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Scheint es doch beinahe, als zögen die Schweriner die Narrenjacken, die sie das ganze Jahr hindurch tragen, zur Karnevalszeit für einen Abend aus, um im Domino einmal unbekannterweise als vernünftige Menschen sich gerieren zu können, und doch gelingt diese Absicht nur selten — den Einen kennt man an seiner Arroganz, die eben so maßlos ist, als seine Schulden unbezahlbar, den Andern an seiner Wut, sich auf die Hühneraugen treten zu lassen — on vous connait, beau masque! — und wenn Sie auch weniger stolz einher schritten!“

 

 

„Als einen Überrest aus der barbarischen Zeit muss bei unseren Maskeraden eine Unsitte angesehen und gerügt werden, die denselben den letzten Schimmer von Fröhlichkeit, den letzten Anstrich von Noblesse nimmt. Es ist dies das sogenannte „Hinausburren.“ Obgleich nämlich nur anständig gekleidete Masken in den Saal des Schauspielhauses gelassen werden, behalten sich doch einige Männer, die vorzugsweise quid juris wissen wollen, es auch vielleicht studiert haben, aber sonst wenig zu praktizieren scheinen, ein Urteil in höherer Instanz vor. Findet nämlich eine Maske keine Gnade vor ihren Augen, so bilden sie einen Halbkreis um dieselbe, dringen dann mit einem widrigen, schrillenden Ton und mit Püffen und Stößen so lange auf sie ein, bis die Ärmste die Türe erreicht hat und mit leichtem Herzen eine Gesellschaft verlässt, in der der Pöbel den Vorsitz zu fuhren scheint. Dies Treiben hört auf ein harmloses zu sein, sobald man sich überzeugt hat, dass die angesehensten, geachtetsten Männer in den anständigsten Masken der Rohheit einiger als vorlaut und übermütig längst Berüchtigten haben weichen müssen. Man wird es im Auslande kaum glaublich finden, dass so etwas in einer Gesellschaft geschehen kann, welche auf Wohlanständigkeit Anspruch macht, und man wird sich noch mehr wundern, wenn man erfährt, dass es sogar im Beisein der höchsten Herrschaften geschieht und gestattet erscheint. Denn warum macht die Polizei nicht einem Unfug ein Ende, dem nur die Galerie mit unendlichem Jubel beipflichtet, der aber jeden Gebildeten mit gerechter Indignation erfüllt? Man kann sich denken, daß eine solche angeburrte Maske nicht immer gleich und gutwillig den Saal verlässt, oft leistet sie kräftigen Widerstand, und so passiert es denn auch häufig genug, daß die rauschende Tanzmusik nicht nur zur Lust und Freude ruft, sondern lächerlich kontrastierend Ohrfeigen und Rippenstöße accompagnirt etc.“

 

„Die Wintervergnügungen, die um Neujahr, was Glanz und Komfort anlangt, ihren Zenith erreicht hatten, sind jetzt als überstanden anzusehen, da der Hof auf einige Zeit sich nach Berlin gewendet hat, und uns auf diese Weise eine Pause zum Atemholen, zur Restitution unserer Kräfte und Geldbeutel gestattet hat. Seitdem die Schebest hier gastiert, sind wir aus einem gelinden Wahnsinn von Enthusiasmus und irdischem Entzücken gar nicht herausgekommen. Es gab einen förmlichen Regen von Gedichten, Bändern, Blumen und Kränzen, man konnte nicht mehr ohne Parapluie ins Theater gehen. Erst neuerdings haben sie Liszt einen Ehrensäbel überreicht, mich hat’s gewundert, dass sich bei uns keine Commission gebildet hat, um der Schebest, die als Tancred, Romeo und Fidelio ihre schönsten Triumphe feierte, ebenfalls einen Säbel zu verehren. Bei dem Abschiedsständchen unter ihrem Fenster ging der Enthusiasmus so weit, dass sogar, was in Schwerin viel sagen will, der Unterschied der Stände aufhörte: ich habe es selbst gesehen, dass ein Herr von, einem Bürgerlichen um den Hals gefallen ist, und beide, brüderlich vereint, in den Toast mit einstimmten. Ja, wir protegieren die Kunst und vorzüglich — die Künstlerinnen etc.“

 

„Über die neue Oper „die Obotriten“ vorläufig noch nichts, bis sich durch die wahnsinnigen eingesandten Anpreisungen und Lobhudeleien eine vernünftige Kritik Bahn gebrochen hat. Als merkwürdige Thatsache mag das erwähnt werden, dass bei der ersten Wiederholung der Oper aus lauter Patriotismus eine Bank durchgesessen wurde.“

 

„Es mag wenig Städte in Deutschland geben, bei denen das Anziehende und das Abstoßende so sehr auf der Hand liegt, wie in Schwerin. Die Extreme stehen sich hier noch schroff gegenüber. Adel und Bürgerstand, Literatur und Zensur sind wie feindliche Mächte zu betrachten, deren widrige Stellung fürs Erste wohl keine Änderung erleiden dürfte. Von Sinn für Literatur, von raschem Eingehen in die Zeitfragen, von Erfassen der Zeitinteressen ist hier wenig die Rede; sonst sind wir ehrenwerte Leute, denen nichts über einen ungestörten Genuss des Lebens geht, als höchstens — noch mehr Genuss. Schwerin, beinahe rings von Seen umgeben, hat eine reizende Lage. Noch innerhalb der Stadt genießt man der schönsten Fernsichten, und dichterische Gemüter könnten dadurch leicht zu Ergüssen in gebundener Rede hingerissen werden. Solche Gemüter finden sich hier aber nicht. Schöne Fernsichten helfen dem Mecklenburger die Verdauung befördern, und ein prosaisches, in breitester Mundart gesprochenes „Ungeheier scheun“ (ungeheuer schön) hilft die letzte Spur einer etwaigen poetischen Anwandlung vertreiben. Der schönste Punkt in Mecklenburg ist unstreitig Teterow, ein nahe bei Güstrow gelegenes Städtchen, welches sich durch seine wahrhaft paradiesische Umgegend, aber auch durch unzählige Eulenspiegeleien, die wohl oder übel den Bewohnern Teterows zur Last gelegt werden, auszeichnet. Es ist schon seit langen Jahren hergebracht, jede in Mecklenburg passierte Dummheit nach Teterow zu verlegen. Heine erzählt, daß die Berliner ihre Dummheiten für „ungeheure Ironie“ auszugeben pflegen, wir helfen uns dadurch, daß wir den Fremden erzählen: „in Teterow soll einmal: etc“; doch kann man mit ziemlicher Gewissheit annehmen, dass der fragliche Passus sich in einer der größeren Städte Mecklenburgs ereignet, vielleicht gar in unserer Residenzstadt Schwerin das Licht der Welt erblickt hat.“

 

Aus: Die Geschichte der deutschen Höfe seit der Reformation von Dr. Eduard Vehse. 37r Band. Sechste Abteilung. Die kleinen deutsche Höfe, Dritter Teil. Hamburg. Hoffmann und Campe. 1856

 

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