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Nach langjähriger Abwesenheit betrat ich einmal wieder den heimischen Boden und verspürte mit Vergnügen die Veränderungen, die der Fortschritt der Zeit diesem Lande aufgedrängt hat; denn an freie Selbstentwickelung ist leider bei uns noch nicht zu denken. Die Eisenbahnen sind es und die bessern Wege, über die sich der Reisende freuen muss; denn wo er noch vor wenigen Jahren langsam im Sande geschaukelt wurde, führen ihn jetzt bequeme Postwagen und wohlberechnete Verbindungen schnell von einem Orte zum andern. Der Reiz der Neuheit hat daher eine gewisse Reiselust erweckt, und der schwerfällige Mecklenburger, aus seiner gewöhnlichen Apathie erwacht, entschließt sich die Grenze seines Vaterlandes zu überschreiten und die freie Reichsstadt Hamburg in Augenschein zu nehmen, wo ihn die Austernkeller mit allen möglichen Delikatessen anlachen, für deren Reize er durchaus nicht unempfänglich ist. Kehrt er zurück, so spricht er auch eine Weile von dem Gesehenen, bis er nach und nach in seine alte Weise zurückfällt, isst, trinkt, schläft, Karten spielt, wenig an seine Toilette denkt, sich wenig um die Schicksale von Staaten und Völker kümmert, dafür aber sehr genau darauf hält, dass man ihm seinen Titel gebe, so wie er gerne bereit ist, sich vor jedem Hochgebornen drei Mal zu bücken. Das ist denn doch in heutiger Zeit ziemlich abgeschmackt und der Wert der kleinen lächerlichen drei Buchstaben des „Von,“ das man sich hier so gerne als Aushängeschild anhängt, um dadurch andere fehlende Verdienste zu ersetzen, ist zu sehr im Preise gefallen, als dass man noch nach einem so billigen Schmucke geizen sollte. Es schmeckt hier überhaupt alles noch gar zu sehr nach der Zeit des Faustrechts und des Raubrittertums. Man bemerkt überall ein gewisses rohes Element, das erst nach und nach durch den Verkehr mit zivilisierten und gesitteten Völkern verdrängt werden wird und muss. Die Mecklenburger rauchen ungebührlich stark. Selbst auf der Eisenbahn wurden außer Zigarren lange Pfeifen angesteckt, so dass es unmöglich war bei der eingeschlossenen Luft den Rauch zu ertragen. Überall ist Tabaksgeruch, in Büchern, in Kleidern und in Wäsche. Letztere wird überdem bei weitem nicht häufig genug gewechselt. Im ganzen Norden Deutschlands haben die Frauen noch ein Vergnügen an selbstgesponnener Leinwand, von der sie gerne ganze Schätze in vollen Kisten bei Seite stellen, und diejenige, die den größten Vorrat davon besitzt und sagen kann, dass sie die längere Zeit für ihren Haushalt damit ausreiche, ist am stolzesten und fühlt sich beglückt durch diese Überlegenheit. Dadurch entsteht das hassenswerte System „große Wäsche“ zu halten, und diese unglückseligen „jours de fêtes“ der Hausfrauen sind ein wahrer Fluch aller Haushaltungen. Jeder ist gezwungen sich so einzurichten, um mit seiner Wäsche bis zu dem großen Tage auszureichen, und diese sorgfältige Einteilung ist die Ursache, dass die Herrenwelt ihre Hemdmanschetten meistens verstecken muss. Im Händewaschen sind sie überdem auch nicht besonders eifrig, ja man kann sogar sagen, es sei die größte Seltenheit, ein paar reingewaschene Hände zu sehen, und ihre Gesichtsfarbe ist gleichfalls, was man auf Englisch so gut durch „a sallov complection“ ausdrückt, wovon die Ursache entweder in der überreichen Küche und einem wunderbaren Appetit, im vielen Rauchen, oder auch in der Nichtanwendung von Seife zu suchen sein mag, da ja die Eskimos an demselben Übel leiden, aber nur weil es ihnen an Wasser gebricht und sie ihren Durst mit Öl löschen.

 

Übrigens sind die Mecklenburger ein guter Schlag Menschen, obwohl sie noch wenig von einem droit de l’homme und der Perfektibilität wissen und wissen wollen. Das Land ist spärlich bevölkert und schlecht angebaut. Es gibt hier zwei mächtige Elemente, den Adel und die Bureaukratie, und was darüber ist, das ist von Übel. Die Prediger predigen hier wie überall auf christlichem Boden: dass alle Menschen Brüder und Kinder Gottes sind; — doch würde ein mecklenburgischer Junker es für die größte Beschimpfung nehmen, wollte man ihm sagen, ein Mann aus dem Volke sei sein Mitmensch, dessen Freuden und Leiden eben so hoch in der Wage des Geschickes wiegen als die seinigen. Wie schön und poetisch auch Herr „J. v. W.“ das Erntefest in Mecklenburg in Kühnes „Europa“ geschildert hat, so sieht das Landvolk hier doch keineswegs aus, wie es dort auf dem Papier gezeichnet ist.

 

Die lieblichen Schnitterinnen, die in der „Europa“ mit den Mähern in der Mittagsstunde hinter einer Hecke versteckt kosend ausruhen, sie gehören einem derben Menschenschlag an, der die deutsche Sprache kaum versteht, seltener noch spricht, der kaum seine Bibel buchstabieren kann, mit dem Schreiben sich nie befasst hat, über die Grenze seines Dorfes hinaus nichts kennt, weiß oder versteht. Ihre Häuser sind mit Stroh gedeckt und haben keine Esse; in dem schwarzen Rauche sitzen die Bewohner nach vollbrachtem Tagewerk vor dem großen Feuer; auf dem roh gearbeiteten hölzernen Tische brennt eine düstere Tranlampe, über ihren Köpfen an der Decke hängen die Schinken und Würste und sonstigen Wintervorräte. Von irgend einer Bequemlichkeit, einem Luxus, einer Verschönerung wissen diese Menschen nichts und sie begehren auch nichts, was sie nicht kennen. Ihr Sinn ist roh, ihre Nahrung ist roh, ihre Einrichtung roh. Sie leben au jour la journée, sie streben nicht, sie denken nicht, sie wünschen nicht. Sie essen aus einer großen Schüssel — Teller haben sie nicht — sie bedienen sich hölzerner Löffel, die sie selbst schneiden und sitzen auf einer hölzernen Bank. Ihr Bier trinken sie aus einem großen zinnernen Kruge, der die Runde macht. Und dabei sind sie ganz konservativ und hassen den, der ihnen ihren Rauch und den großen Düngerhaufen nehmen wollte, den sie der Bequemlichkeit wegen immer so nahe wie möglich vor der Türe ihres Hauses anlegen. Ihre Gärten, ihre Felder bebauen sie, wie ihre Vorväter es vor Jahrhunderten getan, und alle Fortschritte, die man im Ackerbau, in der Viehzucht und der Kultur des Obstes gemacht, sind an ihnen vorübergegangen. Auf diese Weise lebt der Bauer hier fort auf dem kleinen Erbgute, das er der Regierung verzinst, und das vom Vater auf den Sohn geht, ohne eine Veränderung zu erleiden, und ohne dass die neuen Besitzer je neue Kenntnisse, neue Erfahrungen oder Pläne für dasselbe mitbringen. Denn woher sollte dies ihm kommen? Als Kind besucht er die Schule des Dorfes, wo er von einem Lehrer unterrichtet wird, der von dem Ertrage seines Ackers lebt und nicht von seinem Einkommen als Jugendlehrer, was spärlich genug ausfallen möchte; nachdem er also früh morgens ein paar Stunden gepflügt, kommt er nach Hause, die Jugend in dem zu unterweisen, was er entweder selbst nie gewusst, oder sonst doch auch längst wieder vergessen hat. Nachdem nun der junge Erbbauer alle Kenntnisse eingesogen hat, die er hier erwerben kann — und das beschränkt sich wohl meistens auf das Buchstabieren leichter Worte — wird er, sobald er konfirmiert ist, Knecht bei einem andern Bauer, oder steht seinem Vater als Gehilfe zur Seite, bis er selbst in sein Erbe eintritt. Dieser Zustand der Dinge hat gedauert und wird dauern, bis die Regierung endlich einmal Zeit gewinnt daran zu denken, für die Bildung dieser Klasse Sorge zu tragen, die einen bedeutenden Teil der Bevölkerung ausmacht und deren Einfluss auf den Wohlstand eines Landes, dessen Betriebsamkeit in Ackerbau besteht, bedeutend ist. — Mit dem „Volk“ auf den ritterschaftlichen Gütern sieht es gerade eben so aus. Bis später als 1820 waren diese armen Leute das Eigentum des Gutsbesitzers, dem sie so gut angehörten, wie die Kühe und Pferde und andere Gegenstände, die er bei der Besitznahme in Empfang nahm. Seitdem sind sie nicht mehr sein, man kann sie nicht mehr seine Sklaven neunen, denn er kann sie nicht veräußern; doch sind sie abhängig genug. Sie können kündigen und wegziehen wenn sie wollen, das ist wahr genug, aber wer sagt ihnen denn auch gleich, dass ihr künftiger Oberherr menschlicher sein werde? Der Besitzer des Gutes gibt jedem seiner Arbeiter ein Häuschen, dafür müssen sie gewisse Tage im Jahre für ihn arbeiten. Gibt er ihnen außerdem zu tun, so bezahlt er ihnen eine mäßige Summe für den Tag, die im Voraus festgesetzt ist. Auch die Frau muss Dienste tun und arbeitet überdem gerne so viel sie kann, sowohl auf dem Felde als im Hause der Herrschaft für dieselbe, um ihr spärliches Einkommen auf diese Art zu mehren. Die Kinder bleiben indessen sich selbst überlassen, und das ist der traurigste Punkt bei der Sache. In der Mittagsstunde von 12 bis 1 Uhr kehrt die Mutter heim, nach den Kleinen zu sehen und ihnen ihre Nahrung zu reichen. Wollte sie die Kinder auf das Feld nachkommen lassen und dieselben dort von der gutsherrlichen Tafel bewirken — wie das in der „Europa“ so hübsch und patriarchalisch dargestellt ist — so möchte sich die Herrschaft wohl recht schon bedanken und das Mitspeisen dieser kleinen hungrigen Gäste ernstlich verbitten. Nach der Ernte, während Mutter und Vater dreschen, müssen die Kleinen Ähren lesen. Im Winter aber werden sie zu dem Schulmeister geschickt, der auf den Rittergütern gewöhnlich ein Handwerker ist und dann sein Metier treiben kann, während die Kinder buchstabieren. Da dem Gutsherrn nichts daran liegt, dass seine Untergebenen rechnen, schreiben und lesen lernen, so trägt er auch weiter keine Sorge dafür, und auf diese Weise bleibt die Volksbildung immer auf demselben Punkte. Hin und wieder gibt es freilich eine Ausnahme — denn wo wäre eine Regel ohne eine solche — und zu dieser gehören die Güter des Grafen Hahn, auf denen nicht er, aber wohl seine Gemahlin die Kinder auf recht fühlbare Weise mahnen soll, die Schule nicht zu versäumen und in derselben aufmerksam zu sein. Ein solcher einzelner Fall kann aber keine Resultate liefern, und das um so weniger, weil ein solches Anfeuern oft Abneigung gegen die Sache einflößt. Die Geistlichen könnten am Besten wirken und wären die Geeignetesten an der Bildung des Volkes zu arbeiten; sie aber hängen von den Bauern ab, von denen sie ihren Zehnten in Viktualien empfangen, und haben überdem alle selbst Ackerwirtschaft, womit sie denn so beschäftigt sind, dass sie bald kein anderes Interesse mehr kennen, als das, ihren Weizen zu säen und zu ernten.

 

Die Stände Mecklenburgs versammeln sich alljährlich zu einem Landtag in Malchin, wo sie sich über die Angelegenheiten des Landes beraten und die Abgaben für das kommende Jahr festsetzen. Jeder Rittergutsbesitzer hat dort eine Stimme und die Städte werden durch ihre Bürgermeister vertreten. Da nun aber die Zahl der letztern die bei weitem geringere ist, so behielt der Adel bis jetzt immer die Oberhand, denn die bürgerlichen Gutsbesitzer, obwohl ihnen das Recht zustand, erschienen nie. Im Jahr 1838 machte jedoch ein Herr Schnelle auf Buchholz den Antrag, diesem Missverhältnis künftig abzuhelfen, und sein Bemühen hatte den Erfolg, dass der Adel im letzten Jahre bei weitem überstimmt ward; eine Neuerung, die ihm zu ungewohnt war, um sie mit guter Laune hinzunehmen. — Der Anschein war nun da, dass das Volk besser vertreten werden würde, seit sich Männer dort eingefunden, deren Interesse für dasselbe sein sollte; aber bis jetzt hat sich nur noch ein sehr unbefriedigendes Element herausgestellt; diese bürgerlichen Gutsbesitzer sind sehr roh und ohne alle Bildung, verstehen wohl ihren Acker zu bebauen, aber von Geschäften gar nichts. Sie feinden den Adel an, sagen ihm Sottisen, geben ihre grobe Ungeschliffenheit für Liberalität aus, und schelten Alles, was gute Sitte heißt, aristokratisch. — Mit bloßen Scheltworten kann man aber keine Reformen hervorbringen und dieser bedarf dies arme Land doch sehr ernstlich.

 

Für die Herren Bürgermeister lässt sich auch wenig sagen. Sie sind eigentlich alle kleine Tyrannen, die nichts kennen, als den Buchstaben des Gesetzes, die in ihren Städten unbedingt herrschen und durch ihren Machtspruch über das Wohl und Wehe der Städter bestimmen. Die Regierung steht ihnen hierin redlich bei, weil sonst auf dem alljährlichen Landtage der Herr Bürgermeister gegen die Forderungen der Regierung stimmen könnte. So arbeiten sie sich gegenseitig in die Hände. Diese kleinen städtischen Fürsten haben nun eine unbeschreiblich lächerliche Idee von ihrer Wichtigkeit, und wirklich, wollte der liebe Gott auf der Erde in sichtbarer Gestalt umherwandeln, er könnte keine erhabenere Miene annehmen, als so ein mecklenburgischer Bürgermeister von irgend einem Krähwinkel. Er regiert fortwährend und kommt in dieser Funktion nie aus der Übung. Ob er aber wohl regiere, steht noch zu bezweifeln, denn ein schwach bevölkertes, nur halb angebautes Land, aus dem die Menschen auswandern, ist eben kein ehrebringendes Resultat. Ganze Flächen Landes sieht man unkultiviert; die Dörfer liegen in großer Entfernung von einander und neue Häuser, die auf eine zunehmende Bevölkerung hindeuten würden, gewahrt man nirgends. Auch ist es erwiesen, dass die Zahl der Einwohner sich alljährlich vermindert, ein Umstand, der in Zeiten des Friedens, wo keine Seuchen oder andere Krankheiten herrschen, auf ein radikales Übel schließen lässt. —Mecklenburg hat im letzten Winter viel von der Hungersnot gelitten und noch augenblicklich sind alle Lebensmittel über die Gebühr teuer. Dennoch liegen in der Nähe der Städte viele Äcker, oft sehr guten Bodens unangebaut. Kommt man auf den Bahnhof bei Hagenow an und fragt, warum die Gegend dort einer Wüste gleiche, ohne Bäume, ohne Sträucher, ohne Anschein der Nachbarschaft einer Stadt, die sich sonst gewöhnlich durch wohlbepflanzte Gürten und verschönernde Anlagen verrät, so heißt die Antwort, dass es hier vor hundert Jahren so gewesen sei, und dass die alten Spießbürger keinen Gefallen daran fänden, Getreide, Kartoffeln oder Bäume aufwachsen zu sehen, wo ihre Vorväter deren keine gehabt. Die Stadt Parchim ist vielleicht die ärmste des Landes und wird nur des Gymnasiums wegen von unbemittelten Witwen bewohnt, die ihre Söhne zu erziehen wünschen; sie hat keinen Handel, keinen Verkehr, keine Landstraße führt durch dieselbe, und sieht man um sich, gewahrt man im ganzen Gesichtskreise weder ein Dorf, noch ein Gehöft. Es wird also von Außen her wenig auf den Markt gebracht, die Lebensmittel sind daher teuer, Fleisch ist oft kaum zu bekommen, Fische gar nicht, und gute Kartoffeln stehen hoch im Preise und sind schwer genug zu erhalten. Trotzdem erlaubt der Magistrat, dass ganze Flächen schönen Lehmbodens unbebaut daliegen, und will man die Ursache wissen, oder äußert den Wunsch, den armen Leuten möchten hier kleine Gärten zuerteilt werden, so erwidert so ein löbliches Mitglied des Stadtrates ungefähr: die Schweine hätten sich von Anbeginn der Welt behaglich in dem weichen Boden herumgewühlt; wie man also die armen Tiere eines solchen Vorrechtes berauben könne? — Was kann man gegen einen Grund anführen, den immer die Liebe zu dem Geschöpf eingeflößt hat, wenn dieselbe gleich nicht menschlich zu nennen ist! So lebt man im Lande Mecklenburg auf die alte Weise fort und hat sich über nichts zu wundern, als dass man so leben kann. Jedes Interesse scheint hier von dem kleinen Ich auszugehen und auf dasselbe zurückzuführen, die Unterhaltung dreht sich stets um Personen, nie um Dinge, das Leben fließt in der Sorge für die Erhaltung und in der Herbeischaffung der notwendigen Bedürfnisse dahin. Die Frauen sind hier die Haushälterinnen des Mannes, die Wärterinnen seiner Kinder und nichts mehr; — eine Corinna würde hier die Aufnahme finden, die weiland der Heldin von Frau von Staël in einer entfernten Provinz ihres Vaterlandes zu Teil ward. Der Adel lebt auf seinen Gütern und jagt und spielt und trinkt; die Städter leben wieder für sich und haben wenig oder keine Gemeinschaft mit jenen, denn hier sowohl als in Hannover sind der Bürgerstand und die Aristokratie noch strenge von einander geschieden, und nur wer sechzehn Ahnen hat, ist wirklich hoffähig. Die Frau Großherzogin hat überdem noch eine besondere Vorliebe für altes Blut, und erlaubt nicht einmal, dass der Mann seiner Frau mit seinem Namen auch eine Stellung neben sich in der Gesellschaft anweise, sobald ihr Stammbaum Makel hat. Nur selten macht sie eine Ausnahme hievon und eine solche Gunst wird als ein hohes Glück erkannt. Der Großherzog ist ihr unbedingt ergeben. Der Hof hält sich jetzt gewöhnlich in Schwerin auf, wo es an einem Theater und andern Lustbarkeiten nicht fehlt. Ludwigslust, die frühere Residenz, wird jetzt von adeligen Witwen und deren Töchtern bewohnt, die hier eine höchst noble und antike Gesellschaft vom reinsten Blute bilden. Da diese jungen Damen eine heilige Scheu vor einer Mesalliance haben, so sind ihrer eine sehr große Zahl, die diese Welt rein und unbefleckt verlassen und das schöne Bewusstsein mit sich in den Himmel nehmen, lieber ein einsam verkümmertes und nutzloses Leben geführt zu haben, als dass sie eine Nachkommenschaft zurückgelassen hätten, die nicht hoffähig gewesen wäre. Solcher edlen Aufopferung sind doch nur noble Seelen fähig! — Aber gewiss bedarf es auch wiederum einer noblen Seele, um sie nach Verdienst würdigen zu können.

 

Was würde die Frau Großherzogin Alexandrina nun gar sagen, wenn sie am englischen, französischen und belgischen Hofe einen Juden erscheinen sähe, wie das doch häufig vorkommt, all' das andere bürgerliche Volk nicht einmal zu rechnen? Mecklenburg hat so etwas noch nicht gesehen, so wie überhaupt manches nicht, was zu lernen an der Zeit wäre. Alle hohen Staatsbedienungen, das Forstwesen und die Armee, gehören dem Adel als ein zukommendes Recht; wie lange wird sich das Verdienst noch einen solchen Vorzug der Geburt gefallen lassen? — Die Idee, dass es anders sein könne und müsse, fängt schon an in einigen Köpfen zu spuken, und Stimmen wollen hier und da laut werden, die die bestehenden Missbräuche rügen; aber eine strenge Zensur wacht auch hier über des freien Mannes ausgesprochenen Gedanken und nur die Spatzen mögen singen wie sie wollen. —

Mecklenburg zählt viele Advokaten, eine höchst formierte Bureaukratie, einen sehr blasierten Adel, viele Philologen und sonstige Stubengelehrte; aber an unternehmenden Geschäftsmännern und Schriftstellern ist es noch nicht reich, und mancher Tag muss noch verstreichen, ehe es solche aus sich herauszubilden im Stande sein wird. — An guten Handwerkern fehlt es gleichfalls, und diese Klasse zu fördern, daran denkt weder die Regierung noch der Magistrat der Städte. Alles muss hier von selbst kommen, wenn es überall kommen soll; denn von oben her wird kein Licht aufgesteckt, das den Menschen erwärme und anfeuere. Glasbrenner hat in Neustrelitz sehr hübsche Reden im Industrieverein gehalten; Mecklenburg-Schwerin denkt aber noch nicht an Industrie. Manufakturen hat das Land nicht, Fabriken hat es nicht, gute Handwerker hat es nicht, große Talente hat es auch nicht, so bleibt am Ende von dem armen kleinen Ländchen nichts zu sagen übrig, als dass es notdürftigen Ackerbau und Viehzucht treibe.

 

Ein Zweig des Verkehrs hat sich aber doch in den letzten zehn Jahren bedeutend emporgeschwungen: das ist der Buchhandel. Außerdem, dass der Hofbuchhändler Hinstorff ein Doppelgeschäft für Parchim und Ludwigslust eröffnet hat, für das er nicht nur alle Zeitschriften bezieht, hat er noch alle neuen Romane in einer Leihbibliothek und sonstige gute Werke zum Verkauf. — Auch in den übrigen Städten Mecklenburgs, sowohl kleinern als größeren, gibt es jetzt Buchhandlungen, und manche derselben geben sogar kleine Volksschriften heraus, die freilich nie ihren Weg über die Grenze dieses kleinen Landes finden, aber in demselben doch so viel Absatz haben, um bestehen zu können. Die Hauptschriftsteller für diese Schriften sind Raabe, der, so freisinnig er darf und kann, für die Rechte und das Wohl seiner Mitbürger streitet, und David Assur oder Rusa, der Herausgeber einer Volksbibliothek, die in Schwerin erscheint und noch das beste enthält, was diese noch unversuchten Talente liefern können. An Damen sind wir reicher, ja eigentlich sehr reich; denn erstens haben wir die Ehre die Frau Gräfin Ida Hahn-Hahn zu den Landeskindern zu zählen, was ihre Vorliebe für die Aristokratie hinreichend entschuldigt; dann Louise Mühlbach, die Tochter des Bürgermeisters Müller in Neu-Brandenburg, die die Welt gleichfalls schon mit manchem Werke beschenkt bat. Bedauern muss man nur, dass beide Damen ihren Ruf als Schriftstellerinnen auf Kosten ihrer Weiblichkeit erworben haben, eine kleine Unvorsichtigkeit, die sich leider später nicht mehr zurücknehmen lässt.

 

Außerdem haben wir noch eine „Marie von Plessen,“ die einen Band sehr unschuldiger kleiner Gedichtchen herausgegeben hat; von dem Prediger Koch in Parchim sind „Kleeblüten“ und ein anderer Band Gedichte erschienen, die mehr Gefühle des Augenblicks geben, als Ideen, und die als die frommen Kinder seiner Mußestunden betrachtet werden können; Herr von Damitz hat den Bahnhof bei Hagenow besungen — das ist Alles, was wir an Talenten aufweisen können. —

Amely.

 

Aus: Die Grenzboten. Zeitschrift für Politik und Literatur, redigiert von J. Kuranda. 6. Jahrgang. III. Band. 1847

 

 

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