Robert Kahn (1865-1951)

Unter den jüngeren Tonsetzern muss der am 21. Juli 1865 in Mannheim geborene Robert Kahn in erster Linie genannt werden. Ein Schüler Eduard Francks und Vincenz Lachners in der Komposition und im Clavier, studirte er von 1882— 1885 an der Königlichen Hochschule zu Berlin, wo Kiel und Rudorff seine hauptsächlichsten Lehrer waren. Dann ging er nach München, um bei Rheinberger seine Studien fortzusetzen und nahm im Frühjahr 1887 seinen Aufenthalt in Wien, wo er sich des warmen Interesses und vertrauten Umganges mit Johannes Brahms zu erfreuen hatte. Von 1890 — 1894 lebte er in Leipzig, wo er eine Zeit lang an der Oper korretirte und einen Damenchor begründete und leitete. Seitdem hat er seinen Aufenthalt in Berlin genommen, wo er als Lehrer für Theorie und Ensemblespiel an der Königlichen Hochschule angestellt ist.

Robert Kahns Gesammtthätigkeit auf dem Gebiet der Komposition ist eine sehr umfassende. Er veröffentlichte u. A. Lieder, Clavierstücke, gemischte und Frauenchöre mit und ohne Begleitung, ferner 2 Stücke für Violine und Clavier, eine Violinsonate, ein Streichquartett, ein Clavierquartett und ein Claviertrio.


„Er ist“, wie Dr. Ernst Radecke richtig bemerkt, „ausschliesslich Musiker und schafft in den Formen der klassischen Meister in der richtigen Erkenntniss, dass diese für den, der wirklich etwas musikalisch zu sagen hat, bei ihrer Mannigfaltigkeit und Dehnbarkeit niemals veralten. Beeinflusst zeigt er sich hauptsächlich von Mendelssohn, Schumann und Brahms. Damit ist nicht gesagt, dass er diese Meister sklavisch nachahmt. Seine natürliche Begabung und musikalische Erziehung weisen ihn auf ihre Wege; ihr Schaffen liess in ihm eine verwandte Saite erklingen, er nahm es so völlig in sich auf und vermischte die durch sie erhaltenen Anregungen mit seinen eigenen Gedanken, dass etwas Neues und doch Jenen Verwandtes entstand.“

Alle Kompositionen des jungen Meisters sind durch ausgesprochenen Formensinn hervorragend. Ueberall zeigt sich ein harmonischer Eindruck, grosse Natürlichkeit der Erfindung-, warme Empfindung und zierliche Anmut.

Eine optimistische Weltanschauung, Freude an dem Guten und Schönen sprechen aus ihnen. Die meisterhafte Stimmführung im Instrumental- und Vokalsatz beweist die Gründlichkeit seiner Schulung. Sein hervorragendstes Werk ist entschieden op. 5, eine Sonate für Clavier und Violine in G-moll. Stolze Kraft, leidenschaftliche Energie und kecker Jugendmut gelangen hier zu einem schwungvollen, hinreissenden Ausdruck. Bedeutend ist auch sein Quartett H-moll für Clavier, Bratsche, Violine und Violoncello, op. 14; hier herrscht eine bewunderungswürdige Geschlossenheit der Form und eine Einheitlichkeit der Stimmung. Als Liederkomponist hat er die charakteristische Eigenart, dass seine sämmtlichen Lieder recht eigentlich als Mädchenlieder für Frauenstimmen gedacht sind. Die stets vornehme Melodik hat einen anheimelnd volksthümlichen Zug. Die einen sind graziös, die anderen traurig und leidenschaftlich. Seine Individualität zeigt sich am vortheilhaftesten in den kleinen Formen, in der Wiedergabe des Duftig-Anmutigen und des Traumhaft-Zarten.

Robert Kahn hat vor mehreren Jahren — im Mai 1895 — im Saale der Königlichen Hochschule zu Berlin ein Konzert veranstaltet, um eine Reihe seiner besten Kompositionen für Kammermusik und Lieder vorzuführen. An der Ausführung betheiligten sich Instrumentalisten von europäischem Rufe, wie z. B. die Professoren Joachim, Wirth und Hausmann. Besonderen Erfolg hatten die dreistimmigen Frauenchöre, welche die Damen des Hochschulchors mit Feinheit und Klangschönheit sangen, und die sich durch charakteristische Empfindung und wohl getroffene Stimmung auszeichnen. Es soll noch hervorgehoben werden, dass der Künstler in den letzten Jahren bisher kaum gekannte Gedichte Gerhard Hauptmanns in reizvoller Weise komponirt hat. Es sind edelschöne, keusch empfundene und kunstvoll gewobene Blüten einer zartsinnigen Natur, die uns R. Kahn mit diesem Gedichtcyclus bescheert hat.