Vierter Abschnitt. - Durch die ganze Länge des Gartens hin stand eine doppelte Reihe von Pfählen, ...

Durch die ganze Länge des Gartens hin stand eine doppelte Reihe von Pfählen, an denen die Märtyrer angebunden und verbrannt worden waren.

Die hölzernen Pfähle, in Kohle verwandelt, glühten noch durch die Nacht, und zu Füßen der Pfähle, teilweise auch noch daran haftend, weil hier und da die Stricke nicht ganz durchgebrannt waren, lag und hing, was einst Menschenleib gewesen war, verbrannt, verkohlt und zerstückt zu kaum mehr erkennbaren gräßlichen Überbleibseln.


Ein unerträglicher Dunst lag qualmend auf der Stätte. Es war ein grausiges Stück Arbeit. Aber sie mußte vollbracht werden, und schnell, denn das Dunkel schützte nicht mehr lange, darum ohne Säumen ging es ans Werk. Glieder und Gliedmaßen, alles, was noch an den Menschen erinnerte, wurde aufgehoben; Funken, die hier und da noch glimmten, wurden ausgetreten; große leinene Tücher und Säcke waren zur Stelle gebracht, und da hinein verschwand das ganze Entsetzen. Emsig, huschend ging es von Pfahl zu Pfahl; die Hände arbeiteten in schweigender Hast; kein Wort wurde gesprochen, kaum ein Laut war wahrnehmbar. – Nur einmal, an einem der Pfähle, trat eine Stockung in dem eifrigen Gebahren ein; die Schattengestalten sammelten sich um den Pfahl; die Hände feierten für einen Moment, und alle Augen hingen an dem Bilde, das sich ihnen bot, und das so merkwürdig von allem übrigen abwich.

An diesem Pfahl war ein Weib angebunden gewesen, ein Mädchen, ein junges, schönes, reizendes Geschöpf.

Und merkwürdig – von der entstellenden Zerstörung, der all' die übrigen anheimgefallen, war dieser Körper in beinah wunderbarer Weise verschont geblieben.

Der Pfahl, an dem sie sich befand, hatte die Gestalt eines rohen Kreuzes. Am Querbalken waren die Arme angebunden, die weißen, weichen, vom Tode noch nicht erstarrten und erkalteten Arme. Schwer hing das Haupt nieder, vom langen, dunklen Haar umwogt, das aufgelöst bis an die Hüften herabfloß, über die nackte, weiße Brust; das Gesicht war halb zur Seite gewendet, und dieses Gesicht war wie das einer Schlafenden. Kein Todesgrauen darin, kaum ein Zeichen von Schmerz; beinah, als wenn ein Lächeln darüber schwebte, so sah es aus, ein unaussprechlich liebliches Lächeln; die Lippen noch ein wenig geöffnet, als wenn sie im letzten Augenblick mit schwindendem Hauche noch einmal gesprochen hätte, noch ein letztes, süßes, holdseliges Wort.

Lautlos standen die Männer; Thränen flossen über ihre Wangen, dann ging ein Flüstern durch die Schar, und leise wurde ein Name genannt: »Claudia«.

Unwillkürlich falteten sich alle Hände – war ihnen doch, als ständen sie vor einem Wunder.

Wie war sie denn nur zu Tode gekommen?

Nur die Füße hatte die grausame Flamme erfaßt, und bis zu den Knieen hinauf hatte sie geleckt; den oberen Teil des Leibes hatte kein Feuer versengt. Man erkannte auch bald, wie sich das erklärte: Der Reisighaufen, mit dem sie, gleich ihren Lebensgefährten, umtürmt gewesen, war auseinandergerissen, offenbar von einer fremden Hand; ja, nicht nur die Hände, auch die Füße des Unbekannten schienen mitgearbeitet zu haben, denn das Dornengestrüpp, das mit Harz und Pech begossen gewesen war, um rascher aufzulodern, man sah, wie es mit Fußtritten, deren Spur sich noch im Erdboden abdrückte, niedergetreten und niedergestampft war, als sollte die verdammte Flamme ihr nicht weh thun, als sollte sie nicht.

Und jetzt erfolgte noch einmal ein Zuruf – ganz leise auch dieser, nicht lauter als ein etwas lauteres Aufatmen und dennoch allen vernehmbar – einer aus der Schar war näher herangetreten; das Geheimnis war entdeckt. Die Finger auf die Brust des Mädchens gelegt, zeigte er auf eine Stelle, gerade über ihrem Herzen – da war die Pforte, wo der Tod den Eingang gefunden hatte in dieses jungfräuliche Leben.

In der weißen Haut klaffte ein roter Spalt, von einigen Tropfen Blutes, das inzwischen kalt geworden war, umsickert. Keine breite Öffnung – dennoch zu breit für einen Dolch. Aber wieder nicht breit genug für ein Schwert, wenigstens für die breite, kurze Klinge eines römischen Schwertes.

Was für eine Art von Waffe mochte das nur gewesen sein? Was für eine Hand, die die Waffe regiert hatte?

Daß sie jemandem gehört hatte, der mit Waffen umzugehen verstand, der da wußte, wo das Leben im Menschenleibe wohnt, und wo man es treffen muß, wenn man es vernichten will mit einem Schlage, das erkannte man an der Art, wie der Stoß geführt worden war. Mitten durchs Herz ging er hindurch.

Daher der Ausdruck auf ihrem Antlitz, der schmerzlos-friedliche, wie man ihn auf Gesichtern von Menschen findet, die der Tod jählings am Herzen packt.

Wer mochte der Mann gewesen sein, der so an ihr gethan? Was mochte ihn veranlaßt haben, daß er also that?

Rätsel über Rätsel, Geheimnis über Geheimnis.

Aber zu langem Verwundern war keine Zeit.

Die Stricke, mit denen die Handgelenke des Mädchens am Querbalken des Kreuzes befestigt waren, wurden gelöst – man gewahrte erst jetzt, was für grausame, tiefe Furchen sie in das Fleisch geschnitten hatten – und dann glitt der leblose Körper wie eine dumpfe Masse hernieder in die auffangenden Arme und Hände der Männer. Im nächsten Augenblick war der entseelte Leib in eins der großen Leinentücher gewickelt – die Arbeit war vollbracht. Geräuschlos, wie sie gekommen, mit ihrer Beute beladen, huschten die grauen Gestalten davon, und als bald nachher die ersten Sonnenstrahlen aufzuckten und die Schläfer weckten, blickten diese mit verglasten Augen staunend umher. Die Hinrichtungsstätte war abgeräumt. Nur die Pfähle standen noch an ihrem gestrigen Platz, aufragend wie schwarze, verkohlte Stümpfe; von den Christianern, deren Leiber sie gestern abend an den Pfählen hatten zusammenbrechen sehen, war nichts mehr zu sehen. Bis auf den letzten Überrest waren sie verschwunden. Man rieb sich die Augen, stieß sich gegenseitig flüsternd an. Böse Geister hatten zur Nacht ihr Spiel getrieben – das war klar; und klar war auch, daß diese Christianer mit den bösen Geistern im Bunde standen.

Das forderte zur Wachsamkeit auf. Offenbar war das Unkraut noch nicht gänzlich ausgerottet; der Sensenstreich, der gestern unter sie gefahren war, hatte jedenfalls noch nicht alle Häupter gemäht, es gab gewiß noch eine Menge von solchen Übelthätern die sich unter der Masse der Bevölkerung versteckten.

Von nun an verwandelte sich jeder einzelne Römer in einen Späher, der nach allen Seiten horchte und lauerte, ob er irgend etwas hörte oder sähe, was an die Christianer erinnerte. Eine fressende Wildheit war in einem Teil der Gemüter, eine lähmende Beklemmung in dem anderen; eine dumpfe Qual lagerte über der ganzen Stadt.

Am Vormittag dieses nächsten Tages nach dem Blutfest des Nero, als die Augustsonne schon heiß und hoch am Himmel stand, war es, als Priscilla, die Frau des alten Teppichwebers Aquila, vom Markt nach Haus kam.

Es war ein bescheidenes Häuschen, das sie kinderlos mit ihrem Gatten bewohnte, ziemlich weit draußen gelegen, an der Appischen Straße, hinter dem vierten Meilenstein.

Sie war hastig gegangen. Als sie die Hausthür erreicht hatte, blieb sie einen Augenblick auf der Schwelle stehen, sah sich noch einmal mit angstvollen Augen um und trat dann ein. Gleich darauf hörte man, wie von innen der Riegel vor die Pforte geschoben wurde.

Im Hintergrund des Zimmers, das sie betreten hatte, lag auf einem Ruhebett ein alter Mann in tiefem, friedlichem Schlaf. Es war Aquila, ihr Gatte.

Leise setzte sie den Marktkorb zur Erde; dann blieb sie, die stummen Augen auf den Schlummernden gerichtet, aufrecht stehen, während ihre Hände sich flach aneinander legten, in der Art, wie die Christianer ihre Hände vereinigten, wenn sie beteten; ihre Lippen bewegten sich in lautlosen Worten. Offenbar kam es ihr schwer an, den alten Mann aus seiner Ruhe zu stören.

Sie wußte ja, daß er zur Nacht nicht geschlafen hatte, daß er draußen gewesen war mit den anderen Brüdern, in den Gärten des Nero, um die Überreste der verbrannten Christianer zur Bestattung zu sammeln. Mit dem Morgengrauen erst war er nach Haus gekommen und taumelnd vor Erschöpfung auf das Lager gesunken.

Endlich aber mußte gesprochen werden. Behutsam kniete sie an dem Lager nieder; mit beiden Händen umfaßte sie die Hände des alten Mannes, die gefaltet auf seiner Brust lagen; dann beugte sie den Mund an sein Ohr.

»Aquila.«

Rasch fuhr er auf, wie Menschen thun, die sich einen leichten Schlaf angewöhnt haben, weil sie sich von Gefahren umringt wissen, wie ein Soldat, der auch schlummernd des Feindes gewärtig bleibt.

Die Frau schlang die Arme um seine Brust und lehnte die Wange an seinen Hals.

»Aquila,« sagte sie mit gedämpfter Stimme, »geliebter Mann, ich glaube, die Stunde ist da, daß wir uns bereit machen müssen; ich glaube, Gott will, daß wir zu ihm kommen.«

Der Alte setzte sich auf; seine Augen, in denen noch die Betäubung des Schlafes lag, wurden klar; leise strich er mit beiden flachen Händen über den Scheitel Priscillas und an ihren Wangen herab.

»Hast Du etwas bemerkt?« fragte er leise, »glaubst Du, sie sind auf unserer Spur?«

»Ja, ich glaube,« erwiderte sie, und das Wort kam aus gepreßter Brust.

»Du weißt,« fuhr sie fort, »daß die Häscher des Cäsar noch immer die Stadt durchstreifen, um nach uns Christianern zu spähen. Und wenn Du gehört hättest, wie die Leute auf dem Markt von uns sprachen –« unwillkürlich verstummte sie und beugte das Haupt.

»Vorhin nun,« erzählte sie dann weiter, »wie ich nach Haus komme und schon auf der Appischen Straße bin, etwa beim dritten Meilenstein, sehe ich plötzlich einen Soldaten des Cäsar vor mir hergehen, einen von den Fremden, weißt Du, die so merkwürdig gekleidet sind und solche Tiere auf den Köpfen tragen.«

»Einer von seiner Leibwache,« bemerkte kopfnickend Aquila. –

»Ja – und an dem Meilenstein war er stehen geblieben und sah den Stein an, gerade wie jemand, weißt Du, der die Steine abzählt, und ich ging hinter ihm herum. Und nun hatten sich die Kinder von der Straße um ihn gesammelt und gafften ihn an, und wie ich nun so langsam weiter gehe, und mit halbem Ohr nach rückwärts horche, da höre ich, wie der Soldat zu den Kindern sagt: »Könnt ihr mir sagen,« fragt er, »wo hier Aquila wohnt, der Teppichweber?«

Die Hände des alten Mannes, die noch immer das Haupt des Weibes umschlossen hielten, erzitterten leise.

»Er nannte meinen Namen?« fragte er.

Priscilla richtete die Augen zu ihm auf. Sie wollte sprechen, aber statt der Worte drang ein Schluchzen aus ihrer Brust; Thränen brachen aus ihren Augen.

Der Alte zog sie von den Knieen empor, neben sich auf das Ruhebett, so daß sie an seiner Seite saß. Begütigend legte er den Arm um sie.

»Denke daran, was Er gesagt hat,« flüsterte er, »wer an mich glaubt, der kann wohl sterben – aber nicht tot sein – und wir glauben doch an ihn?«

Sie nickte hastig mit dem Kopfe.

»Siehst Du,« fuhr er fort, »also sei mutig, sei mutig. Bald sehen wir ihn nun selbst, nach dem wir uns so gesehnt haben – freust Du Dich nicht, ihn zu sehen, von Angesicht zu Angesicht, Priscilla?«

Wieder nickte sie, eifrig und hastig, wie vorhin. Dann nestelte sie sich mit beiden Armen an ihn, und nun saßen die beiden Menschen, lautlos aneinander geschmiegt, der Stunde wartend, die sie abrufen sollte.

Es dauerte nicht lange, so erdröhnte die Schwelle draußen unter einem wuchtigen Schritt; dann griff eine Hand nach dem Thürschloß, aber weil der Riegel von innen vorgeschoben war, ging die Thür nicht auf. Nun schlug es von draußen mit flacher Hand daran. Beide Gatten waren unwillkürlich aufgesprungen. Ihre Brust hob und senkte sich, ihre Gesichter waren erblaßt. Draußen stand der Tod.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Claudia's Garten - Eine Legende