Der Bodensee - Wanderungen

Städte und Landschaften
Autor: Scholz, Wilhelm von (1874-1969) deutscher Schriftsteller, Erscheinungsjahr: 1907

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Themenbereiche
Enthaltene Themen: Deutschland, Landschaft, Bodensee, Baden, Schwarzwald, Hegau, Alpen, Rheintal, Bayern, Reichenau, Konstanz, Meersburg, Untersee, Überlingersee, Dampfer, Boote, Schienerberg,
Herausgegeben von Leo Greiner
Band 1 MÜNCHEN VON JOSEF RUEDERER
Band 2 WIEN VON HERMANN BAHR
Band 4 DER HARZ VON PAUL ERNST
Band 5 DER NIEDERRHEIN UND DAS BERGISCHE LAND VON WILHELM SCHÄFER

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Inhaltsverzeichnis
  1. Konstanz
  2. Mersburg
  3. Nächtliche Gondelfahrt
  4. Am Untersee
  5. Spätherbsttage am Überlinger-See
  6. Sturm
  7. In den Obersee
  8. Im Alpsteingebirge
Die Landschaft des Bodensees erhält ihren Charakter durch ihre Vielfältigkeit. Die breite Wasserfläche vereint dem Blick und dem Gefühl Gegensätze und landschaftliche Abstufungen, die in einer Gegend ohne Strom oder See für den unmittelbaren Eindruck nie zu einem Ganzen, zu einer beziehungsreichen Einheit, zusammenwirken würden. Fünf Staaten teilen sich in die Ufer. In Herrschaftsgrenzen ist, auch ohne Sprachtrennung, fast immer ein Rest landschaftlicher, völkischer, kultureller Unterschiede erhalten. Das nahe Aneinanderstoßen so vieler, politisch geschiedener Gebiete ist hier Ausdruck für manche natürlichen und gewordenen Gegensätze.

Das Großherzogtum Baden tritt im Nordwesten mit den letzten Ausläufern des Schwarzwaldes, den burggekrönten Kuppen des Hegau, heran. Fruchtbar und weit lagert sich nördlich die schwäbisch-bayrische Hochebene, den breiteren württembergischen und den schmäleren bayrischen Uferanteil umfassend. Die wellige Bildung des bayrischen Gebiets, letzte Ausläufer des Algäus, führt schon ins österreichische über, das den See östlich mit tausend Meter hohen Bergen begrenzt, die hart, nur schmalen Raum für Straße und Schienenweg lassend, an die gerundete Bucht treten.

Die ganze Südseite des Sees gehört der Schweiz. Von dem breiten, flachen, sonnigen Rheintal, an dessen Westseite die Appenzeller und St. Galler Berge rasch steil emporsteigen, bis in die Gegend des alten Städtchens Stein, wo der Rhein endgültig den See verlässt, ragen über niedrigere Uferhügelzüge, mit denen die vorgeschobene Schweizer Hochebene sich zum See herabsenkt, die schneebedeckten Häupter der Alpen, vor allem des nahen Säntisgebirges, recht zu deren Füssen der Bodensee gelagert ist.

Der Wanderer, der diese Gegend durchstreift, kann, von derselben Ferne umgeben, im Ringe desselben groß um ihn gespannten Horizontes, weit vor- und rückwärts seinen Weg überschauend, aus der idyllischen deutschen Landschaft, von den Hügeln und Talgründen aufsteigen bis in das felsige Schneegebirge, das leuchtend immer über seinem Wege stand, dunkle Wälder überstrahlte oder sich im klaren See spiegelte. Er kann am flachen Wiesenufer, unter Obstbäumen gelagert, rasten im Schwäbischen, kann in den waldigen Sandsteinfelsen von Bodman und Sipplingen durch kühle Tobel steigen und an Ruinenmauern lehnend seinen Blick die zur Ferne aufsteigenden Buchtenufer des Überlingersees entlang gleiten lassen, der an die Schönheiten des Genfer Sees erinnert. Er kann in dem breiten Rheinried am Untersee, wenn der Abend über dem Hegau brennt, den ganzen Zauber der Ebene gemessen: leichte, niedrige Nebel hasten über den Weg, und wie Rauch, den der Wind verwehen wird, stehen die nahen Pappeln und die fernen Schlösser, Kirchen, Gehöfte über der weiten gleichhohen Linie von Wasser und Erde. Er kann sonnige Inseln umwandern, deren Gestade mannshohes Schilf umrauscht, und im Tal des Rheins, der bei Konstanz den Obersee verlässt, und westlicher, wo sich der Untersee zwischen bewaldeten hohen Ufern langsam endgültig verengt und Strom wird, dem klaren ziel- und sehnsuchtsvollen Zuge in die Ferne folgen, den alle wandernde Flut, wie den Wasserwind, über sich führt. —

Er kann mit einem Blick, in einem großen Zusammenhang, viele Tage des Wanderns umspannen, sein Auge vermag aus der farbigen, verschwimmenden Ferne, aus den Lichtflecken und Schattenstrichen des Umkreises, den er durchzog, ein Bild wie das eines alten deutschen Meisters zu schaffen: groß umfassend, aber belebt mit buntem Kleingefüge, welches das Auge der Erinnerung scharf und genau zeichnend, überall hineinsieht. Städte und Dörfer, Berg- und Seeschlösser, Sichttürme, Häfen und Kirchen, Fabrikschornsteine und glänzende Eisenbahnschienen tauchen ringsum in Nähe und Ferne, oft nur als Punkte und Streifen, auf. Sie geben der Landschaft, die sie lebendig erfüllen, menschlichen und kulturellen Reichtum.

Vorüber ist zwar die Zeit, da hier das Herz der Tat schlug, da hier Machtmittelpunkte waren, selbständige Fürsten- und Bischofssitze, befestigte Stadtburgen, Reichsstädte mit eigener Gerichtshoheit, entscheidende Stätten deutschen Handels; die Zeit, in der die einzelnen Gaue noch starke Besonderheiten und Eigengeist hatten. Die Entwicklung hat allmählich ringsum gleichmachend gewirkt, es ist alles Provinz geworden. Die Schwerpunkte des Gegenwartslebens sind dabei längst wenigen großen Zentren zugerückt. Die Bodenseelandschaft liegt heute nur noch an der Peripherie der Länder, die an ihr teilhaben. Alles geschichtlich Große ist in diesem Lande nur Erinnerung.

Aber das Größte, das allgemeine Leben, das mit der stillen, ruhenden Landschaft unlöslich verbunden ist, das uns als der ewig gleiche Grund erscheint, über den die Jahrhunderte Spuren grabend hinzogen, als der Stoff, aus dem die Geschichte bildete, das ist nicht erloschen. Selbst in die Einsamkeit eines rot dämmernden Abends auf einer der schweigenden Aussichtshöhen des Überlingersees hält die Natur den Kreis des Lebens empor: Herdrauch, der aus Häusern und Hütten steigt; ein schnelles Gefährt auf der Uferstraße; schwarze Fischerboote auf der glänzenden, von Windstrichen überhauchten Fläche, die weit drüben ein Dampfer teilt; Rebenarbeiter, die am Abhang des Weinbergs niedersteigen; spielende Kinder, heimkehrende Schnitter; Dämmerungsläuten, das in den Lüften über dem See verschwebt.

Bodensee Cover

Bodensee Cover

Der Bodensee Titelblatt

Der Bodensee Titelblatt

Bodensee Blick auf Konstanz

Bodensee Blick auf Konstanz

Bodensee Die Reichenau

Bodensee Die Reichenau

Bodensee Park in Konstanz

Bodensee Park in Konstanz

Bodensee Seeweite mit Wolken

Bodensee Seeweite mit Wolken

Bodensee Sturm

Bodensee Sturm

Bodensee Südufer der Reichenau

Bodensee Südufer der Reichenau

Bodensee Terrasse von Meersburg

Bodensee Terrasse von Meersburg

Bodensee Wolkenmeer vom Säntisgipfel

Bodensee Wolkenmeer vom Säntisgipfel