mein-mv.jpg

Es ist kein systematisch vollendetes Wert, und wir dürfen daher weder über die Topographie und Statistik des Landes, noch über den Kulturzustand und die volkswirtschaftlichen, sozialen und politischen Verhältnisse irgend erschöpfende Auskunft erwarten. Selbst in den Abschnitten über Land- und Leute, Charakter, Volksleben finden sich nur über das platte Land und dessen Bewohner einschlagende Notizen, während die städtische Bevölkerung so gut wie ganz außer Berücksichtigung geblieben ist. Jedenfalls ist es aber, auch nach der Anlage des Buchs, selbst für eine Lücke zu halten, dass in der Darstellung der Zustände des Landvolks über die wichtigste Grundlage dieser Zustände, über die Grundbesitzverhältnisse, mit dem tiefsten Stillschweigen hinweggegangen ist. Wer diese Verhältnisse nicht näher kennt, muss nach dem vorliegenden Werke annehmen, in Mecklenburg existiere, wie anderwärts, ein unabhängiger Bauernstand. Allein dies ist durchaus nicht der Fall. Es existiert in Mecklenburg gar keine freie Bauernschaft, und wenn der Verfasser im vierten Abschnitte „Die Dörfer“ gleich von vornherein bemerkt: „Die echt germanische Geschlossenheit — nicht Abgeschlossenheit — musste sich zumal in einem ackerbautreibenden Staate lange in ihrem ganzen Umfange erhalten; sie gründete die sässigen Bauernschaften, wie sie selbst auf dem Boden des Familienbesitzes erwuchs“, so hätte er hinzufügen sollen, dass alles freie Eigentum auf dem Lande sich in Mecklenburg im ritterschaftlichen Grundbesitze konzentriert, dass das, was er sässige Bauernschaften nennt, in Mecklenburg Erbpachtgüter sind, und dass das gesamte landwirtschaftliche Kulturleben, wenn unter solchen Verhältnissen von einer freien Entfaltung desselben überhaupt die Rede sein kann, lediglich vom ritterschaftlichen Grundbesitze ausgeht.

 

Der Verfasser hat in seinen Schilderungen der mecklenburgischen Zustände die Farben viel zu sonnig aufgetragen; er sieht in den Dörfern „die Bewahrerinnen althergebrachter Scheidungen und Sitten“, und hält es für einen Vorzug, dass ihre Bewohner, mit sehr wenigen Ausnahmen, was sie immer gewesen, Bauern seien (das sind sie eben nicht), übergeht aber den Umstand, dass der Mangel an Freizügigkeit in Mecklenburg das Land auf einer sehr tiefen Kulturstufe erhalten und fort und fort für die kräftigsten Elemente seiner Bevölkerung die Auswanderung zur Notwendigkeit gemacht hat. Nach dem „Handbuch der mecklenburgischen Wirtschaftsführung“ (Schwerin 1855), dessen Verfasser niemand eine übelwollende Auffassung der mecklenburgischen Zustände zur Last legen wird, da er selbst die Reaktivierung des alten Feudal-Grundgesetzes, des Erbvergleichs vom 18. April 1755, mit Freude begrüßt, gibt es in dem durch diese Verfassung gesegneten Lande nur drei Arten des landwirtschaftlichen Besitzes, nämlich: „a) Freies Eigentum, was in Mecklenburg auf den Besitz eines ritterschaftlichen Gutes hinausläuft; b) erblicher abgeleiteter Besitz, was auf das Innehaben einer Erbpachtung, führt, und c) zeitweises nutzungsmäßiges Besitzen eines Hofs, womit das gang und gebe Zeitpachtverhältnis gemeint ist.“ Der Erbpächter ist also in Mecklenburg der Bauer; er lebt aber in doppelt gedrückten Verhältnissen, weil der Obereigentümer oder die Grundherrschaft dem Erbpächter nicht bloß als Partei, sondern als Partei und Behörde in Einer Person gegenübersteht, und es demnach nicht anders sein kann, als dass der Erbpächter in allen Differenzen sehr leicht und der Obereigentümer sehr schwer zu belangen ist, wozu noch kommt, dass der letztere zugleich als Inhaber der Polizeigewalt den stärksten Druck auszuüben vermag. Im obgedachten Handbuche heißt es:

 

Was jedoch mit weil schärferem Wehe als diese Überwuchtigkeit der Rechtsverhältnisse in die Sicherheit der Erbpächterischen Verhältnisse und mithin in das Vermögen der Erbpächter schneidet, das ist, dass sie gerade in dieser Beziehung sogenannten polizeilichen Einwirkungen ausgesetzt sind. Das Recht hat wenigstens seine Wege, mögen dieselben immerhin ziemlich unverfolgbar und ohne sicher zu erreichendes Ziel sein. Auf Exekution läuft Recht und Polizei beides hinaus; mit dieser Ähnlichkeit muss hier jedoch abgebrochen werden, denn die Unterschiede bloßzulegen, ist nicht schwer, wird jedoch misslich. Man hüte sich, einen Kontrakt zu übernehmen, in welchem eine Menge gutsherrlicher Vorbehalte sind, die, sobald ihre Stunde kommt, alle in Auflagen und Lasten umschlagen, ohne dass sie nach Zeit und Umfang ihres Hervortretens mit Sicherheit sich berechnen lassen. Hier sei keiner unbesorgt und schläfere nicht mit der Redensart sich ein: Wenn ich alle Lasten und Leistungen prompt erledige, mir sonst nichts zu schulden kommen lasse, was kann mir dann widerfahren? Freilich weniger, als in diesem Ausspruche liegt, kann lein Mensch für Berieb und Sicherheit wünschen. Dennoch ist leider auch dies oft unerreichbar, oft unhaltbar. Die Gefahr, die droht, liegt nicht in der unabweislich aufgestellten Reihe von Auflagen, nicht in deren festgesetzter Beträchtlichkeit, sondern in dem versteckt zur Herrschaft gebrachten Grundsatze, dass der Erbpächter seinem ganzen Verhältnisse nach dem Eigenwillen der Grundherrschaft unterworfen sein soll. Dieser schlimme Satz ist natürlich in keinem Kontrakte offen erklärt; aus den unendlichen Vorbehalten oberherrlicher Willkür und Hinstellungen unbestimmten erbpächterischen Zwange geht aber zuweilen fast noch Drohenderes hervor. Es gibt Erbpächterkontrakte, angesichts welcher der Käufer wohl und reiflich zu prüfen hat, wie leicht das hochgemessene Maß derselben zum Überlaufen gebracht ist, und wohl erwägen möge, ob er sein Leben einer völlig auf Schrauben gestellten Betrieb- und Vermögenssicherheit anvertrauen will. Niemand halte diese Andeutungen für zu trübe. Sie werden in schmerzlicher Art von zwei Tatsachen bewahrheitet. Weshalb wollen die Kapitalisten kein Geld in Erbpachtungen verleihen? Weshalb sieht man wohlhabende Erbpächter ihren Besitz verkaufen und mit ihren Kapitalien auswandern?

 

Unter den hier geschilderten Verhältnissen kann es auch weiter nicht sehr befremden, wenn man aus glaubwürdigem Munde erzählen hört, dass Erbpachtherren ihre Erbpächterinnen nach Laune gelegentlich auspeitschen lassen. Allerdings haben sie dazu kein Recht; aber sie tun es ungestraft, weil der unterdrückte Teil auf der einen Seite mit der Klage schwer durchkommen würde, auf der andern, was ebenso schlimm ist, nicht einmal zu klagen wagt. Behält man nun im Auge, dass aller ländliche Grundbesitz entweder Ritterguts- oder Erbpachtbesitz ist, und vergegenwärtigt man sich die Zustände des letztern nach obiger Darstellung, so liegt es auf der Hand, dass die volkswirtschaftlichen und sozialen Elemente in Mecklenburg noch ziemlich mittelalterlich und namentlich, was die Landbevölkerung anlangt, nichts weniger als beneidenswert sind. Dass aber hiervon in dem Fromm'schen Werke auch nicht entfernt eine Andeutung gegeben wird, man vielmehr, wenn man sein Urteil lediglich nach ihm bilden wollte, zu der Annahme gelangen müsste, dass die dortigen Zustände durchweg recht gesund seien, das ist zum mindesten ein Verstoß gegen die Treue der Schilderung, den wir nicht ungerügt hingehen lassen können, und zwar um so weniger, als das Buch dem Großherzog gewidmet ist: eine Widmung, die dem Verfasser eine völlig ungeschminkte Darlegung des Sachverhältnisses zur doppelten Pflicht machte. Im übrigen wollen wir die Treue der, Schilderung nicht bezweifeln. Wir heben zuerst hervor, dass nach der topographischen Übersicht Mecklenburg reicher an schönen Gegenden und lieblichen Landschaftsbildern sein mag, als man sonst gewöhnlich anzunehmen scheint; es gibt neben den Seen viel freundliches Hügelland, selbst eine Mecklenburger Schweiz, deren Mittelpunkt das westliche Ufer des Malchinersees ist, und hier wieder die Burg Schlitz, „auf einem bedeutend hohen, gegen Norden von Wald geschützten Hügel“, wo das Schloss von einem Obelisken überragt wird, der eine entzückende Fernsicht darbietet.

 

Interessant ist der Rückblick auf die wechselnde Bevölkerung Mecklenburgs in der vorgeschichtlichen Zeit, nach dem einzigen Zeugnis, was sich für die Gegenwart aus jenen grauen Jahrhunderten erhalten hat, nach dem Zeugnis der Gräber. Die frühesten Spuren wurden in dem uralten Grabe von Plau und im Torfmoore bei Sülz gefunden, Schädel und Bruchstücke der Gebeine von Menschen, deren Stirn nur äußerst wenig angedeutet ist und deren Schädel eine auffallende Ähnlichkeit mit den Schädeln der Karaiben und der alten Bewohner Chiles und Perus zeigen: eine Ähnlichkeit, welche durch die Begräbnisweise (in hockender Stellung) noch vermehrt wird. Doch kommen die Spuren viel zu vereinzelt vor, als dass sie zu einigermaßen sichern Schlüssen führen könnten. Deutlichere Beweise seines Daseins hat das Volk zurückgelassen, das die Ungeheuern im ganzen Lande zerstreuten Grabhügel, die Hünengräber, errichtete. Die Leichen wurden verbrannt, die Asche befindet sich in roh, aber nicht geschmacklos geformten Graburnen, welche an die alten Urnen des Albanergebirgs erinnern sollen, und die Gerätschaften und Waffen zeigen, dass das Volk der Steinperiode mit nur allmählichem Übergange zur Bronzeperiode angehörte. Die Gräber der letztern Periode sind die Kegelgräber. In diesen Gräbern findet man größtenteils ebenfalls Aschenurnen, in einigen Knochengerippe. Die Waffen sind teils von Bronze, teils von reinem Golde. Zur Zeit der Völkerwanderung scheinen Slawenstämme die frühere germanische Bevölkerung vertrieben zu haben. Sie setzten sich fest, namentlich die beiden großen Stämme der Obotriten und Lutizien (die sich mit einem älteren Namen Weleter, Weletaber, Wiltzen nannten, beide Namen, von lut oder ljut und welet abgeleitet, soviel als die Tapfern, Wilden, Mächtigen, Starken), hatten, immerwährende Kämpfe teils unter sich, teils mit in westlicher wohnenden Sachsen zu bestehen und wurden endlich nach hartnäckigem Widerstande 1164 von Heinrich dem Löwen bei Verchen am Kummerower See geschlagen und unterworfen. Nunmehr begann die Einwanderung der deutschen Kolonisten, denen das slawische Element mehr und mehr weichen musste, so dass die gegenwärtige Bevölkerung mit wenig Ausnahmen als sächsisch-deutschen Stammes betrachtet werden kann. Die Charaktergrundzüge dieses Volksstammes finden sich demnach, wenn auch durch Zeit und Sitte gemildert, wie der Verfasser berichtet, in Mecklenburg wieder.

 

Wir übergehen die diesfallsigen Schilderungen, soweit sie allgemeinere soziale Momente berühren, da wir hierin dem Verfasser nach Obigem nicht mit Sicherheit folgen zu können glauben, und heben einiges aus dem hervor, was derselbe über die Entwicklung des Volkscharakterss im Familienleben mitteilt. „Strenger Familiensinn zeichnet den Mecklenburger aus; zwischen den einzelnen Gliedern des Hauses herrscht eine gewissenhafte Bevolgung bäuerlicher Etikette. Das Recht der Erstgeburt, die Hochachtung und Gleichberechtigung der Frau und die Heilig Haltung des Besitzes sind durchgehends herrschend.“ Der älteste Sohn, der nach dem Vater in den Besitz im heißt der „Vizebauer“, die jüngeren Kinder sind „das Gesinde“. Diese erben nichts, ausgenommen, wenn der Vater bares Geld hinterlässt, ein System, das dazu dient um den Besitz ungeschmälert in der Familie zu erhalten. Der Verfasser nimmt an, dass dieses System auf tiefer sittlicher Grundlage ruhe, eine Ansicht, die wir allerdings nicht teilen, da wir dafür halten, dass eine Familie Vater, Mutter und Kindern, nicht aus Vater, Mutter einem Vizebauer und so und so viel Knechten und Mägden bestehe. Der älteste Sohn heißt auch der Gehöftserbe, nimmt nach dem Vater den Ehrenplatz ein und führt die Oberaufsicht. Die Geschwister sind „Groß- und Kleinknechte“, „Groß- und Kleinmägde“ bis zum „Gänsejungen“ herab und erhalten von der Zeit nach der Konfirmation an einen Lohn, der zwischen 14 und 24 Thaler für die Söhne, zwischen 10 und 18 Thaler für die Töchter jährlich beträgt. Doch muss auch der älteste Sohn, wie die Brüder, von der Pike auf, und zwar zuerst als Gänsejunge beginnen. Wenn der Vater gestorben ist, oder der Älteste die Wirtschaft übernommen hat, bleib dieses sogenannte Familienverhältnis noch unverändert. Aber mit der Verheiratung des ältesten Bruders geht die Geschwister „allmählich in die Stellung bloßer Dienstboten“ über, und die Angehörigen des Ältesten „bilden nun die Familie“. Von Herzlichkeit und Innigkeit unter den Familiengliedern finden sich wenigstens keine äußeren Anzeichen. Es geht alles verständig, praktisch und kalt zu, bis zum Weihnachtsgeschenke, das durch die Sitte vorgeschrieben ist, und in einer Weste für die Söhne, einem Tuche für die Töchter, oder dem Geldwert dafür besteht. Dagegen herrscht ein sehr strenges Pflichtgefühl. „Die gegenseitige Achtung der Eheleute wird durch Untreue und häuslichen Zwist fast nie unterbrochen, der Frieden in der Familie gewahrt und äußerst selten gestört. Das alles erkennt und tut man als eine Pflicht- und Schuldigkeit; der grundehrliche und tieftreue Charakter dieser Leute entzieht sich einer anerkannten Pflicht mit Bewusstsein nie, gewiss dann nicht, wenn diese Pflicht ausdrücklich im göttlichen Worte verordnet ist.“ Mit Recht bemerkt hierzu der Verfasser, dass, so lobenswert dieses sei, ein solches Leben doch jener höhern Weihe entbehre, welche die Erfüllung der Pflicht dem Menschen zur Lust und Freude mache. Und ebenso mit Recht führt er diesen Mangel der höhern Blüte des Familienlebens auf den ersten Ursprung desselben, die Verheiratung, zurück. Die Verstandesehe bildet die Regel, und Geld und Stand geben allein den Ausschlag. Der sich hierin offenbarende reine Materialismus scheint sein Schwergewicht im Magen zu haben. Dabei wird nicht sowohl auf „das Was und Wie“, als auf „das Wieviel“ gesehen. Reichlich muss alles vorhanden sein; unglaubliche Mengen schwerer Nahrungsmittel werden in, wenn es gilt, stundenlangen Sitzungen eingenommen, wofür man selbst die Bezeichnung „einpacken“ oft gebraucht. Wenn der Mensch vom Tische aufsteht, sollen alle Ecken und Winkel im Magen gefüllt sein, und damit dies gelinge, isst man nicht gern zu dünne Speisen, auch die Suppen müssen von einer solchen Beschaffenheit sein, dass der Löffel in ihnen aufrecht stehen kann. Man arbeitet mit großer Behaglichkeit auf Dickbäuchigkeit hin, und wer diese besitzt, fühlt sich doppelt als Mann von Gewicht. „De Wind“, sagt das Sprichwort, „weiht wol Barg' tosamen, äwer keen dick' Buk“; die wollen mühsam kultiviert sein. Deshalb begießt man auch die leibliche Pflanze gern inwendig mit einem Schnaps nach jeder Mahlzeit, weil man der Meinung ist, dass derselbe, zu dieser Zeit genossen, eine mästende Wirkung habe. Man kann sich daher denken, dass es an Essen und Trinken bei den Hochzeiten, in denen sich in Mecklenburg die Summe aller Familienfestlichkeiten konzentriert, am allerwenigsten fehlt. Die Hochzeitsgebräuche sind interessant; bemerkenswert, dass der zur Hochzeit günstigste Tag hier der Freitag ist — wie im Fürstentum Waldeck —, während er sonst allgemein für ein besonders ungünstiger Tag gehalten wird. In diesem Gebrauche ist also auch hier die heidnische Anschauung vor der christlichen vorherrschend geblieben. Ebenso in manchen andern Gebräuchen, wobei wir von den bekannteren, namentlich den Traditionen, die sich von dem Julfeste in das Weihnachtsfest hinübergetragen haben, absehen und in Betreff der Ernteopferspende auf das Buch selbst verweisen wollen. Das Werk enthält noch manches Interessante, namentlich von Gebräuchen und Regeln, die in Mecklenburg wie anderswo, z. B. in der Oberpfalz, vielleicht auch ein umfangreiches Gesetzbuch bilden würden, wenn man sie zusammenstellen wollte; wir müssen aber hier abbrechen, um weiter nach Osten hin noch eine kleine Umschau zu halten.

Die beliebte Kinderbuch-Figur Hein Hannemann macht Rostock und Umgebung unsicher. Lernen Sie Hein und seinen treuen Begleiter kennen. zur Website Hein Hannemann >>