Fünftes Capitel. - Justine lebte schon zwei Jahre in diesem Hause, immer zwischen Kummer und Hoffnung, als der niederträchtige Bressac, der sich endlich ihrer sicher fühlte, es wagte, sie in seine verruchten Pläne einzuweihen.

Man befand sich gerade auf dem Landgute, und da die erste Kammerzofe Erlaubnis erhalten hatte, den Sommer in Paris zu verbringen, war nur Justine in der Gesellschaft Frau von Bressac's. Eines Abends, bald nachdem sich unser schönes Kind in ihr Zimmer zurückgezogen hatte, klopfte es plötzlich an ihre Türe und Bressac bat für einen Augenblick um Einlaß. Sie wagte nicht zu widersprechen. Er trat ein, verschloß sorgfältig die Türe hinter sich und warf sich dann in einen Lehnstuhl. „Höre, Justine,“ sagte er dann mit ein wenig erregter Stimme, „ich habe dir Dinge von hoher Bedeutung mitzuteilen. Schwöre mir, daß du niemals Mißbrauch damit treiben wirst.“ – „O, mein Herr, können Sie glauben, daß ich je Ihr Vertrauen täuschen werde?“ – „Du weist nicht, welchen Gefahren du dich aussetzen würdest, wenn das der Fall wäre.“ – „Ein schrecklicheres Unglück als der Verlust Ihres Vertrauens könnte mir gar nicht zustoßen.“ – „Nun wohl, meine Teure,“ fuhr Bressac fort und ergriff Justines Hände, „ich habe meine Mutter, die ich verabscheue, zum Tode verdammt ..... und du sollst mir dabei helfen.“ – „Ich!“ rief Justine aus und fuhr vor Schrecken zurück, „das können Sie nicht hoffen ... O! mein Herr, wie haben Sie einen solchen Plan ausdenken können? Nein, nein, verfügen Sie über mein Leben, wenn Sie es benötigen, aber verlangen Sie nicht, daß ich hier bei einem solchen schrecklichen Verbrechen Ihre Mitschuldige werde.“ – „Höre, Justine,“ fuhr Bressac mit sanfter Stimme fort, „ich habe wohl gedacht, daß Du Dich weigern wirst. Aber ich hoffte, Dich – da Du doch Geist besitzt – überzeugen zu können, daß dieses Verbrechen, das Dir so ungeheuerlich scheint, im Grunde genommen eine sehr einfache Sache ist.

Zwei Verbrechen zeigen sich in diesem Falle deinem wenig philosophisch gebildeten Geist: Die Vernichtung eines Geschöpfes, das uns gleicht, und ferner eines Geschöpfes, das uns sogar nahesteht. Was das Verbrechen eines Mordes an seinem Nächsten betrifft, so kannst du beruhigt sein, teures Mädchen: es ist nichts als eine Chimäre; denn den Menschen ist die Macht zu zerstören nicht gegeben, er kann höchstens die Formen verändern. Nun ist aber jede Form in den Augen der Natur gleich und in dem ungeheuren Kreislauf, in dem sich diese Veränderungen abspielen, geht nichts verloren. Folglich kann es doch der Schöpferhand der Natur ganz gleichgiltig sein, ob die Fleischmasse, aus der heute ein Mensch geformt ist, sich morgen in tausend verschiedene Insekten verwandelt. Wenn man mich überzeugen könnte, daß unser Geschlecht für die Natur von solcher Bedeutung ist, daß ihre Gesetze durch eine derartige Umgestaltung verletzt werden, dann erst würde ich glauben, daß der Mord ein Verbrechen ist. So aber sage ich: derjenige, der diese Umgestaltung bewirkt, begeht nicht nur kein Verbrechen, sondern sogar ein gutes Werk. Denn er zerlegt durch diese, fälschlich Verbrechen genannte Handlung die Individuen in ihre Grundstoffe und gibt der Natur dadurch seine schöpfende Energie, die ihr derjenige raubt, der in seinem blöden Stumpfsinn keine solche Umwandlung vorzunehmen wagt. Der Mensch, dieses eitle Geschöpf, ging von der falschen Anschauung aus, er sei das Meisterwerk der Schöpfung und daher könne ein Mord nur eine verbrecherische Tat sein. Aber seine Eitelkeit ändert nicht die Naturgesetze, und es gibt kein Wesen, das nicht im Grunde seines Herzens den heftigen Wunsch empfände, von denjenigen befreit zu werden, die ihm lästig fallen oder deren Tod ihm Vorteile einbringen kann. Und von diesem Wunsch zur Tat, Justine, kann doch der Schritt nicht so groß sein. Ueberdies mußt du bedenken, teures Mädchen, daß wir nichts empfinden, was nicht der Natur zur Erreichung ihrer Ziele dient. Benötigt sie neue Wesen, so flößt sie uns Liebe ein. Wird ihr die Zerstörung notwendig, so pflanzt sie in unsere Herzen Rachedurst, Geiz, Wollust und Ehrgeiz. Aber sie arbeitet immer nur für sich selbst und wir sind nur die schwachen Werkzeuge ihrer Launen.


Im Weltall ist Alles den Gesetzen der Natur unterworfen. Beachten wir wohl, daß das Leben des Menschen von ihnen ebenso abhängt, wie das der Tiere. Beide Formen des Lebens sind den allgemeinen Gesetzen des Stoffes und der Bewegung Untertan. Wie kann man nur sagen, daß der Mensch über das Leben der Tiere verfügen kann, aber über das seines Nächsten kein Recht hat? Wie kann man solche Sophismen anders rechtfertigen als durch die Eigenliebe und den Stolz. Alle Tiere sind in der Welt auf ihre eigene Klugheit angewiesen und werden gleicherweise bald Mörder bald Opfer. Sie haben alle gleichmäßig das Recht erhalten, in die Tätigkeit der Natur einzugreifen und sie üben es aus, so gut es ihnen möglich ist. Wenn man also die richtigen Konsequenzen zieht, wird es klar, daß jeder Mensch das Recht besitzt, über das Leben seines Nächsten zu verfügen und von einer Macht Gebrauch zu machen, mit der ihn die Natur ausgestattet hat. Nur die Gesetze dürfen das aus zweierlei Gründen nicht tun. Erstens, weil sie nicht die Berechtigung dazu im Egoismus haben, der die mächtigste und rechtlichste Entschuldigung ist, und zweitens, weil sie immer kalten Blutes und mit freiem Willen handeln, während der Mörder immer von seinen Leidenschaften hingerissen wird und immer das blinde Werkzeug einer Natur ist, die ihn gegen seinen Willen zwingen kann. Daraus geht hervor, daß die Hinrichtung eines Verurteilten einem philosophisch geschulten Geist als ein Verbrechen erscheint, während der Dummkopf Ehrfurcht vor dem Gesetz empfindet. Bei einem Mord aus Leidenschaft aber sieht er nur Gerechtigkeit walten, wo der Stumpfsinn nur Verbrechen und Niederträchtigkeit bemerken kann.11

O, Justine, überzeuge dich doch, daß das erhabene Leben des Menschen für die Natur von keiner größeren Bedeutung ist, als das einer Auster. Wenn dem nicht so wäre, dann dürfte ich auch nicht wagen, mich zu widersetzen, wenn sie zerstören will, und es wäre ein ebenso großes Verbrechen, wenn ich den Stein abwenden wollte, der meinen Nachbarn zerschmettern soll, wie wenn ich ihm den Dolch in die Brust stieße. In beiden Fällen würde ich ja dem Walten der Natur entgegentreten. Ein Haar, ein Fliege, ein Insekt können einen kräftigen Menschen töten, dessen Leben uns von solcher Bedeutung scheint. Liegt also in dem Glauben, unsere Leidenschaften könnten über eine von so nichtigen Ursachen abhängige Sache rechtmäßig verfügen, ein Unsinn? Wie? Ich wäre nicht strafbar, wenn ich den Lauf des Nils oder der Seine hemmen würde und ich bin es, wenn ich einige Unzen Blut aus seinen natürlichen Kanälen entferne? Welch ein Wahnsinn! Wenn das Individuum, das ich auflösen will, tot sein wird, werden die Bestandteile, aus denen es zusammengesetzt ist, auch weiterhin ihren Platz im Weltall haben und werden der großen Maschine ebenso nützlich sein wie vorher, als sie noch besagtes Wesen bildeten. Ob dieser Mensch nun lebt oder tot ist, nichts ändert sich im Weltall und nichts geht verloren. Es ist also geradezu eine Lästerung, wenn man sagt, daß ein so vergängliches Geschöpf wie der Mensch überhaupt die Weltordnung stören kann. Das hieße an ihm eine Macht voraussetzen, die er unmöglich von seiner Allmutter erhalten haben kann. Ja, ich gehe noch weiter: Wenn der Mord eine Missetat ist, dann ist er es in allen Fällen, und die Nationen, die Menschen zum Massenmord hinausstellen, sind entweder auch schuldig oder auch unschuldig. Handeln sie verbrecherisch, dann kann ich es nach ihrem Beispiel auch sein; denn die Summe der Leidenschaften und der Interessen einer Nation ist nur das Ergebnis aus den Leidenschaften und Interessen der Einzelnen. Ist ihre Handlung nicht verbrecherisch, dann kann ich doch ganz sicher ihr Beispiel nachahmen, so oft es mein Interesse erfordert. Und wofür halten sie dann das Wesen, das behauptet, ich hätte ein Verbrechen begangen?

Nein, nein, Justine. Die Natur läßt nicht in unseren Händen die Möglichkeit, Missetaten zu begehen, wenn das ihren Gang stören könnte. Was sind wir denn, daß sie in uns die Fähigkeit hineingelegt haben sollte, ihr zu schaden? Verträgt sich diese unsinnige Annahme mit der erhabenen Sicherheit, mit der sie ihre Ziele verfolgt? Heißt es aber der Natur schaden, wenn man sie nachahmt? Kann sie dadurch verletzt werden, wenn der Mensch seinem Nebenmenschen das zufügt, was sie selbst jeden Tag tut? Da doch erwiesen ist, daß sie nur nach Zerstörungen weiter erzeugen kann, so handelt man doch nach ihrer Absicht, wenn man ununterbrochen zerstört. Wird nicht unter diesem Gesichtspunkte der Mensch, der am leidenschaftlichsten und am häufigsten mordet, ihr bester Diener sein? Die hervorstechendste und schönste Eigenschaft der Natur ist die Bewegung, die unausgesetzt in ihr herrscht. Aber diese Bewegung ist nur eine ununterbrochene Folge von Verbrechen. Nur durch die Zerstörung erhält und erneuert sie sich. Andererseits muß ein untätiges, faules, das heißt ein tugendhaftes Wesen in den Augen der Natur zweifellos etwas ganz Unvollkommenes sein, da sein Streben nach dem Frieden und der Ruhe hinzielt, die unzweifelhaft wieder Alles in das Chaos zurücktreiben würde. Das Gleichgewicht muß erhalten werden, und das geschieht nur durch Verbrechen. Das Verbrechen liegt also in den Absichten der Natur und kann sie daher nicht verletzen. Wen aber sonst könnte es verletzen, wenn nicht sie?

Aber das Geschöpf, das ich vernichte, ist meine Mutter. Wir wollen nun von diesem zweiten Gesichtspunkte aus den Mord betrachten.

Der Grund, weshalb sich eine Frau zu einem ehelichen Beischlaf entschließt, ist sicherlich nur in der zu erwartenden Wollust zu suchen. Wenn diese Tatsache feststeht, so frage ich, worauf die Dankbarkeit im Herzen des aus dieser egoistischen Handlung hervorgegangenen Wesens beruhen soll? Hat die Mutter dabei für sich oder für ihr Kind gearbeitet? Ich glaube nicht, daß man das überhaupt in Frage ziehen kann. Jedoch das Kind wird geboren und die Mutter nährt es. Sollen wir in dieser zweiten Handlung den Grund für die Dankbarkeit suchen? Nein, sicherlich nicht. Wenn die Mutter ihrem Kind diesen Dienst leistet, so geschieht es sicherlich nur wegen des natürlichen Gefühls, das sie dazu treibt, sich einer Drüsenabsonderung zu entledigen, die ihr sonst gefährlich werden könnte. Sie ahmt bloß das Tierweibchen nach, das auch durch eine Stauung der Milch in Todesgefahr geraten kann. Beide können sich aber der Milch nicht anders entledigen, als daß sie das Junge saugen lassen, das seinerseits wieder durch eine ähnliche Empfindung zur mütterlichen Brust getrieben wird. So leistet nicht die Mutter dem Kinde einen Dienst, wenn sie es nährt, sondern es ist das Gegenteil der Fall, da die Mutter ohne Mithilfe des Kindes zu künstlichen Mitteln greifen müßte, deren Anwendung nicht ungefährlich ist. Da haben wir nun das Kind geboren und genährt, ohne daß wir noch einen Grund zur kindlichen Dankbarkeit gefunden hätten. Wollen Sie mir aber die Pflege vorhalten, die man in der Kindheit genießt? Ah, sehen Sie in den Bemühungen keinen anderen Grund als den Mutterstolz. Die stumme Natur befiehlt der Menschenmutter nicht mehr als dem Tierweibchen. Was über die für das Leben des Kindes und für die Gesundheit der Mutter nötige Mühewaltung geht, ist nicht mehr von der Natur eingegeben, denn das Kind kann auch allein aufwachsen und kräftig werden. Ihre Unterstützung ist vollkommen überflüssig und nur aus Gewohnheit und Eitelkeit verlängern die Frauen ihre Sorgfalt. Aber statt daß sie dem Kinde nützlich sind, schwächen sie im Gegenteile seinen Instinkt und bewirken, daß es seine Energie verliert. Ich frage Sie nun, ob ein solches Kind, dessen Mutter eine Mühe verschwendet, von der es nicht nur nichts hat, sondern die ihm sogar schadet, sich in Dankbarkeit verpflichtet fühlen soll? Sie werden zugeben, daß eine Bejahung dieser Frage der höchste Unsinn wäre. Nun ist aber das Kind im Alter der Reife und noch immer haben wir keinen Grund zu einer Anhänglichkeit gefunden; ja, wenn es nunmehr seinen Gedanken nachgeht, kann es nur von Empfindungen des Hasses beseelt werden für die, der es das Licht der Welt verdankt. Sie ist die Urheberin seiner Schwächen, der schlechten Eigenschaften seines Blutes, seiner Laster wie überhaupt eines Daseins, das nur zum Unglücke bestimmt ist. Liegen aber in diesen Empfindungen Grund zur Dankbarkeit, oder ist in ihnen vielleicht mehr Anlaß zu einer starken Abneigung gegen eine solche Frau vorhanden? Das Kind muß seine Mutter hassen, und da die Frucht des Hasses der Racheduft ist, und dieser wieder den Mord zur Folge hat, so rate ich jedem, der in der glücklichen Lage ist, über die Lebenstage seiner Mutter verfügen zu können, sie mitleidlos hinzuopfern. Er begeht damit keine schlimmere Tat, als wenn er ein anderes Geschöpf ermorden würde, ja er hat im ersteren Fall sogar noch die Entschuldigung für sich, vom Haß und der Abneigung angetrieben worden zu sein. Machen denn die Tiere so viel Federlesens mit den Wesen, denen sie das Licht der Welt verdanken? Nein, sie befriedigen sich an ihnen und töten sie, ohne daß sich die Natur auch nur rührt.

Wenn Sie einmal diese Philosophie in sich aufgenommen haben werden, werden Sie einsehen, daß Sie in der Welt allein dastehen, daß alle Fesseln, mit denen Sie sich selbst angeekelt haben, nur Menschenwerk sind. Ein Sohn glaubt seinen Vater zu benötigen und der Vater seinerseits glaubt wieder, den Sohn nötig zu haben. Das ist der Kitt für diese sogenannten heiligen Bande. Aber ich bestreite, daß man ihn in der Natur finden kann. Lasse also deine Vorurteile beiseite, Justine, und helfe mir. Dein Glück soll dann gemacht sein.“

„O, mein Herr,“ erwiderte das arme Mädchen ganz erschreckt, „die Gleichgiltigkeit, die Sie der Natur zuschreiben, ist nur das Resultat der Spitzfindigkeiten ihres Geistes. Horchen Sie eher auf die Stimme Ihres Herzens, die sicherlich alle diese falschen Ansichten verdammen wird. Ich weiß, die Leidenschaften verblenden Sie jetzt; aber sobald sie nicht mehr von ihnen aufgewühlt werden, werden Sie von schrecklichen Gewissensbissen erfaßt werden. O, mein Herr, hegen Sie und achten Sie das Leben dieser zärtlichen und teuren Freundin. Opfern Sie es nicht hin, Sie würden vor Verzweiflung umkommen. Jeden Tag und jeden Augenblick würden Sie diese geliebte Mutter vor Augen haben, die ihr blinder Zorn in die Gruft gebracht hat. Sie würden ihre klagende Stimme hören, wie sie wieder die süßen Worte spricht, die die Lust Ihrer Kindheit bildeten. Sie würde Ihnen im Wachen und Träumen erscheinen und mit ihren blutenden Händen die Wunden öffnen, die Sie ihr zugefügt haben. Für Sie gäbe es von da ab keinen Glücksstrahl mehr auf Erden. Jedes Vergnügen wäre für Sie befleckt, alle Ihre Gedanken würden sich verwirren. Eine himmlische Hand, deren Macht Sie verkennen, würde an Ihren Tagen das Leben rächen, das sie zerstört haben, und ohne daß Sie die Frucht Ihres Verbrechens genießen könnten, kämen Sie an den tötlichen Gewissenbissen um.“

Justine brach bei diesen letzten Worten in Tränen aus. Sie kniete vor dem grausamen Bressac, der mit aus Wut und Verachtung gemischten Empfindungen zuhörte. Sie beschwor ihn bei allem was ihm heilig sei, einen solchen Plan fallen zu lassen. Aber sie kannte das Ungeheuer noch nicht, mit dem sie es zu tun hatte. Sie wußte noch nicht, daß alles, was die Tugend und das Zartgefühl in solchen Fällen vorbringen können, nur dazu dient, das Herz des Verbrechers wie mit Nadelstichen weiter aufzustacheln, wußte noch nicht, daß solche ausschweifende Menschen selbst die Strafen mit Wollust genießen, die ihnen die menschliche Vergeltung auferlegt; daß sie das Schaffot als eine Art Ruhmesthron betrachten und darauf mit demselben Mut sterben, der sie beseelte, als sie ihre Verbrechen und Mordanschläge begingen. So sieht der Mensch auf der letzten Stufe wohlüberlegter Verrücktheit aus und auf ihr stand auch Bressac. Er erhob sich kalt: „Ich sehe wohl,“ sagte er zu Justine, „daß ich mich in dir getäuscht habe. Das ärgert mich weniger um mein als um deinetwillen. Jedoch das schadet nichts, ich werde schon andere Mittel finden und du wirst viel verloren haben, ohne daß deine Herrin daraus Nutzen zöge!“

Diese Drohung gab den Gedanken Justines eine andere Richtung. Wenn sie auf das Verbrechen nicht eingehen würde, das man ihr vorschlug, setzte sie selbst sich der Gefahr aus und ihre Herrin würde doch unfehlbar ums Leben kommen. Wenn sie aber die Mitschuld auf sich laden wollte, schützte sie sich vor Bressacs Zorn und konnte sicher die Marquise auch retten. Diese Ueberlegung war das Werk eine Augenblickes und bestimmte sie dazu auf alles einzugehen. Aber da eine so rasche Sinnesänderung den Argwohn Bressac hervorgerufen hätte, zögerte sie noch einige Zeit und ließ sich von ihm seine Lehren noch einigemale wiederholen. Nun tat sie so, als ob sie nichts mehr zu erwidern wüßte, Bressac hielt sie für überzeugt und umarmte sie stürmisch. Welche Freude wäre das für Justine gewesen, wenn er sie aus anderen Gründen in die Arme geschlossen hätte. Aber dafür war es zu spät, denn das Betragen dieses jungen Mannes hatte in ihrem schwachen Herzen alle Gefühle für ihn vernichtet und sie sah jetzt in ihrem ehemaligem Idol nur mehr einen Verbrecher, der unwürdig war, auch nur für einen Augenblick darin zu herrschen.

„Du bist die erste Frau, die ich umarme,“ sagte Bressac, indem er sie mit Feuer an sich presste, „du bist entzückend, mein teures Kind; so hat also ein Lichtstrahl der Philosophie deinen Geist erleuchtet? O, Justine, endlich siehst du klar und begreifst die Nichtigkeit des Verbrechens. Komm, du bist mein Engel und ich weiß nicht woran es liegt, daß ich nicht sogleich meinen Geschmack ändere.“ In der Tat warf sie Bressac, der mehr durch die sichere Aussicht auf Verwirklichung seines Planes als durch die Reize Justines aufgeregt war, auf das Bett, schürzte sie, trotz ihres Sträubens bis über die Hüften auf und rief dann aus: „Teufel, da hätten wir den schönsten Popo der Welt, wenn sich nicht unglücklicherweise eine Scheide daneben befinden würde. Welch' unbezwingliches Hindernis!“ Dann deckte er sie wieder zu und fuhr fort: „Komm, Justine, besprechen wir jetzt unsere Tat. Wenn ich dir zuhöre erwachen in mir Illusionen, aber wenn ich dich ansehe, werden sie wieder zerstört.“ Trotzdem stand sein Glied so steif, daß Justine es in die Hand nehmen und mit ihren hübchen Fingern befühlen mußte. „Meine tapfere Freundin,“ setzte er fort, „du wirst also meine Mutter vergiften. Hier ist das Gift, das du in das Heilwasser werfen sollst, das sie jeden Morgen zur Erhaltung ihrer Gesundheit trinkt. Das Pulver ist sicherwirkend und hat keinerlei Geschmack. Ich habe schon tausende Male Versuche damit angestellt.“ – „Tausende Male, mein Herr?“ – „Ja, Justine, ich bediene mich häufig dieses Mittels, entweder weil ich mich mancher Leute entledigen will, die mir lästig fallen oder weil mir ihr Tod wollustige Genüsse bereitet. Du wirst es tun, Justine, ja, du mußt es tun. Ich schütze dich vor allen Folgen und gebe dir am Tage der Ausführung als Belohnung eine jährliche Rente von 2000 Talern.“ Der Kontrakt wurde ohne Angabe der Gründe unterzeichnet und Bressac klingelte. Ein schöner Knabe erschien. „Was wollen Sie, gnädiger Herr?“ – „Deinen Hintern, mein Kind. Ziehen Sie ihm die Hosen herunter, Justine, kitzeln Sie mein Glied und dann führen Sie es in das Loch ein!“ Die Befehle Bressacs wurden befolgt, er fickte seinen Mann und entlud wie ein Wütender. „O, Justine,“ sagte er beim hinausgehen, „diese Huldigung galt dir. Dein Altar konnte sie, wie du weißt, nicht empfangen, aber nur durch deine Zustimmung entflammte die Fackel und sie hat nur für dich gebrannt.“

Während dieser Vorbereitungen ereignete sich etwas so Seltsames, etwas, das so gut geeignet ist, die Seele unseres Ungeheuers zu enthüllen, daß wir nicht umhin können, unsere Erzählung einen Augenblick lang zu unterbrechen.

Am übernächsten Tage, nachdem der erwähnte verbrecherischer Vertrag abgeschlossen worden war, er fuhr Bressac, daß ein Onkel, an den er gar nicht gedacht hatte, ihm eine Rente von 50.000 Talern hinterlassen habe. „O Himmel,“ sagte Justine zu sich, „straft die Hand des Ewigen auf diese Art den geplanten Anschlag?“ Aber bald bereute sie diesen Zweifel an der Vorsehung, sie kniete nieder und bat um Verzeihung. Ihre Hoffnung richtete sich nunmehr darauf, daß dieses unerwartete Ereignis wenigstens die Pläne Bressacs ändern würde. Aber wie groß war ihr Irrtum! „O, meine teure Justine,“ rief er aus, als er noch am selben Abend in ihr Zimmer trat, „wie überschüttet mich doch das Glück! Ich habe dir schon oft gesagt, daß das Verbrechen nur Vorteile mit sich bringt.“ – „Wie, mein Herr?“ fuhr Justine fort, „diese Erbschaft, auf die Sie nicht zählten, sie wurde ... ja, mein Herr, Ihre Mutter hat mir Alles erzählt; ihr Onkel hätte das Geld Ihrer Mutter zukommen lassen, wenn sie ihn nicht anders bestimmt hätte. Sie wissen, er liebte Sie nicht. Sie allein überredete ihn zu dieser letzten Verfügung und Ihre Undankbarkeit ...“ – „Du machst mich lachen,“ unterbrach sie Bressac, „wozu die Dankbarkeit? Wirst du denn nie begreifen, Justine, daß man dem Wohltäter nichts schuldet, weil er die Befriedigung in seiner Tat findet? Warum soll ich mich jemandem für das Vergnügen verpflichtet fühlen, das er geruhte, sich selbst zu bereiten? Und ich sollte meine Pläne deswegen ändern? O, Justine, wie schlecht du mich kennst! Soll ich dir noch mehr sagen. Der Tod jenes Onkels ist meine Arbeit. Ich versuchte, das für die Schwester bestimmte Gift zuerst an dem Bruder, Nein, nein, Justine, beeilen wir uns, morgen, höchstens übermorgen möchte ich dir schon ein Viertel deiner Rente auszahlen können.“ Justine schauderte, verbarg aber ihre Bestürzung, denn sie sah, daß es bei einem solchen Manne klug sei, ihre Rolle weiter zu spielen. Es blieb ihr jetzt noch der Weg einer Anzeige offen; aber nichts in der Welt hätte die gefühlvolle Justine dazu bestimmen können, das eine Verbrechen durch ein neues zu verhindern. Sie beschloß daher, ihre Herrin zu warnen. Dies schien ihr der beste Ausweg.

„Madame,“ sagte sie zu ihr am nächsten Tage nach der Besprechung mit dem jungen Grafen, „ich habe Ihnen von einer ungemein wichtigen Sache Mitteilung zu machen. Aber so sehr auch Ihr Interesse dabei im Spiele steht, müßte ich doch schweigen, wenn Sie mir nicht Ihr Wort im voraus gäben, Ihrem Sohne gegenüber nichts merken zu lassen. Sie können die Mittel ergreifen, die Ihnen nötig dünken, aber Sie dürfen kein Wort davon sprechen.“

Frau von Bressac, welche glaubte, es handle sich um eine der gewöhnlichen Verfehlungen ihres Sohnes, gelobte Stillschweigen und Justine erzählte Alles. „Der Schuft!“ rief die unglückliche Mutter aus. „War ich nicht immer um sein Wohl bedacht. Ah, Justine, beweise mir die Wahrheit, damit in meinem verblendeten Herzen jedes Gefühl erstickt werde, das ich noch für dieses Ungeheuer bewahrt habe.“ Nun zeigte Justine das Gift: einen besseren Beweis konnte man nicht geben. Aber Frau von Bressac, die noch auf eine Täuschung hoffte, wollte zuerst eine Probe damit machen. Sie gab einem Hund ganz wenig davon ein und das arme Tier starb zwei Stunden nachher unter schrecklichen Krämpfen. Nun konnte Frau von Bressac nicht länger zweifeln und faßte ihren Entschluß. Sie befahl Justine ihr den Rest des Giftes zu geben und schrieb auf der Stelle einem Verwandten, Herrn von Souseval, sich mit einem Haftbefehl ausrüsten zu lassen und dann so bald als möglich damit herzukommen, um sie von einem Ungeheuer zu befreien, das sich so grausam gegen ihr Leben vergehen wollte.

Jedoch das scheußliche Verbrechen sollte doch seinen Gang nehmen. Das Tier, das man zur Probe benützt hatte, verriet alles. Bressac hörte das Winseln und fragte, was man ihm getan habe. Man konnte ihm nichts Bestimmtes erwidern und von diesem Augenblick an wuchs sein Argwohn. Er sagte kein Wort, schien aber sehr erregt. Justine teilte ihrer Herrin davon mit, die jedoch nichts anderes ausdenken konnte, als den Eilboten noch mehr zu drängen und den Gegenstand der Sendung wenn möglich noch besser zu verbergen. Sie sagte ihrem Sohne, daß sie an Herrn von Souseval schickte, damit er die Erbschaft des Onkels in Empfang nehme, denn wenn niemand da sei, könnten leicht Prozesse entstehen. Sie fügte hinzu, sie haben ihren Verwandten überdies gebeten herzukommen um ihr von dem Ergebnis Mitteilung zu machen.

Aber Bressac konnte zu gut in den Mienen seiner Mutter und Justines bemerken, was vorging. Unter dem Vorwand jagen zu wollen entfernte er sich aus dem Schloß. Er legte sich auf die Lauer nach dem Eilboten, fing ihn ab und da dieser dem Sohn mehr zugetan war, wie der Mutter, machte er keine Schwierigkeiten und gab die Brieftasche heraus. Bressac überzeugte sich nun von dem Verrat Justines, gab dem Eilboten 100 Lonis mit dem Befehl, niemals wieder zu seiner Mutter zurückzukehren und kehrte rasend vor Zorn nach dem Schloß zurück. Dort schickte er die ganze Dienerschaft nach Paris und behielt nur Jasmin, Josef und Justine zurück. Die Tore wurden geschlossen, die Riegel vorgeschoben und Wachthunde an allen Eingängen angebunden.

„Ein großes Verbrechen ist soeben begangen worden,“ sagte Bressac, „und ich muß die Urheber herausfinden. Sie werden alles erfahren, meine Freunde, sobald ich den Schuldigen herausgefunden haben werde. Scheußliches Geschöpf,“ fuhr der junge Mann fort, indem er an Justine herantrat, „du hast mich verraten. Aber du wirst selbst in die Grube fallen, die du mir gegraben hast. Weshalb versprachst du! mir den Dienst, den ich von dir verlangte, da du doch die Absicht hattest, mich zu hintergehen? Und wieso konntest du glauben, tugendhaft zu handeln, indem du die Freiheit und selbst das Leben deines Wohltäters aufs Spiel setztest? Du hättest dich weigern, sollen, Hure, und nicht zustimmen dürfen, um mich dann zu verraten. Was hast du durch deine Falschheit getan, dummes Ding? Du hast dein Leben aufs Spiel gesetzt, ohne das deiner Herrin zu retten; denn sie wird trotzdem sterben und zwar vor deinen Augen. Ich will dich überzeugen, Justine, daß der Weg der Tugend nicht immer der beste ist.“ Bressac eilte jetzt zu seiner Mutter. „Sie sind gefangen, Madame,“ sagte das Ungeheuer, „vielleicht wäre es für Sie, die Sie doch von meinem Haß und Plänen wußten, besser gewesen, Sie hätten einfach die bittere Pille hinuntergeschluckt. Sie wollten einem sanften Tod entgehen und haben nun einen grausamen zu erwarten. Verstellen Sie sich nicht länger, Madame,“ – „Barbar, wessen beschuldigst du mich?“ – „Lesen Sie Ihren Brief.“ – „Mußte ich mich nicht verteidigen, wenn du nach meinem Leben trachtetest?“ – „Nein, du bist nur ein unnützes Wesen auf Erden. Dein Leben gehört mir und das meinige ist heilig.“ – „O, Schurke, die Leidenschaft verblendet dich.“ – „Sokrates trank ohne Widerstreben das Gift, das man ihm reichte. Auch dir hat man welches angeboten; warum hast du es nicht genommen?“ – „O, mein teurer Sohn, wie kannst du diejenige so grausam behandeln, die dich in ihrem Schoß getragen hat?“ – „Dieser Dienst ist in meinen Augen nichtig. Als du an meiner Erzeugung arbeitetest, dachtest du nicht an mich, du wolltest nur dein Loch befriedigen. Das ist in meinen Augen kein Verdienst. Folge mir, Hure, wir wollen nicht länger schwatzen.“ Bei diesen Worten ergriff er sie und zerrte sie an den Haaren in einen kleinen mit Cypressen bepflanzten Garten, den hohe Mauern umgaben, und in dem die Dunkelheit einer Gruft mit der Stille des Todes gepaart war. Dort erwartete schon Justine zitternd ihr Schicksal. Was sich den Augen der Frau von Bressac zuerst darbot, war auf der einen Seite eine breite Gruft, die auf sie wartete, und auf der anderen vier ungeheure Doggen, die vor Wut schäumten, da man sie seit der Entdeckung des Verbrechens mit bestimmten Absichten hatte fasten lassen. Als sie an diesem Schreckensort anlangten, schürzte Bressac selbst seiner Mutter die Röcke auf und seine unreinen Hände richteten sich nach den keuschen Reizen dieser ehrwürdigen Frau. Der Busen, an dem er gesogen hatte, erweckte jetzt seine Glut. „Putz weg,“ sagte er zu einer der Doggen und wies auf eine der Brüste. Der Hund sprang an und unter seinen Zähnen spritzte das Blut nach allen Seiten hervor. „Hier auch,“ fuhr Bressac fort, indem er auf die Scham hinwies. Ein neuer Biss folgte. „Ich hoffe, sie werden sie zerreißen und verschlingen,“ fuhr das Ungeheuer fort, „binden wir sie an und beobachten wir die Wirkung.“ – „Wie, du willst sie nicht in den Hintern ficken,“ frug Jasmin. „Steck ihr doch dein Glied in den Popo, ich werde ihr dazwischen die Arschbacken zerfetzen lassen.“ – „Eine glänzende Idee!“ rief Bressac aus und alles geschieht so, wie Jasmin sagte. „Laß ihr auch noch die Brüste zerreißen, während ich sie ficke,“ sagte Bressac zu seinem Liebling, „und Josef soll mich im Hinter bearbeiten und dabei Justine abgreifen.“ Welch' ein Schauspiel folgte nun! Du allein konntest es sehen, großer Gott! Und du ließest nicht deinen Donner oder deinen Blitz die Welt erschüttern?

„Hören wir auf, ich würde sonst entladen,“ sagte der Schurke nach einer kurzen Arbeitszeit, „und binden wir diese Hure an einen Baum.“

Er zog sein Glied heraus und band sie selbst mittels eines Strickes derart an, daß ihr die Arme frei blieben und sie sich in einen Abstand von ungefähr sechs Schritten bewegen konnte. „Ach, die schönen Arschbacken,“ sagte der Verbrecher, indem er den stark blutenden Popo seiner unglücklichen Mutter nochmals beastete, „welch wundervolles Frühstück für meine Hunde! Hure! Hunde haben mich gewarnt und Hunde werden dich strafen. Vorwärts, Jasmin, stachle die Tiere auf und du Josef nimm Justine von hinten vor; sie wird nachher zerrissen werden. Diese treue Dienerin muß desselben Todes sterben, wie ihre teure Herrin; dasselbe Grab soll sie vereinigen. Du siehst auch, daß ich es in Anbetracht dessen sehr tief graben ließ.“ Die zitternde Justine weinte und bat um Gnade, allein ihre Henker antworteten auf ihr Flehen nur mit schallendem Gelächter. Nun stürzten die Hunde auf die unglückliche Frau Bressac los. Vergebens stieß sie sie zurück, vergebens machte sie Anstrengungen, sich ihren grausamen Zähnen zu entwinden, alle ihre Bewegungen stachelten die Tiere nur noch mehr an. Bäche von Blut färbten den Rasen. Währenddessen wurde Jasmin von Bressac und Justine von Josef in den Hintern gefickt. Die Schreie unseres armen Waisenkindes mengten sich schmerzvoll in die Klagerufe ihrer Herrin; bis Frau Bressac endlich dem Tode nahe war, Justine in Ohnmacht fiel und unsere Verbrecher von den süßesten Wonnen belohnt wurde, die die Natur überhaupt zu vergeben hat.

„Vorwärts, bringen wir diese Puten ins Schloß,“ sagte Bressac, „der einen muß man den Garaus machen und die andere endlich mit ihrer Zukunft bekannt machen.“ Man trug Frau von Bressac in ihre Gemächer, warf sie auf das Bett und da sie noch lebte, bewaffnete ihr unwürdiger Sohn die Hand Justines mit einem Dolch, ergriff ihren Arm und führte das Eisen nach dem Herzen seiner armen Mutter. Frau von Bressac starb, indem sie Gott um Gnade für ihren Sohn bat.

„Du siehst wohl, welch' entsetzlichen Mord du eben begangen hast,“ sagte der Barbar zu der halb bewußtlosen, blutbedeckten Justine, „du wirst dafür schon bestraft, du wirst gerädert und lebend verbrannt werden.“

Damit stieß er sie in ein benachbartes Zimmer, sperrte sie dort ein, indem er den blutenden Dolch neben sie hinlegte. Dann öffnete er die Tore, spielte den Verzweifelten, schrie, daß ein Ungeheuer eben seine Mutter getötet habe, daß er die Verbrecherin noch mit der Waffe in der Hand eingesperrt halte und erbat flehend die Hilfe der Gerechtigkeit.

Allein ein schützender Gott rettete diesmal die Unschuld, denn Justines Maß war noch nicht voll. Bressac glaubte die Türe gut verschlossen zu haben; allein sie stand offen und Justine benützte den Augenblick, als alles im Hof zusammenlief.

Sie enteilte rasch, flüchtete durch den Garten, dessen Türe offen stand und erreichte bald den nahen Wald.

Schmerzerfüllt warf sie sich unter einen Baum und begoß den Rasen mit ihren Tränen.

„O, mein Gott,“ rief sie aus. „Du hast es so gewollt. So stand es in deinem erhabenen Willen. Verfüge über mich, mein Herr. Ich habe noch lange nicht so viel gelitten, wie du anders für uns littest. Wenn ich nur eines Tages des Sohnes würdig bin, den du dem Schwachen versprichst!“

Die Nacht senkte sich herab und Justine wagte nicht weiter zu gehen. Sie fürchtete auf der Flucht aus einer Gefahr in eine andere zu geraten. Um sich blickend bemerkte sie, daß sie sich in demselben Wäldchen befand, in dem sie vor zwei Jahren in einer ebenso peinvollen Lage übernachtet hatte. Sie legte sich nieder und verbrachte eine ungemein qualvolle Nacht. Der Tag war kaum erwacht, als ihre Unruhe sich verdoppelte. Solange sie sich in der Umgegend des Schlosses befand, war sie in einer gefahrvollen Lage. Sie stand daher rasch auf und flüchtete mit großen Schritten nach der nächsten menschlichen Ansiedlung. Bald erreichte sie den Marktflecken Saint-Marcel der fünf Meilen von Paris entfernt ist. Ein wunderschönes Haus war das erste, was sie beim Eintritt in die Ortschaft sah. Auf ihre Erkundigung sagte man ihr, daß es eine berühmte Schule sei, in die Kinder beiderlei Geschlechts aus der ganzen Umgegend kamen, weil sie hier eine vorzügliche Erziehung genossen „Gehen Sie nur hin,“ sagte der Auskunftgeber, „wenn Sie, wie ich annehme, eine Stelle suchen.“ Es gibt da immer welche, die frei sind. Herrn Rodin, den Besitzer wird es sicherlich freuen, Ihnen nützlich sein zu können. Er ist ein hochachtbarer Mann, der in ganz Saint-Marcel die größte Liebe und Verehrung genießt.

Justine zögerte nicht länger. Sie klopfte an und was sie in diesem Hause erlebte, soll nun im nächsten Kapitel erzählt werden.




11 Was tun denn die Gesetze, wenn sie den Uebertreter des Gesellschaftsvertrages bestrafen? Sie rächen Sonderinteressen. Wenn aber das Verbrechen, das sie zu meinen Gunsten begehen, gleich Null ist, so muß es doch auch dasjenige sein, das ich selbst in gleicher Absicht begehe.