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 „Seitdem die Residenz des großherzoglichen Hauses von dem wenig Annehmlichkeiten bietenden Ludwigslust nach Schwerin verlegt ist, hat ein reges, großstädtisches Leben das gemütliche, fast ländliche Treiben verdrängt und unsere Lebensweise mit einer gewissen Noblesse überhaucht, die aber das Eigentümliche des mecklenburgischen Volkscharakters nur wenig zu verwischen vermochte. Der Baulust des Großherzogs haben viele kleine Baracken weichen müssen, an deren Stelle Paläste getreten sind, die jede Hauptstadt Deutschlands zieren würden. Recht gelegen brannte das alte Schauspielhaus ab und der neue Tempel Thalias ist durch den Hofbaumeister Demmler mit so vielem Geschmack wieder aufgeführt, dass sich sämmtliche neun Musen dieses Wohnsitzes nicht zu schämen brauchen. Reichgallonierte Livreebediente, glänzende Karossen, modische Herren und mit Putz überladene Frauen, stark geschnürte Lieutenants u. dergl. füllen die Straßen. Paraden und Hofbälle, Maskeraden und Theater führen einen ewigen Strudel von Zerstreuungen herbei, in dem die frühere einfache Lebensweise gänzlich untergegangen ist.

 

Der Hochmut hat sich der Bürger bemächtigt, dass sie es dem Adel in allen Stücken nachtun wollen. In den niederen Ständen ist langst eine Unsittlichkeit eingerissen, die mit der Größe der Stadt in keinem Verhältnisse steht. Wohl gibt es hier, wie an andern Orten, Familienzirkel, in denen der feinste Takt, die liebenswürdigste Bonhommie herrscht, dass aber dieser Zirkel so sehr wenige sind, und dass sie sich so starr und streng vom öffentlichen Leben und Treiben in Schwerin absondern, ist wohl das schlimmste Wahrzeichen des herrschenden Geistes.“

 

„Eine andere Physiognomie hat Schwerin im Sommer, wenn der Großherzog mit dem Hofe in das bei Rostock gelegene Bad Doberan sich begeben hat, eine andere im Winter. Sobald der Hof sich entfernt hat, was übrigens erst spät im Juli geschieht, beginnt eine allgemeine Wanderung. Die höher gestellten Beamten benutzen den erhaltenen Urlaub zu einer Badereise nach Doberan, um sich von irgend einem Übel, am häufigsten dem der Langeweile, zu befreien. Die Noblesse fährt eilends im Viergespann zum Tore hinaus, denn es wäre gegen allen guten Ton, wollte man nach der Abreise der hohen und höchsten Herrschaften sich noch länger als vierundzwanzig Stunden in Schwerins Mauern aufhalten. Wer auch nur 300 Thaler Einkünfte hat, würde sich für beschimpft halten, wenn er den Sommer hindurch nicht wenigstens vierzehn Tage in Boltenhagen zugebracht hätte. — Im Oktober beginnt unser sechsmonatlicher Winter und mit ihm das Abonnement auf Theater und Subscriptionsbälle, und die Eröffnung der Assembléen, Thés dansans und wirklichen Bälle der verschiedenen geschlossenen Gesellschaften. Von beiden Geschlechtern wird dabei der Luxus sehr weit getrieben.“

 

Aus: Die Geschichte der deutschen Höfe seit der Reformation von Dr. Eduard Vehse. 37r Band. Sechste Abteilung. Die kleinen deutsche Höfe, Dritter Teil. Hamburg. Hoffmann und Campe. 1856

 

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