Einführung in die Gesellschaft
Mit dem Herbst kam die Zeit, wo Klara in die Gesellschaft eingeführt werden sollte. Die Gemahlin des preußischen Gesandten machte mit ihr die erfoderlichen Besuche und die erste Einladung, die sie erhielt, war die zu einem Ball bei dem französischen Gesandten.
Das Herz schlug ihr gewaltig, als sie in den Saal trat, aber ihre Befangenheit war frei von aller linkischen Verlegenheit und erhöhte nur den jugendlichen Liebreiz der Schönheit, die sie vor den meisten der anwesenden Frauen auszeichnete. Es fehlt in unseren Salons nie an schönen, anmuthigen Gestalten, allein jugendlich reizend erscheinen sie selten, weil nichts so frühreif macht, so den Schein einer mit Jugendlichkeit unvereinbaren Welterfahrung gibt als Gefallsucht. Von dieser war Klara noch ganz frei, und ihre Befangenheit hatte den Zauber lieblicher Kindlichkeit und holdseliger rein weiblicher Anmuth.
Der Zufall wies Klara den Platz zwischen zwei ihr unbekannten Damen an, von denen die eine ihr den Rücken wandte, weil sie angelegentlich bemüht war, einen jungen Mann zu unterhalten, der hinter ihrem Stuhle stand und trotz ihrer Bemühung sehr gelangweilt aussah. Die andere war mit ihrer Nachbarin in ein lebhaftes Gespräch verflochten, das sie aber nicht abhielt, sich gegen Klara so freundlich zu verneigen, daß es dieser Muth machte, sich nach ihrer Seite zu wenden, um an der Unterredung Theil zu nehmen. Diese betraf das ungeheure Glück, das die Fürstin Subov gestern Abend im Boston gehabt hatte; sie hatte dreizehn Stiche mit Schlemm sur table angesagt. Diese erstaunenswürdige Begebenheit wurde von den beiden Damen mit einem Antheil und einer Lebendigkeit besprochen, die Klara um so mehr befremdete, da sie keine Karte kannte.
Ihre andere Nachbarin stand jetzt auf, und Klara fühlte sich erleichtert, als Fau von Korsakow auf sie zukam und den an ihrer Seite leer gewordenen Platz einnahm. Einige mit dieser bekannte Herren näherten sich und fanden keinen bessern Stoff zur Unterhaltung, als daß sie sich mit Frau von Korsakow in das Gebiet der Tages-Neuigkeiten und der Lästerchronik der Anwesenden vertieften. Zu Klara’s großer Freude begann der Tanz. Baron Rehbinder, dem sie den ersten Walzer zugesagt hatte, kam, sie zu holen, und neugierig, den Eindruck kennen zu lernen, den die Gesellschaft auf sie mache, befragte er sie nach Ende des Tanzes darum.
Ich habe mir, antwortete sie, eine solche große Gesellschaft viel hübscher gedacht und viel vergnügter. Fast alle Anwesende sehen gelangweilt aus; Keiner scheint den Andern mit Interesse aufzusuchen; die Mehrsten gehen an einander vorbei, als wenn sie sich gar nichts zu sagen wüßten, und gewiß, ich hätte nicht geglaubt, daß sich von allen Menschen in Petersburg so viel Böses sagen ließe, als ich schon in Zeit von einer halben Stunde von den hier Anwesenden habe sagen hören.
In der lebendigen Theilnahme, erwiderte Rehbinder, mit der die Menschen das Böse, und der Lauheit, mit der sie Gutes von Jemanden erzählen hören, scheint freilich eine ernste Anklage gegen die menschliche Natur begründet zu sein; aber die Sache ist bei weitem nicht so schlimm, als sie aussieht. Sie liegt darin, daß das Böse mehr auf die Einbildungskraft wirkt als das Gute, und daß in der Schwatzhaftigkeit an sich selbst ein Genuß liegt, der von der aufgeregten Einbildungskraft mehr Befriedigung erhält, als sie uns das stille Gefallen am Guten zu gewähren vermag.
Soll das eine Rechtfertigung sein? fragte Klara lächelnd.
Nein, es soll nur beweisen, daß der Hang zur Medisance nicht aus der Bösartigkeit der menschlichen Natur entspringt.
Der Baron ist ein guter Advocat in einer schlechten Sache, sagte Sivers, der neben ihnen stand. Die Medisance erscheint mir, auch in ihrer geistreichsten Form, immer nur als ein unwillkürliches Geständniß, daß man froh ist, eine an sich selbst gemachte Erfahrung durch fremden Unwerth bestätigt zu sehen und, davon überrascht, durch sie ein Bekenntniß der eignen Schlechtigkeit ablegt, die sich der Mitgenossenschaft erfreut.
Eine hübsche junge Frau, die nicht weit von Klara mit einer andern Dame auf vertraulich herzliche Weise zu reden schien, zog ihre Aufmerksamkeit auf sich; Klara’s Auge ruhte mit Wohlgefallen auf Zügen, die ebenso viel Wohlwollen als Theilnahme auszudrücken schienen, und sie freuete sich, als sie, nachdem sich jene Dame entfernt hatte, auf sie zukam. Mein Gott, sagte sie zu Rehbinder, wie hat mich die gute Jesimowski gelangweilt! ich bin ganz erschöpft! Denken Sie, Baron, ich habe den allervollständigsten Bericht von der Krankheit ihres kleinen Jungen anhören müssen! sie hat mich auch nicht mit einem Pulver, einer Mixtur verschont! Ich fing schon an, mich für eine Krankenwärterin zu halten und bin noch wie betäubt von all diesem Getratsch. Sie ist eine recht brave Frau und gehört zu meinen liebsten Feundinnen, aber man kann nicht geschwätziger und langweiliger sein als sie. - Kommt da nicht ihr Mann gegangen? - ich kann ihm nicht mehr ausweichen - nun geht mein Leiden noch einmal von neuem wieder an! -
Hier wandte sie sich um, und mit dem Ausdruck der herzlichsten Theilnahme, der freundschaftlichsten Besorgniß redete sie Herrn von Jesimowski an und fragte angelegentlich nach dem kranken Kinde. Klara seufzte leise; die Falschheit der hübschen Frau that ihr so wehe. Jetzt aber trat eine auffallend geputzte, hochroth geschminkte Dame zu ihnen, deren Gesicht trotz aller angewandten Toilettenkünste ein wenigstens fünfzigjähriges Alter nicht verläugnen konnte. Wie geht es zu, fragte sie Frau von Korsakow, daß die Gräfin Wolowitsch nicht hier ist? sie fehlt doch sonst auf keinem Balle. Sollte sie wirklich zu der Erkenntniß gekommen sein, daß in ihrem Alter diese Sucht, noch alle Vergnügungen, alle Moden mitzumachen, höchst lächerlich ist? In unseren Jahren, liebste Korsakow, will man das Leben genießen und ist zu Ansprüchen an seine Freuden berechtigt, aber in dem Alter der Gräfin Wolowitsch und mit einer Figur wie die ihrige macht man sich dadurch ebenso lästig als lächerlich.
Gestehen Sie, meine Gnädige, rief hier Graf Sivers lächelnd, daß die Damen unsers Standes sich doch eines köstlichen, ganz unschätzbaren Vorzuges vor allen Prinzessinnen und Monarchinnen Europas erfreuen: die Kalender offenbaren unerbittlich auf Tag und Stunde das Alter einer Fürstin; jede andere Dame aber, Gott sei Dank! -
Die Dame wartete den Schluß seiner Rede nicht ab; sie kehrte sich von ihm weg und verlor sich unter der Menge.
Himmel! was gibt es hier für seltsame Menschen, dachte Klara, und wie werde ich mich an den Umgang mit ihnen gewöhnen können! Sie tanzte noch einige Tänze; doch des Tanzes, des Geräusches, der hellen Erleuchtung gleich ungewohnt, fühlte sie sich bald ermüdet und bat Nordeck, mit ihr nach Hause zu fahren. Sie waren im Begriff, sich zu entfernen, als die Flügelthüren des Saals aufgerissen wurden und die Bedienten die Ankunft der Fürstin *** meldeten. Eine ältliche Frau trat am Arm eines jungen stattlichen Gardeofficiers ein. Verzeihen Sie, sagte sie zu dem Herrn des Hauses, der ihr entgegentrat, um sie zu bewillkommnen, daß ich so spät komme; aber Feodor Gregorowitsch (so hieß ihr Begleiter) hat es nicht anders gewollt; er ist nun einmal ein verzogenes Kind, dem ich in Allem seinen Willen thun muß.
Klara hatte den Namen, den die Fürstin als Witwe eines der berühmtesten Feldherren des russischeu Reiches trug, nicht ohne Ehrfurcht nennen hören. Die Witwe eines solchen Helden, wie rührend, wie großartig und würdig dachte sie sich diese in ihrer unvergänglichen Trauer! Unschuldig wandte sie sich jetzt zu einer ihr nahestehenden Dame; ich wußte nicht, sagte sie, daß der Fürst einen Sohn hinterlassen hat.
Diese lachte hell auf. Er ist kinderlos gestorben, antwortete sie; dieser - junge Officier ist seit acht Tagen der Liebhaber der Fürstin, die ihre Günstlinge hoch besoldet, aber auch alle Monate mit ihnen wechselt.
Von einem innern Schauder ergriffen, faßte Klara den Arm ihres Gemahls und eilte aus dem Saal. O Nordeck, rief sie, als sie neben ihm allein im Wagen saß, in welche Welt hast du mich heute eingeführt! - Sie theilte ihm nun Alles mit, was sie im Lauf des Abends gehört und gesehen hatte, und sprach es aus, wie sie sich durch die Frechheit, mit der die Fürstin ihr Verhältniß zu dem jungen Offcier geflissentlich zur Schau getragen hatte, empört fühlte. Wie kann nur, fragte sie, der Gesandte die ganze von ihm eingeladene Gesellschaft so beleidigen, daß er eine Frau von so schlechtem Rufe, von so anstößigem Betragen zu sich bittet? Es findet ja kein Zweifel statt, daß sie die tiefste Verachtung verdient, und man sollte doch in einem solchen Hause sicher sein, nicht mit Frauen ihrer Art zusammenzutreffen.
Diese sorglose Gleichgültigkeit gegen den sittlichen Unwerth der Personen, mit denen man umgeht, antwortete ihr Nordeck, ist eine der dunkeln Schattenseiten des geselligen Lebens unserer vornehmen Kreise. Als ein einfacher Bürger kann ich mein Haus bewahren, meine Frau, meine Tochter, meine Schwester vor dem Umgange mit den Verworfenen ihres Geschlechtes schützen und ihnen den Anblick des Lasters entziehen; als vornehmer Mann kann ich es nicht. Ich wüßte keine Infamie, die, so lange sie nicht die Strafe des Gesetzes nach sich gezogen hat, den Zutritt zu den vornehmsten Kreisen erschweren könnte. In der heutigen Gesellschaft war z. B. ein Mann, auf dessen Gewissen siebzehn gerichtlich erwiesene Mordthaten lasten, die er als Gouverneur einer asiatischen Provinz begangen hat; aber er ist sehr reich, und so hängt das Schwert des Damokles freilich über seinem Haupte, aber es trifft ihn nicht. Wir Vornehmen sind in dieser Hinsicht die Sklaven unserer Verhältnisse, und ich werde es nicht vermeiden können, die Fürstin auch zu uns einzuladen, bei Gelegenheiten, wo Etikette und Convenienz uns allein in der Wahl unserer Gäste leiten dürfen. Die Geselligkeit der höheren Stände wird durchaus durch kein geistiges Interesse veredelt; man hascht in unseren Salons mit einer wahrhaft krankhaften Gier nach Zerstreuung und Vergnügen und ist in der Wahl der Mittel zur Erreichung dieses Zweckes durchaus nicht schwierig. Die Fürstin ist bei weitem nicht die einzige Fau in diesem Kreise, die deine Verachtung verdient. So lange eine vornehme Frau ein Haus ausmacht, so lange sie bedeutende Connexionen hat und den Leuten gut zu essen gibt, wird man sie zwar hinter ihrem Rücken geißeln, aber nichtsdestoweniger ihre Einladungen annehmen und sie erwidern, während die achtungswürdigsten Frauen, wenn sie nicht jung, reich und schön sind, in der Gesellschaft übersehen und bei jeder Gelegenheit zurückgesetzt werden. In der Natur der Frivolität liegt eine Abneigung gegen die Tugend, wie in der Albernheit die Scheu vor der Verständigkeit. Das Gefährliche unserer gesellschaftlichen Sitten liegt aber nicht sowol in diesem unvermeidlichen Umgange mit gefallenen Frauen und sittenlosen Männern als in der Liebenswürdigkeit, in die sich das Laster oft einzuhüllen versteht. Selbst ein reiner Sinn läuft Gefahr, sich dadurch täuschen zu lassen, und die Unschuld hat auf diesem glatten Boden keinen sichernden Schutzengel, wenn sie nicht eine aus religiösem Gefühl entspringende Festigkeit der Grundsätze besitzt. Die Fügsamkeit, der Mangel an selbständiger Willenskraft, die man irrigerweise so oft als die Grundzüge liebenswürdiger Weiblichkeit preiset, sind gemeinhin nur Charakterlosigkeit und geistesarme Schwäche. Wer sich aber feste Grundsätze bildet, mögen sie nun im Geist oder im Gemüth ihre Wurzeln schlagen, der wird auch das Bedürfniß fühlen, ihnen und in ihnen seinem Charakter treu zu bleiben und ihn, unabhängig von äußeren Einflüssen, rein zu bewahren. Nie kann eine Frau in der Gesellschaft zu glänzen wünschen, nie auf ihren Beifall Anspruch machen, ohne ihrer Macht zu verfallen und sich gezwungen zu fühlen, ihr sklavisch dienen zu müssen. Welcher schöne Friede, welche beglückende Harmonie des Daseins lohnt dagegen die Frrau, die ihr Glück an die unwandelbaren Grundsätze der Tugend und der Pflicht gebunden hat und alle ihre Gesinnungen und Gedanken nur einem Zweck zuwendet! Sie sammelt gleichsam alle Strahlen ihres Wesens in einem Punkt, dessen Licht ihr dann in jedem Sinne zum sichern Führer wird.
Das Herz schlug ihr gewaltig, als sie in den Saal trat, aber ihre Befangenheit war frei von aller linkischen Verlegenheit und erhöhte nur den jugendlichen Liebreiz der Schönheit, die sie vor den meisten der anwesenden Frauen auszeichnete. Es fehlt in unseren Salons nie an schönen, anmuthigen Gestalten, allein jugendlich reizend erscheinen sie selten, weil nichts so frühreif macht, so den Schein einer mit Jugendlichkeit unvereinbaren Welterfahrung gibt als Gefallsucht. Von dieser war Klara noch ganz frei, und ihre Befangenheit hatte den Zauber lieblicher Kindlichkeit und holdseliger rein weiblicher Anmuth.
Der Zufall wies Klara den Platz zwischen zwei ihr unbekannten Damen an, von denen die eine ihr den Rücken wandte, weil sie angelegentlich bemüht war, einen jungen Mann zu unterhalten, der hinter ihrem Stuhle stand und trotz ihrer Bemühung sehr gelangweilt aussah. Die andere war mit ihrer Nachbarin in ein lebhaftes Gespräch verflochten, das sie aber nicht abhielt, sich gegen Klara so freundlich zu verneigen, daß es dieser Muth machte, sich nach ihrer Seite zu wenden, um an der Unterredung Theil zu nehmen. Diese betraf das ungeheure Glück, das die Fürstin Subov gestern Abend im Boston gehabt hatte; sie hatte dreizehn Stiche mit Schlemm sur table angesagt. Diese erstaunenswürdige Begebenheit wurde von den beiden Damen mit einem Antheil und einer Lebendigkeit besprochen, die Klara um so mehr befremdete, da sie keine Karte kannte.
Ihre andere Nachbarin stand jetzt auf, und Klara fühlte sich erleichtert, als Fau von Korsakow auf sie zukam und den an ihrer Seite leer gewordenen Platz einnahm. Einige mit dieser bekannte Herren näherten sich und fanden keinen bessern Stoff zur Unterhaltung, als daß sie sich mit Frau von Korsakow in das Gebiet der Tages-Neuigkeiten und der Lästerchronik der Anwesenden vertieften. Zu Klara’s großer Freude begann der Tanz. Baron Rehbinder, dem sie den ersten Walzer zugesagt hatte, kam, sie zu holen, und neugierig, den Eindruck kennen zu lernen, den die Gesellschaft auf sie mache, befragte er sie nach Ende des Tanzes darum.
Ich habe mir, antwortete sie, eine solche große Gesellschaft viel hübscher gedacht und viel vergnügter. Fast alle Anwesende sehen gelangweilt aus; Keiner scheint den Andern mit Interesse aufzusuchen; die Mehrsten gehen an einander vorbei, als wenn sie sich gar nichts zu sagen wüßten, und gewiß, ich hätte nicht geglaubt, daß sich von allen Menschen in Petersburg so viel Böses sagen ließe, als ich schon in Zeit von einer halben Stunde von den hier Anwesenden habe sagen hören.
In der lebendigen Theilnahme, erwiderte Rehbinder, mit der die Menschen das Böse, und der Lauheit, mit der sie Gutes von Jemanden erzählen hören, scheint freilich eine ernste Anklage gegen die menschliche Natur begründet zu sein; aber die Sache ist bei weitem nicht so schlimm, als sie aussieht. Sie liegt darin, daß das Böse mehr auf die Einbildungskraft wirkt als das Gute, und daß in der Schwatzhaftigkeit an sich selbst ein Genuß liegt, der von der aufgeregten Einbildungskraft mehr Befriedigung erhält, als sie uns das stille Gefallen am Guten zu gewähren vermag.
Soll das eine Rechtfertigung sein? fragte Klara lächelnd.
Nein, es soll nur beweisen, daß der Hang zur Medisance nicht aus der Bösartigkeit der menschlichen Natur entspringt.
Der Baron ist ein guter Advocat in einer schlechten Sache, sagte Sivers, der neben ihnen stand. Die Medisance erscheint mir, auch in ihrer geistreichsten Form, immer nur als ein unwillkürliches Geständniß, daß man froh ist, eine an sich selbst gemachte Erfahrung durch fremden Unwerth bestätigt zu sehen und, davon überrascht, durch sie ein Bekenntniß der eignen Schlechtigkeit ablegt, die sich der Mitgenossenschaft erfreut.
Eine hübsche junge Frau, die nicht weit von Klara mit einer andern Dame auf vertraulich herzliche Weise zu reden schien, zog ihre Aufmerksamkeit auf sich; Klara’s Auge ruhte mit Wohlgefallen auf Zügen, die ebenso viel Wohlwollen als Theilnahme auszudrücken schienen, und sie freuete sich, als sie, nachdem sich jene Dame entfernt hatte, auf sie zukam. Mein Gott, sagte sie zu Rehbinder, wie hat mich die gute Jesimowski gelangweilt! ich bin ganz erschöpft! Denken Sie, Baron, ich habe den allervollständigsten Bericht von der Krankheit ihres kleinen Jungen anhören müssen! sie hat mich auch nicht mit einem Pulver, einer Mixtur verschont! Ich fing schon an, mich für eine Krankenwärterin zu halten und bin noch wie betäubt von all diesem Getratsch. Sie ist eine recht brave Frau und gehört zu meinen liebsten Feundinnen, aber man kann nicht geschwätziger und langweiliger sein als sie. - Kommt da nicht ihr Mann gegangen? - ich kann ihm nicht mehr ausweichen - nun geht mein Leiden noch einmal von neuem wieder an! -
Hier wandte sie sich um, und mit dem Ausdruck der herzlichsten Theilnahme, der freundschaftlichsten Besorgniß redete sie Herrn von Jesimowski an und fragte angelegentlich nach dem kranken Kinde. Klara seufzte leise; die Falschheit der hübschen Frau that ihr so wehe. Jetzt aber trat eine auffallend geputzte, hochroth geschminkte Dame zu ihnen, deren Gesicht trotz aller angewandten Toilettenkünste ein wenigstens fünfzigjähriges Alter nicht verläugnen konnte. Wie geht es zu, fragte sie Frau von Korsakow, daß die Gräfin Wolowitsch nicht hier ist? sie fehlt doch sonst auf keinem Balle. Sollte sie wirklich zu der Erkenntniß gekommen sein, daß in ihrem Alter diese Sucht, noch alle Vergnügungen, alle Moden mitzumachen, höchst lächerlich ist? In unseren Jahren, liebste Korsakow, will man das Leben genießen und ist zu Ansprüchen an seine Freuden berechtigt, aber in dem Alter der Gräfin Wolowitsch und mit einer Figur wie die ihrige macht man sich dadurch ebenso lästig als lächerlich.
Gestehen Sie, meine Gnädige, rief hier Graf Sivers lächelnd, daß die Damen unsers Standes sich doch eines köstlichen, ganz unschätzbaren Vorzuges vor allen Prinzessinnen und Monarchinnen Europas erfreuen: die Kalender offenbaren unerbittlich auf Tag und Stunde das Alter einer Fürstin; jede andere Dame aber, Gott sei Dank! -
Die Dame wartete den Schluß seiner Rede nicht ab; sie kehrte sich von ihm weg und verlor sich unter der Menge.
Himmel! was gibt es hier für seltsame Menschen, dachte Klara, und wie werde ich mich an den Umgang mit ihnen gewöhnen können! Sie tanzte noch einige Tänze; doch des Tanzes, des Geräusches, der hellen Erleuchtung gleich ungewohnt, fühlte sie sich bald ermüdet und bat Nordeck, mit ihr nach Hause zu fahren. Sie waren im Begriff, sich zu entfernen, als die Flügelthüren des Saals aufgerissen wurden und die Bedienten die Ankunft der Fürstin *** meldeten. Eine ältliche Frau trat am Arm eines jungen stattlichen Gardeofficiers ein. Verzeihen Sie, sagte sie zu dem Herrn des Hauses, der ihr entgegentrat, um sie zu bewillkommnen, daß ich so spät komme; aber Feodor Gregorowitsch (so hieß ihr Begleiter) hat es nicht anders gewollt; er ist nun einmal ein verzogenes Kind, dem ich in Allem seinen Willen thun muß.
Klara hatte den Namen, den die Fürstin als Witwe eines der berühmtesten Feldherren des russischeu Reiches trug, nicht ohne Ehrfurcht nennen hören. Die Witwe eines solchen Helden, wie rührend, wie großartig und würdig dachte sie sich diese in ihrer unvergänglichen Trauer! Unschuldig wandte sie sich jetzt zu einer ihr nahestehenden Dame; ich wußte nicht, sagte sie, daß der Fürst einen Sohn hinterlassen hat.
Diese lachte hell auf. Er ist kinderlos gestorben, antwortete sie; dieser - junge Officier ist seit acht Tagen der Liebhaber der Fürstin, die ihre Günstlinge hoch besoldet, aber auch alle Monate mit ihnen wechselt.
Von einem innern Schauder ergriffen, faßte Klara den Arm ihres Gemahls und eilte aus dem Saal. O Nordeck, rief sie, als sie neben ihm allein im Wagen saß, in welche Welt hast du mich heute eingeführt! - Sie theilte ihm nun Alles mit, was sie im Lauf des Abends gehört und gesehen hatte, und sprach es aus, wie sie sich durch die Frechheit, mit der die Fürstin ihr Verhältniß zu dem jungen Offcier geflissentlich zur Schau getragen hatte, empört fühlte. Wie kann nur, fragte sie, der Gesandte die ganze von ihm eingeladene Gesellschaft so beleidigen, daß er eine Frau von so schlechtem Rufe, von so anstößigem Betragen zu sich bittet? Es findet ja kein Zweifel statt, daß sie die tiefste Verachtung verdient, und man sollte doch in einem solchen Hause sicher sein, nicht mit Frauen ihrer Art zusammenzutreffen.
Diese sorglose Gleichgültigkeit gegen den sittlichen Unwerth der Personen, mit denen man umgeht, antwortete ihr Nordeck, ist eine der dunkeln Schattenseiten des geselligen Lebens unserer vornehmen Kreise. Als ein einfacher Bürger kann ich mein Haus bewahren, meine Frau, meine Tochter, meine Schwester vor dem Umgange mit den Verworfenen ihres Geschlechtes schützen und ihnen den Anblick des Lasters entziehen; als vornehmer Mann kann ich es nicht. Ich wüßte keine Infamie, die, so lange sie nicht die Strafe des Gesetzes nach sich gezogen hat, den Zutritt zu den vornehmsten Kreisen erschweren könnte. In der heutigen Gesellschaft war z. B. ein Mann, auf dessen Gewissen siebzehn gerichtlich erwiesene Mordthaten lasten, die er als Gouverneur einer asiatischen Provinz begangen hat; aber er ist sehr reich, und so hängt das Schwert des Damokles freilich über seinem Haupte, aber es trifft ihn nicht. Wir Vornehmen sind in dieser Hinsicht die Sklaven unserer Verhältnisse, und ich werde es nicht vermeiden können, die Fürstin auch zu uns einzuladen, bei Gelegenheiten, wo Etikette und Convenienz uns allein in der Wahl unserer Gäste leiten dürfen. Die Geselligkeit der höheren Stände wird durchaus durch kein geistiges Interesse veredelt; man hascht in unseren Salons mit einer wahrhaft krankhaften Gier nach Zerstreuung und Vergnügen und ist in der Wahl der Mittel zur Erreichung dieses Zweckes durchaus nicht schwierig. Die Fürstin ist bei weitem nicht die einzige Fau in diesem Kreise, die deine Verachtung verdient. So lange eine vornehme Frau ein Haus ausmacht, so lange sie bedeutende Connexionen hat und den Leuten gut zu essen gibt, wird man sie zwar hinter ihrem Rücken geißeln, aber nichtsdestoweniger ihre Einladungen annehmen und sie erwidern, während die achtungswürdigsten Frauen, wenn sie nicht jung, reich und schön sind, in der Gesellschaft übersehen und bei jeder Gelegenheit zurückgesetzt werden. In der Natur der Frivolität liegt eine Abneigung gegen die Tugend, wie in der Albernheit die Scheu vor der Verständigkeit. Das Gefährliche unserer gesellschaftlichen Sitten liegt aber nicht sowol in diesem unvermeidlichen Umgange mit gefallenen Frauen und sittenlosen Männern als in der Liebenswürdigkeit, in die sich das Laster oft einzuhüllen versteht. Selbst ein reiner Sinn läuft Gefahr, sich dadurch täuschen zu lassen, und die Unschuld hat auf diesem glatten Boden keinen sichernden Schutzengel, wenn sie nicht eine aus religiösem Gefühl entspringende Festigkeit der Grundsätze besitzt. Die Fügsamkeit, der Mangel an selbständiger Willenskraft, die man irrigerweise so oft als die Grundzüge liebenswürdiger Weiblichkeit preiset, sind gemeinhin nur Charakterlosigkeit und geistesarme Schwäche. Wer sich aber feste Grundsätze bildet, mögen sie nun im Geist oder im Gemüth ihre Wurzeln schlagen, der wird auch das Bedürfniß fühlen, ihnen und in ihnen seinem Charakter treu zu bleiben und ihn, unabhängig von äußeren Einflüssen, rein zu bewahren. Nie kann eine Frau in der Gesellschaft zu glänzen wünschen, nie auf ihren Beifall Anspruch machen, ohne ihrer Macht zu verfallen und sich gezwungen zu fühlen, ihr sklavisch dienen zu müssen. Welcher schöne Friede, welche beglückende Harmonie des Daseins lohnt dagegen die Frrau, die ihr Glück an die unwandelbaren Grundsätze der Tugend und der Pflicht gebunden hat und alle ihre Gesinnungen und Gedanken nur einem Zweck zuwendet! Sie sammelt gleichsam alle Strahlen ihres Wesens in einem Punkt, dessen Licht ihr dann in jedem Sinne zum sichern Führer wird.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Zwei Jahre in Petersburg