ostermanns Depesche vom 19. Aug. an Rasumovski heißt, „mit Hilfe der Vorsehung den Sieg einer Sache vorzubereiten, die Ihro Majestät nicht aufhören wird als die Sache aller Machthaber anzusehen“. Mit England hatte die Kaiserin schon unterm 18. Febr. 1795 einen Vertrag zu Petersburg geschlossen.

Nun war Rasumovski rastlos tätig, wie seine Depeschen vom 8. Okt. u. a. erhärten, mit Thugut den Operationsplan im bevorstehenden Feldzuge festzusetzen und seinem Kabinett annehmlich zu machen. Die respektiven Heere der Österreicher und der Russen sollten abgesondert am Rhein auftreten; mit letztem sollten die noch übrigen 6.000 Mann von der Armee des Prinzen von Condé sich vereinigen; auch die Reichstruppen sollten zu ihm stoßen, u. s. w.

Allein die Ausführung des Allianzprojekts stieß auf allerlei Schwierigkeiten, die der General Michailovski-Danilevski, in dem von ihm angefangenen und nach seinem Tode vom Obersten Miliutin fortgesetzten und beendigten wichtigen Werke, auseinandersetzt.60) Nichtsdestoweniger hatte der tüchtige Suworov schon, zu seiner großen Freude, den Befehl erhalten eine bedeutende Truppenmacht in Podolien zusammenzuziehen und zum Abmarsch gegen Westen sich bereit zu machen, als plötzlich, wie wir neulich ausführlich erzählt haben die Kaiserin von einem Schlagfluss getroffen wurde und am 18. Nov. starb.

Unter der neuen Regierung trat bekanntlich eine durchgreifende Änderung in allen Verhältnissen ein. Zwar entsagte Paul I. keineswegs dem freundschaftlichen Verbande mit dem Römischen Kaiser, allein er ließ ihm doch alsbald, schon den 4. Dez. 1796, mittels einer Verbalnote Ostermanns an den Grafen Cobenzl erklären, dass es nicht seine Absicht sei das versprochene Heer abzusenden, dass er an dem Kriege keinen Anteil nehmen werde. „Russland“, hieß es in einem Rundschreiben, welches er an den Höfen zu Wien, London und Berlin abgeben ließ, „Russland, seit dem Jahre 1756 beständig in Kriege verwickelt, ist der einzige Staat Europas, der sich seit vollen vierzig Jahren in der unglücklichen Notwendigkeit befand die Kräfte seiner Bevölkerung fast zu erschöpfen. Das menschenfreundliche Herz Kaiser Pauls will seinen geliebten Untertanen, nachdem dieselben so viele Opfer gebracht, die so notwendige, von ihnen ersehnte Ruhe nicht länger vorenthalten. Wenngleich die russischen Truppen, aus den soeben angeführten wichtigen Gründen, an dem Kriege gegen Frankreich nicht teilnehmen werden, so wird Se. Majestät dennoch, gleichwie dessen erhabene Mutter, in innigem Verbande mit seinen Verbündeten bleiben, indem derselbe die Notwendigkeit fühlt, sich mit allen möglichen Mitteln der rasenden französischen Republik, die ganz Europa mit Zerstörung der Gesetze, der Rechte des Eigentums und der Moral bedroht, zu widersetzen.“ Vergebens machte Österreich gegen den missliebigen Entschluss des neuen Autokraten Einwendungen und schickte es Noten ein, in denen es wenigstens ein Minimum des Beistandes sich erbat, welchen es in drei Artikel zusammenzog: Paul, dem dieser auf Willkür deutende Titel mit vollem Rechte beizulegen war, schrieb eigenhändig an den Rand des ersten: „Je ne me laisserai pas prescrire ce que j’ai à faire“, und machte auch zu den beiden andern entsprechende Marginalnoten.

Von ihm persönlich, und nicht von seinem Minister der auswärtigen Angelegenheiten, gingen seit dem ersten Augenblicke seiner Regierung die Ausfertigungen aus, welche an alle fremden Höfe gerichtet wurden; seine Befehle waren in eigenhändig von ihm unterzeichneten Rescripten enthalten, denen sein Name voranstand; und ebenso mussten die Gesandten alle Meldungen direkt an ihn selbst richten.

So kam denn der in Ungnade gefallene Jugendfreund des Kaisers wieder in nähere Beziehung zu ihm. Des Vergangenen schien der im ganzen edelmütige, obgleich mit misslichen Eigenheiten behaftete Monarch sich nicht weiter zu erinnern; denn schon am 5. April 1797 ernannte er den Grafen zum Wirklichen Geheimrat, was ihm im Tschin die zweite Rangklasse eröffnete; zugleich, oder wenigstens bald daraus, beförderte er ihn auch vom Gesandten zum Botschafter (ambassadeur), was ihm in seiner speziellen Lausbahn die erste anwies.

Inzwischen war Österreich in großer Not. Zwar hatte während des Feldzugs von 1796 Erzherzog Karl sich in Deutschland, von der obern Donau bis zum Rhein, zu halten gewusst; aber in Italien war vor dem unaufhaltsamen Zuge des jungen Frankengenerals Bonaparte alles zurückgewichen. Vier kaiserliche Heere waren nacheinander vernichtet worden, und am Ende (2. Febr. 1797) sah sich Wurmser sogar genötigt, in Mantua zu kapitulieren. Da nun Bonaparte, in Italien Meister, sich anschickte, durch Friaul in Österreich einzufallen, musste der Hauptfeldherr dieser Großmacht aus Deutschland abberufen werden, um dem französischen den Weg durch Tirol und Kärnten zu verlegen; ja er musste die Friedenspräliminarien, die er sich den 18. April zu Leoben hatte ausdringen lassen, als noch günstig genug ansehen, in einem Augenblick, wo schon Wien bedroht und die Monarchie der Habsburger in hoher Gefahr war.

Paul hatte eben zu Moskau wichtige Grundgesetze erlassen, als er vom Hergang der Dinge unterrichtet wurde. Österreich, aufs äußerste gebracht, schrie um Hülfe, sich dabei nicht sowohl auf den berühmten Teschener Vertrag als auf einen Defensivtraktat berufend, den es am 14. Juli 1792 mit Russland geschlossen hatte. Zugleich beklagte es sich bitter über Preußen, welches damals, auf sein Bündnis mit Frankreich gestützt, in Deutschland die Hauptrolle zu spielen gedachte und seinen keineswegs uneigennützigen Rat dem hartgeprüften Nachbarn überall aufzudringen versuchte. „Nichts ist betrübender für uns“, schrieb damals Thugut an den kaiserlichen Gesandten in Petersburg, „als gezwungen zu sein, beim Friedenswerke Preußens Einmischung annehmen zu müssen, welche eben dem Berliner Hofe entschiedene Mittel verschaffen würde, seinen alten Hass gegen Österreich zu befriedigen und durch neue Übergriffe seine habsüchtigen Absichten zu verwirklichen. Es kommt sowohl der Ehrenhaftigkeit Russlands als seiner Sorge für den eigenen Vorteil zu, diese ungerechten Anschläge zu vereiteln.“ Von Russland aber erwartete Thugut alles mit dem größten Vertrauen, ihm stellte er die Angelegenheiten des Habsburgischen Hauses anheim. „Was die Bedingungen betrifft, unter denen der Frieden zu Stande käme“, schrieb er ebenfalls unterm 9. April 1797, „ist Se. Majestät im voraus entschlossen, mit dem unbedingtesten Vertrauen die Entscheidung über alle seine Interessen der Gerechtigkeit, der Ehre und der Freundschaft seines erhabenen Verbündeten zu überlassen. Seine Bereitwilligkeit den Rat Sr. Majestät des Kaisers aller Reussen anzunehmen, wird grenzenlos sein, und er wird zu allen Mitteln der Aussöhnung sich verstehen, welche der Kaiser, sein hoher Verbündeter, in seiner Weisheit nicht mit der eigenen Ehre und den wichtigsten Interessen Österreichs unvereinbar finden dürfte.“

Dem Sohn und Nachfolger der großen Katharina war zwar, nicht minder als ihr selbst, die neufränkische Republik ein Dorn im Auge, eine Quelle beständigen Ärgernisses; dass aber zu jener Zeit sein Hass keineswegs leidenschaftlich war, dass er sich schon damals nicht unschwer dazu verstanden hätte, mit ihr in Unterhandlungen sich einzulassen, dass auch seine Freundschaft für Österreich eine nicht in allen Umständen stichhaltende war, das wird durch die Aktenstücke bezeugt, welche in nicht geringer Anzahl dem Miliutin'schen Werke angehängt sind. Durch Russlands so beträchtliche, erst neulich auf Kosten Polens bewerkstelligte Vergrößerung vielleicht ein wenig aufgebläht, war der Zar mehr als je eingedenk, dass der Frieden von Teschen ihn zu einem der Bürgen der europäischen Staatenordnung gemacht hatte, sowie er denn auch unterm 11. Okt. 1797 an den König von Preußen schrieb: „Ew. Majestät wissen (ferner), dass auch ich im Frieden von Teschen die deutsche Reichsverfassung mit garantierte, und werden deswegen nicht erstaunen, wenn ich erkläre, dass ich nicht gleichgültig der Auflösung derselben zusehen werde, sondern mit aller mir von der Vorsehung anvertrauten Gewalt dieselbe ausrecht zu erhalten entschlossen bin.“ Nichtsdestoweniger trat er mit Klugheit und Rückhalt aus, seine Sprache nicht zu hoch stimmend, seine von Österreich erbetene Vermittelung, den kriegsführenden Mächten nicht aufdringend, und so wenig zum Kriege geneigt, dass er vielmehr dem flehenden Bundesgenossen nur schwache Hoffnung machte und sich vor der Hand darauf beschränkte, 18 donischen Regimentern und andern Streitkräften im Süden des Reichs Befehl zur Marschbereitschaft zuzuschicken.

Statt der verlangten Mannschaften, die allein noch Österreichs Fall vielleicht aushalten konnten, wollte er anfangs nur diplomatischen Beistand gewähren. Der bekannte Feldmarschall Fürst Repnin, ebenderselbe der zu Teschen seinen Hof vertreten hatte, sollte sich mit speziellen Aufträgen nach Berlin und Wien begeben, und nichts ist der Aufmerksamkeit würdiger als die ausführlichen Instruktionen, die, mit unbestreitbarer Umsicht, Paul ihm über das von ihm einzuhaltende Betragen mit aus den Weg gab. Allein dieser außerordentliche Botschafter hatte die russischen Grenzen noch nicht überschritten, als die Nachricht von den Friedenspräliminarien zu Leoben (18. April) in Petersburg eintraf, was den Zweck seiner Sendung aufhob. Indem Rasumovski davon Kunde gab, teilte er zugleich dem Kaiser den Wunsch des Wiener Hofes mit, er möchte bei dem endlichen Friedensschlusse die Vermittelung übernehmen. Einen nähern Bericht darüber enthält des Grafen Depesche vom 28. April an den Minister Grafen Besborodko, aus welche eine andere von Thugut an Cobenzl folgte, in welcher Franz' II. höchster Ratgeber abermals seiner entschiedenen Abneigung gegen das Berliner Kabinett Lust machte.

Paul, seinem Gebrauch gemäß, antwortete persönlich aus die Wiener Depeschen. „Wir haben immer“, hieß es in dem zarischen Rescript an den Gesandten vom 15. Mai 1797, „das Ende des gegenwärtigen Kriegs herbeizuführen gesucht und alle Unsere Schritte seit Unserer Thronbesteigung nur auf die möglichst baldige Wiederherstellung der Ruhe gerichtet. Die Uns von Österreich gemachten Vorschläge in Betreff der zu übernehmenden Vermittelung nehmen Wir an, sobald Uns ein ähnliches Anerbieten auch von entgegengesetzter Seite gemacht werden wird. Wir werden Uns bemühen, bei Unserer Teilnahme an dem Friedenswerke, auch dort dem Geist der Uneigennützigkeit und Gerechtigkeit Eingang zu verschaffen, und werden alle in Unserm Bereiche stehenden Mittel anwenden, um jede Parteilichkeit und alle eigennützigen Absichten daraus zu entfernen.“ Und alsobald befahl der Monarch, was wohl zu beachten ist, seinem neuen Gesandten in Berlin, dem Grafen Panin, mit seinem französischen Kollegen daselbst in vorläufige Rücksprache sich einzulassen.

Franz II., dem es nahe ging, unter den abgeredeten Bedingungen Frieden schließen zu müssen, suchte in Erwartung der russischen Hilfe Zeit zu gewinnen. Paul riet jedoch zum Nachgeben und stellte sein eigenes Einschreiten nur sofern in Aussicht, als durch jenes nichts erreicht würde. „Sollte wider Erwarten“, schrieb er an Rasumovski unterm 17. Sept., „Österreich trotz seiner Nachgiebigkeit, woran dasselbe in den Friedensunterhandlungen es wohl nicht wird fehlen lassen, dennoch nicht den Frieden zu erlangen im Stande sein und zu einem neuen Kriege gezwungen werden, und sollte der König von Preußen, in seinen eigennützigen Absichten, daran sich beteiligen wollen, so werden Wir nicht anstehen, Unsere Bundespflichten aus das genaueste zu erfüllen, wie dies Unser gegebenes Wort erheischt und soweit es Uns, ohne das Wohl unserer eigenen Staaten zu gefährden, möglich ist.“ Im Grunde war es dem russischen Autokraten weniger um einen einseitigen Friedensschluss zwischen Österreich und Frankreich als um eine allgemeine, durch ihn vermittelte, europäische Pazifikation zu tun. Er hatte an einen Hauptkongress gedacht, dessen Leitung ihm übertragen würde.

Da Österreich nicht in der Lage war, denselben abzuwarten, soll Paul, nach der Versicherung Miliutins62) Misstrauen gefasst und dem Grafen Rasumovski besohlen haben „die Schritte des österreichischen Ministeriums genau zu überwachen“.

Dem sei wie ihm wolle, so viel ist gewiss, dass in der Zwischenzeit der Monarch sich zwar bemühte Preußens Übelwollen in Schach zu halten, aber selbst mit der Österreich zu leistenden Beihilfe noch zögerte. Am Ende brachte der Drang der Umstände den Friedensschluss von Campo-Formio zu Stande (17. Okt. 1797), der indessen dem Römischen Kaiser, durch die Opfer welche er ihm nicht nur in Italien und den Niederlanden, sondern auch die Reichslande betreffend auferlegte, einen schweren Entschluss kostete. Bevor er das Friedensinstrument ratifizierte, wollte Franz noch einmal wissen was der russische Zar ihm zu tun rate, und er ergab sich erst dann in das Unvermeidliche, als dieser die Meinung aussprach, er könne am Ende sein Wort nicht brechen. Es ist unverkennbar, dass Paul dabei mit Ruhe und Kaltblütigkeit, ja sogar nicht ohne Selbstsucht verfuhr, wie dies aus dem Schlusse seines Reskripts an Rasumovski vom 9. Dez., seiner hohlen Phrasen ungeachtet, sichtbar ist.

„Wir hoffen“, schreibt er an seinen Gesandten, „dass der Wiener Hof das oben Gesagte in seiner vollen Bedeutung nimmt und einsieht, dass Wir dem Frieden und den Interessen Österreichs durchaus nicht hindernd in den Weg treten, sondern Uns nur bemühen, die Sicherheit Unsers Reichs auch für spätere Zeiten zu wahren. Dies ist Unsere höchste Pflicht; niemand wird Uns die Erfüllung derselben verargen. Suchen Sie ferner darzutun, wie Wir nichts verabsäumen, um das Wohl des Menschengeschlechts zu befördern, was jedoch auf die Dauer nicht möglich ist, wenn der Friede selbst schon den Samen neuer Zwietracht und Feindschaft in sich birgt; und dass Wir endlich unsere Allianz, welche nur die Wahrung der Ruhe und Integrität der mit Uns verbündeten Staaten zum Zwecke hat, von ganzem Herzen aufrecht zu erhalten wünschen. Wir hoffen deswegen auch, dass unsere gegenseitigen Beziehungen auf den Grundlagen völliger Aufrichtigkeit fortdauern werden.“

Der fünfjährige Kontinentalkrieg gegen Frankreich war nun für diesmal zu Ende, ohne etwas anderes erreicht zu haben als das Gegenteil von dem, was seine Urheber beabsichtigten. England allein setzte den Krieg fort. Russland, seinen eigenen Zwecken dienend, nahm daran keinen Anteil; jedoch im Gefühl seiner Unantastbarkeit, welches damals noch unerschüttert war, nahm der Autokrat gegen die republikanische Regierung, die ihn anwiderte, keinerlei Rücksichten; vielmehr reizte er dieselbe geflissentlich, indem er, zugleich mit dem Regiment des Prinzen von Condé, das ganze Corps der Emigranten in seinen Dienst nahm. Rasumovski ward beauftragt denselben freien Durchzug durch die österreichischen Erblande auszuwirken und im Verein mit dem Geheimrat Maximilian Alopäus (dem Ältern) für deren Weiterschaffung sich zu bemühen. Auch hatte er sich bei dem zu beteiligen, was Paul mit freigebiger Hand an dem damals in Noch und Dürftigkeit zu Blankenburg lebenden königlichen Prätendenten Ludwig XVIII. tat.63)

Der Kaiser hatte den Frieden von Campo-Formio nicht als solcher, sondern nur als König von Böhmen und Ungarn unterzeichnet: die Punkte die das Deutsche Reich und seine Grenzen gegen Frankreich betrafen, waren der Entscheidung eines Kongresses vorbehalten, der auch wirklich noch in den letzten Tagen des Jahres 1797 in Rastadt zusammentrat, wo aber auf die kaiserliche Regierung wegen seines, den Traktat von Campo-Formio ergänzenden geheimen Vertrags64) mit der Republik, und auch aus Preußen, wegen des von ihm zu Basel, auch nicht ohne geheime Clauseln65) geschlossenen Vertrags, eine peinliche Verantwortung fiel.

Die Geschichte des unseligen Kongresses von Rastadt mag man bei Häusser66) lesen; wir könnten sie hier ganz übergehen, wenn nicht, bei Gelegenheit desselben, Schlosser67) unsers Diplomaten erwähnt hätte. „Zur Zeit, als Thugut wieder aus dem Hinterhalt auf die Bühne trat“68), heißt es da, „hatte England die Fäden einer neuen Koalition schon gesponnen, und Kaiser Paul hatte, als Einleitung näherer Verbindung mit England, den vorher von ihm verworfenen Handelstraktat abgeschlossen. Die Zurückweisung seines Gesandten Rasumovski vom Kongresse zu Rastadt erbitterte den Kaiser vollends, und er gab sich alle Mühe, um auch Preußen von Frankreich loszumachen.“ Und weiter unten: „Die Abweisung des Grafen Rasumovski konnte aus vielen Gründen entschuldigt werden, ganz besonders dadurch, dass der russische Kaiser, als er ihn schickte, schon ganz innig mit England gegen Frankreich verbunden war.“ Diesen Behauptungen wird in dem öfter angeführten Werke, das die Generale Danilevski und Miliutin zu Verfassern hat, faktisch widersprochen, indem daselbst Folgendes ausgesagt wird69): „Kaiser Paul wollte keinen direkten Anteil an dem Kongresse nehmen und seine ganze Wirksamkeit nur darauf beschränken, die Höfe von Wien, Berlin und London zur baldigen friedlichen Beilegung der unter ihnen obwaltenden Missverständnisse zu bestimmen, damit alsdann jede einzelne dieser Mächte, vereint mit den übrigen, sich im Stande befände, den verderblichen Absichten Frankreichs, die nur auf den Umsturz der Ordnung und aller gesetzlichen Gewalt abzielten, kräftig entgegenzutreten.“70)

Wir haben nichts Entscheidendes anzuführen, um den Widerspruch aufzuheben. So viel ist aber gewiss, dass es damals die Lieblingsidee Pauls war, zwischen Russland, Österreich, Preußen, England und Dänemark eine Defensivallianz zu Stande zu bringen, die, in kräftigem Auftreten, den Übergriffen der französischen Republik Einhalt täte. Es liegen darüber schlagende Beweise vor.“71) Allein Preußen und Österreich zu versöhnen gehörte zu den Unmöglichkeiten. Auch nachdem Friedrich Wilhelm III. am 17. Nov. 1797 den Thron bestiegen hatte, wollte Preußen mit dem Nachbarstaate nicht ausgesöhnt sein; von Graf Haugwitz geleitet, neigte es sich immer mehr Frankreich zu, von welchem es sich die erhoffte Vergrößerung versprach; und so blieb es untätiger Zeuge des Kampfes, den Österreich alsbald wieder gegen Frankreich aufnahm und in welchem Russland endlich sich ihm anschloss.

Nicht nur ließ Paul (November 1798) ein Heer von 20.000 Mann, das nachher noch verstärkt wurde, unter dem Oberbefehl des Generals von der Infanterie Rosenberg, über die Grenze rücken, er schickte auch zugleich, infolge der Eroberung von Malta durch die Franzosen und des Zugs derselben nach Ägypten, seiner Flotte im Schwarzen Meer unter dem Vizeadmiral Uschakov den Befehl zu, sich mit der türkischen zu vereinigen und vor Konstantinopel zu zeigen (ein bis dahin unerhörter Vorfall, der auch natürlich viel Aussehen machte), um nachher von da nach den Ionischen Inseln zu segeln; ja noch mehr, er ließ die baltische Flotte unter Vizeadmiral Makarov nach den Küsten Englands abgehen. Durch die Seerüstungen der Franzosen beunruhigt, hatte das Pitt'sche Ministerium um diesen Beistand nachgesucht. „Wahrhast ruhmreich war jene Zeit für Russland“, ruft mit Recht Danilevski aus72): „die Mächte ersten Ranges, Österreich und Englands riefen es um Hilfe an!“ Noch mehr, da es dem Römischen Kaiser nach so vielen Niederlagen abgenutzter Generale, in Ermangelung des Erzherzogs Karl, an einem Feldherrn fehlte, dem er die Führung des wieder ausgebrochenen Kriegs in Italien hätte anvertrauen können, ließ sich der Wiener Nationalstolz so weit herab, dass er (nicht minder unerhört) einen solchen vom Zaren sich erbat, indem er zu dieser Stelle den Sieger am Rymnik bezeichnete. In Franz' II. Auftrag schrieb unterm 31. Jan. 1799 Graf Rasumovski an Paul73): „Feldmarschall Suworov focht im letzten Türkenkriege an der Seite der Österreicher und erwarb sich deren Zutrauen und Bewunderung. In der ganzen österreichischen Armee hat er den Ruf, dass er es war, der den Sieg entschied, welchen er im Verein mit dem Prinzen von Koburg davontrug. Er ist derjenige, den der Kaiser sich (aus Sr. russischen Majestät Hand zum Mitfeldherrn neben dem Erzherzog Joseph, Palatin von Ungarn)74) erbittet, wenn Ew. Majestät hierzu Ihre Einwilligung geben.“

Dass unter so bewandten Umständen der russische Gesandte in Wien vollauf zu tun haben musste, liegt auf der Hand, und sein Schriftenwechsel beweist es. 75) Auch begleitete er am 26. Dez. 1798 den kaiserlichen Hof nach Brünn, wohin Franz in freudiger Eile sich begab, um das angekommene, noch unter Rosenberg stehende russische Heer zu bewillkommnen, woraus der Graf den triumphierendsten Bericht darüber an Paul abschickte. Ebenso war er bei der Musterung der ersten Abteilung dieses Heeres, die den 20. März in Schönbrunn stattfand; und wenige Tage nachher (den 25.) hatte er die Freude, den glorreichen Feldmarschall einzuholen, welchen der erste Monarch in der Christenheit, der Römische Kaiser, zu Wien erwartete, um ihm die Führung seiner eigenen Armee anzuvertrauen. Suworov stieg im Palais des Gesandten ab, und Rasumovski begleitete ihn, als er, schon am folgenden Morgen vom Kaiser eingeladen, nach der Hofburg fuhr. „Alle Straßen waren von einer großen Volksmenge besetzt“, erzählt Danilevski 76); „um das Schloss besonders war starkes Gedränge. Man konnte nur mit Mühe sich der Neugierigen erwehren, welche bis zur Paradetreppe durchdrangen. Von allen Seiten ertönte der Ruf: „Hurrah Paul ! Hurrah Suworov!“ - „Tief ergriffen“, so berichtete Rasumovski seinem kaiserlichen Herrn, „antwortete der Feldmarschall mit einem „Hurrah Kaiser Franz!“ Die österreichischen Minister und der hohe Adel wetteiferten ihn zu Gast zu bitten; allein Suworov lehnte alle Einladungen ab, sich damit entschuldigend, dass die Fasten eingetreten seien und er zur Gewohnheit habe, in dieser Zeit keinem Gastmahle beizuwohnen, sondern zu fasten.“ Denn der einfache, anspruchslose Feldherr nahm es streng mit den Gebräuchen seiner vaterländischen Kirche. Er blieb bis zum 4. April in Wien, und wahrscheinlich hatte Rasumovski an vielen der Konferenzen Anteil zu nehmen, welche in der Zwischenzeit gehalten wurden.

Aber gerade damals trat in den Verhältnissen des Gesandten eine Störung ein, welche ihn unangenehm berühren musste.

Baron Thugut, obgleich keineswegs der Aristokratie entsprossen 77), war ein Feind der neufränkischen Republik, und seine Wiederannahme des Ministeriums (1798), nach kurzer mehr scheinbarer als wirklicher Unterbrechung, schien einen neuen Bruch mit derselben unvermeidlich zu machen. Ein Volksauflauf in Wien gegen den Botschafter Bernadotte und gegen die dreifarbige Fahne, die er vor seinem Hotel aufgesteckt hatte (11. April), sodann (28. April) der an den französischen Bevollmächtigten in Rastadt auf ihrer Rückreise ausgeführte Mordanschlag, welchen man mit Recht oder Unrecht als von Thugut angezettelt betrachtete, diese beiden Vorfälle, sagen wir, und zudem das ganze zweideutige Verhalten der Wiener Regierung, hatten die französische veranlasst ihr aufs neue den Krieg zu erklären, was, wie wir gesehen, zum Bunde zwischen Österreich und Russland Anlass gab. Nun aber, einer Verantwortlichkeit gegenüber, die um so größer war, als Thugut beinahe alle Zweige der Verwaltung an sich gerissen hatte, wurde er unschlüssig. „Es schien“, sagt Danilevski 78), „als ob er den Krieg zugleich wünschte und fürchtete. Erst bat er, das russische Hilfskorps möge seinen Marsch beschleunigen; als aber Rosenberg wirklich an der Donau war, ließ er ihn mit seinem Corps zwei volle Monate nicht von der Stelle rücken; anfangs hetzte er den König von Neapel zum Kriege auf, und dann beschuldigte er ihn, die Feindseligkeiten zu frühzeitig begonnen zuhaben; die Vorbereitungen zum Kriege wurden früher mit der größten Tätigkeit betrieben, sowie es aber an der Zeit war, die Truppen in Bewegung zu setzen, hatte man noch nicht einmal den Feldzugsplan ausgearbeitet und einen Obergeneral ernannt.“

Rasumovski, in seinen Berichten an den Zaren, drückte zwar, wie er nicht anders konnte, seinen Unwillen über diese Langsamkeit und Untätigkeit aus, die Paul sehr ungehalten machten, die er selbst aber der Besorgnis, einer ganz unerwarteten Niedergeschlagenheit des Ministers zuschrieb ja, er bemühte sich den Baron zu rechtfertigen, denn er stand zu ihm in den engsten und freundschaftlichsten Verhältnissen. Paul, dem kein Übermaß von Geduld innewohnte, ertrug dies auf die Länge nicht. Schon am Anfange des Jahres 1799 hatte er den Grafen abberufen wollen, und der Geheimrat Kalytschev (Stephan Alexejewitsch), damals Gesandter in Berlin, früher bei den Generalstaaten, welchen er zu dessen Nachfolger bestimmte, hatte bereits unterm 12. Febr. seine Instruktionen erhalten. Dann kamen aber wieder Bedenken, und als einen Monat später Kalytschev wirklich nach Wien gesandt wurde, geschah es nicht um an Rasumovkis Stelle zu treten, sondern mit dem Befehl, neben diesem die Kriegsgeschäfte zu besorgen und die Korrespondenz darüber mit dem Wiener Kabinett zu übernehmen.80) Der Briefwechsel zwischen dem Grafen und dem in dieser Sache leidenschaftlich tätigen Monarchen ward ununterbrochen fortgesetzt, wie man aus den zahlreichen Auszügen ersteht, die im dritten Bande von Miliutins höchst wichtigem Werke ihren Platz gefunden haben; und auch der siegreiche Feldmarschall wandte sich noch häufig, wie aus der Fuchs'schen Lebensgeschichte desselben bekannt ist, freilich am häufigsten mit lauten Klagen, an ihn. „Suworov“, jagt Schlosser81), „äußert in jedem seiner Briefe an den russischen Gesandten (Botschafter) in Wien, der mit vieler Klugheit zwischen ihm und dem wunderlichen Paul vermittelte und das Nötige in Wien betrieb, Unzufriedenheit, Ungeduld und den dringenden, ernstlichen Wunsch, sein Kommando niederlegen zu dürfen. Er klagt über den Hofkriegsrat, über die Bestimmtsager (wie er sie nennt), über Thugut, über den Fürsten Dietrichstein,.... über die Notwendigkeit, bei jeder Gelegenheit erst in Wien anzufragen Suworov und Rasumovski kannten ihren Kaiser zu gut, um ihn zu reizen; sie verbargen ihm lange die wahre Lage der Dinge; es wurden aber des Kaisers Franz Briefe immer gebietender und hemmender; man durfte endlich nicht mehr verbergen, was Kaiser Franz mit dem von Russland beschützten Könige von Sardinien im Sinne habe... Suworov verbarg dem Minister zu Wien seinen Kummer nicht, er schüttet ihn in jedem an Rasumovski gerichteten Briefe aus, sagt aber in seinen Briefen an Kaiser Paul nichts davon, weil er dessen Charakter kannte und wusste wie er gegen ihn gesinnt sei.“

Der unvergessliche heidelberger Historiker hatte sich, nach Fuchs' Veröffentlichungen, eine ganz richtige Ansicht von der Lage der Dinge gebildet; sie wird aber, besonders Rasumovski betreffend, noch um vieles klarer nach Einsicht des seitdem bei Miliutin teilweise abgedruckten Briefwechsels. In dem gleichen Maße da Paul immer ungehaltener über das nur auf sich selbst bedachte Österreich wird, welches darauf ausging, durch den Besitz von Piemont sich selbst zum Grenzwächter der Alpen gegen Frankreich zu machen, und, in seinem Heißhunger Italien sich zu unterwerfen, weder auf Neapel, einen anderweitigen Schützling Russlands, noch auf den Papst große Rücksicht nahm, in diesem selbigen Maße, sagen wir, erkaltete er auch gegen seinen allzu geduldigen, allzu umsichtigen Repräsentanten zu Wien. Hierüber ist das Rescript vom 12. Aug. (31. Juli a.St.) entscheidend, auf welches sodann der Botschafter mit einer Offenheit und einer Meisterschaft antwortet, die ihm gewiss zur Ehre gereichen. Wir können ihrer aber hier nur gedenken.

„Nachdem ich“, schreibt der Kaiser an Rasumovski (wie gewöhnlich in französischer Sprache), „die Blindheit dieser Macht angestaunt, die, kaum erst am Rande des Verderbens, sich durch ihr politisches Benehmen noch einmal darein stürzen will, kann ich mich nicht genug über die stetige Billigung verwundern, welche Sie niemals dem doppelzüngigen, ränkevollen und immer versteckten Verfahren des Barons Thugut versagen. Mittels des Bandes, das Sie an diesen allmächtigen Minister knüpft, bei den wesentlichen Talenten und großen Gaben, die Sie selbst befähigen auf würdige Weise an dem wichtigen Posten zu stehen, der Ihnen anvertraut ist, wären Sie, selbst ohne besondere Anstrengungen von Ihrer Seite, im Stande gewesen, vielen falschen Schritten und Maßnahmen des Wiener Hofes zuvorzukommen, deren Folgen die Gemüter entzweiten, überall die Saat der Zwietracht ausstreuten und zum Vorteil jener Regierung ausfielen, deren Vernichtung die Ruhe des Menschengeschlechts wiederherstellen soll.“ Hierauf schüttet der einsichtsvolle Monarch, über Österreich bitter sich beklagend, sein ganzes Herz aus und lässt sodann die höchst merkwürdigen Äußerungen folgen, die wir noch weiter übersetzen wollen. „Ich sage Ihnen das alles, damit Sie wissen ich schweige lange, soviel ich auch sehen mag. Ich habe mich mit den Mächten vereinigt, welche mich gegen unsern gemeinschaftlichen Feind zu Hilfe gerufen haben; vom Ehrgefühl geleitet, bin ich der Menschheit zu Hilfe geeilt; um deren Gl?ck zu sichern, habe ich Mannschaften zu Tausenden hergegeben. Allein dass ich beschlossen habe, die gegenwärtige französische Regierung zu vernichten, will nicht heißen, dass ich je zugeben könnte, dass ein anderer dieselbe Stellung einnähme und seinerseits der Schrecken aller benachbarten Fürsten würde, deren Länder er überflutete. Ist es an der Zeit, auf Vergrößerung zu sinnen, wenn man noch keineswegs Sicherheit für dasjenige hat, was man besitzt? Dass für jeden eine Schadloshaltung eintrete, das ist billig; da Frankreichs Revolution alles Gleichgewicht in Europa zerstört hat, muss letzteres allerdings wiederhergestellt werden. Allein im Einvernehmen aller untereinander muss es geschehen, mittels eines Kongresses, auf dem jede beteiligte Macht ihre Ansprüche vorbringt. Was mich betrifft, ich will das Gute, und werde verhindern dass andere nicht das Böse tun.“

Unmittelbar nach diesen Zeilen schließt das Rescript also: „Dabei wünschte ich noch, dass Sie, so oft Sie mit Baron Thugut zu verkehren haben, sich wohl erinnerten, dass Sie ein Russe sind und mein Botschafter in Wien, zum Vorteil meiner Angelegenheiten.“

Niemand wird es bestreiten wollen, diese klare Ansicht, dieser feste Wille, diese unumwundene Sprache gibt von den Fähigkeiten Kaiser Pauls keine geringe Idee. Für Rasumovski aber musste diese Sprache um so verletzender sein, als auch Suworov ohne Schonung mit in dieselbe einstimmte, wie aus einem Briefe vom 7. Sept. ersichtlich ist, in welchem der alte Kriegsheld sich folgendermaßen ausdrückt: „Als Antwort auf Ew. Excellenz letztes Schreiben kann ich nicht umhin mein Erstaunen auszudrücken, dass Sie den an Sie ergangenen allerhöchsten Befehl Sr. Majestät des Kaisers bezüglich meiner Vorstellungen und Klagen, die leider durch viele gegen mich angewandte Intrigen nur zu gegründet sind, sowie bezüglich meiner Bitte um Entlassung nicht im entferntesten Folge geleistet haben. Ich muss hierbei Ew. Excellenz bemerken, dass in dem an mich ergangenen allerhöchsten Rescript ausdrücklich erwähnt ist, dass Sie die gemessenste Weisung erhalten, diesem Befehle des Monarchen nachzukommen. Ein ähnlicher Auftrag ist auch an den in Petersburg residierenden kaiserlich römischen Gesandten (Botschafter?) Grafen Cobenzl ergangen, weshalb die von Ihnen gegen das österreichische Ministerium beobachtete Delikatesse schlechterdings zu unsers allergnädigsten Monarchen Kenntnis gebracht werden muss. Ueberhaupt ist, wo immer dem Ruhme der Waffen Sr. kaiserlichen Majestät in irgendeiner Weise zu nahe getreten wird, Geistesstärke und große Festigkeit des Charakters vor allem ersorderlich.“

Wenn diese Lection, die hier der Kriegsmann dem Diplomaten gibt, letzterm unmöglich gesallen konnte83), so musste es noch viel verletzender für ihn sein, dass Suworov, indem er über die Sache an den Grafen Rostoptschin berichtete, erklärte, solche Rücksichten seien hier ganz am unrechten Platze, er aber erachte es wegen derselben für notwendig, sich in Zukunft in allem an den Geheimrat Kalytschev zu wenden. Nicht ohne innere Genugtuung beeilte sich nun Rasumovski seinerseits, die Klagen des Kaisers Franz gegen den alten eigensinnigen Feldherrn vor den Thron seines Herrn, des Zaren, zu bringen84), nachdem er schon vorher (29. Aug.) einen langen und denkwürdigen, für das Verständnis der ganzen Politik Österreichs während dieser Epoche höchst wichtigen Bericht zu seiner persönlichen Verteidigung eingesandt hatte. Der ganze Hergang der Begebenheiten seit dem ersten Koalitionskriege, die Haltung welche Thugut während dieser Zeit beobachtete, nicht nur Russland, sondern auch Frankreich und Preußen gegenüber, wird in dem zweiten dieser Actenstücke mit Geschick und Klarheit auseinandergesetzt; überraschend ist aber besonders, einesteils, was Rasumovski über die eigennützigen Plane des Hauses Habsburg sagt, insofern sie den Kirchenstaat berühren, welchen es damals zu seinen Gunsten verkleinern wollte, und andernteils der Einwurf, den Thugut gegen einen von Russland gewünschten Kongress macht, welchen Einwurf er darauf gründet, dass man dann vor die Öffentlichkeit bringen müsste, was zwischen beiden Kaiserhöfen insgeheim, als Resultate des Kriegs, verabredet worden sei: Abmachungen, wozu, wie es scheint, gehörte, dass dem russischen Reiche in Italien, oder selbst in Deutschland oder den Niederlanden, Besitzlichkeiten angewiesen würden. Man muss den erwähnten Text vor Augen haben, um Zugeständnisse der Art von seiten Österreichs glaublich zu finden. Am Schlusse des gedachten Berichts vom 29. Aug. drückt der Schreibende den Wunsch aus, „kaiserliche Majestät möge ihm befehlen seine Erklärungen mündlich am Fuße des Thrones vorzutragen“. Eine Abwesenheit von sechs Wochen während der Jahreszeit wo die Waffen ruhen, würde ihn, meint er, in den Stand setzen nachher mit mehr Genauigkeit dem allerhöchsten Willen Folge zu leisten, den der Monarch geruht hätte ihm kund zu tun.

Auf letzteres ließ sich Paul nicht ein; vielmehr bemerkte er in seiner Antwort (vom 29. Aug.), es sei jetzt gerade der Augenblick, wo man nicht genug die geringsten Schritte des wiener Hofs überwachen könne, um zu rechter Zeit davon unterrichtet zu sein. Er setzte seine Korrespondenz mit Rasumovski noch eine Zeit lang fort, die gegen ihn immer begehrlicher und dringender, gegen Österreich immer drohender wurde. In seinen Rescripten und in den Briefen des Grafen Rostoptschin an Suworov kommen von nun an Äußerungen vor, die einen wahren Ingrimm gegen Österreich bezeugen. Noch am 27. Sept. macht Paul in einem Schreiben an ihn seinem Ärger über die wiener Regierung Luft. Nachdem er ihn von seiner Absicht in Kenntnis gesetzt, das russische Heer von dem österreichischen durchaus zu trennen, sagt er darin zum Schlusse: „Jch wünsche im höchsten Grade, der Römische Kaiser möge für sich allein im Stande sein über seine Feinde den Sieg davonzutragen, widrigenfalls aber, dass er auf den so natürlichen Gedanken zurückkomme, dessen Wahrheit eine Erfahrung von acht Jahren erhärtet hat, nämlich dass, um den Feind zu vertilgen, der schon bis zu den Toren Wiens vorgedrungen ist, es der Einmütigkeit bedarf, der ehrlichen Treue (loyauté) und der Offenheit den Verbündeten gegenüber.“

In einem Schreiben Rostoptschins an den Feldmarschall vom 5. Sept. heißt es mit dürren Worten: „Damit aber dies (ein besprochener Plan) gelinge, muss die gegenwärtige Regierungsform in Frankreich umgeändert und dann auch der Wiener Hof, dessen von Neid geleitete Unternehmungen sich voraussehen lassen, in seine gehörigen Schranken zurückgewiesen werden.“ Derselbe Graf Rostoptschin (dessen ausführliche Lebensbeschreibung wir soeben in französischer Sprache haben erscheinen lassen) lässt sich in seinem merkwürdigen Briefwechsel mit Suworov unterm 8. Okt. 1799 folgendermaßen gegen ihn aus: „O, wenn Sie doch nach Ihrem Eindringen durch die Franche-Comté eine Revolution in Frankreich zu Gunsten des Königs hervorrufen könnten! Sie würden das Land in zwei Hälften teilen, und dann könnte König Ludwig XVIII. zu Ihnen abgehen. Abgesehen von dem Ruhme dieses großen Unternehmens, kann man in allen Fällen, das heißt sowohl im Anfange der neuen Regierung als auch bei einem inneren Bürgerkriege, hoffen, dass Frankreich einige Jahre lang völlig ruhig bleiben werde, und dass man dann, ohne Zeit zu verlieren, auch dem Hause Österreich zu Leibe gehen könne, um durch Abschneiden der Flügel seinen Flug etwas zu hemmen. So leicht dies bei der bezeichneten Lage der Dinge ist, so schwierig wird es werden, wenn das wiener Cabinet Frieden oder gar ein Bündnis mit der gottlosen Regierung schließen würde.“ 85) Wahrlich, ein jeder steht und fällt ihm selbst! Das ist nicht minder wahr vom Staate als vom Individuum.

In solcher Misstimmung war es zu erwarten, dass Paul denjenigen nicht länger an seinem Posten lassen würde, der f?r Österreich beständig soviel „Delicatesse“ gehabt hatte. In der Tat musste Rasumovski den 1. Okt. seinem Kollegen Kalytschev alle Geschäfte der Gesandtschaft übergeben, und er verließ selbst Wien. Wahrscheinlich gab sich Russlands Kaiser, indem er ihn abrief, das Ansehen, als habe er sich sein Gesuch um Urlaub betreffend eines andern bedacht und sei er nun im Stande ihm zu willfahren; denn in dem soeben angeführten Schreiben des Ministers Grafen Rostoptschin an Suworov liest man auch folgende Zeilen: „Graf Rasumovski schrieb vor einiger Zeit, dass er seinen Vater zu besuchen wünsche. Der Kaiser hat ihm einen sechsmonatlichen Urlaub bewilligt. Nach Eintreffen des darauf bezüglichen Rescripts hat Geheimrat Kalytschev die Geschäfte des Gesandten in Wien zu übernehmen. Graf Rasumovski hat, in seiner Gewohnheit in Wien zu leben und bei seiner hohen Meinung von Thugut, nur zu oft vergessen welchem Herrn er dient. Obgleich Kalytschev nicht so diplomatisch gewandt ist und weniger an Höfen eine Rolle gespielt hat, so wird er seine Sache doch nicht schlechter machen.“

Dass Paul bei alledem nicht ungnädig gegen Rasumovski war, hatte er ihm wenige Monate zuvor (22. Febr.) bewiesen, indem er ihm den Andreasorden, den höchsten nicht ausschließlich militärischen, verlieh. Des unglücklichen Kaisers Nachfolger aber, Alexander I., versetzte ihn an den nämlichen Posten zurück, wo er noch lange wichtige Dienste leistete, über welche der Raum uns nicht gestattet ins einzelne einzugehen.

Nur über die Figur, die er damals in Wien machte, und über die entschiedene Rolle, welche er unter der österreichischen Aristokratie spielte, wollen wir uns etwas weiter auslassen, da beide etwas ganz Eigentümliches haben.

Als seit dem 16. Febr. 1803 der geist- und ideenreiche Lebemann Friedrich Gentz, damals schon nahe an vierzig Jahre alt, sich in der Cäsarenstadt angesiedelt hatte, blieb er nicht lange ohne Gelegenheit zu finden, des in fürstlichem Prunke lebenden russischen Botschafters Bekanntschaft zu machen. Schon nach einigen Jahren war diese Bekanntschaft eine so freundschaftliche, dass sie einen unausgesetzten Umgang zur Folge hatte. „Das Haus des Grafen Stadion, der Fürstin Bagrathion, der Gräsin Ferraris, des Fürsten von Ligne, des Grafen Rasumovski, der Gräfin Wrbna, des Generals Stutterheim, notirte er in seinem Journale86), und viele andere interessante und damals bedeutende Personen sah ich täglich.“ Die reiche Tafel in diesem glänzenden Hause stand ihm offen, und er, bei seinen parasitischen Gewohnheiten, ermangelte nicht von dieser Freiheit lange Jahre hindurch häufigen Gebrauch zu machen. So finden wir noch den 25. Febr. 1810 ausgezeichnet: „Beim Grafen Rasumovski gespeist, mit der Fürstin Esterhazy, der Stiftsdame Thürheim87) dem Commandeur Ruffo, den Grafen von Hardenberg, Ferdinand von Waldstein, von Dietrichstein, mit Pozzo di Borgo, Bonnay, Capellini u. a.“

Aber schon 1803 hatte Gentz geschrieben: „Pozzo di Borgo war Mitglied des Damencirkels bei der Gräfin Rasumovski, wo sich die Crême der guten Gesellschaft versammelte, und Armfelt, Pozzo und ich eine Art von politischem Kleeblatt bildeten.“ Dann auf der nachfolgenden Seite (37): „Frau von Eybenberg war ebenfalls dort (in Teplitz) angekommen, und ob ich gleich weit weniger mit ihr als mit der Gräfin Rasumovski, dem Clary'schen Hause, der Herzogin von Kurland mit ihren Töchtern lebte, so hatte sich doch, ich weiß nicht wie, das einfältige Gerücht verbreitet, dass ich sie heiraten würde.“

Dass der Graf stets in Wien der Mittelpunkt der antifranzösischen Partei war, ließ sich von seinen aristokratischen Gesinnungen ebensowol als von seiner Anhänglichkeit an Österreich erwarten. In dieser Hinsicht war er weit über seinen Hof hinaus, der erst nach der am Herzog von Enghien verübten Gewalttat sich gegen Frankreich entschied. In Bezug auf das Jahr 1803 sagt der wohlunterrichtete diplomatische Schriftsteller Armand Lesevre88), dass der gemäßigte und weise Rat des Erzherzogs Karl in Wien kein Echo hatte. „Voll Mistrauen und Hass gegen Frankreich“ fährt er dann fort, „hatte sich die ganze Oligarchie unter das Panier Englands und Russlands gestellt. Das Haupt der Regierung, Graf Colloredo, war ein Schüler Thuguts, und, nach dem Vorgange dieses brausenden Feindes unseres Landes, war er nur auf die Mittel bedacht, uns den Garaus zu machen. Der Hof- und Staats-Vizekanzler, Graf Ludwig von Cobenzl, war der ganz genaue Dolmetscher der Ausichten Colloredos.“

Es war dies der Ausgangspunkt jener europäischen Coterie, von der wir später berichten werden und die man als eine wahre Verschwörung gegen Napoleon ansehen kann, wie sie es denn auch in dessen eigenen Augen war. Die Seele derselben war 1895—1899 Graf von Stadion der Jüngere (Johann Philipp), Minister der auswärtigen Angelegenheiten und dieser fand einen festen Anhaltspunkt in Sir Robert Adair, als letzterer 1806, nachdem er Konstantinopel verlassen, britischer Gesandter in Wien wurde.

Allein Napoleons militärische Überlegenheit spottete damals der Oligarchien, indem er selbst die Regierungen daniederwarf. Es verschlug nichts, dass Rasumovski mit der Erklärung hervortrat, sein Kaiser habe es übernommen, eine bewaffnete Vermittlung zwischen Österreich und England einerseits und Frankreich andererseits zu versuchen.90) Der Tag von Austerlitz zwang das Haus Habsburg zum Presburger Frieden sich zu bequemen, und auch Russland eröffnete im Laufe des Jahres 1806 Friedensverhandlungen, die indessen, wie man weiß, zu keinem Resultate sührten.91)

Hat es, vor der Schlacht von Austerlitz, Graf Rasumovski wieder an Wachsamkeit und Festigkeit fehlen lassen? Diese Beschuldigung ist wenigstens gegen ihn vorgebracht worden, und zum Beweise lassen wir eine Stelle aus dem Briefwechsel (Dezember 1805) des berühmten Grafen Joseph de Maistre mit seinem Könige folgen, die wir aus dem Französischen übersetzen92):
„Graf Rasumovski scheint mir einer unvermeidlichen Ungnade nahe zu sein, denn er hat diesmal zwei Fehler begangen, die sich in der Tat nicht entschuldigen lassen. Erstens hat er seinen Hof nicht von der innern Stimmung Österreichs, sowohl im allgemeinen als noch insbesondere die Armee betreffend, in Kenntnis gesetzt; sodann hat er sich noch ärger verfehlt, indem er es unterließ gegen den Übergang über die Inn feierliche Einsprache zu tun, welcher vorzeitig ausgeführt worden ist und einem Artikel des Allianzvertrags zwischen beiden Höfen zuwider. Hier erlaube ich mir Ew. Majestät einen Augenblick bei einem von jenen sonderbaren Widersprüchen aufzuhalten, die bei den Nationen ebenso gut als bei den Individuen vorkommen. Wenn es auf der Welt einen Hof gibt, der sich in der Politik eifersüchtig und argwöhnisch zeigt, so ist es der russische. Beleuchtet er nicht alle unsere Schritte? Entsiegelt er nicht alle unsere Briefe? Hält er uns nicht fern von sich mit einer augenscheinlichen Beflissenheit? Wenn es einem Beamten des auswärtigen Departements einfiele uns zu besuchen, wäre dieser nicht unwiderruflich verloren? Nun aber lässt derselbe Hof zu, dass seine Minister an den fremden Höfen altern, dass sie daselbst sich Eigentum anschaffen, Heirathen93), ja (was besonderer Beachtung wert ist) dass ihre Schulden von dem Herrscher, bei dem sie beglaubigt sind, bezahlt werden, kurz dass sie daselbst de facto vollständig naturalisiert seien. Der Herr Graf Rasumovski hat in Wien Millionen auf liegende Güter verwandt, und er ist so weit gegangen, dass er aus eigene Kosten eine Brücke über die Donau hat bauen lassen. Gestehen wir es, das macht aus ihm einen schlechten Inquisitor gegen die Schwachheiten, die Irrtümer Österreichs und gegen dessen macchiavellistische Umtriebe. Und so verhält es sich, freilich mit geringerer Gefahr für jetzt, auch zu Berlin und London.“

Ob sich der russische Botschafter in Wien seine Schulden damals vom deutschen Kaiser, wie später von seinem eigenen, bezahlen ließ, wissen wir nicht; aber dass er sich eine solche unbequeme, mit der nötigen Unabhängigkeit unverträgliche Last aufgeladen hatte, ist unbezweifelt. Denn nachdem er sich in der Nähe des Praters und an dem Donaukanal einen stattlichen, von reizenden Anlagen umgebenen Palast ausgebaut hatte, wollte er ihn auch noch in direktere Verbindung mit dem Lustparke und mit Wien bringen, und so kam auch die erwähnte Brücke zu Stande, beides freilich nicht ohne seine häuslichen Mittel zu zerrütten. Rasumovski lebte in Wien auf fürstlichem Fuße, Kunst und Wissenschaft aufmunternd, mit einer reichen Bibliothek und andern Sammlungen sich umgebend, und von allen bewundert oder beneidet; welchen Vorteil aber dies den russischen Angelegenheiten brachte, ist eine andere Frage.

Diese Frage ist durch Bignon94) und noch mehr durch den Lauf der Begebenheiten beantwortet worden. „Mehr Österreicher und vielleicht sogar mehr Engländer als Russe“, bemerkt der napoleonische Diplomat, „musste dieser Botschafter schlechterdings von seiner Stelle abgerufen werden, am Tage wo Russland sich von England trennte, um sich dem französischen Systeme anzuschließen.“

Allerdings ließ es nach dem Friedensschlusse von Tilsit (1807) Alexanders endlich ausgebrochene warme Freundschaft mit Napoleon nicht zu, Russland in Wien noch ferner durch einen Mann vertreten zu lassen, der bei allen Gelegenheiten seinen Hass gegen den französischen Eroberer an den Tag gelegt hatte. Der Gesandtschaftsposten musste Rasumovski abgenommen werden, was auch alsbald geschah: er wurde zuerst (1809) dem Grafen Schuwalov, und nach ihm (1811) dem Grafen Gustav Ernst von Stackelberg anvertraut. „Allein“, sagt Bignon ferner, „nachdem Rasumovski aufgehört hatte der amtliche Vertreter des Kaisers Alexander zu sein, fuhr er fort den Teil des russischen Adels zu repräsentieren, welcher mit den Ansichten dieses Souveräns nicht einverstanden war, und beinahe der ganze Adel machte diesen Teil aus. Sogar diejenigen Russen welche, vermöge ihrer Stellung, nichts anderes wollen sollten als was ihr Herr wollte, zeigten sich um nichts saumseliger in den Empfangsälen des Ex-Ambassadeurs zu erscheinen, der ganz entgegengesetzte Ansichten zur Schau trug. Als Kaiser Alexander, in der ersten Zeit seines innigen Vernehmens mit Napoleon, ihm eine Bürgschaft seiner Aufrichtigkeit geben wollte, enthielt er sich jedoch den Grafen Rasumovski, dem er einen Nachfolger gab, nach Russland zurückzurufen, vielleicht aus Furcht dem Befehle, Wien zu verlassen, wenn er ihn erteilt hätte, möchte nicht entsprochen werden. Andererseits konnte man in dieser Hauptstadt, auch bei dem Wunsche sich gegen Napoleon ... gefällig zu zeigen, nicht so weit sich herablassen, dass man Rasumovski aufgefordert hätte sich zu entfernen: es wäre dies eine Entschiedenheit und eine absichtliche Unhöflichkeit gewesen, deren man sich nicht fähig fühlte. Man war so lange mit dem ehemaligen Botschafter im Hasse, in den Schmähworten, in guten und schlechten Ergehungen des Witzes gegen das kaiserliche Frankreich einverstanden gewesen, dass es jetzt mit Anstand nicht möglich war, einen frühern Mitschuldigen als Feind zu behandeln; und überdies fand man es bequem, in einem Lande wo alle Häuser verschlossen blieben, eins zu haben, das immer offen war, wo die Empfangstage zahlreich, die Abendgesellschaften glänzend und die Köche vortrefflich waren. Die Folge davon war, dass der entsetzte Botschafter, wenngleich neben ihm ein anderer war, dem dieser Titel wirklich zustand, immer in Wien die Hauptperson für die Russen, ja selbst für die Österreicher blieb. Für letztere war er sozusagen ein Landsmann geworden. Er verschönerte Wien durch seine Gärten, er bereicherte es durch das Gepränge seines Hauses, und so hatte er sich daselbst auf mehr als eine Weise das Bürgerrecht erworben.“

Was Bignon in vorstehenden Zeilen darstellt, sind Tatachen; wenn er aber von diesen auf Angaben übergeht, durch welche Rasumovski verdächtigt werden soll, als habe er in englischem Sold gestanden, wird es uns um so bedenklicher ihm beizupflichten, als er auch Novosilzov, einen der Jugendfreunde Alexanders, der sich ebenfalls in Wien ein Haus einrichtete, in diesen unehrenhaften Verdacht verwickelt. Hören wir indessen wenigstens wie er es meint:

„Man dürfte wol neugierig sein zu wissen, wie es kam, dass ein Mann, der nicht eben zu den größten Grundherren Russlands gehörte95), nachdem er aufgehört hatte die Gehalte zu beziehen, die er vorher mit seinem eigenen Vermögen verband, doch den nämlichen Aufwand fortführen, ja vielleicht noch größere Ausgaben machen konnte, als die waren, die er als Botschafter hatte? Und besonders wird man fragen, was ihn in seiner neuen Lage in den Stand setzte noch außerdem im Jahre 1811 für 2 Millionen liegende Güter anzukaufen? Die Antwort der Franzosen auf solche Fragen würde nicht zu Gunsten der politischen Moralität des Grafen ausfallen; sie würde auf den Gedanken bringen, England könnte es wohl gewesen sein, das die Kosten einer Werkstätte von Intrigen aller Art trug, welche gegen dessen unversöhnlichen Feind gerichtet waren. Solchen französischen Commentaren zufolge, hätte England auf diese Art sein Geld ganz gut angelegt, indem es also mehrere Gesandtschaftsposten sparen konnte und Vorteile hatte, welche ihm vielleicht nicht aus mehreren Armeecorps erwachsen wären, die es auf dem Festlande unterhalten hätte. Die Franzosen und die Freunde Frankreichs waren um so mehr veranlasst auf diese Gedanken zu kommen, als sie in dem Kreise des Mannes mehr als einen bemerkten, der als von England pensioniert offenkundig bekannt war. Daselbst hatte ja lange Hr. Pozzo di Borgo96) geglänzt.“

Was an dem Commentar, dessen Verantwortlichkeit Bignon zu übernehmen scheint, Wahres ist, oder ob er als eine böswillige Annahme betrachtet werden muss, darüber zu entscheiden fehlen uns alle Mittel. Allein, wie geschäftig böse Zungen sind, wenn es darauf ankommt ein schieses Licht auf die zu werfen, welche man als Feinde ansieht, ist aller Welt bekannt. Zur Steuer der Wahrheit sei daher bemerkt, was der russische Freiheitsmann Turgheniev bezeugt 97), dass die zarische Schatzkammer, vielleicht zur Ergänzung dessen, was die Pfandhäuser schon getan hatten, dem Grafen Millionen vorgestreckt hatte, wofür seine Güter nicht hinlängliche Sicherheit darboten. Schulden von solchem Umfange möchten wol hinlänglich die Frage aufklären, wo das Geld herkam um so großen Aufwand zu machen, ohne dass es nötig sei an britische Subsidien zu denken. Es blieben eben Schulden zurück.

So viel ist gewiss, dass Rasumovski ein geschworener Feind des französischen Kaisers sein musste, schon weil dieser der Sohn und Erbe der Revolution war, und dann auch weil dessen Bündnis mit Russland dem Grafen keine Aussicht ließ, bald wieder die Botschafterstelle einnehmen zu können, deren Besoldung von ihm schmerzlich vermisst ward, was dem wirklichen Grandseigneur nicht wohl ansteht. Napoleons Widersacher waren ebendeswegen seine Freunde, und schon darum fand unter andern Frau von Staël bei ihm die zuvorkommendste Aufnahme, als sie 1808 von Weimar nach Wien kam. Sie bezeichnet sein Haus als dasjenige, wo man, nächst dem des Herzogs Albrecht von Sachsen-Teschen, am besten die ganze österreichische Gesellschaft kennen lernen konnte.98)

Hören wir auch Schlosser über dieses Haus99): „Rasumovski war längst nicht mehr russischer Minister in Wien, er stand aber mit Graf Münster, mit der ganzen englischen Aristokratie, mit der Mutter des russischen Kaisers100) und mit den Damen des österreichischen Kaiserhauses in genauer Verbindung; und in den scheinbar mit den frivolsten Belustigungen vornehmer Müßiggänger beschäftigten Kreisen, die sich in seinem Hause versammelten, wurden die Pläne ausgeheckt, zu denen das gute deutsche Volk die Fäuste hergeben sollte. Dort fanden sich die ritterschaftlichen Conspiranten zusammen; dorthin brachte Graf Stadion die Gentz und (Friedrich) Schlegel, welche unser gutmütiges, leicht und oft betrogenes Volk für alles Alte erhitzen sollten; dorthin kam, nach seiner Rückkehr aus Paris, auch Metternich. Was von dort aus gewirrt wurde, muss man sorgfältig von dem unterscheiden, was in Preußen und von Preußen aus geschah.“

An einem andern Orte101) kommt der heidelberger Altmeister der Geschichte auf denselben Gegenstand wieder zurück; vielleicht möchte aber das Gesagte einer Sichtung bedürftig sein, und um eine solche zu veranlassen, setzen wir auch diese Stellen hierher. „Kaiser Alexander spielte, trotz der scheinbaren Freundschaft, welche er in Erfurt (September und October 1808) für den französischen Kaiser bewiesen hatte, eine sehr zweideutige Rolle, die während des Kriegs, an dem er vermöge seines Offensiv- und Defensivtractats mit Frankreich teilnehmen musste, noch viel zweideutiger ward. Er wurde, wie wir aus vielen seit jener Zeit bekannt gewordenen urkundlichen Nachrichten und Briefen, auch aus den „Lebensbildern“ u. s. w. sehen, von allen Seiten aufgefordert, sich an die konservative europäische Aristokratie anzuschließen, an deren Spitze Graf Münster, vom Stein, Graf Stadion und Metternich glänzten, und die sich auf englische Lords und auf Rasumovskis Intrigen stützte. Allein Österreich und England verweigerten ihm, was Napoleon in Tilsit und Erfurt, freilich sehr hinterlistig und verfänglich, zugestand. Während sich nämlich das österreichische Kabinett bemühte, Russland günstig zu stimmen und von der Teilnahme an dem drohenden Kriege abzuhalten, arbeitete es in Konstantinopel dem russischen Interesse entgegen.“ Der Krieg brach aus; aber aller Bemühungen Sir Robert Adairs ungeachtet, der, wenn Graf Otto recht hat, in Wien Rasumovski102) durch Geldbewilligungen auf Englands Seite zu bringen suchte, blieb Russland seinem Bunde mit Frankreich getreu, worauf man denn in Konstantinopel gegen beide alle Federn springen ließ. „Von dem Augenblicke an“, fährt Schlosser fort, „als Österreich alles aufgeboten hatte, um den Frieden zwischen England und der Pforte zu Stande zu bringen103), der Krieg zwischen Frankreich und Österreich unvermeidlich. Durch diesen Frieden verlor nämlich der französische Gesandte ganz plötzlich den Einfluss, den er bisher in Konstantinopel gehabt hatte; außerdem bildete sich in Wien ein antifranzösischer Kreis, dessen Wirksamkeit sich bis nach Konstantinopel und Petersburg erstreckte. Der französische Gesandte (Graf Otto) klagt in seinen Bulletins, die der offiziellen Korrespondenz beigefügt wurden, nicht bloß über die frivolen ritterschaftlichen Herren von Rasumovskis und Stadions Kreisen, sondern ganz besonders über die raisonnierenden Damen. An der Spitze der angeklagten Damen stehen die Kaiserin von Russland und die Königin von Preußen; diesen zunächst machen sich die Prinzessin (Fürstin) Bagrathion, die Prinzessin (Fürstin) Lichnowski und die Gräfin Kaunitz durch ihre Umtriebe bemerklich.“

Kein Wunder, dass Napoleon, als er im Jahre 1809 wieder in Wien war, an diesem verhassten Hause seinen Zorn ausließ: „er mishandelt es schrecklich“, finden wir bei Gentz aufgezeichnet.104)

Indessen änderte dies keineswegs den Geist der darin herrschte. Man muss auch noch in den spätern Berichten des französischen Botschafters zu Wien105) nachlesen, wie er dieses Haus beurteilte und brandmarkte, von welchem er sein Auge nicht abwendete. Auf Bignon fußend, schreibt Schlosser noch weiter: „Der streng moralische Otto findet großes Ärgernis an dieser Gesellschaft, wo sich um 1811 Stadion und Metternich beisammenfanden, statt dass vor 1809 nur Stadion allein die antifranzösischen Kabalen betrieb und, auf Rasumovskis Empfehlung, dem Preußen Gentz einen Platz in dem sonst bekanntlich in Wien ganz unzugänglichen Kreise der hohen, damals mit dem russischen und englischen Adel korrespondierenden Aristokratie anwies.“ Weiter oben schon hatte der Geschichtschreiber des 18. Jahrhunderts gesagt: „Diese Herren versteckten ihre wahren Absichten unter Deutschtum und Hass gegen die Franzosen und gegen den Kaiser derselben. Zu diesen gehörte die ganze hochadeliche Gesellschaft die sich bei Rasumovski in Wien versammelte und sich, um 1809, der Gentz und Schlegel bediente106) die man in Berlin nicht wollte, weil Männer wie Stein, Arndt u. a. dort die frivolen und sophistischen Verteidiger des Alten verschmähten. Rasumovski machte ein großes Haus, wo später (1811) auch Metternich täglich hinkam; er war ein halber Engländer; Stadion und er waren eng mit Graf Münster verbunden, und sie holten, wo ihr Witz ausging, bei Napoleons Landsmann und Familienfeind Pozzo di Borgo Rat, der viel beim Kaiser Alexander galt.“

Es ist unsere Absicht, dasjenige, was hier von Pozzo und weiter oben von den russischen Kaiserinnen behauptet wird, an einem andern Orte näher zu beleuchten; für jetzt genügt es uns, was die Kaiserin-Mutter Maria Feodorowna betrifft, noch auf eine letzte Stelle Schlossers hinzuweisen, wo der berühmte Historiker der Denkschriften erwähnt, welche der preußische Gesandte von Schladen in den ersten Monaten des Jahres 1809 durch dieselbe unter die Augen Alexanders bringen ließ107); in Bezug auf den Corsen aber zu erinnern, dass dieses Hauptorgan der Feinde Napoleons, „ein Mann von bedeutender Geisteskraft und von ganz ausgezeichneten Fähigkeiten und Talenten“, zu jener Zeit keinen Augenblick müßig, sondern beständig in Bewegung war.

Dass Rasumovski, um uns hier auf diesen zu beschränken, ein eifriger Gegner des Vermählungsprojekts zwischen Napoleon und der Erzherzogin Maria Luise sein würde, war vorauszusehen. Kurz nach Abschluss des Wiener (Schönbrunner) Friedens vom 14. Oct. 1809 in Anregung gebracht, kam dasselbe schon im März des nachfolgenden Jahres zur Aufführung. Unter dem 18. Febr. vorher finden wir bei Gentz aufgezeichnet108): „Bei der Fürstin Bagrathion gespeist, dann Besuch bei Rasumovski, wo ich eine große Anzahl Oppositionisten beisammen fand; die Fürstin Esterházy gegen den Erzbischof von Wien und alle diejenigen losdonnernd, welche die Heirat als notwendig, ansahen; Rasumovski selbst mich ziemlich kalt behandelnd.“ Die genannte Fürstin gehörte, mit der Gräfin Lanckoronska, Frau von Ferraris und Alex. Potocka, mit den Clary, mit Stadion, Pozzo di Borgo u. a. zur gewöhnlichen Gesellschaft des Russen; mit dem Grafen von Narbonne, der damals einer der Adjutanten Napoleons wurde und von dessen Aufenthalt in Wien Villemain so interessant erzählt109) kam der Graf wol nie zusammen, obwohl derselbe sogar bei der Fürstin Bagrathion gute Aufnahme fand.

In sehr engem Verbande stand Rasumovski damals mit dem Grafen Metternich, dem Nachfolger Stadions im Departement der auswärtigen Angelegenheiten (seit dem 8. Okt. 1809). „Dieser“, sagt Bignon111), „hatte keine andere Gesellschaft als die Rasumovskis: da waren seine Verbindungen, seine Freunde, die Gegenstände seiner geheimen Liebesseufzer.112) Verhältnisse aller Art brachten beide, den Minister und den Erbotschafter, einander immer näher. Sollte des Abends bei dem russischen Amphitryon ein Ballet getanzt werden, so wurden des Morgens die Proben bei Metternich auf der Staatskanzlei abgehalten. In dieser Gesellschaft war alles antifranzösisch.“

„Er unterhielt in Deutschland“, liest man an einer andern Stelle113), „reisende Agenten, deren Berichte bei ihm einliefen. In der schönen Jahreszeit brachte er selbst einige Zeit in Franzensbrunn bei Eger zu; er hatte aber außerdem Sendlings zu Karlsbad, Teplitz und Baden. Diese Leute waren bekannt: es tut uns leid sagen zu müssen, dass unter ihnen französische Emigreirte genannt wurden.“

Welchen Anteil Graf Rasumovski an den hochtragischen Begebenheiten in Russland während des Feldzugs von 1812 nahm, wie sie ihn beglückten, obschon sie ihm sein Palais in Moskau kosteten, kann man sich denken. Ebenso begreift ein jeder leicht, mit welcher Ungeduld er es ansah, dass noch in den ersten Monaten des Jahres 1813 sein Freund Metternich mit dem Grafen Otto in der größten Vertraulichkeit lebte114); er auch noch später, im Juni, als Vermittler aufzutreten suchte, statt mit Österreich der Koalition sich anzuschließen, und an dem Vertrag von Reichenbach (27. Juni) keinen direkten Anteil nahm. Erst am 9. Sept., durch den teplitzer Tractat, kam es zum Umschlag; erst dann erlebte er die Freude, in den ihm so lieben Wienern wieder Verbündete seines Kaisers zu sehen und folglich nicht mehr isoliert zu sein in einem fremden Lager.

Am Prager Kongress hatte Rasumovski noch keinen Anteil: er wurde von Russland in der Person des Straßburgers Anstett beschickt, der als Emigrant in Kutusovs Armee zu diplomatischem Gewicht gelangt war. Aber bald darauf scheint Alexander I. sich seines ehemaligen wiener Botschafters erinnert zu haben; wenigstens finden wir ihn am 15. Dez. zu Freiburg im Breisgau, wo eben Kaiser Franz seinen Einzug hielt, während der andere Kaiser mit König Friedrich Wilhelm III, noch in Karlsruhe weilte. „Zu Freiburg“, hat Gentz notiert115), „war eine große Anzahl bedeutender Männer versammelt. Von Ministern, außer dem Fürsten Metternich und Paul Esterházy, der Kanzler Hardenberg (unser unzertrennlicher Gefährte), Graf Nesselrode, Rasumovski, Alopäus, Lord Aberdeen, Lord Cathcart, Charles (später Lord) Stuart u. a.; von Militärpersonen Fürst Schwarzenberg, General Langenau, General Merveldt, Duca, Radetzky, Wrede, Wilson u. s. w., mit welchen allen ich in täglichen Verbindungen war. Die Abende wurden ein für allemal bei Graf Stadion zugebracht, wo sich gewöhnlich die ganze hohe Gesellschaft vereinigte und oft die lebhaftesten Gespräche über die großen Angelegenheiten des Moments geführt wurden.“

Russischer Gesandter in Wien war zu der Zeit Graf Stackelberg; seit dem 26. Jan. schon hatte er sich aus Graz, seinem interimistischen Aufenthalte, an seinen Posten zurückbegeben. Rasumovski wurde vom Kaiser zum Bevollmächtigten beim Kongresse von Châtillon (5. Febr. bis 19. März 1814) ernannt, wo auch andere Männer, Graf Stadion, Lord Castlereagh u. s. w., erschienen, die mit ihm gleichgesinnt, das heißt geneigt waren, der aristokratischen Reaktion zum Siege zu verhelfen. Allein auch gleichgesinnte Diplomaten können es gelegentlich darauf anlegen sich zu überlisten, und damals waren England und Österreich mehr auf gedachter Seite als Preußen und Russland. Da Kaiser Alexander eine Kabale Metternichs gegen letztere witterte, rief er seinen Bevollmächtigten von Châtillon ab.116) Indessen blieben die Sitzungen nur für einige Tage ausgesetzt: am 17. Febr. wurden sie wiederhergestellt und Präliminarien vorgelegt, welche zwar Caulaincourt anzunehmen riet, auf die aber Napoleon durch eine Reihe siegreicher Gefechte antwortete, welche freilich von keinem großen Nutzen mehr für ihn sein konnten.

Doch der uns zugemessene Raum erlaubt uns nicht, bei solchen Einzelheiten zu verweilen: es genüge uns anzumerken, dass man sich da schon sehr streng gegen Frankreich zeigte, viel strenger als in den frankfurter Friedensvorschlägen. Dem Herzog von Vicenza, der darauf aufmerksam machte, antwortete Rasumovski, nicht ohne Härte, aber mit Offenheit, dass die Verbündeten wohl berechtigt seien mehr zu begehren, jetzt da ihr Erfolg entschiedener sei; und noch barscher war seine Antwort auf die Frage, was man mit den Territorien zu machen beabsichtige, welche man Frankreich abnehmen wolle; sie lautete also: Die gegenwärtige Lage Frankreichs in Europa lasse ihm keinen Anspruch darauf, sich in die allgemeinen Angelegenheiten zu mischen.

Auf dem Kongresse von Wien trat unser Diplomat wieder in derselben Eigenschaft auf. Indessen kann es hier der Ort nicht sein, uns ausführlich über jenen großen, nicht Völker-, aber Monarchentag auszulassen; manches Persönliche haben wir schon anderwärts117) aufgezeichnet, und auch das Faktische im Zusammenhange zu erzählen finden wir hoffentlich noch eine schicklichere Gelegenheit. Also hier nur weniges auf Russland Bezügliches.

Wichtigere Aufzeichnungen als die unserigen sind jedenfalls die eines großen Zeitgenossen, des Freiherrn vom Stein, deren Bekanntmachung wir Hrn. Prosessor Pertz verdanken.118) Derselbe, nachdem er berichtet, wie Kaiser Alexander Rasumovski und Kapodistrias zu seinen Commissaren für die so wichtige Sache der Entscheidung über das Los Sachsens ernannte, wirst gelegentlich einen Seitenblick auf Nesselrode, der so schnell die Stufen erklommen hatte, welche zur Hauptschaubühne der Begebenheiten führten, damals aber nahe daran war den errungenen Kredit wieder ebenso schnell zu verlieren, und der sich aus dieser Ursache auf Rasumovski stützte.

„Alle diese Verhandlungen“, bemerk Steins Biograph, „geschahen ohne Zuziehung Nesselroden, der es nun tief fühlte, allen Einfluss verloren zu haben. Er hatte ihn verloren wegen seiner Unfähigkeit (?) und seiner blinden Ergebenheit an Metternich, wodurch er oft in dem Falle war, gegen die Absichten des Kaisers zu handeln, oder sie nur mit Lauigkeit zu unterstützen. Dieses geschah besonders, als er in den Schweizerangelegenheiten ganz in Metternichs Sinn handelte, sich in Frankreich die Friedensideen Metternichs aneignete, die sächsische Sache misbilligte und zuletzt in der polnischen Sache geradezu widersprach. Der Kaiser ward daher schon in Freiburg mistrauisch gegen ihn; diese Stimmung vermehrte sich in Clermont und Trotzes und entschied sich gänzlich in Wien, als die Abneigung des Kaisers gegen Metternich sich auf das lebhafteste aussprach.119) Nesselrodes Mittelmäßigkeit, Unwissenheit und Engherzigkeit in Ansichten und Gefühlen, seine Mutlosigkeit in schwierigen Lagen, ließen es nie zu, dass er sich lange auf einer gewissen Höhe erhalten hätte. Er musste fallen, sobald er etwas anderes zu sein versuchte als ein Werkzeug seines Herrn, sobald als er eine Art von Selbständigkeit sich anmaßte; er musste fallen, da er selbst diese nicht aus sich selbst schöpfte, sondern durch den Einfluss eines dem Kaiser verhassten fremden Ministers gelenkt wurde. ...

„Bei dem Einflusse, welchen Rasumovski durch seine Persönlichkeit und Geschäftserfahrung gewonnen hatte, hielt Nesselrode es für das Klügste, sich ihm anzuschließen und unterzuordnen. Er schlug dem Kaiser am 13. (Jan. 1815) vor, denselben zum Staatskanzler zu ernennen. Die Großfürstin Katharina bemühte sich, in Steins Sinne, fortwährend, den Kaiser zu einer solchen Wahl zu bestimmen.“

Alexander, seiner Natur gemäß, blieb lange unschlüssig; vielleicht konnte er es nicht über sich bringen, dem von allen angefeindeten, in seinen Augen aber höchst achtbaren Grafen Rumanzov diese Beleidigung anzutun; vielleicht auch fürchtete er in Rasumovski sich einen Vormund zu geben, der ohnehin nicht, wie er selbst, für den Besitz von Polen schwärmte. Zuletzt, um die Mitte Februar, gab er den Plan auf, so eifrig ihm seine Schwester denselben ans Herz legte, und näherte sich wieder Nesselrode, den seine Gemahlin, eine geborene Guriev, nach Kräften vorschob und der eine noch mächtigere Stütze in Pozzo di Borgo hatte. Nur ließ er die polnischen Fragen außer ihrem Bereich, indem sein Organ dafür beinahe ausschließlich Fürst Czartoryiski war, welcher noch hier und da den gefälligen und auch dem Schwärmen nicht abgeneigten Kapodistrias zuzog. Als aber im März die Schreckenspost von Napoleons Landung in der Bucht von Cannes nach Wien kam, sah Russlands Kaiser dennoch die Notwendigkeit ein, eine selbständige Person, einen Charakter, an die Spitze seines Auswärtigen Amtes zu stellen; jetzt ließ er dem Grafen Rasumovski die Kanzlerstelle wirklich antragen, und zwar gerade durch den Emporkömmling, der sich ihm anschmiegen wollte. „Der Graf“, heißt es im „Leben Steins“120), „nahm die Sache in Überlegung, konnte sich aber nicht entschließen. Ihn beunruhigte die Schwierigkeit der Stellung, sein Alter (er war schon in den sechziger Jahren), und die Besorgnis über Aleranders unsystematische Art die Geschäfte zu behandeln.“

Alles Gesagte beweist die persönliche Wichtigkeit des Grafen. Wie sehr dieselbe sich in den Ergebnissen der Verhandlungen geltend machte, hat sich noch in diesen Tagen bei Gelegenheit des neuesten Aufstandes in Polen ausgewiesen, wo wiederum über die Bestimmungen der Wiener Schlußakte viel hin und her geredet worden ist. Der allererste Artikel dieser völkerrechtlichen Abmachung fängt bekanntlich also an121): „Das Herzogtum Warschau, mit Ausschluss derjenigen Provinzen und Distrikte, worüber die nachfolgenden Artikel anderweitige Verfügungen enthalten, wird mit dem russischen Reiche vereinigt. Es soll an letzteres unwiderruflich durch seine Versassung (constitution) gebunden sein122), also dass es von Sr. Majestät dem Kaiser aller Reussen, dessen Erben und Nachfolgern auf immer besessen werde.“ Nun hat vor wenigen Wochen erst, in seinen Unterhaltungen mit Graf Russell, der russische Botschafter Baron von Brunnow darauf hingewiesen, dass jene Worte: „par sa constitution“, auf den freien Antrag Rasumovskis hin schon in der Sitzung vom 30. Dez. 1814 in Überlegung genommen worden, lange ehe sie im Mai 1815 zur Abstimmung und Annahme kamen. Er meinte dadurch erhärten zu können, dass in denselben Worten nicht sowohl eine Verbindlichkeit für Russland als vielmehr ein Versprechen liege, welches man unrecht hätte derjenigen Macht entgegenzukehren, aus deren freier Entschließung selbiges hervorgegangen war. Wir müssen für jetzt auf diese Erwähnung uns beschränken, denn um auf die schwierige Frage der Befriedigung polnischer Nationalität uns einzulassen, müssten wir einen Raum beanspruchen, der uns hier nicht gestattet ist.

So wie unter der Schlußakte des Wiener Congresses (9. Juni 1815), so steht die Unterschrift Rasumovskis auch unter der Erklärung der Mächte gegen Napoleon, nach dessen Entweichung von der Insel Elba (13. März), und zwar immer als die des ersten der drei russischen Bevollmächtigten. 123)

Auch fehlte es ihm nicht an Anerkennung. Beinahe unter demselben Datum wie Graf Hardenberg (3. Juni) ward er, mit dem Prädicate Erlaucht, in den Fürstenstand erhoben, welcher schon nach der Leipziger Völkerschlacht dem Grafen Metternich, gleich wie früher dessen Vater, verliehen worden war. Außerdem hatte ihm Alexander schon vorher eine Anleihe bewilligt, von der weiter unten die Rede sein wird; endlich hatte er ihn, als Wirklichen Geheimrat erster Klasse, zum höchsten Range des Tschins befördert, den nur die Feldmarschälle und der Kanzler Graf Rumanzov mit ihm teilten.

Die Rolle, die Rasumovski in Wien spielte, war beispiellos glänzend. Gleich in den ersten Wochen des Congresses hatte er immer ein volles Haus. So notiert Gentz unterm 18. Sept.: „Besuch bei Rasumovski; daselbst ein unermesslicher Zulauf, unter andern Lord und Lady Castlereagh, Graf Münster, Graf Westphalen, Hr. Coke, der Marquis de Saint-Marsan, Graf Castellalfor, alle Preußeu, u. s. w.“ Da aber bald eigentliche Bälle an die Tagesordnung kamen, und Graf Stackelberg am 20. Oct. 1814 den seinigen gegeben hatte, wo der Kaiser und die Kaiserin von Russland, der König von Preußen und sonstige Größen aller Art erschienen, veranstaltete auch er am 6. Dez. einen solchen, und Gentz, der den magischen Anblick nur einige Minuten lang sich gönnte und in jener Nacht noch bis zwei Uhr an seinen Ausfertigungen zu arbeiten hatte, versichert uns, dieses Fest sei das schönste von allen denen gewesen, welchen er seit der Ankunft des französischen Monarchen beigewohnt hatte. Verdunkelt wurde es nur durch diejenigen, welche Kaiser Alexander selbst in dem nämlichen Palais gab, das er zu diesem Zwecke seinem fürstlichen Untertanen entlehnte. Von letztern Festen wurde eins, das ganz am Ablaufe des Jahres 1814, den 31. Dez. gegebene, sogar historisch. Denn in den angebauten hölzernen Galerien, in welchen kurz zuvor der Monarch eine Tafel von siebenhundert Gedecken hatte aufstellen lassen, brach an jenem Abend plötzlich Feuer aus und griff mit solcher Gewalt um sich, dass das Prachtgebäude mit einem Teil der Reichtümer, welche es in sich schloss, ein Raub der Flammen wurde. Da sah man sich genötigt, Meisterwerke der Kunst, Gemälde, Marmorstatuen, wovon einige von Canova, durch die Fenster in den Hof zu werfen, und auch von den Manuskripten und Büchern der herrlichen Bibliothek des Grafen nahm manches denselben Weg, dem Feuer entwischend, aber nur um im Schnee und Kot einer andern Verwüstung entgegenzugehen. Der Verlust war unberechenbar. Aus eigenen Mitteln ein Palais wieder aufzubauen, auf welches Rasumovski beinahe zwanzig Jahre lang sein ganzes Vermögen verwandt hatte, daran war kaum zu denken; allein Alexander säumte nicht ihm seine Hilfe anzubieten und den Fürsten Wolkonski zu ihm zu schicken, mit dem Auftrage, die Summe zu ermitteln, welche vorerst nötig wäre, um die Hauptkosten zu bestreiten. Der Graf schlug sie auf 400.000 Silberrubel an, die er sich als eine Anleihe erbat, was auch am 24. Jan. 1815 gewährt wurde. Allein diese Summe reichte bei weitem nicht aus, und um noch weitere Vorschüsse zu erhalten, musste zuletzt auf das Eigentum des prächtigen Hauses verzichtet werden.

So ward in Wien das Ende dieses merkwürdigen, aber für das Wohl der Menschheit wenig ersprießlichen Jahres 1814 bezeichnet, auf welches der selbst so frivole, herzlose Gentz mit folgenden Worten zurückschaut: „Der Anblick der öffentlichen Angelegenheiten ist finster; nur ist er dies nicht, wie vormals, durch die erdrückende, abschreckende Wucht die über unsern Häuptern hängt, sondern durch die Mittelmäßigkeit und Geistesschwäche der meisten Teilnehmer. Da ich mir selbst keinen Vorwurf zu machen habe, ist für mich die genaue Bekanntschaft mit diesem erbärmlichen Hergange und mit allen den zwerghaften Wesen, welche die Welt regieren, nicht sowohl etwas Betrübendes als vielmehr eine wahre Unterhaltung, und ich habe an diesem Schauspiele den größten Genuss, wie wenn es zu meiner täglichen Belustigung aufgeführt würde.“124)

Indessen kam mit der drohenden Gefahr doch etwas von dem Ernste zurück, den man von Männern erwarten darf, welchen die Schicksale der Völker aufs Gewissen gelegt sind. Wir übergehen hier, was von den am 25. März 1815 erneuerten Tractaten125) und dann von der Wiener Schlussakte, noch vor dem wiederholten Feldzuge gegen Frankreich, zu sagen wäre.126) Aus den Feldzug selbst haben wir uns noch weniger einzulassen; nur daran wollen wir erinnern, dass Rasumovski nicht ganz ohne Anteil an demselben blieb. Denn, wie Varnhagen von Ense127) bemerkt, als noch die Ereignisse eines ungewissen Kriegs in Aussicht standen, hatten die vier Hauptverbündeten, um die hohe Leitung der gemeinsamen Angelegenheiten zu führen, einen Rat von Ministern eingesetzt, in welchem auch unser Graf Sitz und Stimme hatte. Nach dem Siege hatten die Mitglieder eben dieses Rats in Paris das Friedensgeschäft zu übernehmen. Jeder der vier Staaten hatte zwei Bevollmächtigte: Österreich war durch den Fürsten von Metternich und den Freiherrn von Wessenberg vertreten, Preußen durch den Fürsten von Hardenberg und den Freiherrn von Humboldt; für England traten der Herzog von Wellington und Lord Castlereagh ein, für Russland der Graf Rasumovski und der Graf von Nesselrode. Nach Umständen nahmen auch andere Beauftragte derselben Staaten an den Verhandlungen teil. Als diese förmlicher zu werden begannen, von der Mitte des September an, führte Gentz das Protokoll. Da die Monarchen, mit Ausnahme des Prinz-Regenten von England, persönlich zugegen waren, so konnten die Minister leicht täglich und stündlich die Weisungen empfangen, welche durch die mündlichen Besprechungen der Monarchen sich im voraus schon bedingt hatten. Ludwig XVIII. ernannte drei Bevollmächtigte, welche mit diesem Ministerrate in Verhandlungen traten, aber dessen Beratungen nicht beiwohnten, den Fürsten von Talleyrand, den Herzog von Dalberg und den Baron Lonis. Sie waren gehalten, setzt Varnhagen ausdrücklich hinzu, dem Ministerrate die Protokolle ihrer Sitzungen vorzulegen, und empfingen darauf die Mitteilungen, welche die Lage der Sachen für nötig erachten ließ.

So kamen denn, unter Rasumovskis Mitwirkung, die verschiedenen Tractate des zweiten Pariser Friedens vom 20. Nov. 1815 zu Stande128), die wir hier so wenig als die vorhergehenden beurteilen wollen, für welche aber jedenfalls eine langjährige Aufrechterhaltung nicht in Aussicht zu stellen war. Dass Russland im Verlauf der Beratungen der Sache Frankreichs das Wort sprach, ist bekannt, und Varnhagen, der darüber klagt, erwähnt ausdrücklich die vom Grafen Kapodistrias verfasste Denkschrift vom 28. Juli, worin den Besiegten zu Liebe hervorgehoben, wird, dass die Verbündeten mit dem jetzt wieder königlichen Frankreich gar nicht im Kriege seien, dass letzteres vielmehr mit ihnen im Bunde stehe, was man bei Festsetzung der Bedingungen des Friedens nicht zu vergessen habe. England unterstützte diese Vorstellungen, und selbst Österreich trat am Ende selbigen bei, sodass Preußen mit seiner Einsprache nichts auszurichten vermochte.

Zugleich mit diesen welthistorischen Begebenheiten erreichte die staatsmännische Laufbahn Rasumovskis ihr Ende. Denn nicht nur war er ein Sechziger, die Schwäche seiner Augen hatte außerdem allmählich fast bis zur Erblindung zugenommen. Um so erwünschter musste es ihm sein, für die Zeit, die er nun noch, zwar immer in Wien, aber im Privatstande zu verleben hatte, eine zweite Lebensgefährtin in der Stiftsdame Konstanzia von Thürheim zu finden, einem Fräulein aus reichsgräflichem Geschlechte, das sich mit ihm den 10. Febr. 1816 verehelichte und ihn überlebt hort. Von dieser Zeit an scheinen seine Tage in stiller Zurückgezogenheit verflossen zu sein; wenigstens ist seitdem von ihm wenig gehört worden, und der Freiherr Franz von Andlaw unter andern, der in seinem „Tagebuch“ viel von Wien und dessen Gesellschaft spricht, erwähnt Rasumovskis mit keinem Worte. Beim Jahre 1833 zum Beispiel, demjenigen, welches auf das Todesjahr von Gentz folgte, nennt er drei wiener Häuser, welche besonders dem geselligen Verkehr geöffnet waren: des Fürsten Haus war nicht darunter; es waren die Häuser Metternich, Esterházy und Sagan.129) In welchen Verhältnissen er zum damaligen russischen Botschafter, dem bekannten Bailly Tatischtschev, stand, wissen wir nicht zu bestimmen. Auch dieser scheint sein Haus der geselligen Unterhaltung offen gehalten zu haben, doch berichtet uns darüber der badische Freiherr nur Folgendes: „Nach dem Tode der Frau von Tatischtschev hatten sich von Zeit zu Zeit dessen beide Nichten Urussov, die reizende Blondine Fürstin S. Radzivill und die Gräfin M. Mussin-Puschkin mit der Gräfin Julie Apraxin in die Honneurs des Botschaftshotels geteilt. Fürst Alexander Gortschakov, damals erster Rat, freite später um die Hand der geistvollen Witwe Mussin-Puschkin.“

Was wir noch hinzuzufügen hätten, würde jedenfalls ganz und ausschließlich dem Privatleben Rasumovskis angehören; wir können es also füglich übergehen und uns darauf beschränken den Tag zu bezeichnen, wo auch ein höherer Gebieter als der Zar seinen Untergebenen abberief. Der Fürst starb den 23. Sept. 1836, ohne Nachkommenschaft, wahrscheinlich müde und lebenssatt aus seine lange glänzende Laufbahn zurückblickend, von der allerdings viele Früchte schon gefault waren, welcher aber so wenig als der Laufbahn Pozzo di Borgos ein sehr wichtiger Anteil am Sturz des Napoleon'schen Weltthrons abgesprochen werden kann.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Andreas Kyrillowilsch Rasumovski