Claudia's Garten - Eine Legende

Autor: Wildenbruch, Ernst von 1845-1909
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Erster Abschnitt. -

Endlich war die Nacht zu ihrem Recht gekommen – es wurde still über Rom.

Nie war eine Augustnacht duftiger, wärmer und süßer auf die sieben Hügel gesunken und auf das Gelände, das zwischen den sieben Hügeln sich breitet und zwischen Bergen und Meer – nie hatte eine Augustnacht Schrecklicheres gesehen in diesem schrecklichen Rom.

Wenn an dem Abend, der dieser Nacht vorherging, ein Wanderer sich der Stadt genähert hätte, von Norden kommend, auf der Flaminischen Straße, so würde er, nachdem er die Flaminische Brücke, den heutigen Ponte Molle, überschritten, jählings stehen geblieben sein, von einem Laute getroffen, der ihm das Blut gerinnen machte. Von drüben kam es her, rechts überm Tiberstrom, aus den Gärten des Nero, von der Stelle, wo heut die Peterskirche sich erhebt und das Gebäude des Vatikans. Rot war der Himmel dort von goldigroter Glut, die aus dem Dickicht der Gartengebüsche zum Himmel schwälte – war etwa Feuersbrunst in Rom? Schon wieder?

Ganz Italien sprach ja von dem furchtbaren Brande, der wenige Wochen zuvor, im letztverflossenen Monat Juli, die Hauptstadt der Welt verwüstet hatte. Man sprach davon, und wenn man gesprochen hatte, fing man an zu flüstern: »Das Feuer, sagt man, ist angelegt worden – wißt Ihr, von wem? Der Cäsar selbst hat Rom in Brand gesteckt. Auf den Zinnen seines Palastes, auf dem Palatinischen Berge hat er gestanden, die Laute im Arm, und als das Feuermeer zu seinen Füßen raste, hat er vom Brande Trojas zur Harfe gesungen.«

War es also wieder etwas Derartiges? Es sah nicht so aus. Die Glut dort drüben bewegte sich nicht vom Fleck; ruhig und senkrecht stieg sie empor, wie Flammen, die von Altären lodern oder aus Pechpfannen oder von Fackeln. Ein Luftzug kam von Westen und trug den geballten Qualm nach Osten über den Strom hinweg auf den Wanderer zu. »Offenbar ein Fest, das sie feiern,« sagte sich der Wanderer, »es riecht nach Pech, nach Spezereien und« – ja, noch etwas war in dem Geruch. – Wurden Opfertiere geschlachtet und verbrannt? Denn ein Duft war dabei von verkohltem und verbranntem Fleisch!

Und während die Flammen emporstiegen und schweigend den Himmel beleckten, kam von dort drüben ein Laut, abgeschwächt durch die Entfernung und trotz der Abschwächung so furchtbar, daß Mark und Bein erschauerten: ein Geschrei, ein Gebrüll, ein Geheul. Ein Geheul von Tieren? Nein, sondern von Menschen; von Menschen, die offenbar, in unzähliger Masse zusammengedrängt, einem Vorgang folgten, einem Schauspiel, bei dessen Anblick sie toll wurden, rasend wurden, Bestien wurden, die blutgierige Bestie überbietend in Mordlust, Grausamkeit und zerstörungstrunkener Begier. Ein Gebrüll, wie wenn Scharen von Tobsüchtigen plötzlich frei geworden wären und Besitz genommen hätten von der Welt.

Durch das Flaminische Thor, die heutige Porta del Popolo, ging der Weg in die Stadt hinein; hier öffnete sich die Via lata, der heutige Corso, und hier, im Marsfeld, sah man bereits die Spuren des verheerenden Brandes. Ganze Straßenzeilen lagen in Trümmern; die Sparren der verkohlten Häuser reckten sich wie entfleischte Gerippe in die Luft. Zelte waren aufgeschlagen und große hölzerne Baracken, um den Obdachlosen eine Unterkunft zu gewähren. Weder bei den Zelten aber noch bei den Baracken erblickte man Menschen. – Rom war drüben, jenseits der Tiber, zu Gaste beim Nero, der heute in seinen Gärten den Römern ein Fest gab, wie es noch nicht dagewesen war seit den Tagen von Romulus und Remus.

Nach rechts hin, durch das Gewirr von Straßen, Gassen und Gäßchen, wendete sich denn auch der Wanderer, und als er das Tiberufer erreicht hatte, blieb er stehen, von dem Anblick betäubt, der sich ihm bot:

Ueber die Brücke, die hier, ungefähr in der Gegend der heutigen Engelsbrücke, die Ufer des Stromes verband, über den Pons Triumphalis, wälzte sich vom rechten Ufer her ein tobender Menschenhaufen. Hinter dem dunklen Schwarm und über den Köpfen der Menge flackerte und flammte es von Fackeln, die im Kreise geschwungen wurden, und dann erschienen, keuchenden Laufes, in weiten Sprüngen wie Panther dahinsausend, braune, nackte numidische Fackelträger, die sich mit gellendem Geschrei in die Menschenmassen warfen und sie nach rechts und links auseinanderstießen, so daß eine Gasse in der Menge entstand. Rossegestampf erscholl, und mit klirrenden Rädern kam ein Wagen über die Brücke dahergerollt in die Gasse zwischen den Menschenmauern hinein.

Es war ein offener Wagen, wie er im Zirkus bei den Rennen gebraucht wurde; Räder und Gestell von schwerem, massivem Gold. Acht schneeweiße Rosse waren davorgespannt, in Reihen hinter einander, je vier in einer Reihe.

Weit über die Pferde beugte sich der Wagenlenker vor; neben dem Wagenlenker stand ein Mann, und beim Anblick dieses Mannes sank alles, was rechts und links sich zusammendrängte und quetschte und erdrückte, in die Knie; Hände und Arme reckten sich empor und zu ihm hin, und ein Geschrei schlug, einem Orkan gleich, zum Himmel:

Ave Caesar! Nero! Nero!«

Das war der Herr des Festes, das war Nero. Die vier Schimmel der vorderen Reihe bäumten auf und warfen sich zurück, von dem Lärm erschreckt, der ihnen entgegenschlug – und einen Augenblick gewann man Zeit, ihn deutlicher zu sehen.

Hoch aufgerichtet stand er auf dem Wagen; ein Gewand von durchsichtig-zartem weißem Stoff flog um seinen Leib; ein Halbmantel war um seine Schultern geworfen, purpurrot, mit Gold durchstickt. In den nackten, fleischigen Armen hielt er die Laute, wie die Kitharöden sie bei Wettgesängen trugen; um das schwarze, krausgelockte Haar schlang sich ein Stirnreif, golden, mit Edelsteinen durchsetzt, und von dem Stirnreif gingen Zacken empor, acht lange, gespitzte Zacken, so daß es aussah, als ob ein Gehege von Lanzenspitzen sein Haupt umstarrte.

So stand er vor den Augen der Menge. Der rote Flammenschein züngelte um seine Gestalt; Rauch und Flammen schufen eine Atmosphäre, die ihn umdampfte, wie der qualmende Atem aus dem Rachen eines Tigers, und es sah aus, als wäre dies die Lebensluft, die zu ihm gehörte, die er brauchte, die er einsog mit gierigen Nüstern und schleckenden Lippen.

Denn während der Pöbel ihn umheulte und sich beinah unter die Hufe seiner Rosse und die Räder seines Wagens warf, ging ein Lächeln um seinen Mund und über die Züge seines Gesichtes, die schön und edel gewesen sein mochten vor Zeiten, jetzt aber verquollen und gedunsen waren durch Schlemmerei und Wüstheit.

Nicht ein Lächeln der Verachtung etwa, nicht einmal ein blasiertes oder gleichgültiges, sondern ein zufriedenes, sich selbst beglückwünschendes Lächeln, wie es ein Feinschmecker zeigt, wenn er sich von einer guten Mahlzeit erhebt, oder ein Kunstfreund, wenn er von einem schönen Bilde oder aus dem Theater von einem anregenden Schauspiele kommt. Die linke Hand fingerte leise in den Saiten der Leier – Nero war glücklich. Wie sie ihn liebten, die Römer! Wie sie sich weideten an seinem Anblick! Wie sie ihm huldigten! Wie jedes Wort, jeder Laut, jeder Blick es ihm verkündete, daß er ein großer Mensch, ein Uebermensch, ein Gott war.

Und während das gedunsene Gesicht sich in Selbstzufriedenheit blähte, und das bleiche Fleisch der schwammigen Wangen sich vom Licht der Fackeln rötete, blickten aus diesem Gesicht zwei weit hervorquellende, glotzende Augen heraus, zwei Augen, die in ihrer toten Starrheit einen unheimlichen Kontrast zu dem bewegteren Teile des Untergesichtes bildeten und diesem Antlitz, der ganzen Erscheinung dieses Menschen einen Eindruck verliehen, schrecklicher, als Worte es beschreiben können, unvergeßbar für den, der ihn ein einziges Mal gesehen hatte. Da wo diese Augen hinblickten, war Wüste. Kein Lächeln war darin, kein Leben, nicht die Möglichkeit einer Empfindung. Tote, dumpfe Leere. Wer in diese Augen sah, erkannte jählings das Schicksal dieser Zeit und dieser Welt, einem Wahnsinnigen unterworfen zu sein mit Leib und Seele.