Inflation und Geldentwertung Finanzielle Maßnahmen zum Abbau der Preise

Gutachten erstattet dem Reichsfinanzministerium
Autor: Willi Prion Dr. (1879-1939) Professor an der Handelshochschule., Erscheinungsjahr: 1919

Exemplar in der Bibliothek ansehen/leihen
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Inflation, Geldentwertung, Finanzielle Maßnahmen, Geld, Zahlungsmittel, Krieg, Kriegswirtschaft, Kaufkraft, Preise, Geldvermehrung, Kapitalmarkt, Kriegsanleihe, Schulden, Gütermarkt, Kapitalanlage, Kapital, Spekulation, Spekulanten, Zinsen, Kapitalertrag, Wechselkurs, Zahlungsbilanz, Steuerpolitik, Inlandpreise, Marktpreise, Verteuerung, Kosten, Kapitalkreislauf, Geldentwertung, Valuta, Kreditwirtschaft, Banken, Vermögenszuwachs, Geldwert, Steuern, Vermögensabgabe
Vorbemerkung.

1. Weitgehende Übereinstimmung dürfte heute darüber bestehen, dass die Preissteigerungen, unter denen die deutsche Bevölkerung so schwer zu leiden hat, nicht ausschließlich, ja nicht einmal in der Hauptsache aus dem Mangel an Waren zu erklären sind. Gewichtige, wenn nicht ausschlaggebende Gründe für die gewaltigen Preiserhöhungen müssen vielmehr auch auf Seiten der Kriegsfinanzwirtschaft — um nicht gleich zu Anfang dieser Darstellung das vieldeutige und daher leicht missverständliche Wort: Geld verwenden zu müssen — gesucht werden.

Der Gedankengang, der zu dieser, heute vorherrschenden Ansicht führt, ist der folgende: während des Krieges standen dem Hauptkäufer am Markte der Güter (im weitesten Sinne des Wortes) standen dem Reich, als dem Finanzier des einzig dastehenden Kriegsunternehmens, zum Ankauf des riesenhaften Heeresbedarfs stets reichliche Geldmittel zur Verfügung. Der Heeresverwaltung, in deren Händen die Beschaffung der Güter lag, kam es, insbesondere in der ersten Zeit des Krieges, gar nicht auf die Höhe der von ihr bewilligten Preise an. Die Hauptsache war die Erlangung bestimmter Güter, die für die Kriegführung erforderlich waren. Wie Reichsfinanzminister Schiffer in seiner Rede vom 15. Februar 1919 vor der Nationalversammlung ausgeführt hat, sind damals sogar zahlreiche Industriefirmen in nicht geringe Verlegenheit gekommen, ob sie die ihnen von der Heeresverwaltung angebotenen Preise ohne weiteres annehmen sollten. Diese ,,Anreiz“-Politik fand ihren Höhepunkt in der Durchführung des sogenannten Hindenburgprogramms, durch das die Erzeugung von Kriegsmaterial ohne Rücksicht auf die Preise und auf die sonstigen Bedürfnisse der Volkswirtschaft um das Doppelte und Dreifache des bisherigen Umfangs gesteigert wurde.

Die Heeresverwaltung konnte die hohen und ständig steigenden Preise deshalb so großzügig bewilligen, weil die Geldmittel dafür vorhanden waren; d. h.: diese Geldmittel waren nicht vorhanden, sondern sie wurden jeweils durch Beanspruchung von Kredit beschafft. In diesem Vorgang liegt zugleich die Erklärung für das Verhältnis der Finanzwirtschaft zu den Preisen. Indem das Reich zuerst bei der Reichsbank Kredit in Anspruch nahm, wodurch es für sich selbst neue Kaufkraft aus dem Nichts schuf, und indem sich ferner das Reich später nebenherlaufend von den Banken und endlich von seinen Bürgern in immer größer werdendem Umfang Kaufkraft heb, konnten sich aus den hiermit zu leistenden Milliardenzahlungen des Reiches fortlaufend große und größte Einkommen und daraus wieder erhebliche Mengen Vermögen, die in jenen Krediten des Reichs angelegt wurden, bilden. So steigerte sich die auf Einkommen und Vermögen beruhende Kaufkraft der an den Reichszahlungen mittelbar oder unmittelbar beteiligten Einzelwirtschaften unablässlich, während auf der anderen Seite — und das ist die zweite entscheidende Tatsache — das Angebot der noch für den freien Verkehr der Volkswirtschaft übrigbleibenden Gütermengen zurückging oder gering blieb, zum mindesten nicht in gleichem Maße wie die Kaufkraftmenge der Einzelwirtschaften stieg. Denn die dem Reiche gegen die Milliardenzahlungen überantworteten Sachgüter, deren Erzeugung sogar von Tag zu Tag gesteigert wurde, wurden zum allergrößten Teil durch die Kriegshandlungen sofort vernichtet oder unbrauchbar, zum mindesten aber dem freien Verkehr in der Volkswirtschaft entzogen. Daneben schränkte der andauernde Abzug von Arbeitskräften zur eigentlichen Kriegsindustrie die Erzeugung der für den sonstigen Bedarf der Volkswirtschaft erforderlichen Güter immer mehr ein, und diese Störung des inneren Marktes wurde umso stärker, je länger der Krieg andauerte.

Auf diese Weise hatte sich im Laufe des Krieges ein gewaltiges Missverhältnis zwischen der sich in zahlreichen Einzelwirtschaften anstauenden Kaufkraft auf der einen Seite — herrührend aus großen und kleinen Kriegsgewinnen — und der Menge an Umsatz fähigen Gütern *) auf der anderen Seite, die dieser Steigerung nicht gefolgt war, herausgebildet; es war eine Inflation entstanden, eine Aufblähung der später noch genauer zu umschreibenden Kaufkraftmengen der Einzelwirtschaften gegenüber einem nicht in gleichem Maße gestiegenen Gütervorrat.

*) Liefmann, R.: Die Geldvermehrung im Weltkriege und die Beseitigung ihrer Folgen, Stuttgart 1918, S. 87, will der Geldvermehrung nicht die Gütermenge, sondern die Erträge der wirtschaftlichen Arbeit gegenübergestellt wissen. Da jedoch die geleistete Arbeit volkswirtschaftlichen Zwecken (Vernichtung durch die Kriegführung) verloren gehen kann, so sind tatsächlich die Güter (im weitesten Sinne), die mit dem Gelde gekauft werden können, das Entscheidende. Im weiteren Verlauf seiner Ausführungen lässt auch Liefmann die Güter durch die Einkommen kaufen; vgl. Anmerkung auf S. 17.

Darauf, dass herkömmlicherweise unter Inflation eine Aufblähung des Geldumlaufes verstanden wird, wird noch zurückzukommen sein. Hier sei zunächst nur bemerkt, dass der Begriff Geld in sehr verschiedenem Sinne aufgefasst wird: als Zahlungsmittel gleich Noten, als Zahlungsmittel einschließlich Kreditgeld oder Giralgeld, oder endlich als alles das, was als Geld gilt. Auch abgesehen von diesen Schwankungen in den Abgrenzungen des Begriffes Geld wird im folgenden an dem Begriff: Kaufkraft der Einzelwirtschaften festgehalten aus Gründen, die noch zu besprechen sind.


****************************************************
Inhaltsverzeichnis
  1. Erster Teil: Die Finanzwirtschaft während des Krieges unter dem Gesichtswinkel der Inflation und der Preise.
    1. Inflation und Geldvermehrung
      1. Schaffung neuer Kaufkraft.
      2. Verhinderung der Geldvermehrung.
      3. Geldvermehrung und Begriff: Inflation.
      4. Notenumlauf und Inflation.
      5. Thesaurierung von Noten.
2. Die Tatsache, dass eine Inflation in diesem Sinne eingetreten ist und besteht, gibt aber noch nicht darüber Auskunft, wie die vergrößerte und aufgeblähte Kaufkraftmenge auf die Preisgestaltung einwirkt und eingewirkt hat. Man darf sich diese Einwirkung nicht — wie das auch schon die alten Geldtheoretiker hervorgehoben haben — als etwas Mechanisches oder Selbsttätiges vorstellen. Etwa so: dass einer Verdoppelung der Kaufkraft der Einzelwirtschaften nun auch eine Erhöhung aller Preise um das Doppelte folgen oder entsprechen müsse. Die gesteigerte Kaufkraft kommt selbstverständlich nur dadurch zur Wirkung auf die Preise, dass sich die gehobene Fähigkeit, Waren zu kaufen, in eine Kaufabsicht, einen Kaufwillen des Käufers umsetzt und mit dem Anbieter der nur in geringer Menge vorhandenen Ware feilscht, den Preis erhöht oder dessen Preisforderung annehmbar macht. Dieser Kaufwille, im Einzelnen von der Dringlichkeit der zu befriedigenden Bedürfnisse bestimmt, fand in der behördlich geregelten deutschen Kriegswirtschaft einen mächtigen Ansporn „durch die nur knapp bemessene Zuteilung von Lebensmitteln und Bedarfsartikeln sowie durch das privatwirtschaftliche Bestreben zahlreicher Personen, an der reichlichen Gewinn abwerfenden Erzeugung von Kriegsmaterial teilzunehmen oder allgemein aus den in Aussicht stehenden Preissteigerungen durch Handel und Spekulation Nutzen zu ziehen. Ausführungen wie: die Geldvermehrung ist die Ursache der Preissteigerung oder: die preissteigernde Wirkung der Notenpresse können daher bei nichtsachverständigen Lesern leicht Missverständnisse hervorrufen.

So ist es auch zu verstehen, dass nicht alle Preise mit einem Schlage und in gleichem Umfange gestiegen sind. Die Steigerung ist sowohl dem Ausmaß als auch der Zeit nach bei den einzelnen Waren und Dienstleistungen sehr ungleichmäßig verlaufen. Es ist allerdings möglich, dass im Laufe der Entwicklung infolge des Zusammenhangs aller Preise eine gewisse Übereinstimmung sämtlicher Preise, eine allgemeine Preissteigerung eintreten kann. Jedoch kann diese Übereinstimmung — solange die Entstehungsursache: die Inflation andauert — immer nur eine ungefähre, auch nur eine vorübergehende, niemals eine genaue oder dauernde sein. Darin liegt gerade das charakteristische Merkmal einer durch Inflation verursachten Teuerung, dass sie sehr ungleichmäßig verläuft und dadurch die einzelnen Schichten der Bevölkerung ganz verschieden trifft.

Sind die Preise auf der ganzen Linie gestiegen, ist die Preiserhöhung eine fast allgemeine geworden, wie es heute in Deutschland der Fall ist, so hat sich die Kaufkraft der Geldeinheit, dass was man mit dem einzelnen Geldstück kaufen kann, verringert. In diesem Sinne wird von einer Geldentwertung gesprochen. Wie aus dem Nachfolgenden hervorgehen wird, dient es der Klarstellung der verwickelten Erscheinungen jedoch mehr, wenn man das Wort Kaufkraft in Beziehung zu dem Käufer, zu den Einzelwirtschaften (selbstverständlich einschließlich der Gemeinwirtschaften) setzt.

3. Wenn — wie eingangs hervorgehoben — darüber weitgehende Übereinstimmung besteht, dass für die Preissteigerung grundsätzlich auch Ursachen in der Kriegsfinanzpolitik, insonderheit in der durch sie geförderten Inflation verantwortlich zu machen sind, so stößt man — bei aller grundsätzlichen Übereinstimmung im ganzen — doch auf große Meinungsverschiedenheiten bezüglich des tatsächlichen Einflusses der Kriegsfinanzwirtschaft auf die Preise, der Art und des Umfanges der bestehenden Inflation und deren wirklichen Beziehungen zu den Preisen. Es ist zuzugeben, dass zu einem Teil die Schwierigkeit und Mannigfaltigkeit der Begriffsbestimmungen, die gerade auf dem Gebiet des Geldwesens anzutreffen sind, an diesen Meinungsverschiedenheiten und Missverständnissen schuld sind. Daneben leiden jedoch manche Ausführungen über die Inflation auch offensichtlich unter dem Mangel an richtigen Vorstellungen von den wirklichen Vorgängen in der Geldwirtschaft während des Krieges. So kommt es, dass mehr oder weniger schiefe oder ungenaue oder selbst unrichtige Bilder von den tatsächlichen Verhältnissen entstehen und demzufolge auch häufig die Schlussfolgerungen über Umfang und Bedeutung der Inflation, insbesondere die Erörterungen über die Möglichkeit und Zweckmäßigkeit ihrer Beseitigung in die Irre gehen. Es würde eine Arbeit für sich bedeuten, dies aus den zahlreichen Schriften und Aufsätzen, die sich mit der Frage der Inflation im Kriege beschäftigen, im Einzelnen nachzuweisen.

Es sei nur ein Beispiel aus vielen herausgegriffen: die jüngst erschienene, im ganzen übersichtliche Schrift von L. Pohle, „Das Problem der Valutaentwertung“. Vorträge der Gehe-Stiftung, 9. Band, 1918, Heft 5, enthält eine Menge solcher zum mindesten missverständlichen und unklaren Darlegungen. Auf S. 17 kommt Pohle zu dem Ergebnis, „dass die allgemeine Preissteigerung der Gegenwart zu einem wesentlichen, wahrscheinlich sogar zum ganz überwiegenden Teil die Folge der überall eingetretenen Vermehrung der Geldzirkulation darstellt“. Auf S. 12 heißt es: „für die erste Zeit ist es noch zu verstehen, wenn man eine Einwirkung des Zahlungsmittelumlaufs auf den Preisstand leugnet“.

Auf S. 13 heißt es weiter: „Auch die Hauptursache, aus der die Vermehrung der Zahlungsmittelzirkulation entsprungen ist, liegt klar zutage. Die entscheidende Ursache ist, dass die Reichsbank einen Teil des Kriegsfinanzbedarfs des Deutschen Reichs mit Hilfe der Notenausgabe hat decken müssen . . . Die langfristigen Anleihen haben nicht genügend Mittel geliefert. Es mussten Schatzanweisungen ausgegeben werden . . . Von dieser schwebenden Schuld war wieder die Hälfte bei privaten Banken und ähnlichen Kreditinstituten untergebracht. Dieser Teil stellt ebenfalls im Großen und Ganzen wirkliches, aus dem Volksleben geschöpftes Kapital dar. Zur anderen Hälfte ist aber unsere schwebende Schuld durch Kreditaufnahme des Reiches bei der Reichsbank entstanden . . .“

Und endlich: „die Reichsbank hat die Schatzscheine übernommen und dafür Noten in Umlauf gesetzt. In diesem letzten Vorgang liegt die Hauptquelle für die fortgesetzte Preissteigerung“.

Dafür die Erklärung auf S. 14:

„Denn es wird auf diesem Wege die Gesamtsumme des Einkommens sowie auch des Kapitals in der Volkswirtschaft vergrößert und dadurch eine künstliche Mehrnachfrage nach Ware geschaffen.“

Es würde mit Rücksicht auf die nachfolgende Darstellung unzweckmäßig sein, hier schon im Einzelnen den Nachweis zu liefern, inwieweit die Ausführungen von Pohle — zum mindesten — zu Missverständnissen Veranlassung geben müssen. Die zu beanstandenden Stellen sind im vorstehenden einstweilen durch Sperrdruck hervorgehoben, so dass sie der Leser gegenüber der folgenden Darstellung im Auge behalten kann. Wesentlich ist, dass Pohle im Anfang nur von Geld Vermehrung, Zahlungsmittelzirkulation, Notenausgabe, auf S. 14 aber von Einkommen, Kapital und künstlicher Mehrnachfrage spricht.

Will man zu einer fruchtbaren Erörterung über die Beseitigung der Ursachen, die ,,nicht von der Warenseite“ auf die Preisbildung einwirken, insbesondere über die Beseitigung der Inflation gelangen, so ist es dringend erforderlich, zunächst über das Wesen dieser Inflation und ihren Ursprung selbst ins Reine zu kommen. Ich glaube jedoch nicht, dass diese Klarheit ausschließlich durch die vorwiegend theoretischen Erörterungen über das Geldwesen oder über die Quantitätstheorie, die bis jetzt vorliegen, herbeigeführt werden kann. Ganz bestimmt ist es den meisten Praktikern, Geschäftsleuten, Bankmännern und Wirtschafts- und Finanzpolitikern sehr erschwert, wenn nicht ganz unmöglich, sich in den Denkvorgängen der „Theoretiker“, in den verschiedenen „Ausgangspunkten“ ihrer Lehren zurechtzufinden. Ich glaube vielmehr, dass die wünschenswerte Klarstellung und damit eine geeignete Grundlage für die zu treffenden Maßnahmen nur herbeigeführt werden kann, wenn man mehr von den wirklichen Verhältnissen eines bestimmten Beobachtungsgebietes ausgeht. Auf den nachfolgenden Blättern soll das nachgeholt werden. Es soll der tatsächliche Ablauf der deutschen Kriegsfinanzwirtschaft unter dem Gesichtswinkel ihres Verhältnisses zur Inflation und zu den Preisen dargestellt, soll gezeigt werden, wie die Vermehrung der Kaufkraft der Einzelwirtschaften vor sich gegangen, die Inflation entstanden ist, in welchen Formen diese Inflation zum Ausdruck gelangt ist und in welchem Verhältnis die einzelnen Vorbemerkung. Formen der Inflation zu den Preisen am Gütermarkt (im weitesten Sinne des Wortes) stehen. Im Einzelnen wird daher in dem ersten Teil über: I. Inflation und Geld Vermehrung, II. Inflation und Kriegsanleihe, III. Inflation und Wertpapierhandel (Börse), IV. Inflation und Depositen, V. Inflation und Steuern und VI. Inflation und Wechselkurse zu sprechen sein. Im Anschluss hieran sollen dann im zweiten Teil die Frage nach der Beseitigung der Inflation und die hierbei in Betracht kommenden Maßnahmen erörtert werden.