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Drei Meilen jenseits Wismar liegt meine liebe Vaterstadt Grevesmühlen, die der aufmerksame Reisende auf dem Wege nach Lübeck ebenfalls berührte. Was er über sie in sein Tagbuch eingetragen, ist mir von den Herrn Auditeur Freund zu Stralsund, Sekretär des Herrn Generallieutenant Pollett, aus eigner freier Bewegung, und eh es mir noch eingefallen war, diese Denkschritt abfassen zu wollen, in Abschrift mitgeteilt worden. Ich will es hersetzen — gar nicht zu Befriedigung eigner kleinlichter Eitelkeit, wiewohl die Meinung eines solchen Jünglings mir keinesweges gleichgültig sein darf, sondern bloß, um meinen Lesern noch einmal das Vergnügen zu schaffen, den trefflichen Jüngling selbst zu hören.

„September 14. 1793 nach Grevesmühlen.

Die Wege von Grevesmühlen nach Lübeck sind wegen der vielen übelerhaltenen Steindämme sehr schlecht; daher der Reisende bei guter Jahreszeit wohl tun wird, von Wismar aus mit den nämlichen Pferden nicht über Grevesmühlen, sondern über K— zu fahren. Denn in Grevesmühlen bekommt man schlechte Pferde und Postillione, mit denen man äußerst langsam vorwärts kommt, und oft Mühe hat, Lübeck vor dem Torschluss zu erreich, welcher schon Abends um halb acht erfolgt.

Grevesmühlen reizte übrigens nur darum meine Neugier, weil unser Rügischer Dichter, Kosegarten, der hier geboren ward, mir so oft mit Entzücken von dem friedlichen Städtchen, seinen dörflichen Hütten, lieblichen Hainen und fruchtbaren Fluren erzählte. Gern schwärmte er dann mit der ihm eigenen schöpferischen Fantasie in die Jahre seiner früheren Jugend zurück, und die Freuden erlebter schuldloser Tage flohen wie Schatten der Dämmerung seinem reichen Gedächtnisse vorüber. Ich verzeihe dir, lieber Kosegarten deine Vorliebe für dieses Städtchen, da du in ihm das Leben empfingest; in ihm die süßen Gefühle kindlicher Liebe in deinem Busen aufloderten; in ihm dein Herz den ersten Eindrücken des Großen und Schönen in der Natur sich öffnete, und die Kräfte deines Geistes ihrem tiefen Schlummer sich in heftigstem Schwunge entrissen. Wie musst du nicht, guter Kosgarten dieses Städtchen segnen und lieben, das du wie den Mittelpunkt betrachten darfst, aus dem der weite Wirkungskreis sich formte, in welchem dein tätiger Geist jetzt so unermüdet für die lebende und kommende Menschheit arbeitet und sammelt. — Ich meines Teils, der ich mit einem weniger teilnehmenden Herzen, und ziemlich erfrornen Gliedern in dieses Städtchens zerfallenen Mauern meinen Einzug hielt, fand es nichts weniger, denn reizend. — Vom Schlosse, das 1379 durch Herzog Albrecht seiner Gemahlin Elisabeth zum Leibgeding angewiesen worden, sind keine Spuren mehr übrig.“ K.

Aus: Rhapsodieen Band 2. 1794. Kosegarten, Ludwig Gotthard Dr. (1758-1818) Theologe, Lehrer, Pfarrer und Dichter

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