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Tel-Aviv

Gelebt habe ich nie in Tel-Aviv, der Stadt, die 1909 gegründet und nach dem Utopie-Werk „Altneuland“ (in der hebräischen Übersetzung Tel-Aviv, also „Frühlingstal“ genannt) des Gründers des politischen Zionismus, Theodor Herzl, benannt wurde. Hier wurde auch die Unabhängigkeitserklärung ausgerufen. Wie gesagt, habe ich dort nie gelebt. Jedoch sind einige meiner schönsten Erinnerungen von Tel-Aviv, wohl auch, weil wir sie nur selten besuchten, und weil sie mir vorkam wie eine Utopie aus einen Science-Fiction-Roman. Eine meiner schönsten Erinnerungen an Tel-Aviv ist vom Mugrabi-Kino. Ich muss wohl ca. 3-4 Jahre alt gewesen sein, als meine Eltern sich entschlossen, sich einen Film im Kino anzuschauen. Nachlath-Yehudah hatte natürlich kein Kino, so daß sie nach Tel-Aviv fahren mußten. Und da sich niemand einen Babysitter leisten konnte, nahmen sie mich mit. Es lief „Wem die Stunde schlägt“, eine wunderbare Adaption des Ernest Hemingway- Romans über einen Amerikaner, der sich freiwillig meldet, nach Spanien geschickt zu werden, um gegen Franco zu kämpfen. Der Film ist bis heute einer meiner Lieblingsfilme, nicht zuletzt wegen seiner antifaschistischen Botschaft und der schauspielerischen Leistung Gary Coopers. Und dann ist da natürlich Ingrid Bergmann, die auch mit Kurzhaarschnitt das Wort „Schönheit“ neu definiert hat (hier sogar noch mehr als in „Casablanca“). Damals hatte ich allerdings kein Verständnis für den Film oder seine Botschaft. Was mich aber beeindruckt hat, war das Theater selbst: Ich hatte nie zuvor ein Kino gesehen und kam beim Anblick der Sitzreihen, des roten Teppichs und der Leinwand, die größer war, als jedes Gebäude, dass ich bis dato kannte, nicht mehr aus dem Staunen. Wie gesagt, ebbte meine Begeisterung während der Vorstellung ziemlich schnell ab, und ich krabbelte zwischen den Leuten – und heraus aus dem Theater. Meine Eltern bemerkten meine Abwesenheit erst, als der Film bereits zu Ende war, und starteten eine – leider erfolglose - Suchaktion. Zum Schluß riefen sie sogar die Polizei, die mich auf einen Betonquader sitzen sah, wo ich mich mit wildfremden Leuten unterhielt.

50 Jahre später arbeitete mein Sohn Benjamin für Hr. Professor Meir Schwarz, einen deutschen Jude, der zur Nazizeit nach Israel flüchtete und u. a. auf dem berühmten Exodus-Schiff war. Professor Schwarz arbeitete während des Krieges für die „Aliyah Beth“, also die illegale Einwanderung von Juden nach Palästina. Im Rahmen dieser Arbeit war er in Europa, wo er täglich in ein Kino ging, um während einer Vorstellung gefälschte Papiere gegen Geld zu tauschen. Der Film, der da täglich lief: Wem die Stunde schlägt...

Auch später, in meiner Schulzeit, war Tel-Aviv immer der Ort, wo wir unsere Freizeit verbrachten. Schon damals war es die hektischste und kosmopolitischste Stadt Israel, und das ist sie bis heute geblieben. Wir fuhren immer mit dem Bus zur Hauptbusstation (Tachanah Merkazit), die damals in einem offenen Gelände war. Heute ist die Hauptbusstation ein 6-stöckiges Riesengebäude, das ziemlich monströs ausschaut. Die Hauptbusstation von damals aber war eine andere Welt, sie war umgeben von Essensständen, Gemüsemärkten und kleinen Geschäften. Die israelische Musikband Tippecks (manchmal auch Teapacks geschrieben) hat sogar ein Lied über diese alte Busstation geschrieben, wo man in einer eigenen Welt, fernab jeglicher Hektik und jeglichem Alltagsstreß ist.

Von dieser Busstation nahmen wir entweder einen Bus oder ein Sammeltaxi in die Innenstadt, wo wir meisten meine Tante Emi Anderson besuchten. Tante Emi, die Witwe war und eine Tochter hatte, war für damalige Verhältnisse recht wohlhabend. Das bemerkte ich u.a. daran, dass ihre Wohnung Aircondition hatte, etwas, von dem ich noch nie vorher gehört hatte. Ich kam mir vor wie in einer Eishölle, so kalt war es. Für meinen Vater und für Tante Ruth war sie nicht nur Verwandte, sondern auch eine Person, mit der man sich auf deutsch unterhalten konnte. Sie sprach genau so wenig hebräisch wie mein Vater, aber mehr dazu später.

Im allgemeinen gab es in Tel-Aviv verschiedene Nachbarschaften, in denen sich bestimmte Einwanderergruppen konzentrierten. Die Ben-Yehuda-Straße, die parallel zum Strand entlang läuft, war die Gegend der Jeckes, oder deutscher Juden. Scherzhaft wurde es auch „Kanton Hebräisch“ genannt, oder anders betont „Kein Ton Hebräisch“, denn oft lernten Jeckes die Sprache fast gar nicht. Auch waren die deutschen Juden dafür bekannt, selbst im Hochsommer mit Anzug, Krawatte und Anzugjacke herumzulaufen, weswegen man sie „Jeckes“ (Jackenträger) nannte. Innerhalt ihrer „Siedlung“ auf der Ben-Yehuda-Straße gab es sehr viele Straßencafes, wo fast nur deutsch gesprochen wurde. Besonders bekannt war das Cafe Meersalz: Dort war deutsch die Lingua Franka, und Stammgäste hatten ihren Stammplatz. Fast jeder wurde in dem Cafe, das fast immer voll war, mit Namen begrüßt. Auch Tante Ruth war zu ihrem Lebensende Stammgast im Cafe Meersalz, das übrigens immer noch steht, und vom Sohn des Gründers verwaltet wird. Für Tante Ruth war es auch eine gute Möglichkeit, etwas Abwechslung vom harten Landwirtschaftsleben zu haben. Und so hatte sie ihr ganzes Leben lang ein Bankkonto in Tel-Aviv, was eine gute Ausrede war, in die große Stadt zu fahren und nach den Bankgeschäften ins Cafe Meersalz zu gehen.

Aber nicht nur die Jeckes hatten ihre Viertel in Tel-Aviv: Neben dem großen Gemüsemarkt, dem Shuk Ha-Carmel, wohnten Einwanderer aus dem Jemen in einer Gegend, die Neve Shalom („Tal des Friedens“) genannt wurde. Nicht weit von der Hauptbushaltestelle gab es ein Armenviertel namens „Shechunath Ha-Tikvah“ (das Viertel der Hoffnung“), wo meist Einwanderer aus dem Irak wohnten. Die auch in Europa berühmte Sängerin Ofra Haza (die allerdings jemenitischer Herkunft war) ist in dieser Gegend aufgewachsen. Leider ging sie viel zu früh von uns, krankheitsbedingt. In Jaffo, dem arabischen Hafenviertel gleich bei Tel-Aviv wohnten außer den arabischen Bewohner hauptsächlich bulgarische und rumänische Einwanderer. Eines der in Israel bekanntesten Restaurants wurde von einem Rumänen namens „Nellu“ geleitet. Das Restaurant wurde nach seinem Besitzer benannt und steht noch immer. Jaffa ist übrigens einer der wenigen Orte in Israel, wo Araber und Jerusalem sich eine Stadt (oder Dorf) teilen. Ansonsten leben beide Bevölkerungsgruppen in separaten Städten. Andere gemischte Städte sind Akko, Haifa und Jerusalem, wo ich bald hinzog.

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