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Baabe auf Rügen

Nun treten wir die Wallfahrt an. — Der Himmel verleihe liebliches Wetter, blaue Gewölke und den großen Landschaftsmaler: Sonnenschein. Das farbenlose Aschgrau der Luft verdirbt auch das schönste Grün der Erde. Regen und Nebel verbitten wir durchaus; denn wir sind ja gekommen, um zu sehen: Was werden wir denn auf Rügen sehen? Die Berge sind nicht hoch, die Wälder sind nicht groß. — Eben dadurch entsteht ja die Schönheit, wenigstens der Genuss. Denn was fängt man an mit himmelhohen Gebirgen, die kein Mensch ersteigen kann? mit unermesslichen Wäldern, die kein Ende nehmen, wo man Räuber und Gespenster sieht? Nein! aber hier — — — Doch wir wollen lieber am Ende fragen, was wir denn gesehen haben.

Ist denn aber nur Rügen schön? Sollen wir nicht auch von Pommerschen Gegenden reden, wenn sie der Erwähnung wert sind? Ich dächte nach der Lage unsers Landes, es müsste noch viel Schönes und Sehenswürdiges bei uns in verborgener Gleichgültigkeit liegen, und es scheint mir Gewinn, seiner Naturreize sich bewusst zu werden. Da sind die beiden Waldinseln Usedom und Wollin; da ist der lange gekerbte Strand mit Flussmündungen und Inwieken; da sind Berge, wie der Gollenberg und der Revekohl; da ist der Heerstrom der Provinz, der nicht bloß dem Nutzen, sondern auch der Schönheit huldigt; da sind die beträchtlichen Seen im Innern, die unfehlbar ihre Landschaften haben müssen. Wie mag es an der Madüe oder am Vilm, wie mag es am Pieleborg, am Drazig, am Papenzin, an der Wodschwiene, oder gar am Lupowske aussehen? Das sollten uns die Anwohner nicht verschweigen, da dergleichen Gemeingut ist.

Das gelobe mir an, wenn du auf deiner Fahrt durch die Insel Usedom in die Nähe des Strekelberges kommst, nicht vorüber zu gehen, sondern den Gipfel zu ersteigen. Welch eine Umsicht meerwärts und landwärts deine Schweißtropfen belohnen werde, kann dich schon ein Blick auf die Landkarte lehren. So oft ich als Knabe jenes Weges gekommen bin, hat der seltsame Sandkoloss mir Aug und Herz gefangen genommen, und ich habe eine wahre Sehnsucht empfunden durch die wallenden weichenden Wellen hinaufzuklimmen oder zu schwimmen und oben auf der Glatze des wunderlichen Kahlbergs zu stehen. Er muss Bescheid wissen von Wineta, dacht ich: wenn es war, hat er es blühen und versinken sehen.

Wie lieb' ich die Lebbinischen Berge auf der Insel Wollin! Sie beherrschen von einer beträchtlichen Höhe unser schönes Pommersches Mittelmeer, das Haff, das größte und lebendigste der vielen Binnenwasser, die unsre Provinz verschönern und beleben.

Wann in der Kirche zu Wusterhusen das Gedächtnismahl Jesu Christi gefeiert wird, der Prediger im Altar steht und die Worte anhebt: Vater Unser, der du bist im Himmel! dann sinken die Kommunikanten, welche inzwischen aus den Stühlen hervorgetreten sind und den langen Gang erfüllen, in die Knie und verharren in dieser Stellung, bis die Einsetzungsworte vollendet sind. Diese alte Sitte, welche ehemals durch den altwendischen Anzug der Frauen noch mehr ins Altertum gerückt ward, hat so manchen Fremden überrascht und innig gerührt. Sie herrscht sei dem Jahre 1653, wo während des Gottesdienstes ein Blitzstrahl den hohen Kirchturm traf und entzündete. — Wer ist der Prediger dort in dem lebensgroßen Bilde, der in der rechten Hand eine Bibel hält und mit der linken einen vor ihm auf dem Tische liegenden Totenschädel umspannt? Es ist Christoph Caden, damaliger Pfarrherr, welcher nun schon beinahe 200 Jahre auf seine vor Gott im Staube kniende Gemeinde herunter schaut.

Den Mönchenstein an dem Griepenberge bei Steinhagen hab' ich oft gesehen und mich auch, wie Andere, vergeblich bemüht, die unleserlich gewordene Inschrift zu entziffern.

Das schönste „Kiek in die Peene“ ist wohl ohne Streit auf dem Bauerberge zwischen Wolgast und Lassan, so manches hübsche Plätzchen mir auch bewusst ist an den Ufern des heimischen Flusses, den meine Jugenderinnerungen umschweben. Ich zweifle sehr, ob das alte Raubschloss dieses Namens, wenn es auch den Kummerowschen See beherrscht hat, halb so stolz hat liegen können. Freilich hat man hier mehr als die bloße Peene vor sich: eine ganze Insel mit Busen und Zungen, und im Hintergrunde die offenbare See.

Besuche doch auch im Vorübergehen den kleinen merkwürdigen See bei Hohensee, und erkundige dich, ob sein schönes helles Wasser auch neuerdings wieder eine blutrote Farbe angenommen habe, wie es im Jahr 1692 geschah, wo dieses Naturereignis so vielen Schrecken verursachte, dass sich gelehrte Federn in Bewegung setzten.

Wenn man hinter Barth über die Barthe gekommen ist, dicht an der Mündung des hier ganz ansehnlichen Flusses, sich an den Schiffen auf dem Stapel, an der nützlichen Wut der Art, an dem bildenden Ingrimme der Säge, und zuletzt noch an den schweigsamen Fischanglern auf der Brücke ergötzt hat: gerät man, seltsam überrascht, wie in einen fremden Erdteil und in Sandsteppen, wie ich mir die Wüste Gobi denke. Doch liegt eine kleine weiße Kolonie in der braunen Heide: sie heißt Gut Glück, nicht, dass sie es hätte, sondern, wenn sie es hätte. Was früherhin, aus den Anhöhen vor Barth, am westlichen Horizonte rätselhaft hervor tauchte, vielfach gewundene Gewässer, weiß güldene Dünenberge, blaue Waldkränze, langgedehnte Häuserreihen, ankernder Schiffe ragende Masten, geschwellte Segel kreuzender Fischerboote, das alles ist für den Augenblick versunken. Wir sinken uns erst wieder zurecht auf dem Kirchhofe zu Bodstedt, unmittelbar am Binnenwasser, an dem mittelsten der reizenden Drillingsbodden, die besonders anmutig den ausgehenden Pommerschen Kontinent mit einem Belte der Schönheit umgürten.

Welch ein Stilleben hier in der friedeatmenden Abendlandschaft! Denn dass die Strandvögel sich locken, die Wellen klatschen, Ruder plätschern, Wimpel spielen und Segel schlottern, das ist eben das Leben in der Stille und der Friede, der dem Herzen wohl tut. Und wann die tagesmüde Sonne, an dem Tore ihrer Ruhe, wann sie hinab tauchen will in das weichwallende Wellenbett die immer röteren Strahlen über die Waldwipfel des Darßes her, auf das rundumschlossene Gewässer in langen flimmernden Streifen gießt: dann verlang' ich nicht zu schildern, sondern zu schweigen.

Du geschweifter Landstrich jenseits, der du das große Meer vor uns verhüllest, wie ist es in deinen Wäldern? wie ist es hinter dir, an dem Strande der berghohen Wellen, wo das Auge, statt der holdblühenden Mannigfaltigkeit in gewählter Beschränkung, das ungeheure, maßlose und formlose Eins erschöpfen soll? Für heute zieh' ich das Binnengewässer in seinem Reichtum vor und sage: Seid reich im Kleinen, denn das irdische Groß bleibt immer dürftig. Alle Größe ist eigentlich arm, und der Reichtum erwächst nur an dem Kleinen.

Aus: Sundine. Zeitschrift für Unterhaltung und Geistesverkehr. Redigiert von Friedrich von Suckow. Mitherausgeber: Karl Lappe. Nr. 1. Stralsund. 1827. S 6ff.

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