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Gespräch mit Andrea Röpke

 

Mein Mecklenburg: Vor wenigen Wochen ist Ihr Buch „Mädelsache“ in der 2. Auflage erschienen. Bis in den Sommer hinein gab es Klagen bzw. Versuche, das Buch und
manche seiner Namens-Nennungen zurückzuhalten. Wie ist da der Stand der
Dinge?

Andrea Röpke: Es sieht gut aus. Unser Buch ist jetzt in der zweiten Auflage erschienen
und wir konnten alles Ungemach abwenden. Es ist schon paradox:
Überzeugte Neonazi-Frauen wollen ihre Ideologie durchaus nach außen
tragen und oft auch über ihre Berufe neue Anhänger ködern – nur
berichten und aufklären sollen wir nicht darüber. Dann sehen sie sich
sofort als „Opfer“ von Medien und Zivilgesellschaft.

MM: Sie haben sich bereits seit Jahren mit Veröffentlichungen zum Thema
Rechte Gewalt und Rechtsextremismus einen Namen gemacht. Dieses Buch
scheint aber eine neue Liga aufmachen zu können. Hat sich bereits jetzt
Ihr Leben durch die Klagen und die große Öffentlichkeit zu „Mädelsache“
verändert?

Röpke: Nein. Wir recherchieren und berichten beide schon seit so vielen Jahren
zum Thema Neonazis, wir sind schon einiges gewohnt. Es freut uns
natürlich, dass wir mit dem wichtigen Thema viele Menschen erreichen
können. Denn leider werden extrem rechte Mädchen und Frauen, die nicht
weniger rassistisch und radikal als die Männer sind, in unserer
Gesellschaft noch viel zu wenig wahrgenommen. Journalisten nicht nur mit
Drohungen einzuschüchtern reicht den Neonazis nicht mehr, sie arbeiten
heute viel subtiler. U.a. greifen sie auf ein Netz von sympathisierenden
rechten Anwälte zurück und erschweren investigativen Recherchen damit
enorm die Arbeit. Leider müssen unsere Vortragsveranstaltungen oft unter
 Polizeischutz stattfinden. Aber umso erfreulicher ist es, dass so viele
engagierte Menschen Interesse haben.

MM: Wie ich finde, breiten Sie einen großen aufklärerischen Teppich aus.
Dankbarerweise ein Spektrum durch jedes Bundesland unserer Republik von
Nord, Süd, West und Ost. Das Spektrum zeigt aktive Landtags-Frauen,
ländliche Deerns, kleinstädtische Kameradinnen, alternde
Geschichts-Leugnerinnen und dörflich-sektenhafte Ring-Mädchen. Wer hat
Ihnen geholfen bei der unfassbaren tiefen Recherche? Haben Ihnen auch
V-Männer vom Verfassungsschutz geholfen?

Röpke: Nein, da haben wir keinen Zugang. Überhaupt sind uns die meisten
Verfassungsbehörden nicht allzu wohl gesonnen. Es ist ja kein Zufall,
dass in den Jahresberichten der Landesämter seit Jahren überhaupt nur
ganz, ganz wenige Neonazi-Frauen Erwähnung finden. Die Behörden haben da
sehr lange weggeschaut, auch in Punkto organisierter rechter
Kindererziehung.
Wir arbeiten sehr nachhaltig, beobachten die Szene vor allem auch vor
Ort. Unsere Intention ist es hinter die Kulissen der braunen Aktivitäten
zu schauen. Uns selber ein Bild zu machen, zu dokumentieren und
aufzuklären. Wir sind gut vernetzt mit engagierten Leuten vor Ort und
Lokaljournalisten. Alltäglich sind aber auch Archivauswertungen,
Internetrecherchen oder Fotodokumentationen. Aussteiger und Informanten
sind eine große Hilfe – V-Leute gehörten bisher nicht zu unseren
Ansprechpartnern.

MM: Sie zeigen an einem Rand des Spektrums Frauen wie Gitta Schüssler im
sächsischen Landtag, die von Panzern vor Stalingrad nichts wissen
möchten sondern lieber über Hartz IV reden, bis hinüber zu den eher
gesellschaftsfernen Zeltlager-Frauen, die sich an offenem Feuer auf
Bürgerkriegszustände vorbereiten. Welche Aspekte der Szene waren Ihnen
in der Tiefe selbst noch unbekannt und in der präsentierten Form neu?

Röpke: Der Fanatismus dieser Frauen war mir vorher nicht so klar. Und was es
bedeutet, wenn sie – manchmal über mehrere Generationen hinweg – die
sogenannte „NS-Bewegung“ mit voller Kraft unterstützen, denn dann sind
auch die Kinder betroffen. Die haben keine Wahl.

MM: Sie berichten von Gefolgschaften, Kameradschaften, NPD-Mitgliedern,
Nachfolgevereinen der Wiking-Jugend usw. Könnten Sie für diesen
Zusammenhang bitte erklären, was Sie mit dem Begriff „Freie Kräfte“
meinen und welche Rolle die Kräfte haben?

Röpke: Freie Kräfte oder Freie Kameradschaften sind Nationalisten, die ähnliche
Ziele verfolgen wie die NPD, aber sich nicht so eng in die
Parteistrukturen einbinden wollen. Die Freien Kräfte sowie ihr
militantes Umfeld – dazu gehören sowohl Autonome Nationalisten als auch
völkische Fanatiker wie aus den Reihen der ehemaligen Wiking-Jugend –
machen kaum einen Hehl aus ihrer Verehrung für das Dritte Reich und
seine menschenverachtende Politik.

MM: Durch die vielen Zahlen, Daten und Fakten wirkt der zurückhaltende,
beinahe nie erzählende Stil wie ein Lexikon der Neonazi-Frauen. Es ist
in seiner Tiefe schockierend und bis in jedes Dorf hinein nahezu
erschöpfend. Ich hatte den Eindruck, bei den letzten Kapiteln eine Art
masochistischen Antrieb zu brauchen, um durchzukommen, ohne dass einem
über die dargestellten Verknüpfungen von Neonazis in Kindergärten,
Feuerwehren oder Ämtern nicht schlecht wird. – Wie halten Sie beide das
aus?

Röpke: Wir berichten darüber, wir klären auf. Richter, Polizisten,
Sozialarbeiter – es gibt sehr viele Berufsgruppen, die schlimme
gesellschaftliche Missstände tagtäglich erleben. Auch die müssen damit
klarkommen.

NPD Bundeszentrale in Berlin-KöpenickMM: In einem Kapitel stellen Sie die Rechtanwältin Sylvia Stolz dar, die
der älteren Holocaust-Leugnerin Ursula Haverbeck nachstrebt. Auch Frau
Stolz leugnet Teile der Geschichte, wurde verurteilt wegen
Volksverhetzung, Aufstachelung zum Rassenhass und versuchter
Strafvereitelung. Die Juristin S. Stolz zeigte dem Richter nach
Urteilsverkündung den Hitlergruß, der Staatsanwalt bezeichnete sie als
„unbelehrbar“ – und nach einer Haftstrafe bekam sie sage und schreibe 5
Jahre Berufsverbot. Was um Himmels Willen muss eine Rechtsanwältin in
diesem Land noch tun, um mehr als 5 Jahre Berufsverbot zu bekommen? –
Wie geht es Ihnen bei solchen Fällen?

Röpke: Es gibt kaum radikalere Neonazi-Frauen als Ursula Haverbeck oder Sylvia
Stolz. Und dennoch wurden sie gesellschaftlich jahrelang kaum wahrgenommen.

Sie standen den Männern ihres politischen Umfeldes in
nichts nach. Doch während Horst Mahler schnell ins Visier der Behörden
rückte, schauten sie bei den anderen beiden Damen lange weg.

Wichtig ist, zu erkennen, dass neonazistische Frauen den Männern oft an Fanatismus, Rückwärtsgewandtheit und Menschenverachtung in nichts nachstehen. Auch sind junge Mädchen und Frauen immer mehr bereit die Grenze zur Strafbarkeit zu überschreiten – das zeigt sich ja nicht zuletzt auch im Fall der Jenaer Bombenbastlerin Beate Z., die in den 90er Jahren zum Thüringer Heimatschutz zählte und 1998 wegen Sprengstoff-Delikte mit zwei Kameraden untertauchte. Heute steht sie im Verdacht mit dem Mord an einer Polizistin zu tun zu haben. Experten gehen davon aus, dass extrem rechte Frauen etwa mit 10 Prozent an den Straftaten der Nazis beteiligt sind. Nur: Sie müssen überhaupt erst einmal als Täterinnen wahrgenommen werden und nicht nur als harmlose, unwissende Mitläuferinnen. Leider sieht der Alltag oft anders aus. 

MM: Sie verweisen oft auf Berichte und Warnungen des Verfassungsschutzes. Der ist nach § 4 des Bundesverfassungsschutzgesetzes (BVerSchG) eine Art Vorarbeiter, der durch Informationsbeschaffung und Informationssammlung Vereins- und Parteienverbote anregen kann. Die Arbeit scheint er ja gut zu machen. Woran hapert es danach? Arbeiten die umsetzenden Ministerien dahinter nicht schnell genug? Wenn so viel bekannt ist von dubiosen, gefährlichen und verfassungsschädlichen Aktivitäten, warum hat man den Eindruck, dass zu viel geduldet statt gehandelt wird?

Röpke: Eine heikle Frage! Erstens stehen wir den Aktivitäten des Verfassungsschutzes oft eher kritisch gegenüber. Bei langfristigen Recherchen wie z. B. denen zur gefährlichen „Heimattreuen Deutschen Jugend“ hat sich für uns im Vorfeld der Eindruck ergeben, dass die Verfassungsbehörden auf Deutsch „geschlafen“ haben – und das nicht zum ersten Mal. 
Wir sind unabhängige Journalisten und arbeiten mit diesen Behörden nicht zusammen. Manchmal aber ist es nötig deren Pressestellen zu kontaktieren – doch meistens bringt das wenig neue Erkenntnisse, die nicht auch wir – oder Fachkollegen – bereits gesammelt haben.
Mich beeindrucken oftmals eher engagierte Polizeiermittler, die jahrelang Puzzleteile verfolgen.  Im Falle zum Beispiel des Verbotes der Heimattreuen Deutschen Jugend (HDJ) im März 2009 ist es weitaus mehr einzelnen Polizeibeamten zu verdanken, dass deren gefährlichen Aktivitäten gegenüber Kinder und Jugendlichen bekannt wurde, als dem Verfassungsschutz. Der hat sich in dieser Sache wahrlich nicht rühmlich hervor getan.
Das Wort „verfassungsschädlich“ in Ihrer Frage missfällt mir übrigens! Ein bedenklicher Begriff.

MM: In den letzten Jahren hat ein gewisses Umdenken stattgefunden, hin zu einem einheitlicheren Extremismus-Begriff, ohne Linke Extreme zu verniedlichen und sie zu vergessen. Auch Ihr Buch beschreibt, wie sehr sich die linken und rechten Ränder der „Autonomen“ ähneln. Wie oft, denken Sie, marschieren extreme Linke neben extremen Rechten im „Schwarzen Block“ unbewusst nebeneinander?

Röpke: Wir vertreten die Extremismus-Theorie nicht. Unser Thema sind Neonazis, wir vergleichen nicht oder setzen nicht gleich. Auf das Konto deutscher Neonazis gehen seit 1990 138 Tote – Obdachlose, Jugendliche, kritische Normalbürger oder Migranten. Es gibt unzählige Sprengstoffdelikte, Waffenfunde, Drohungen, Angriffe auf Bürgerbüros, auch vonseiten der NPD und ihres Umfeldes. Schauen Sie sich erst die aktuellen Entwicklungen zum scheinbar mordenden und sprengenden Neonazi-Trio aus Thüringen an!! Fakt ist: Die braune Szene ist aggressiver und gewaltbereiter denn je. Statistisch gesehen gehen ohnehin etwa drei Gewalttaten pro Tag auf deren Konto. Da macht ein Vergleich mit der linksextremen Szene wenig Sinn – im Gegenteil: Er verharmlos und verklärt.

Autonome Nationalisten kopieren den Lifestyle der linken Szene. Ungewollt. Sie machen sich überhaupt gesellschaftliche Entwicklungen, Styles oder Codes zu eigen, ohne dass z.b. die Umweltbewegungen etwas dafür können.  Ich kenne keine Vorfälle in denen linke und rechte „schwarze Blocks“ unbewusst nebeneinander herliefen. Dafür ist die antifaschistische Szene viel zu aufgeklärt. Es passiert schon eher, dass sich Neonazis populistisch unter Anti-Atomkraft-Demos oder Occupy-Aktionen mischen, und nicht sofort erkannt werden.

MM: Kommen wir zu einer vielleicht schrägen Frage. Was denken Sie über die Gefahr, dass sich viele Frauen der Szene durch Ihr Buch und die oftmals sprachlich nicht „wertende“ Darstellung starke Bestätigung holen, und große Teile der Leser Neonazis sein könnten, so dass das Buch zur Bibel der weiblichen Szene wird?

Röpke: Die Gefahr besteht wohl kaum. Die Neonazi-Szene fühlt sich eher zum Fernsehen und zum Internet hingezogen. Den meisten Neonazi-Frauen gefällt es weniger namentlich benannt zu werden. Sie möchten zwar hetzen, organisieren und menschenverachtende Politik vorantreiben – aber bitte unerkannt bleiben.
Wenn weibliche Neonazis unser Buch „verehren“ sollten – dann hätten wir etwas grundlegend falsch gemacht!  Aber ich denke der Hass, die Drohungen und andere Reaktionen, die uns aus der NS-Szene entgegenschlagen, zeigen, dass das nicht der Fall ist.

MM: Eine weitere These kam mir in den Sinn. Wie wäre es, wenn Tagespiegel, taz usw. keine Interviews mehr mit Frauen oder Männern der Szene machen würden, wenn man die Plattform verkleinern würde, anstatt Menschen, die den Staat abschaffen wollen, immer wieder Öffentlichkeit zu geben? Wäre dann nicht viel Bestätigung und Wahrnehmung bei den Extremen verschwunden, wenn ihnen niemand zuhört? Nach meiner These könnten dann 6 Prozent der Wähler-Stimmen ja nicht aus dem Nichts kommen!?

Röpke: 6 Prozent der Wähler-Stimmen? In bestimmten lokalen Regionen z. B. in Sachsen oder Mecklenburg-Vorpommern ist die NPD bereits zweitstärkste Kraft. Zweistellige Wahlergebnisse für diese aggressive, demokratiefeindliche Partei sind im Osten überhaupt keine Seltenheit mehr. Aber es geht viel weiter: Wissenschaftliche Studien warnen davor, dass sich eine flächendeckende Demokratiemüdigkeit in der gesamten deutschen Bevölkerung breit macht. Bis zu 20 Prozent der Befragten wünschen sich wieder eine einzige starke Führerpartei. Das sind erschreckende Signale. Wir brauchen nachhaltige, antifaschistische Aufklärung, Mut und Courage an der Basis. Auch die Medien sollten wieder mehr Geld in vernünftige investigative Hintergrundrecherchen stecken – das wäre sicher demokratiefördernder und nachhaltiger als jedes unreflektiert ausgestrahlte Interview mit einem Neonazi-Anführer oder einer rhetorisch geschulten Neonazi-Ansprechpartnerin. Die verfolgen ein Ziel und verraten keine Geheimnisse mehr. Dazu ist die nationalistische „Bewegung“ inzwischen viel zu professionell.

Wir müssen aufklären, aufklären, aufklären. Und das nicht nur nach Gewalttaten als schnellen Hype. Wir müssen als Medien Teil  einer engagierten  zivilgesellschaftlichen Auseinandersetzung werden. Wir brauchen mehr Plattformen für gesellschaftliche und soziale Prozesse – aber nicht für aalglatte Neonazis!

MM: Eine letzte Frage geht in Richtung Zivilcourage. Sie nennen einige kleine Beispiele, bei denen Engagement von Vielen funktioniert hat. Wie jedoch kann sich ein Bürger in einem Dorf verhalten, der nach und nach merkt, dass sein halber Feuerwehr-Verein aus NPD-Anhängern oder rechtsextremen Kollegen besteht? Was soll er machen? Seinen Job nach 10 Jahren aufgeben? Für viele tausend Euro wegziehen? Sich mit dem halben Dorf anlegen? Zehn seiner alten Jugendfreunde anzeigen?

Röpke: Sehr polemische Fragen! Jeder kann eines machen: Nicht wegschauen! Sondern hinschauen, beobachten und sich dann vernetzen. Hilfe bieten Präventionsstellen wie die vielen mobilen Beratungsteams, Gewerkschaften, Opferberatungsstellen, Regionalzentren oder auch die Polizei. Niemand muss zum einzelkämpferischen Helden werden, aber jeder kann etwas tun, gemeinsam mit anderen! Je länger aber weggeschaut wird und je mehr weiße Flecken die engagierte, Neonazi-kritische Gesellschaft hinterlässt – umso mehr kann sich die „NS-Bewegung“ an der Basis, vor Ort, ausbreiten!!

Vielen Dank für Ihre Zeit –
Vom Mein Mecklenburg-Team Respekt für Ihre wichtige Arbeit und alles Gute für Sie!

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