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Urlaub und Freizeit

In der Freizeit gab es viel zu tun in Jerusalem: Besonders kann ich mich an das „Cafe Hungaria“ (das Ungarn-Kaffee) erinnern, das bereits vor der Staatsgründung existierte. Es war ein großes Gebäude, das wirklich im Herzen Jerusalems stand, an der Ecke der drei Hauptstraßen Jaffa, Ben-Yehudah und King George (benannt nach dem englischen King George V). Und wenn diese Ecke, auch „Kikar Zion“ (Zionsplatz) genannt das Herz ist, dann sind diese drei Straßen die Hauptarterien, die in alle Richtungen fließen. Das Cafe Hungaria hatte drei Stockwerke, es gab immer live Klaviermusik und Menschen sämtlichen Hintergrunds und Alters, die sich dort trafen. Mein Vater nahm mich oft dorthin – er trank dann Cafe und ich Kakao. Zu der Klaviermusik gab oft eine Sängerin ihre Künste zu Besten, und manchmal wurde dort auch getanzt. Es war wirklich ein Cafe in der besten Tradition Europas, vergleichbar mit dem Cafe Sacher in Wien. Leider wurde das Cafe Hungaria in den 50er Jahren geschlossen, und durch ein unpersönliches Kaufhaus ersetzt. Heute ist dort eine Geldwechselstation: statt Ideen werden also Währungen ausgetauscht. Auf dem Gebäude ist aber die Fassade des Cafe Hungarias erhalten geblieben – ein Relikt aus einer anderen Zeit. Außer dem Cafe Hungaria gab es das „Cafe Ataras“, wo sich die Jeckes (deutsche Juden) ihr Bestes gaben (auch der Besitzer war ein Jecke): In guter deutscher Tradition konnte man einen Jecken außer an seiner formellen Kleidung daran erkennen, dass er sich im Cafe Ataras an seinen Stammplatz setzte, ein Glass Wasser, die neueste Ausgabe der „Neueste Nachrichten“ (das war die deutsche Übersetzung der israelischen Presse) und die Toilettenschlüssel bestellte. Erst wenn all dies geliefert wurde, wurde eine Tasse Kaffee und ein Stück Kuchen bestellt. Im Gegensatz zum Cafe Hungaria war das Cafe Ataras am oberen Ende der Ben-Yehudah-Straße, die aufwärts geht. Der Boden war also uneben. Die Einwohner Jerusalems sagten dann immer zum Scherz, daß man sich seinen Cafe auf der Ben-Yehudah-Straße bestellte, und ihn erhielt, wenn man inklusive Tischen und Stühlen in der Yafa-Straße angekommen war. Bis vor kurzem existierte das Atara noch und wurde vom Enkel des ursprünglichen Gründers geleitet. Nach einem Selbstmordattentat und wirtschaftlichen Problemen hat es aber leider schließen müssen. In einer Seitenstraße gab es das „Kooperativ“-Restaurant, eine Mensa für Gewerkschaftsmitglieder, wo man zu einem billigen Festpreis Hausmannskost erhielt. Gegenüber stand „Finks“, eine alte Bar, die von Herrn Fink (einem ungarischen Einwanderer) geleitet wurde, und die kein Zeichen am Eingang hatte – nur Eingeweihte wußten, dass sich hinter dem Hauseingang eine Bar mit dem besten Spiritousen, die man in Israel bekommen kann, befand, sowie Zigarren aus aller Welt und eine Gulaschsuppe, die einem das Wasser im Mund zusammenlaufen ließ. Leider mußte auch Finks schließen – existierte jedoch bis zum Jahr 2006, unter der Leitung des Enkels – und bis zuletzt traf sich dort die diplomatische und politische Elite. Noch heute gibt es einen Ort in Jerusalem, wo sich Diplomaten aus aller Welt treffen: Das American Colony – Hotel, in Ostjerusalem. Gegründet von einer christlichen Pilgerfamilie im 19. Jahrhundert ist es heute eines der schönsten und stilvollsten Hotels im Nahen Osten, wenn nicht gar in der Welt, errichtet in Jerusalemer Stein und ausgeschmückst mit Marmor. Da es immer noch in Privatesitz ist, hat es diplomatischen Sonderstatus. Manchmal komme ich mir wie in einem James-Bond-Film vor, wenn ich dort bin, und zwischen inoffiziellen israelisch-palästinensischen Verhandlungen, Geschäftsmännern aus Dubai und Botschaftern aus Amerika, Europa und Asien meinen Kafefe sippe. Gar nicht diplomatisch hingegen ist Ta`ami („nach meinem Geschmack“), in der Innenstadt Jerusalems. Es ist ein winziges Arbeiterrestaurant, das für exzellente Hausmannskost und die Unfreundlichkeit ihres Besitzers bekannt war: So standen die Tagesarbeiter in den 50er Jahren oft sehr lange mittags Schlange. Wenn dann einer der Kunden zu langsam aß und die Arbeiter Angst hatten, nicht an die Reihe zu kommen oder zu spät von der Mittagspause zurück zu kommen, sagte der Besitzer dem Kunden: „Nicht kauen – schlucken!“ Der Besitzer von Ta´ami ist übrigens lange tot, aber Ta´ami existiert immer noch. Bei meinem letzten Besuch beschwerte sich eine Frau, dass sie statt Mineralwasser Leitungswasser bekam, als sie sich Wasser bestellte. Antwort des neuen Besitzer: „Mineralwasser wollen sie? Das King-David-Hotel ist eine Straße weiter!“ Einige Dinge ändern sich wohl nie...

Aßer zum Essen und Trinken gingen wir oft ins YMCA, wo sich ein öffentliches Schwimmbad sowie der Fußballplatz befand, wo die beiden Teams Jerusalems, „Hapoel“ (das Team der Arbeiterbewegung) und „Beitar“ (das Team der Revisionisten, bis zum heutigen Tage politisch rechts orientiert) oft gegeneinander antraten. Während meine Mutter zum YMCA ging, um das Schwimmbad zu benutzen, ging ich oft zum Fußballspiel. Zwischen den beiden Teams und insbesonders den Anhängern war eine sehr starke Animosität, die lange anhielt. Als Einwohner Jerusalem war man entweder „Beitarnik“ (Anhänger Beitars) oder „Poelnik“ (Anhänger von Hapoel) – und oft ging es rund im YMCA-Stadium (das wir „Imka“ aussprachen – vom amerikanischen Ursprungs hatten wir keine Ahnung). Da das Spielfeld durch nichts von den Zuschauern getrennt war, kam es manchmal vor, das die Fans das Spielfeld während eines Spieles stürmten und sich gegenseitig –oder die Spieler- beschimpften oder verprügelten. Da Sport noch nicht professionell war, spielten die Spieler ohne Bezahlung und lebten meist in derselben Nachbarschaft wie die Fans. Gegenüber vom YMCA, das immer noch steht, ist das King-David-Hotel (auch das gibt es noch heute), wo vor der Staatsgründung die britischen Besatzer einein ihrer Sitze hatten. Die jüdische Untergrundorganisation „Irgun Zvi Leumi“ (manchmal „Etzel“ oder „Irgun“ genannt) legte dort eine Bombe, die den rechten Flügel fast komplett zerstörte. In das King-David-Hotel ging ich nie (selbst der Cafe dort war zu teuer, vom Essen oder Hotelbesuch ganz zu schweigen), jedoch war der zerstörte Flügel ein Teil meiner Kindheitslandschaft. Im Gebäude des YMCA war ich jedoch oft, meist um meine Mutter nach dem Fußballspiel vom Schwimmen abzuholen. Oft stiegen wir dann auf den Turm des YMCA-Gebäudes hoch (der immer noch steht), der damals der höchste Turm Jerusalems war. Von dort aus hatte man eine wunderbare Aussicht auf die Alt- und Neustadt, die Altstadt und das Umland, das damals fast komplett ungebaut war.

Wenn wir Ferien hatten, ging es nach Tel-Aviv, zu der oben erwähnten Tante Ami Anderson. Und mein Vater lud mich immer zu einem Eis bei „Eis Wittmann“ ein, dessen Geschichte wie folgt war: Herr Wittmann war ein Bauarbeiter, der in einer kleinen Baufirme arbeitete. Eines Tages hatte er einen Unfall, als er von einer Leiter fiel und sich beide Beine brach. Im Krankenhaus wurde ihm Berufsunfähigkeit bescheinigt, so dass er seine Arbeit verlor. Man bot ihm eine kleine Entschädigung, die war aber zum Leben zu wenig und zum Sterben zu viel war. Wittmann weigerte sich, zu unterschrieben. Kurz darauf ging er mit seinen Krücken an der Allenbystraße entlang und entdeckte zwischen zwei Häusern eine Lücke. Ihm kam die Idee, einen Eisverkaufsstand dort zu haben. Und so ließ sich Wittman die Berufsunfähigkeitsrente komplett auszahlen und baute mit einfachen aus Sperrholz einen Stand, den er mit Leuchtschrift beleuchtete: Der Landen hatte die Form des hebräischen Buchstabens „Tav“ (ת). Wittmann begann Milkshakes und Eis in den Geschmacksrichtungen Schoko, Vanille und Erdbeere zu verkaufen, und fügte später auch amerikanisches Eis hinzu. Es wurde ein voller Erfolg: Der Laden lief so gut, dass Wittmann mit Eimern voller Geld nach Hause fuhr. Vor seiner Eisdiele stand eine Schlange, die sich einige Straßen zog, und auf die sensationellen Milkshakes und das wunderbare Eis geduldig warteten. Mir läuft immer noch das Wasser im Mund zusammen, wenn ich an Wittmanns Eis denke, insbesonders an das Schokoladeneis. Auch wird mir warm ums Herz, wenn ich daran denke, dass diese Eisdiele eigentlich aus Verzweiflung geboren war, aus der Angst, alleine als Krüppel zu leben. Wittmann jedoch machte eine Strophe der israelischen Hymne, nämlich: „noch haben wir die Hoffnung nicht aufgegeben“ zum Motto, und improvisierte. Für mich symbolisiert seine Geschichte irgendwie auch die Geschichte des jungen Staates Israels, zu dem wir als gebrochenes Volk auswanderten, verzweifelt und voller Angst ob der ungewissenen Zukunft, aber: Noch hatten wir die Hoffnung nicht aufgegeben.

 

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