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Waldemar Weber

Im Frühjahr 1977 habe ich wieder die DDR besucht, das damalige "Mekka" der sowjetischen Germanisten. Der Westen war ein Privileg der „Auserwählten„. Wir haben uns mit der DDR begnügt. Immerhin war  es für uns Deutschland!

Meine Freunde fand ich im Zustand der äußersten Euphorie vor. Das Thema aller Gespräche war Wolf Biermann, dem kurz davor die DDR-Staatsbürgerschaft aberkannt worden war.Ich sah ihnen an, daß ihre Ansichten aufrichtig waren, deshalb ließ ich meine Ironie nicht laut werden - dem Gast kommt es nicht zu. Ich wunderte mich nur. Bei uns in Moskau stritt man über Tschaadajew, Heidegger, Berdjaew, Borges, las man Platonow, Solshenizyn, Brodskij, hier zitierte man immer noch Rosa Luxemburg, war um die Reinheit der Idee besorgt.

Die Berliner Mauer tauchte in Gesprächen fast nicht auf, man hielt sie für eine vorübergehende Krankheit, für eine Verletzung des natürlichen Laufs der Dinge. Für eine Art Verstopfung, die sich nun etwas länger hingezogen hat...
Immerhin war es für mich Deutschland! Ich genoß die Atmosphäre der deutschen Sprache, besuchte Antiquariate, Museen, Theater, feierte mit Freunden.
Alles verlief glatt, abgesehen von einigen angespannten Momenten im Umgang mit Freunden. Die sowjetische Grenze im Rücken, fühlte ich mich in der Freiheit. Ich wußte natürlich um das Trügerische dieses Gefühls, mir war es aber , als wären Fesseln von meiner Seele weggefallen. Außerdem wird man einen Vertreter des ersten Landes des Sozialismus nicht bespitzeln wollen...
Auf den belebten Parties ließ ich mich manchmal voll laufen, verlor die Wachsamkeit und rührte mit meinen Äußerungen an den „Grundlagen„. Auf den Gesichtern meiner Gesprächspartner, der hiesigen Literaten und Künstler, tauchte einstimmiges Mißfallen auf...
Ich vergaß mich dermaßen, daß ich es mir erlaubte, mich mit den Literaturkollegen aus dem Westen zu treffen, rief sie aus Telefonzellen an. Sie kamen dann nach Ostberlin mit eigenen Autos, parkten in aller Offenheit vor Gaststätten und Restaurants, wo wir uns stundenlang unterhielten. Auch sie sprachen die meiste Zeit  über den Sozialismus.
- Die DDR wird noch allen zeigen, was der richtige Sozialismus ist, warte ab, laß ausreifen, was gärt... Biermann ist die erste Schwalbe!
Danach setzten sie sich in ihre von Lack und Chrom glänzenden Limousinen und schwirrten ab - in die verhaßte Höhle des Kapitalismus.
Brigitte, die westliche Cousine meines östlichen Freundes, eines Malers, die einige Stunden vor meiner Abreise zu Besuch gekommen war, bot an, mich mit ihrem Auto zum Flughafen zu bringen.
Noch nie hatte sie einen echten Russen getroffen. Ich habe befürchtet, daß auch sie mit mir über Sozialismus sprechen wird. Meine Befürchtungen erwiesen sich aber als grundlos. Brigitte hatte  einen  normalen Beruf: führte in West-Berlin eine kleine Bäckerei. Mit einem Russen, meinte sie , sollte man über Literatur sprechen. Sie war ein Fan von Turgenjew und Jewtuschenko.
Mein Gepäck war sogar für einen Mercedes zu umfangreich - hauptsächlich Bücher, die ich bei den Buchhändlern erstanden hatte. Der große schwarze Wagen, beladen mit riesengroßen Kartons, sah im fast menschenleeren Flughafen exotisch aus.
Brigitte, eine nicht mehr junge, aber sehr schicke Dame, verabschiedete sich von mir vor den Augen der ganzen Schönefelder „Grenzwache„. Aufgeregt gestikulierend, verfluchte sie alle Grenzen und schwor, bald nach Moskau zu kommen. Zum Schluß umarmte sie mich und vergoß Tränen.
"Wer ist diese Dame?"- fragte mich ein Mann in Uniform, der meine Dokumente überprüfte. Sein Tonfall war streng und herausfordernd. Er schaute in meinen roten Hammer- und Sichel-Paß mit einem Ausdruck von Ekel im Gesicht ... So etwas ist wohl in der ganzen Geschichte des FDGB und der Gesellschaft für deutsch-sowjetische Freundschaft nicht vorgekommen... Mir wurde plötzlich der Bedeutsamkeit des Augenblickes bewußt.
- "Das geht Sie nicht an. Ich hab die Dame nicht in meinem Koffer".
- "Ich versichere Sie, junger Mann, das geht mich sogar sehr viel an," sagte er trocken, mit drohender Stimme. "Also, wer ist diese Dame?"
Es war auf einmal etwas in mich gefahren. Ich machte ihm ein Zeichen, sich zu mir zu beugen. Das Erstaunlichste dabei war , daß er gehorchte und ich flüsterte ihm verschwörerisch ins Ohr: "Meine Geliebte!"
Ich sah, wie sein Gesicht rot wurde. Er versuchte sich zu fassen. Mit bösem Schmunzeln fragte er, indem er sich bemühte, in meinem Ton zu bleiben: "Interessant...Und wo habt Ihr es, na, es... getrieben?" Schlagfertigkeit ist nicht meine Stärke, meistens bin ich um eine Antwort verlegen. Aber, wie gesagt, in mich war damals etwas gefahren.
- "Sie wissen doch, der Mercedes ist ein ziemlich komfortabler Wagen, etwas geräumiger als der Trabant."
Es folgte keine Antwort. Meinem Gesprächspartner hatte es die Sprache verschlagen. Er stand da und rollte seine Glotzaugen. Jegliche Farbe verschwand aus seinem Gesicht. Vor mir stand ein Trabantbesitzer...
Er ging weg und kam nicht wieder. Dafür kamen andere. Sie forderten mich auf, in einen Extraraum mitzukommen. Was danach geschah, erinnerte an Szenen aus trivialen Kriminalromanen. Sie interessierten sich für meine Unterwäsche, Socken, Hosenaufschläge, schauten in das Innere meiner Schuhe. Meine Koffer und Kartons nahmen sie buchstäblich auseinander, durchwühlten alles und ...gaben endlich auf. Danach verließen sie enttäuscht den Raum, ich blieb allein mit dem zerfetzten Gepäck. Das Flugzeug habe ich natürlich verpaßt. In Moskau hat man mich wieder gefilzt, so daß die Kartons endgültig zerrissen wurden.
Ich weiß nicht, ob aus diesem Grunde oder nicht, aber noch im selben  Jahr wurde gegen mich eine Auslandssperre verhängt. Für ganze elf Jahre.
Jedes Jahr nahm ich immer wieder den Versuch auf, die DDR zu besuchen, reichte Dokumente ein. Immerhin war es Deutschland! Und jedes Mal wiederholte der breitgesichtige Major aus der Visaverwaltung mit seinem kleinrussischen Akzent  einen und denselben Satz: "Towaristsch Weber! Ihr Aufenthalt auf dem Territorium der DDR ist zur Zeit unzweckmäßig".
Später erzählte ich diese Geschichte Günther Kunert.
"Offensichtlich hat man nach Moskau weitergegeben: ...nützt die Reisen, um Westkontakte zu pflegen", nahm ich an.
"Um im Mercedes zu vögeln",  präzisierte Kunert.

 

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