Fünfter Abschnitt. - Bei der plötzlichen Annäherung des Furchtbaren brach der Mut der Frau zusammen; ...

Bei der plötzlichen Annäherung des Furchtbaren brach der Mut der Frau zusammen; sie fiel auf die Knie, riß ein kleines, aus Holzstäben zusammengefügtes Kreuz unter den Kissen des Ruhebettes, wo es versteckt gelegen hatte, hervor, und hielt es mit krampfhaft zusammengepreßten Händen vor ihr Gesicht, während ihre Lippen in verzweifelter Hast zu beten begannen.

Zum zweitenmal schlug es draußen an die Thür. Aquila raffte sich aus der Erstarrung auf, die auch ihn für einen Augenblick gelähmt hatte.


»Priscilla!« rief er laut und mahnend. Er hob die Rechte empor, als wollte er zum Himmel deuten, dann ging er an die Thür, schob den Riegel zurück und öffnete selbst.

Im nächsten Augenblick flog er zwei Schritte zurück – seine Augen thaten sich weit auf – ja wirklich, er sah furchtbar aus, der Tod!

Vor der Thür stand ein Mann in der buntfarbigen Gewandung der Leibwächter des Nero. Auf dem Kopfe trug er einen Wolfshelm; unter dem Helm quoll das blonde, beinah gelbe Haar in wirren Massen hervor, herniederhängend bis fast auf die Schultern. Nie hatte Aquila solch einen riesigen Menschen gesehen; sein Leib war aufgeschossen wie ein Mastbaum. Ein langes Schweigen trat ein, während dessen sich die beiden Männer ansahen, denn so wie Aquila die Augen unverwandt auf ihn gerichtet hielt, hingen die Blicke des Fremden an dem Gesicht des Alten, mit einem staunenden, fragenden, beinah blöde-verwunderten Ausdruck. Endlich trat er durch die Thür, unter der er sich bücken mußte, in das Zimmer ein, und nun erst wurde er des Weibes gewahr, das noch immer betend, das Kreuz küssend und wieder küssend, auf den Knieen am Boden lag und die Augen nicht zu ihm erhob.

Wie erstarrt blieb der Soldat stehen; dann wurde er plötzlich leichenblaß, und ein wirrer, entsetzter Blick schoß aus seinen wasserblauen Augen.

»Zaubere nicht,« schrie er mit rauher Stimme, indem er beide Hände von sich streckte.

Priscilla blickte auf.

»Sag' ihr – nicht zaubern soll sie,« wiederholte der Soldat, zu Aquila gewendet. Dann wich er, die Augen starr auf das knieende Weib gerichtet, bis an die Wand des Zimmers zurück und deckte die Hand über sein Gesicht, als fürchtete er, daß ihm ein Zauberpfeil in die Augen fliegen oder sonst etwas Schreckliches geschehen könnte.

Die beiden Gatten wechselten einen erstaunten Blick. Sie hatten sich darauf gefaßt gemacht, daß der riesige Mann über sie herfallen, sie binden, vielleicht auch gleich töten würde – jetzt stand er, an die Mauer gedrückt und fürchtete sich vor seinen Opfern.

Es war eben ein Germane – ein Wilder. Aquila fing an, die Verhältnisse zu übersehen.

»Beruhige Dich, mein Bruder,« sagte er, »was die Frau dort thut, ist kein böses Werk; sie zaubert nicht, kann überhaupt nicht zaubern.«

Der Soldat ließ die Hand langsam sinken, und sein Blick wanderte von einem der beiden Gatten zum anderen.

»Seid Ihr keine Zauberer?« fragte er mit schwerem Ton. Ein unmerkliches Lächeln ging über Aquilas Gesicht.

»Nein – Zauberer sind wir nicht.«

»Aber – Christianer seid Ihr doch?«

Die tödliche Frage war gestellt.

Der Mann neigte das Haupt.

»Ja – wir sind Christianer.«

Gesenkten Hauptes blieb er stehen, weil er erwartete, daß sich nun das Verhängnis über seinem Haupte entladen würde – es erfolgte nichts.

Als er endlich aufblickte, sah er den Fremden noch immer stehen, wo er gestanden hatte, die Augen mit dem gleichen, staunenden, fragenden Blick auf sich gerichtet.

Jetzt trat der Soldat in die Mitte des Zimmers, rückte sich einen hölzernen Schemel heran und setzte sich schwer darauf nieder. Er nahm den Helm vom Haupte und stellte ihn neben sich auf den Boden; dann senkte er die Augen, und so, wie in Gedanken versunken, blieb er sitzen.

Eine tiefe Stille trat ein. Aquila und Priscilla gewannen Zeit, den rätselhaften Mann zu betrachten. Nie im Leben hatten sie einen solchen Menschen gesehen.

Jetzt, da er den Helm abgenommen hatte, bemerkten sie, daß nur sein Gesicht von der römischen Sonne verbrannt war; da, wo der Helm sie geschützt hatte, war die Stirn weiß und rein.

Ein Herkules in der Haut eines Mädchens.

Er hatte die Hände auf die Knie gestemmt. Sein Haupt hing etwas nach vorn. Aquila und Priscilla gewahrten, daß sein Haar nur da, wo es unter dem Helm hervorquoll, wo es dem Sonnenbrande, dem Regen und der Luft ausgesetzt gewesen, rauh und zottig war – auf dem Scheitel des Hauptes, wo der Helm es gedeckt hatte, war dieses Haar weich und von zartem Blond; wie ein goldiger Schimmer beinah lag es darauf.

Und die Züge dieses Gesichtes, dieses jungen, schönen, regelmäßigen Gesichts. –

Kein Bart war darin, noch nicht der leiseste Flaum eines sprossenden Bartes. Der einzige Schatten, der darüber lagerte, war der Ausdruck tiefer, bis zur Schwermut gesteigerter Traurigkeit. Aquila war bis an das Ruhebett zurückgewichen und hatte sich darauf niedergesetzt. Er konnte den Blick nicht von dem Fremden lassen.

Wer war der Mensch? Was wollte er? Kam er als Häscher? Als Henker? So sah ein Henker nicht aus.

Jetzt streckte der Soldat die Hand nach dem Kreuze aus, das Priscilla in den Händen hielt.

»Zeig mir das her,« sagte er.

Priscilla zögerte; Aquila aber stand auf, nahm das Kreuz aus ihren Händen und überreichte es dem Soldaten. Mit der rechten Faust umschloß dieser den Fuß des Kreuzes; er stützte die Faust auf das rechte Knie, so daß das Kreuz aufgerichtet vor ihm stand, und nachdenklich blickte er darauf nieder.

Dann, nach einiger Zeit, begann er mit der Linken an den Stäben des Kreuzes herumzufingern; mit der Hand glitt er an dem Querbalken entlang.

»So hingen ihre Arme,« murmelte er vor sich hin. Er schien vergessen zu haben, daß Menschen neben ihm im Zimmer waren. Seine Augen schwammen, wie in einem weltverlorenen Traum, über das Kreuz hinweg, in die leere Luft, als versuchten sie ein Bild festzuhalten, das fern von hier war, unerreichbar, unwiederbringlich. –

Plötzlich warf er den Kopf zu Aquila herum – in seinen Augen war ein heißes, trockenes Glühen – man sah, daß er etwas fragen wollte. Zuvor aber bemerkte er, daß die Thür hinter ihm offen geblieben war, er bedeutete den Alten, die Pforte zu schließen.

Aquila gehorchte und kehrte dann zurück. Der Soldat streckte die Hand nach ihm aus und zog ihn an seine Seite. Wie von einer Löwentatze fühlte Aquila seine Hand umfaßt.

Der Soldat blickte ihm von unten in die Augen.

»Ist das wahr,« begann er mit dumpf unterdrückter Stimme, »daß Menschen leben können, auch wenn sie gestorben sind?«

Die Augen des alten Christianers leuchteten auf.

»Ja, das ist wahr,« sagte er rasch und laut, »wenn sie an Den glauben, der den Tod überwunden hat, an Christus.«

Der Soldat verharrte schweigend, als verstände er nicht.

Der Alte schien zu bemerken.

»Früher, siehst Du, war das anders; da waren die Menschen tot für ewig, wenn sie gestorben waren. Aber jetzt ist einer gekommen, der hat den Menschen die Erlösung vom Tode gebracht.«

Ohne die Hand des Alten los zu lassen, senkte der Soldat das Gesicht, als wollte er jenem andeuten, daß er fortfahren sollte.

»Früher,« belehrte Aquila ihn weiter, »war Gott den Menschen gram – denn daß es mehrere Götter giebt, wie diese Römer sagen, das mußt Du nicht glauben, mußt Du nicht. Und weil sie nur an ihre Leiber dachten und nicht an ihre Seele, so ließ er ihr Leben zu Ende sein, wenn ihr Leib gestorben war. Aber da kam sein Sohn, siehst Du, der sagte: ›ich glaube, die Menschen sind nicht böse, sondern nur thöricht, darum will ich selbst ein Mensch werden und alles auf mich nehmen, was sie zu tragen haben, und wenn ich dann wieder zu Dir komme, werde ich Dir sagen, ob es so ist, wie ich gedacht habe, daß sie nur thöricht, nicht aber böse sind. Und wenn es so ist, dann sollst Du mir versprechen, daß Du den Menschen gnädig werden willst und sie nicht mehr sterben läßt, wenn ihr Leib stirbt, sondern daß Du sie leben läßt, ewig.‹«

Der Alte, der sich allmählich in heiligen Eifer geredet hatte, schwieg einen Augenblick, als wollte er die Wirkung seiner Worte, die er mit Rücksicht auf seinen Zuhörer in möglichst populäre Form gekleidet hatte, erwarten.

Der blonde Wilde gab kein Zeichen von sich und keinen Laut.

»Und nun denk' Dir,« nahm Aquila wieder auf, »das wunderbare Wunder; er ist wirklich gekommen und als ein Mensch unter den Menschen gegangen! Ja, denk' Dir –« und seine Stimme wurde zu einem Flüstern, wie wenn ein Kind von einem Geheimnis erzählt – »es giebt noch heut' alte Leute, die haben ihn noch leibhaftig gesehen.

»Und dann hat er sich töten lassen und ist lebendig wieder auferstanden aus dem Grabe und ist zusammengekommen mit Leuten, die ihn früher gekannt hatten, damit sie's erkennen sollten und fühlen, und leibhaftig seh'n, daß er lebte, obschon er gestorben war. Und so wird es mit uns allen sein, die wir an ihn glauben; alle werden wir auferstehen, wenn wir gestorben sind, so hat er es uns verkündigt, und so wird es sein, so wird es sein –«

Die Stimme des Alten war zu einem lauten Jubel geworden. Der Soldat blickte auf und sah in zwei Augen, die von Wonne strahlten, aus denen dicke Thränen quollen. Er nickte mit dem Kopfe.

»So hat sie auch gesprochen.«

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Claudia's Garten - Eine Legende