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Der schwarze DominoEin Genrebildchen in David Teniers*) Manier.

Zu dem kleinsten bewohnten Eilande des zivilisierten Nordens gehört unstreitig das Inselchen Hiddensee in der Ostsee, unfern von Rügen, dem prächtigsten Eilande, das ich in der alten Welt kenne.

Hiddensee ist ausschließlich von Fischern und Schiffern bewohnt, denn Ackerbau wäre auf diesem unfruchtbaren tiefen Meersandboden eine reine Unmöglichkeit. Außer Sand gibt es nur noch einige Moorstriche auf dem Inselchen, diese liefern den Bewohnern das Material, woraus sie ihre winzig kleinen Häuser bauen, und womit sie zugleich ihre großen Öfen heizen: den Torf.

Nichts malerischeres, aber auch nichts ärmlicheres als solch ein Häuschen auf Hiddensee von außen.

Drinnen aber sieht es mitunter, und besonders bei den Schifferfamilien ganz behaglich aus, — Schneeweiß überzogene hochaufgebauschte Betten, eine große buntbemalte und vergoldete Kleiderlade, ein Schrank mit Prunkgeschirr, oft mit echt-chinesischem Porzellan, eine uralte Schwarzwälder Wanduhr mit einem Kuckuck, der die Stunden abruft, ein mächtiger Eichentisch, Tanngstühle und ein weichgepolsteter Großvaterstuhl, so ist die Einrichtung des Wohnzimmers eines einigermaßen wohlhabenden Hiddenseeers; — doch halt! bald hätte ich das wichtigste vergessen und der Himmel verzeihe mir alten Seebären diese Sünde! — das Modell des Schiffs ist es, auf welchem der Eigentümer des Häuschens seine besten Fahrten (nämlich jene, wo er am nächsten dran war zu ersaufen) mitmachte.

An trüben, nebligen Tagen, (lieber Gott! wie viele gibt's deren im Jahre nicht auf Hiddensee?!) wo das Meer brummt und Nebel ringsum aufsteigen, da gibt es gar keinen trübseligeren Anblick, als dies Inselchen darbietet, und dennoch wird es von seinen Bewohnern „dat sööte Ländken,“ (das süße Ländchen) genannt, und ich habe einen armen Jungen von Hiddensee gekannt, der auf Madeira, wo wir andern Jungen in der himmlischen, hier schon beginnenden Tropennatur und in den Armen nicht minder himmlischer Creolinnen Alles vergaßen, das Heimweh nach seinem „sööten Ländken“ dergestalt bekam, dass wir ihn richtig zwischen Madeira und St. Thomas in eine Hängematte genäht, und mit einem alten Schiffsanker beschwert, unter Gebet und Segensspruch als einen „auf Deck Gestorbenen“ — (wie der Kapitän ins Logbuch schrieb) — ins Meer versenken mussten, wo sich die verdammten Haifische bald an ihn gemacht haben werden, denn es war ein schöner, kräftiger Junge.

Aber er konnte sein „söötes Ländken“ nicht vergessen, und nicht die blaue Schürze, welche er kurz vor seiner Abfahrt von Hiddensee an einem gewissen Fenster erblickt hatte.

„Was hat es mit der blauen Schürze auf Hiddensee für ein Bewandtnis?“ höre ich meine Leser und holden Leserinnen fragen.

So fragte mich schon zu Anfang der Zwanziger-Jahre der wandernde Waldhornist, mein mir unvergesslicher Wilhelm Müller aus Dessau, als wir zusammen, von Rügen aus, einen Abstecher auf Moenkgut (Mönchgut) und Hiddensee machten, wo ihm die vor mehreren Fenstern aufgehängten blauen Schürzen auffielen.

Ich erklärte es damals dem herzigen Dichter mit folgenden Worten:

„Da Du dem Süden näher wohnst als ich, so wird Dir die Sitte des Fensterlns in den Alpenländern nicht unbekannt sein; früher existierte eine ähnliche Sitte nicht nur auf Rügen und dem umliegenden Eilande, sondern in ganz schwedisch Pommern, und selbst in Stralsund habe ich als Kind in der Hafenstraat noch an manchem Fenster die blaue Schürze erblickt. — Jetzt, seit schwedisch Pommern preußisch wurde, und seit auf Rügen das vornehme Seebad Putbus existiert, ist die alte treuherzige Sitte nach und nach abgekommen, und nur auf Mönchgut und Hiddensee hat sie sich noch erhalten, nämlich so:

Wenn hier ein junger Bursch ein Mädchen liebt, so begibt er sich Abends vor das Häuschen, wo seine Liebste wohnt, und hängt ihr einen schönen grünen Kranz vor ihr Fenster, wobei er dreimal laut seinen Namen ruft. Das ist seine Werbung bei ihr. — Dieser Kranz darf nie zurückgewiesen werden, das Mädchen bewahrt ihn heilig als Zeugnis eines ehrenvollen Heiratsantrags, wenn sie auch dem wackern Freier nicht das Jawort zu geben gedenkt.

Aber einen eigentlichen Korb ließe sich kein braver Mönchguter oder Hiddenseeer Bursche gefallen, er fensterlt daher neun Tage lang, so lange hängt auch sein Kranz draußen, und schaut nach: ob sich keine blaue Schürze vor dem Fenster blicken lässt. Ist dies bis zum neunten Morgen nicht der Fall, so zieht er still ab, und das Mädel nimmt den Kranz herein und bewahrt ihn in ihrer Lade. Erwidert aber das Mädchen die Neigung des Burschen, ist sie geneigt, sein Weib zu werden, so hängt sie neben dem Kranz ihre blaue Sonntagsschürze vors Fenster; „die will freien“ heißt's dann, kein anderer Bursche wird ihr mehr einen Antrag machen; der glückliche Erwählte geht aber am nächsten Sonntage hin, nimmt die Schürze des Mädchens, und tritt mit derselben vor die Anverwandten seiner Geliebten, nun feierlich bei diesen um sie werbend, und man weiß kein Beispiel, dass eine solche Werbung, wo das Mädchen eingewilligt, von Vater und Mutter wäre zurückgewiesen worden.“

So hab' ich damals an Wilhelm Müller berichtet, und wer seine Lieder eines reisenden Waldhornisten, seine „Muscheln“, gesammelt am Strande der Ostsee, kennt, weiß auch, wie echt dichterisch er diese Sitte auffasste, und in unvergänglichen Liedern verherrlichte.

Nun merke sich aber jede schöne Leserin, welch' heilloses Unglück eine solche blaue Schürze anrichten kann!

Ich will gar nicht behaupten, daß Anna Lorenzen das schönste Mädchen in — damals noch — schwedisch Pommern gewesen, aber so viel ist gewiss: auf Rügen, Mönchgut, ja in Stralsund selber, wussten die Leute zu erzählen vom Ännchen von Hiddensee, — daß ich's kurz sage: sie war das nordische Ännchen von Tharau, denn auch Lieder waren schon von den Matrosen auf sie gedichtet worden, und wurden gesungen in allen Tavernen, auf allen Decks und in allen Kombüsen.

Herr Gott! wie habe ich mich in späteren Jahren geärgert, dass ich damals noch zu jung und zu dumm war, um mich zu verlieben. Ich Esel! vor dem schönsten Mädchen, wenn sie mich ungeschliffenen Bengel liebkosen wollte, floh ich damals davon; jetzt, wo ich alle schönen Mädchen liebkosen, und wenn sie’s verlangten, heiraten möchte, laufen sie vor mir davon, das ist die Strafe für meine Sünden! —

Ich bin denn auch vor Ännchen von Hiddensee, aber nicht zu oft! davon gelaufen, die nach schöner, listiger Mädchenart, mich immer dann am meisten liebkoste, wenn Fritz Byström dabei war.

Fritz Byström war Ännchens Vetter und Bootsmann auf Ohm Hansens schöner Brigg, darauf ich ungeratener Range zur Besserung, (weil mich die gütige Mutter ganz zu verziehen drohte!) vom Vater als Midshipmen gegeben war. Aber Ohm Hansen verzog mich fast noch mehr als meine Mutter, denn die Strafen, die er mir notgedrungen auferlegte, dienten mir in der Regel nur zum Plaisir! Schickte er mich in den Mastkorb, so saß ich im Nu drin, ließ mich schaukeln und wiegen in der frischen klaren Luft, bis ich ein schlief und schickte er mich in den Raum, so wusste ich sehr geschickt das Schloss zur Wein-Koje zu öffnen, bohrte mit einem Nagel ein Fässlein an, und soff dem Ohm seinen Tischwein weg. Das Schiffsvolk, das an mir Affen gleichfalls einen Narren gefressen hatte, ließ mich gewähren, und freute sich sogar, wenn ich einen recht listigen Streich vollführt hatte; mein eigentlicher Beschützer aber war Fritz Byström, und ohne seine Fürsprache hätte Ohm Hansen mich doch gewiss mehr als einmal verdienter Weise abgestraft

So viele Untugenden ich auch besitzen mag: Undankbarkeit ist nicht mit darunter, und so hatte ich denn, trotz meines damaligen grenzenlosen Leichtsinns und Übermutes, den braven Fritz Byström recht vom Herzen lieb, und es jammerte mich, wenn ich ihn so trübselig der schönen Anna von Hiddensee gegenübersitzen sah. — Die nordischen Mädchen verstehen es nämlich über die Maßen gut, ihre Anbeter möglichst lange durch Kälte zu quälen, bevor sie ihnen ihr Jawort geben! — aber dieses Jawort ist dann auch freilich Eines, worauf ein ehrlicher Kerl bauen kann, wie auf einen Fels, und darum kann ich’s meinen schönen Landsmänninnen nicht verübeln, wenn sie damit nicht so freigebig sind, als die schönen Mädchen und Frauen im Süden,

Dass schön Ännchen von Hiddensee den Fritz Byström trotz ihrer Sprödigkeit vom Herzen zugetan sei, das entging selbst mir dummen Jungen nicht, und alle Leute sagten's auch dem Fritz und sprachen ihm Mut zu. Der aber wollte nicht daran glauben, und seufzte und ächzte, wie ein altes Steuer, was schlecht in den Angeln hängt.

Der Himmel weiß es, was ein befahrener Mann — und ein solcher war Fritz Byström — zu ertragen vermag, aber wird ein Matrose einmal so recht sentimental, so übertrifft er darin alle Landratten. So auch Fritz Byström.

Unser Deckmeister, Gert Paulsen, der das Freien und Heiraten, ich weiß nicht wie viel mal und an wie viel verschiedenen Orten schon versucht hatte, erbarmte sich endlich über den armen Jungen, und sprach, nachdem er eben zwei frische Primchen in sein breites Maul geschoben hatte, eines Tags: „Fritz Byström! Straf' mich Gott, du lavierst ganz ohne Not! Sei vernünftig, halte graden Kurs und hisse deine Flagge auf: ich meine, hänge der Dirne einen Kranz ans Fenster und gib Acht, ob sie ihren blauen Wimpel nicht aufsteckt — ich sag' dir, mir soll das erste Glas Grog zu Wasser werden, wenn sie's nicht tut.“ Noch Mehreres redete der weise Gert Paulsen in seiner nachdrücklichen Weise und versetzte mir sogar, als ich darüber lachte, einige derbe Hiebe mit dem Endchen, als Zeichen, dass er im bitteren Ernst rede.

Fritz Byström ward denn auch endlich überzeugt, fasste sich ein Herz, und eines Abends, als Ännchen und ich in ihrer Stube mit der Mutter auf dem Damenbrett „Tripp trapp troll! mien Möhl is voll“ spielten, rief Fritz draußen vor dem kleinen Fenster dreimal laut seinen Vor- und Zunamen, und an den Scheiben klipperte und tribbelte es, wie wenn was dran genestelt würde.

„Ännchen,“ rief ich lachend, „da hat dir der Fritz den Kranz gehängt, geschwind häng deine blaue Schürze vors Fenster, damit ihr noch Köst (Hochzeit) geben könnt, bevor wir wieder in See stechen, denn dass du's nur weißt: wir bleiben diesmal über Jahr und Tag aus.“

Aber Ännchen band ihre Schürze nicht ab, sondern saß da totenbleich, und dann wieder feuerrot, und wollte nicht mehr spielen, so dass ich bald ging.

Acht Tage lang fensterlte Fritz zwischen Angst und Hoffen, keine blaue Schürze ließ sich am Fenster blicken! er hoffte auf den neunten Morgen, — da hieß es am Abend des achten Tages: „An Bord Allmanns!“ — Alle Teufel! ehe wir's selbst wussten, waren wir schon auf hoher See, Kurs auf den Sund abhaltend um in die Nordsee und von da auf den Ocean zu gelangen.

Wie gesagt: Fritz Byström konnte Hiddensee und die blaue Schürze nicht vergessen und starb am Heimweh auf der Fahrt zwischen Madeira und St. Thomas. Schön Ännchens blaue Schürze aber hatte am Morgen des neunten Tages vor dem Fenster neben Byströms Kranz gehangen, und hing dort Jahr und Tag, und dann hat Ännchen Kranz und Schürze in ihre Truhe verschlossen, und ist in Trauer herumgezogen, ein ganzes Jahr lang und dann — hat sie einen Andern gefreit, und das war vernünftiger, als wenn sie eine alte Jungfer geworden wäre: „denn kannst Du den Liebsten nicht haben, so doch einen Braven.“ So denken sie im Norden und auf Hiddensee, wo alljährlich viel junge Bursche im Meere ihren Tod finden und junge Bräute und Weiber zurücklassen.

*) Teniers, David (1610-1690) flämischer Maler

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