Die Geschichte der Justine oder die Nachteile der Tugend
(Justine ou les malheurs de la vertu)
Autor: Marquis de Sade, Donatien-Alphonse-François (1740-1814)
Themenbereiche
Enthaltene Themen: de Sade, Justine, Sadismus, Geschlechtstrieb, Wollüstigkeit, Leidenschaft, Masochismus, Lustmord, Tugendhafte und Bösewichter, Götzenbild, Ausschweifung, Frauen
Sadismus (benannt nach dem franz. Romanschriftsteller Grafen Donatien Alphonse Francois Sade, bekannt unter dem Namen Arquis de Sade, geb. 2. Juni 1740 in Paris, gest. in der Irrenanstalt Charenton 2. Dezember 1814, der diese Zustände ausführlich beschrieben hat), gesteigerter Geschlechtstrieb, wobei der Wollüstigkeit seine Leidenschaft durch Verletzung der gemißbrauchten Person zu befriedigen sucht. In höchstem Grade artet der S. zum Lustmord aus. - Vgl. Jacobus H..., Le marquis de Sade devant la science médicale et la litterature moderne (Par. 1901) Eulenburg, S. und Masochismus (Wiesb. 1902) Quelle: Brockhaus KL 1903
Inhaltsverzeichnis
- Ersten Band.
- Erstes Capitel. - Justines erstes Abenteuer.
- Zweites Capitel. - Neue Angriffe auf Justines Tugend. – Wie der Himmel sie für ihr unverletzliches Pflichtgefühl belohnt.
- Drittes Capitel. - Ein Ereignis, das die Ketten Justines bricht. Neue Gefahren für ihre Keuschheit. Sie wird Zeuge von Niederträchtigkeiten und entschlüpft endlich den Verbrechern, mit denen sie ihr Unglücksstern zusammengeführt hat.
- Viertes Capitel. - Undankbarkeit. – Ein sonderbares Schauspiel. – Eine interessante Begegnung. – Die neue Stelle. – Ueber Religionslosigkeit und Unmoral. – Pietätlosigkeit. – Justines Herzenszustand.
- Fünftes Capitel. - Justine lebte schon zwei Jahre in diesem Hause, immer zwischen Kummer und Hoffnung, als der niederträchtige Bressac, der sich endlich ihrer sicher fühlte, es wagte, sie in seine verruchten Pläne einzuweihen.
- Sechstes Capitel. - Unsere Heldin war 17 Jahre alt, als sie sich Herrn Rodin vorstellte. Ihre nunmehr voller entwickelten Züge waren voll süßen Zaubers, ihre ganze Person besaß trotz des erlittenen Kummers einen Grad der Vollkommenheit, der sie zu einem der schönsten Mädchen machte, die man sich vorstellen kann.
- Zweiter Band.
Einleitung.
Einleitung
Es wäre die Hauptaufgabe der Philosophie, die Mittel aufzudecken, deren sich das Schicksal zur Erreichung seiner Zwecke bedient. Dann müßte sie diesem unglückseligen zweifüßigen Wesen Verhaltungsmaßregeln für seinen dornenvollen Lebensweg aufzeichnen, damit es nicht von den bizarren Launen dieses Schicksals – das man bald Bestimmung, bald Gott oder Vorsehung, dann wieder Zufall oder Vorausbestimmung genannt hat – abhängig sei.
So sehr wir auch durchtränkt sind von einer unnützen, lächerlichen und abergläubischen Ehrfurcht für unsere unsinnigen gesellschaftlichen Gebräuche, wird es doch vorkommen, daß Leute, die entweder grundsätzlich oder aus Neigung oder aus Temperament lasterhaft sind, glauben, daß es besser ist, sich dem Laster hinzugeben, als sich ihm zu widersetzen: Denn wie oft sehen sie nicht, daß Bösewichte für ihre Missetaten nur süßen Lohn ernten?
Werden sie nicht mit einiger Berechtigung sagen, daß die Tugend, so schön sie sein mag, der schlechteste Teil ist, denn man ergreifen kann, wenn sie zu schwach ist, um gegen das Laster anzukämpfen und daß in einem so verderbtem Zeitalter, wie das unsere ist, das Beste darin besteht, so wie die Anderen zu handeln? Bei mehr philosophischer Betrachtung könnten sie auch mit dem Engel Zesrad de Zadig sagen, daß es nichts Böses gibt, aus dem nicht Gutes entstünde und daß sie sich demnach dem Bösen so viel hingeben könnten, wie sie wollten, da das in Wirklichkeit nur eine Form ist, Gutes zu tun? Werden sie nicht hinzufügen, daß, wenn die Tugend vom Unglück verfolgt wird, das Laster gedeiht und beides in den Absichten der Natur liegt, es unendlich besser ist, mit den Bösewichtern zu gehen, die begünstigt sind, als mit den Tugendhaften, die zugrunde gehen.
Um diese Anschauung zu unterstützen – ein längeres Verschleiern ist unnütz – wollen wir der Oeffentlichkeit die Geschichte der tugendhaften Justine berichten. Es handelt sich darum, daß die Dummköpfe endlich aufhören, jenes lächerliche Götzenbild der Tugend anzubeten, das sie nur mit Undankbarkeit belohnt und daß Leute mit Verstand sich umso sicherer fühlen, wenn sie die verblüffenden Beispiele von Glück und Wohlfahrt sehen, die das Laster und die Ausschweifung fast mit unumstößlicher Gewißheit begleiten. Es ist zweifellos peinlich, einerseits die schrecklichen Unglücksfälle schildern zu müssen, von denen die sanfte und empfindsame Frau überhäuft wird, die aufs Beste der Tugend gehorcht und andererseits zeigen zu müssen, wie die Leute glücklich sind, die diese selbe Frau quälen und zu Tode hetzen. Aber der Schriftsteller, der genug Philosoph ist, um die Wahrheit sagen zu können, steht über diesen Unannehmlichkeiten und durch die Notwendigkeit zur Grausamkeit gezwungen, reißt er mit unbarmherziger Hand die abergläubischen Hüllen herab, mit denen die Dummheit die Tugend verschönern will, und zeigt dem unwissenden Mann, den man betrog, das Laster inmitten der Reize und Genüsse, die ihm ununterbrochen folgen.
Solche Empfindungen werden diese Schrift leiten. Und aus diesen Gründen werden wir mit der zynischesten Sprache, den unsittlichsten und gottlosesten Ideen das Verbrechen beschreiben, wie es ist, das heißt, stets triumphierend, immer zufrieden und beglückt und die Tugend wird man gleicher weise immer unglücklich, bekümmert und gepeinigt sehen.
Es wäre die Hauptaufgabe der Philosophie, die Mittel aufzudecken, deren sich das Schicksal zur Erreichung seiner Zwecke bedient. Dann müßte sie diesem unglückseligen zweifüßigen Wesen Verhaltungsmaßregeln für seinen dornenvollen Lebensweg aufzeichnen, damit es nicht von den bizarren Launen dieses Schicksals – das man bald Bestimmung, bald Gott oder Vorsehung, dann wieder Zufall oder Vorausbestimmung genannt hat – abhängig sei.
So sehr wir auch durchtränkt sind von einer unnützen, lächerlichen und abergläubischen Ehrfurcht für unsere unsinnigen gesellschaftlichen Gebräuche, wird es doch vorkommen, daß Leute, die entweder grundsätzlich oder aus Neigung oder aus Temperament lasterhaft sind, glauben, daß es besser ist, sich dem Laster hinzugeben, als sich ihm zu widersetzen: Denn wie oft sehen sie nicht, daß Bösewichte für ihre Missetaten nur süßen Lohn ernten?
Werden sie nicht mit einiger Berechtigung sagen, daß die Tugend, so schön sie sein mag, der schlechteste Teil ist, denn man ergreifen kann, wenn sie zu schwach ist, um gegen das Laster anzukämpfen und daß in einem so verderbtem Zeitalter, wie das unsere ist, das Beste darin besteht, so wie die Anderen zu handeln? Bei mehr philosophischer Betrachtung könnten sie auch mit dem Engel Zesrad de Zadig sagen, daß es nichts Böses gibt, aus dem nicht Gutes entstünde und daß sie sich demnach dem Bösen so viel hingeben könnten, wie sie wollten, da das in Wirklichkeit nur eine Form ist, Gutes zu tun? Werden sie nicht hinzufügen, daß, wenn die Tugend vom Unglück verfolgt wird, das Laster gedeiht und beides in den Absichten der Natur liegt, es unendlich besser ist, mit den Bösewichtern zu gehen, die begünstigt sind, als mit den Tugendhaften, die zugrunde gehen.
Um diese Anschauung zu unterstützen – ein längeres Verschleiern ist unnütz – wollen wir der Oeffentlichkeit die Geschichte der tugendhaften Justine berichten. Es handelt sich darum, daß die Dummköpfe endlich aufhören, jenes lächerliche Götzenbild der Tugend anzubeten, das sie nur mit Undankbarkeit belohnt und daß Leute mit Verstand sich umso sicherer fühlen, wenn sie die verblüffenden Beispiele von Glück und Wohlfahrt sehen, die das Laster und die Ausschweifung fast mit unumstößlicher Gewißheit begleiten. Es ist zweifellos peinlich, einerseits die schrecklichen Unglücksfälle schildern zu müssen, von denen die sanfte und empfindsame Frau überhäuft wird, die aufs Beste der Tugend gehorcht und andererseits zeigen zu müssen, wie die Leute glücklich sind, die diese selbe Frau quälen und zu Tode hetzen. Aber der Schriftsteller, der genug Philosoph ist, um die Wahrheit sagen zu können, steht über diesen Unannehmlichkeiten und durch die Notwendigkeit zur Grausamkeit gezwungen, reißt er mit unbarmherziger Hand die abergläubischen Hüllen herab, mit denen die Dummheit die Tugend verschönern will, und zeigt dem unwissenden Mann, den man betrog, das Laster inmitten der Reize und Genüsse, die ihm ununterbrochen folgen.
Solche Empfindungen werden diese Schrift leiten. Und aus diesen Gründen werden wir mit der zynischesten Sprache, den unsittlichsten und gottlosesten Ideen das Verbrechen beschreiben, wie es ist, das heißt, stets triumphierend, immer zufrieden und beglückt und die Tugend wird man gleicher weise immer unglücklich, bekümmert und gepeinigt sehen.