Notenumlauf und Inflation.

4. Was insbesondere den Notenumlauf in Deutschland während des Krieges anlangt, so darf man nicht übersehen, dass sich das Verhältnis der Noten zur Inflation in dem Augenblick ändert, in dem die die neue Kaufkraft des Reiches verkörpernde Note auf den Empfänger der Zahlungen übergegangen ist. Wie in den folgenden Abschnitten im Einzelnen noch auszuführen ist, kann der Zahlungsempfänger mit der ihm übergebenen Note mancherlei beginnen (Güter oder Dienstleistungen kaufen, Kosten bezahlen, Kriegsanleihe oder Schatzanweisungen erwerben, Einzahlungen bei Banken und Sparkassen machen oder Wertpapiere an der Börse erwerben). In allen diesen Fällen streben aber die Noten — soweit sie nicht zur Verstärkung der Kassenbestände infolge der hohen Preise und des Barzahlungsverkehrs gebraucht werden — nach ihrer Ausgangsstelle zurück, weil sie dem Empfänger keine Zinsen bringen. Nur in dem einen Fall, dass die Noten vom Empfänger eingesperrt, thesauriert werden, können sie noch die zusätzliche geschaffene Kaufkraft oder die erhöhte Kaufkraft der betreffenden Einzelwirtschaft verkörpern, stehen sie noch im unmittelbaren Zusammenhang mit der Inflation, mit der Aufblähung der Kaufkraft der Einzelwirtschaft, freilich nun derart, dass die eingesperrte Kaufkraft im Augenblick vom Gütermarkt ferngehalten wird. Hierauf ist zurückzukommen. In allen übrigen Fällen werden die Noten, die für das Reich bzw. die Reichsbank ein Finanzierungsmittel sind oder waren, in den Händen der Zahlungsempfänger ihrer eigentlichen Zweckbestimmung zugeführt: sie werden hier zum gewöhnlichen Zahlungsmittel, dessen Bedarf sich nach den Gepflogenheiten und Einrichtungen des Zahlungsverkehrs richtet. Sie schlagen sich zu Depositen nieder, wenn sie als Kapitaleinzahlung bei den Banken verwendet oder in den bargeldlosen Zahlungsverkehr überführt werden.

So war der hohe Umlauf an Papiergeld in Deutschland (am 23. September 1918 Noten: 14,4 Milliarden Mark und Darlehnskassenscheine: 8,5 Milliarden Mark, zusammen rund 23 Milliarden Mark) — wenn man von den geringen Mengen der damals erst im Inland thesaurierten Noten absieht — nicht Gegenstand, erst recht nicht Ursache der Inflation. Der Notenumlauf war nicht künstlich aufgebläht, nicht künstlich vermehrt worden, wie vielfach angenommen und ausgesprochen wird. Die Inflation kam unmittelbar selbst nicht einmal in dem gestiegenen Notenumlauf zum Ausdruck, wie auch behauptet wird. Die Menge der in Umlauf befindlichen Noten und Darlehnskassenscheine wurde — bis zur politischen Umwälzung — lediglich oder zum mindesten in der Hauptsache durch die Verkehrserfordernisse bestimmt. Zum Teil war das Papiergeld an die Stelle des aus dem Verkehr gezogenen Goldes (etwa 2,5 Milliarden Mark) und des überflüssig gewordenen Wechsels (durchschnittlicher Friedensumlauf etwa 6 — 7 Milliarden Mark) getreten. Dazu kam das vergrößerte Zahlungsgebiet, der nicht unerhebliche Abfluss von Noten ins Ausland (an Stelle der fehlenden ausländischen Zahlungsmittel) und endlich die Steigerung der Preise, durch die ständig mehr Zahlungsmittel im Verkehr gebunden wurden. Auch die einzelne Wirtschaft ist geneigt, für die täglichen Bedürfnisse größere Barsummen als Mindestkassenbestände vorrätig zu halten, weil alles teurer geworden ist, jede Zahlung heute größere Geldsummen erfordert als früher. Auf den erhöhten Zahlungsmittelbedarf kann die Ausbreitung des bargeldlosen Zahlungsverkehrs einschränkend wirken. Es ist aber nicht zu übersehen, dass auch dieser im Kriege gewaltig zugenommen hat und schließlich eine natürliche Grenze in den täglichen Kleinzahlungen findet, für die nun einmal die Münzen und das Papiergeld das bequemste und auch das wirtschaftlichste Zahlungsmittel sind und bleiben.


So war bis zum Waffenstillstandsangebot der erhöhte Notenumlauf nur die Folge der Inflation, keineswegs die Ursache, selbst nicht einmal — oder nur ganz beschränkt — Gegenstand der Inflation. Die Zahlungsmittelvermehrung stellt nicht das Wesen und den Inhalt der Inflation dar. Und selbst, wenn man unter Geld auch die Depositen oder das gesamte Kreditgeld begreift, so trifft doch diese Erweiterung des Begriffes nicht das, worauf es mir anzukommen scheint. Vermehrt und aufgebläht worden ist nämlich die Kaufkraft der Einzelwirtschaften, die sich auf das Einkommen, aber nicht allein auf dieses, sondern auch auf das Vermögen gründet. Gewiss: für eine große Anzahl von Personen stellt das Einkommen ausschließlich die Kaufkraft der betreffenden Wirtschaft dar, so vor allem bei den zahlreichen Arbeitern und Angestellten. In vielen anderen Fällen tritt jedoch das Vermögen ergänzend hinzu, entweder, indem sich der einzelne bei der Deckung seiner Bedürfnisse von dem Besitz eines Vermögens leiten lässt (Verzicht auf Sparen, Verwendung von Vermögensteilen zum Lebensunterhalt oder zum Luxus), oder indem die einzelne Wirtschaft auf Grund des vorhandenen Vermögens beim Kaufen Kredite in Anspruch nimmt. Das letztere trifft vor allem auf die große Menge der Wirtschaften in Handel und Industrie zu, bei denen die Kaufkraft durchaus nicht mit dem Einkommen oder Gewinn der Unternehmungen identisch zu sein braucht, wenigstens nicht im Augenblick der Ausübung der Kaufkraft am Gütermarkt. Ja, hier kommen Kaufhandlungen vor, die nicht einmal Kreditgeld im gewöhnlichen Sinne in Bewegung setzen, nämlich wenn sie auf Grund von reinem Personalkredit erfolgen.

Für die Preisgestaltung ist aber der Geschäftsabschluss von entscheidender Bedeutung und nicht der Augenblick der Bezahlung. Es erscheint deshalb zweckmäßig, den Begriff der Inflation — wie es hier geschehen ist — ganz von dem Wort Geld zu lösen und darunter die künstlich aufgeblähte Kaufkraft der Einzelwirtschaften bei nicht gleichzeitiger Vermehrung der von dieser Kaufkraft zu erfassende Güter zu begreifen *).

*) Bendixen, Fr.: Das Inflationsproblem, Stuttgart 1917, versteht unter Inflation eine übermäßige Geldschöpfung (S. 13), wobei er in den Begriff Geld auch das Giralgeld einbezieht, ja schließlich alles, was als Geld gilt. Die Geldschöpfung ist nach B. fehlerhaft,“ wenn eine „Emission von Zahlungsmitteln erfolgt, ohne dass auf dem Markte eine Waren Vermehrung stattfindet“ (S. 14). Auch B. betont, dass es bei der übermäßigen Geldschöpfung nebensächlich sei, aus welchem Stoffe die neuen Geldzeichen bestehen (S. 12).
Nachträglich finde ich noch eine Stelle seines Buches, die etwas anders lautet. Auf S. 70 heißt es: ,,Es kommt nicht auf den technischen Vorgang der Schaffung von staatlichen Geldzeichen an, sondern auf die Bildung neuer Kaufkraft . . .“ und „mit dem neugeschaffenen Gelde schafft man neue Kaufkraft, die mit der schon vorhandenen in Wettbewerb tritt ...“ „Man sieht also, wo das Wesen der Sache hegt ...“ B. verwendet also ebenfalls den Begriff: Kaufkraft, freilich noch nicht ganz in dem Sinne, wie er von mir im Text gebraucht wird. Es ist sicher richtig, wenn man darauf hinweist, dass bei der Betätigung der Kaufkraft durch die Einzelwirtschaft, bei der Durchführung der Kaufhandlung immer Geld, sei es Bargeld, Kreditgeld oder sonst irgendetwas anders, in die Erscheinung tritt. Also könnte man für diese Kaufkraft ebenso gut Geld sagen, was B. auch tut; er fasst also den Begriff Geld im weitesten Sinne auf. Trotzdem möchte ich dem Worte Kaufkraft den Vorzug geben. Wenn man vom Sprachgebrauch ausgeht, dann stößt man nicht nur allgemein auf den engeren Begriff des Geldes, sondern auch auf die im Text angedeutete Vorstellung, als ob irgendeine Menge des Geldes mechanisch oder selbsttätig auf die Preise einwirke. In Wirklichkeit wirkt nur die Menge Geld auf die Preise ein, die beim Kauten nötig ist, und dieses Kaufen ist abhängig von der Kaufkraft der Einzelwirtschaften, die sich auf das Einkommen und Vermögen gründet, und dem Kaufwillen, der den einzelnen Waren in ganz verschiedener Weise gegenübertreten kann. Ich glaube daher, dass es der Verdeutlichung dient, wenn man an dem Begriff Kaufkraft in dem im Text umschriebenen Sinne festhält.
Auch Liefmann, a. a. O. S. 60 u. f., wendet sich gegen die Feststellung; dass das Geld oder die Geldvermehrung auf die Preise einwirke „Nicht das Geld, sondern die Einkommen kaufen die Güter“ lautet es an vielen Stellen seines temperamentvoll geschriebenen Buches. Wenn Liefmann meint, dass vor ihm unter Geld nur die realen Zahlungsmittel, die Geldzeichen, verstanden und deshalb die Beziehungen zu den Preisen nicht richtig erkannt worden sind, so wird dieses Urteil in der Unbedingtheit wohl nicht zutreffen. Nichtsdestoweniger sehe ich in der Betonung, dass die Einkommen die Güter kaufen, eine Verbesserung. Wie bei Bendixen im vorhergehenden Abschnitt ausgeführt, gehe ich noch weiter, indem ich mit Dalberg auch das Vermögen heranziehe und von einer auf Einkommen und Vermögen beruhenden Kaufkraft der Einzelwirtschaften spreche. Auf S. 77 hält Liefmann dies für zulässig, ja erst nach seiner Wirtschaftstheorie überhaupt für möglich, weil in seinem Sinne Kapital und Vermögen Geldrechnungsbegriffe darstellen.
Endlich finde ich auch bei Liefmann an einigen wenigen Stellen das Wort Kaufkraft; so auf S. 72: der Staat, der Papiergeld ausgibt, schafft sich eine künstliche Kaufkraft ... S. 90: zusätzliche, nicht aus dem regulären Tauschverkehr stammende Kaufkraft ... S. 96: Nur auf die künstliche Kaufkraft kommt es hinsichtlich des Einflusses auf die Preise an . . . Und S. 72: Hier auf wirtschaftende Subjekte bezogen, ist dieser Ausdruck (nämlich: Kaufkraft), den man bisher nur auf Objekte, bzw. sogar auf den eigentlichen abstrakten Geldbegriff anwendete, unbedenklich ... M. E. ist er aus den angeführten Gründen der allein zutreffende.

Dann kann auch die — vielleicht nicht immer beabsichtigte — schiefe Vorstellung nicht aufkommen, als ob irgendeine Menge Geldes (im engeren, weiteren und weitesten Sinne) mechanisch auf die Preisgestaltung einwirke. Mit der Gleichsetzung von Inflation und aufgeblähter Kaufkraft der Einzelwirtschaften wird verdeutlicht, dass die Einwirkung auf die Preise von dem Subjekt des Käufers und Verkäufers, über diese Personen und durch diese Personen erfolgt. Deren Fähigkeit, zu kaufen und zu verkaufen, hat in der deutschen Kriegswirtschaft eine eigentümliche Ausbildung erfahren, nämlich in der Richtung, dass diese Kauffähigkeit eine außerordentliche Steigerung erfahren hat, dass die Kaufkraft zahlreicher Einzelwirtschaften gegenüber den zu kaufenden Gütern aufgebläht worden ist. Ob aber von dieser Kauffähigkeit und Kaufkraft wirklich Gebrauch gemacht wird, hängt nicht allein von der Menge Geldes ab, über die die Wirtschaften verfügen, sondern auch von dem Willen der die Wirtschaft leitenden Personen, diese gehobene Fähigkeit, zum Kaufen, auch wirklich im gegebenen Augenblick zum Kaufen zu verwenden. Ob und wie die Kaufkraft verwendet wird, ist aber — wie in der wissenschaftlichen Literatur stets betont wird — in erster Linie entscheidend für die Preisgestaltung. Davon ist in den folgenden Abschnitten noch die Rede. Aus den dortigen Ausführungen wird zugleich hervorgehen, in welchem Maße die Scheidung zwischen Einkommen und Vermögen (der Grundlage der Kaufkraft), zwischen Bargeld, Kredit und Kapitalanlage, die im Frieden ein Hin und Her in engen Grenzen hielt, während des Krieges fast vollkommen verwischt worden ist.

Wenn man die Vorgänge so ansieht, dann verliert auch die Gegenüberstellung der zahlenmäßigen Steigerung des Notenumlaufs und der Preise jegliche Bedeutung. Denn erstlich ist der Umlauf an Papiergeld von allerhand Zufälligkeiten abhängig, die man zwar der Art nach mit scharfsinnigen Betrachtungen nachspüren, niemals aber in bestimmte Größen fassen kann. Und selbst wenn man alle zufälligen und sonstigen Abweichungen gegen die Friedenszeit oder gegen einen anderen „normalen“ Zeitpunkt feststellen und zahlenmäßig erfassen könnte, so kann der Rest, der von der gesamten Umlauf Vermehrung übrigbleibt, doch nichts Entscheidendes für irgendein Verhältnis dieses Restes zu den Preissteigerungen aussagen. Denn die Note als solche, das Zahlungsmittel: Papiergeld spielt für die Preisgestaltung nur eine untergeordnete Rolle. Abgesehen von den Gründen auf der Warenseite kommt es bei der Preisbildung vor allem auf die Kaufkraft der Einzelwirtschaften, auf die Betätigung dieser Kaufkraft an. Sie kann dabei Noten in Bewegung setzen, braucht es aber nicht zu tun. Ganz und gar kann keine Rede davon sein, dass etwa die Deckung der Noten auf die Preisgestaltung von Einfluss sei — wie dies in der Tagespresse behauptet worden ist.